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11. Mai 2011

Gute Extremisten, schlechte Extremisten

Ahmed Rashid über Pakistan und Afghanistan nach dem Tod Bin Ladens

Was bedeutet die Erschießung Osama Bin Ladens für Al-Kaida und die Taliban? Was muss die internationale Gemeinschaft unternehmen, um eine politische Lösung für Afghanistan zu finden, welche Rolle kann Pakistan dabei spielen? Der britisch-pakistanische Journalist und Taliban-Experte Ahmed Rashid im Gespräch.

IP: Herr Rashid, am vergangenen Montag haben amerikanische Spezialkräfte in Pakistan den Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden erschossen. Was bedeutet sein Tod für Al-Kaida? 

Rashid: Für Al-Kaida heißt das, dass sie den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten von Pakistan in ein anderes Land verlegen muss, vielleicht in den Jemen. Die Auswertung der Computer und Festplatten, die von den Amerikanern in Bin Ladens Unterschlupf gefunden wurden, werden sicher Einiges über Al-Kaida in Pakistan offenbaren – das dürfte für die Organisation zu riskant werden.

IP: Viele Beobachter sind der Ansicht, dass Pakistan oder doch zumindest Teile der Regierung wussten, wo sich Osama Bin Laden versteckt hielt …

Rashid: Dass es im Falle Bin Ladens ein Unterstützer-Netzwerk gab, dürfte außer Zweifel stehen. Ich habe keine Ahnung, wer genau es war, es können Mitglieder des Staatsapparats oder des Militärs gewesen sein. Vergessen Sie nicht, dass viele dieser militärischen Gruppen  Führungsmitgliedern von Al-Kaida nach dem 11. September Unterschlupf gewährt haben. Zeit, dass dieses Unterstützer-Netzwerk einmal genauer durchleuchtet wird.

IP: Wie ernsthaft betreibt Pakistan denn die Bekämpfung solcher Gruppen?

Rashid: Ich glaube, man ist da in der Vergangenheit eher, nennen wir es mal: selektiv vorgegangen. Man hat Al-Kaida und auch Teile der Taliban bekämpft, aber andere Gruppierungen gewähren lassen, etwa die, die in Indien operierten. Diese Politik, den einen Schurken zu töten und den anderen laufen zu lassen, wird man aufgeben müssen. Das schadet der Glaubwürdigkeit in hohem Maße.

IP: Wie gefährlich ist es denn für die pakistanische Gesellschaft selbst?

Rashid: Ausgesprochen gefährlich. Die Unterscheidung in gute Extremisten und böse Extremisten hat katastrophale Folgen für Pakistan. Wir erleben hier täglich Selbstmordattentate  – zum Teil als Ergebnis dieser Politik.

IP: Die Amerikaner verlangen nach Erklärungen über Bin Ladens Aufenthalt in Pakistan. Wie wird sich das langfristig auf das Verhältnis zwischen Pakistan und den Vereinigten Staaten auswirken?

Rashid: Natürlich wird das die Beziehungen extrem belasten; es sei denn, Pakistan erklärt sich bereit, den Fall gründlich zu untersuchen. Derzeit diskutiert man im US-Kongress darüber, Pakistan die Hilfszahlungen zu streichen – bis zu drei Milliarden Dollar jährlich. Das würde auch bedeuten, dass andere ihre Unterstützung einstellen. Das sind alles Risiken, die die pakistanische Regierung in Rechnung stellen muss. Und je eher die Untersuchung beginnt, desto besser.

IP: Es gibt auch eine enge militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, inwiefern wird die beeinträchtigt werden?

Rashid: Das wird natürlich weitergehen. Ein Großteil des amerikanischen Nachschubs für den Krieg in Afghanistan läuft über Pakistan. Eine Situation wie vor sechs Monaten, als Pakistan die Versorgungswege dicht machte, will hier keiner mehr haben. Der Kampf gegen den bewaffneten Widerstand etwa in den Stammesgebieten, der Einsatz von Drohnen-Raketen, der Nachschub – das alles würde ohne pakistanische Duldung nicht funktionieren. Amerika kann es sich nicht leisten, die Beziehungen zu Pakistan von einem Tag auf den anderen abzubrechen.

IP: Welche Folgen wird Bin Ladens Tod für die Lage in Afghanistan haben? 

