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01. Juli 2007

Hello goodbye

Bitte austreten: Wie man die EU verlässt und doch ihr Partner bleibt

Die zurückliegenden sechs Monate haben aufs Neue demonstriert, wie stark die Spannungen und Brüche innerhalb der EU nach wie vor sind. Brüche, die, wie ich glaube, bei der derzeitigen Struktur der EU irreparabel sind. Da wäre zunächst einmal der Bruch zwischen den Staaten, die eine weitergehende europäische Integration wollen, wie Frankreich und Deutschland, und solchen, die das nicht möchten, wie Großbritannien. Das zeigte sich während der deutschen Ratspräsidentschaft, als sich Angela Merkel, vom deutschen Standpunkt aus korrekt und mit bewundernswerter Offenheit, massiv für einen neuen Vertrag einsetzte, der auf dem integrationistischen Modell beruhte. Die Antwort der britischen Regierung war Ausdruck von Unbehagen und Entsetzen. Jegliche Anzeichen dafür, dass der neue Verfassungsvertrag eine weitergehende EU-Integration bedeuten könnte, trafen auf ein Sperrfeuer der Kritik.

Ein zweiter Punkt ist die zunehmend heikle Frage der EU-Erweiterung. Nach der Erweiterung auf 27 Mitgliedsstaaten im Jahre 2004 hat unvermeidlich eine gewisse „Erweiterungsmüdigkeit“ eingesetzt. Zudem bringen die Anträge auf Mitgliedschaft bestimmter Länder auf dem westlichen Balkan und vor allem der Antrag der Türkei scheinbar unüberwindbare Hindernisse mit sich. Das Konzept der „privilegierten Partnerschaft“ wurde der Türkei vorgeschlagen und von ihr abgelehnt. Dennoch wäre es politisch und strategisch ohne Zweifel ein großer Gewinn, die Türkei dauerhaft und stabil an die Europäische Union zu binden. Eine solche „privilegierte Partnerschaft“ wäre, davon bin ich überzeugt, auch für Großbritannien die ideale Lösung. Kein Land, schon gar nicht Großbritannien, das von jeher eine Sonderstellung einnimmt, sollte den föderalistischen Bestrebungen der EU im Wege stehen. In einer Welt des ständigen Wandels muss unser Land seine handels-, sicherheits- und umweltpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union auf eine neue, flexiblere Grundlage stellen. Dafür sollte Großbritannien die formale EU-Mitgliedschaft aufgeben.

Als Großbritannien 1973 Mitglied der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurde, gab es vernünftige wirtschaftliche Gründe dafür. Angesichts der hohen Zölle auf dem Weltmarkt lockte die Mitgliedschaft in der EWG mit einem großen Binnenmarkt. Sie sollte das Wirtschaftswachstum Großbritanniens ankurbeln, das dem des übrigen Europas hinterherhinkte. Doch 34 Jahre später hat sich die Welt so verändert, dass sie nicht wiederzuerkennen ist. Betrug der Anteil Chinas und Indiens an der weltweiten Wirtschaftsleistung im Jahr 1980 gerade einmal acht Prozent, hatte er 2003 19 Prozent erreicht, und er wird wohl weiter steigen. Der Anteil der EU hingegen kann nur sinken. Die britische Wirtschaft muss frei und flexibel genug sein, um die Chancen, die die Weltwirtschaft bietet, zu ergreifen. Doch die derzeitige EU-Mitgliedschaft bremst das Land. Die Kosten des einheitlichen Marktes wiegen schwerer als die Vorteile und belasten unnötig die Wirtschaft. Die protektionistischen Tendenzen der EU etwa in der Agrarpolitik erhöhen die Preise auf dem Binnenmarkt und schaden dem Handel mit Entwicklungsländern. Und die Zollunion verhindert, dass Großbritannien bilaterale Abkommen mit Ländern schließen kann, zu denen es besondere Beziehungen pflegt, etwa den USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder Indien.

Gewiss: Manche dieser Überlegungen, wenn nicht sogar alle, treffen auch auf andere EU-Mitgliedsstaaten zu. Doch verfügen diese weder über Großbritanniens einzigartige Handelsbeziehungen noch teilen sie seine Geschichte als Handelsnation. Nun ist eine solche „privilegierte Partnerschaft“ auch ausgesprochen beliebt bei der britischen Bevölkerung. Unsere Umfragen zeigen, dass die Briten auf die Frage, ob sie a) aus der EU austreten, b) Mitglied bleiben, oder c) zu einer lockereren Beziehung übergehen möchten, mehrheitlich für die dritte Möglichkeit stimmen. Sie wollen der EU nicht den Rücken kehren, aber sie wollen keine politische Gemeinschaft mehr. Ginge Großbritannien diesen Weg, würde sich das selbstverständlich auf den Rest der Gemeinschaft auswirken. Als gute Europäer kennen wir die Sensibilität der anderen Mitglieder nur zu gut.

Dennoch sind wir überzeugt, dass eine „privilegierte Partnerschaft“ Europa eher stärken als schwächen würde. Wenn Großbritannien als eines der größten EU-Länder einen solchen Weg ginge, könnte das einen Modellfall bilden – auch für andere Länder. Neben der Türkei und dem westlichen Balkan und eventuell der Ukraine kämen dafür Länder wie Norwegen, Island oder die Schweiz in Frage, aber auch Mitgliedsstaaten, die eine losere Beziehung der Vollmitgliedschaft vorzögen. Sicher, die EU hat viel Gutes. Aber das gegenwärtige integrationistische Modell stammt aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Ein flexibleres Europa wäre eher in der Lage, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bestehen.

Aus dem Englischen von Dinah Stratenwerth

RUTH LEA, geb. 1947, ist Leiterin des Think-Tanks „Global Vision“ in London.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 152 - 154.

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