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01. Juli 2012

Grüne Städte

Vier Beispiele

Welche Strategien verfolgen New York, Masdar City in den Vereinigten Arabischen Emiraten, das südkoreanische Songdo und die brasilianische Metropole Curitiba, um grüner zu werden und ihren CO2-Ausstoß zu mindern? Wie erfolgreich sind sie dabei? Ein Streifzug.

New York (USA)

Konzept: 2007 hat Michael Bloomberg, New Yorks Bürgermeister, PlaNYC vorgestellt – ein Konzept, das sicherstellen soll, dass die Stadt auch bei steigenden Bevölkerungszahlen attraktiv bleibt und gleichzeitig nachhaltiger und umweltfreundlicher wird. Dazu hat sich New York bis 2030 eine Reihe konkreter Ziele gesetzt: So soll der CO2-Ausstoß um 30 Prozent, die auf Deponien endende Müllmenge um 75 Prozent reduziert werden. Außerdem will die Stadt in Sachen Luftqualität die sauberste Großstadt Amerikas werden. Jährliche Berichte sollen dokumentieren, welche Fortschritte erzielt worden sind und wo noch nachgebessert werden muss. New Yorks Lage am Wasser ist dabei sowohl eine potenzielle Gefahr als auch eine Chance: Einerseits sind Teile der Stadt von steigenden Wasserpegeln bedroht, andererseits will die Stadt in Koopera­tion mit Unternehmen Unterwasserturbinen installieren und mehr Strom aus erneuerbaren Energien gewinnen.

Realitätscheck: New York hat einige Fortschritte erzielt: Seit 2005 wurden die Treibhausgasemissionen um 12 Prozent gesenkt, in den vergangenen fünf Jahren 500 000 Bäume in den Stadtvierteln gepflanzt. Der Wasserverbrauch wurde unter anderem dadurch gesenkt, dass Mitarbeiter der Stadt 200 000 Haushalte besucht haben, um undichte Rohre zu identifizieren und zu reparieren. Außerdem hat die Stadt Vermietern Darlehen zur Verfügung gestellt, um neue, wassersparende Sanitäranlagen zu installieren. Ungenutzte Flächen werden inzwischen in grüne Projekte eingebunden: Auf vielen Flachdächern sind so genannte „rooftop gardens“ entstanden. Und eine stillgelegte überirdische U-Bahnlinie, die Highline, ist inzwischen zum länglichen, schlangenartigen Park umgewidmet und bereits eine der Touristenattraktionen der Stadt. Weniger erfolgreich war New York bislang beim Ausbau erneuerbarer Energiequellen: Trotz verschiedener Pilotprojekte ist beispielsweise noch kein durchschlagender Erfolg bei der Nutzung von Hydroenergie gelungen. Der Autoverkehr bleibt weiterhin ein großes Problem, und auch die Frage einer umweltgerechteren Müllentsorgung ist ungelöst. Kleinere PlaNYC-Projekte zur Reduzierung der Müllmenge haben wenig gebracht.

Prognose: PlaNYC ist ein breit angelegtes Konzept, mit teilweise sehr detaillierten Zielen und einer Vielzahl kleinerer Projekte. Es kommt darauf an, dass die Stadt nicht die übergeordneten Ziele aus den Augen verliert. Soll PlaNYC erfolgreich sein, muss New York darauf achten, dass sich die einzelnen Teile sinnvoll ergänzen und allen Bürgern gleichermaßen zugute kommen.

Masdar City (Vereinigte Arabische Emirate)

Konzept: Das Ziel ist ehrgeizig: Auf einer Fläche von sechs Quadratkilometern soll Masdar City als erste CO2 -neutrale Stadt der Welt entstehen. Vorbild ist die traditionelle Bauweise arabischer Siedlungen: schmale Gassen, eine enge Bebauung und eine optimale Lage der Stadt – durch ihre Positionierung zur Sonne – sollen garantieren, dass Schatten ihren maximalen Nutzen entfalten. Ferner sollen Windtürme als eine Art stromlose Klimaanlage und Brunnenanlagen Kühlung verschaffen. Der Energieverbrauch der Stadt soll im Vergleich zu dem in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gesenkt werden und benötigte Energie soll regenerativ sein, wobei Solarenergie die größte Rolle spielen soll. Die Fertigstellung ist für 2020 bis 2025 geplant; dann sollen 40 000 Einwohner in Masdar leben. Auch die International Renewable Energy Agency (IRENA) soll ihren Sitz in Masdar haben.

Realitätscheck: Mit der Wirtschaftskrise 2008 wurde das Budget für Masdar City gekürzt, der ursprüngliche Masterplan musste überarbeitet werden. Einige Teilprojekte wurden gestrichen, die Fertigstellung, die bei Projektbeginn für 2016 geplant war, wurde verschoben, und die Ziele, beispielsweise bei der Einwohnerzahl, wurden niedriger gesteckt. Rund 10 Prozent der Stadt sind bisher fertiggestellt, darunter Wohnungen, Straßen und Einrichtungen des Masdar Institute, einer forschungsorientierten Universität. Probleme in der Energiegewinnung zeigen sich vor allem bei der Solarenergie: Wüstenstaub beeinträchtigt die Funktionsweise und Leistung der Solarpaneele, die von Arbeitern per Hand gereinigt werden müssen. Auch weisen die Gebäude des Masdar Institute zwar niedrigere Werte beim Strom- und Wasserverbrauch auf; Vergleichsmaßstab sind aber die VAE, deren Städte generell einen hohen Ressourcenbedarf haben.