Rashid: Die afghanischen Taliban haben sich vergleichsweise vorsichtig zum Tode Bin Ladens geäußert. Im Grunde haben sie nur seine Rolle in den Kämpfen gegen die sowjetischen Truppen in den achtziger Jahren gewürdigt, aber nichts zum 11. September oder zu sonstigen Terroranschlägen gesagt. Wenn sich die Taliban nun von Al-Kaida distanzieren, wäre das ein großer Rückschlag für die Terrororganisation. Wenn Obama Gespräche mit den Taliban ankündigt oder die Taliban ihrerseits Gespräche mit den Amerikanern in Aussicht stellen, wäre das ebenfalls eine Niederlage für Al-Kaida. Und sie würde natürlich versuchen, das zu verhindern – gewaltsam, mit Anschlägen. Dann müssten wir uns auf eine neue Welle der Gewalt einrichten.

IP: Was fehlt denn noch, damit der Übergangsprozess in Afghanistan beginnen kann?

Rashid: Das entscheidende Manko ist das Fehlen eines internen Konsenses, eines Konsenses, der Warlords, Zivilgesellschaft und Regierung zusammenbringt. Derzeit sehen viele Nicht-Paschtunen das Ganze als einen Paschtunen-Paschtunen-Deal: Ein paschtunischer Präsident schließt ein Abkommen mit der paschtunischen Aufstandsbewegung. Das hat dann aber nichts mit dem Rest des Landes zu tun. Die Schaffung eines nationalen Konsenses ist die entscheidende Aufgabe der kommenden Monate.

IP: Für die Afghanistan-Konferenz in Bonn Ende des Jahres fordern Sie ein Mitwirken der Taliban. Was kann Ihrer Meinung nach dadurch erreicht werden?

Rashid: Eine Teilnahme der Taliban in Bonn ist absolut notwendig, wenn wir irgendwann  eine Befriedung des Landes erreichen wollen. Ihre Anwesenheit könnte ein Signal an die Afghanen, an die Nachbarn, an die internationale Gemeinschaft senden, dass die Taliban bereit für Dialog sind und dass die internationale Gemeinschaft sie als einen Mitspieler betrachtet – als einen legitimen Mitspieler bei der Aufgabe, Frieden in Afghanistan zu schaffen.

IP: Ist es nicht widersprüchlich, gleichzeitig eine Konferenz zu fordern, die alle einschließt, und tagtäglich Taliban zu töten? 
Rashid: Dass wir parallel kämpfen und verhandeln, wird sich wohl in absehbarer Zeit nicht ändern lassen. Wir werden nicht irgendwann über Nacht Frieden haben, wohl aber eine kontinuierliche Reduzierung der Gewalt. Und dazu können Gespräche und Verhandlungen beitragen.

IP: Wenn wir die Taliban einbinden wollen, von welchen Taliban sprechen wir dann? Wer wäre der Ansprechpartner? Etwa Mullah Omar?

Rashid: Ich glaube, die Amerikaner und andere machen einen Fehler, wenn sie Mullah Omar von vornherein verdammen und von den Verhandlungen ausschließen, quasi als Vorbedingung für Verhandlungen. Natürlich, Mullah Omar wird sich nicht an den Verhandlungen beteiligen – das hat er noch nie getan – aber er ist derjenige, der letztlich seinen Segen erteilt. Für eine Übereinkunft brauchen wir ihn, sonst werden wir die Zustimmung der Taliban nicht bekommen. Letztendlich werden die Mullah-Omar-Taliban die Verhandlungen führen, und die anderen Gruppierungen werden Abgesandte schicken.

IP: Pakistan wird dabei eine wichtige Rolle spielen … 

Rashid: Richtig, darum müssen sich Amerikaner und internationale Gemeinschaft kümmern. Wenn man mit den Taliban verhandelt, muss man ihnen erlauben, sich eine gewisse Infrastruktur in der Region zu schaffen, Büros etc., man muss es ihnen ermöglichen, umherzureisen – alles Themen, bei denen Pakistans Hilfe gefragt ist. An Pakistan wird das nicht scheitern. Pakistan will ebenfalls ein stabiles Afghanistan, und es will, dass die Taliban daran beteiligt sind. Es ist in Pakistans Interesse, diese Verhandlungen möglich zu machen.

IP: Und was könnte der Part Deutschlands dabei sein?

Rashid: Deutschland kann den Friedensprozess und den Dialog unterstützen. Das ist sehr wichtig. Deutschland gilt auf beiden Seiten als glaubwürdig und unparteiisch, sowohl bei der Regierung Karsai als auch bei den Taliban. Schon in den Konflikten der neunziger Jahre hat es sich bemüht zu vermitteln. Natürlich, letztlich muss der Dialog zwischen der afghanischen Regierung und den Amerikanern geführt werden. Aber Deutschland kann dazu beitragen, diesen Dialog zu erleichtern.

Ahmed Rashid, geboren 1948 in Rawalpindi, Pakistan, ist ein britisch-pakistanischer Journalist und Buchautor. Sein Buch „Taliban“ (2000, deutsche Ausgabe 2001) wurde in 26 Sprachen übersetzt.

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