Prognose: Das Projekt ist ambitioniert. Auch wenn die Planer ihr Konzept in einer Art „Trial-and-Error“-Methode umsetzen und es stets an die realen Gegebenheiten anpassen wollen: Die geweckten Erwartungen konnten bisher nur unzureichend erfüllt werden. Der Erfolg Masdar Citys wird letztlich davon abhängen, ob so viele Menschen dort wohnen wollen, dass eine lebendige Stadt entsteht. Dabei kann es für die Bewohner Einschränkungen der gewohnten Lebensweise geben: So wird der Energieverbrauch mittels eines intelligenten Stromnetzes (smart grid) erfasst und falls notwendig auch kontrolliert (beispielsweise wird nach einigen Minuten die Dusche abgestellt). Die Frage stellt sich, ob das nachhaltige Konzept Masdar Citys ausreicht, damit Menschen sich mit der Stadt identifizieren können und dort leben wollen.

Songdo (Südkorea)

Konzept: Der Prototyp für die Grüne Stadt der Zukunft entsteht derzeit in Südkorea. Im Songdo International Business District wird seit 2004 am ehrgeizigsten und bislang teuersten privaten Bauvorhaben der Moderne gearbeitet. Mit rund 35 Milliarden Dollar Investitionsvolumen soll hier die Vision des grünsten Wirtschaftszentrums der Welt verwirklicht werden. Dem Gelben Meer wurden sechs Quadratkilometer Land abgetrotzt. Auf der künstlichen Insel in der Nähe von Seoul sollen Luxuswohnungen für 65 000 Menschen und 250 000 Arbeitsplätze entstehen, überwiegend für Pendler. Songdo versteht sich als „smart city“ und setzt auf „intelligente Urbanisierung“. „Zentrales Nervensystem“ der Stadt soll ihre mit modernster Sensortechnik ausgestattete technologische Infrastruktur werden. Von der Regulierung der Raumtemperatur bis zur Beleuchtung von Straßen sollen in Songdo sämtliche Lebensräume digital erfasst und mit dem Ziel der Minimierung des Energieverbrauchs gesteuert werden. Angesichts der permanenten Übermittlung von Standort­daten und der zentralen Regulierung des Verkehrs sollen in Songdo selbst Verkehrsstaus der Vergangenheit angehören. Zusätzlich werden in Wohnungen, Schulen, Büros, Einkaufszentren und Krankenhäusern Videotelekommunika­tionssysteme installiert, sodass die Bewohner überall und jederzeit verfügbar und ansprechbar sind. Dafür soll das amerikanische IT-Unternehmen Cisco Systems sorgen, dass über 47 Millionen Dollar in den nächsten sechs Jahren investieren will. Auch in Sachen Abfallbewirtschaftung könnte sich Songdo als bahnbrechend erweisen: Durch ein pneumatisches Abfallentsorgungssystem werden die Abfälle über ein Netzwerksystem aus Rohren direkt zur Deponie transportiert, und auch bei der anschließenden Wiederaufbereitung von Abwasser und Müll soll die Stadt internationaler Vorreiter werden. Denn im Vergleich zu herkömmlichen Städten dieser Größenordnung sollen der Wasserverbrauch um 30 Prozent und der städtische Abfall um 75 Prozent reduziert werden.

Realitätscheck: Im August 2009 wurde die erste Bauphase abgeschlossen. Derzeit wohnen 22 000 Menschen in der im Entstehen begriffenen Stadt. Ob der ursprünglich für 2015 anvisierte, dann auf 2017 verschobene Termin der Fertigstellung gehalten werden kann, ist derzeit nicht abzusehen.

Prognose: Bauherr Gale International plant, 20 weitere Städte dieser Art in China zu bauen. Allerdings wird sich erst im Alltag von Songdo erweisen, ob das permanente Monitoring vornehmlich als Erleichterung aufgefasst wird, oder ob es nicht einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre darstellt.

Curitiba (Brasilien)

Konzept: Die 1,9 Millionen Einwohner zählende Metropole im Bundesstaat Paraná ist der Beleg dafür, dass eine Grüne Stadt nicht unbedingt kostspieligen Hightechs bedarf. Vielmehr haben intelligente Stadtplanung und die Sensibilisierung der Bewohner Curitiba laut Latin American Green City Index (2010) zum Vorreiter Lateinamerikas gemacht – Folge eines konsequenten Politikwechsels in Antwort auf die massive Bevölkerungszunahme seit den sechziger Jahren. Neben dem oft gelobten öffentlichen Transportsystem („bus rapid transit“) hat das 1989 initiierte Recyclingprogramm neue Maßstäbe gesetzt; dabei entstand es aus einer finanziellen Notlage. Den politisch Verantwortlichen gelang es, die Bürger mittels eines bis dato einmaligen Anreizsystems für einen nachhaltigen Umgang mit Abfall zu gewinnen: An zentralen Sammelstellen wird Essen im Tausch mit gesammeltem Müll angeboten. Kinder können den Abfall gegen Schulartikel, Spielsachen oder Tickets für Veranstaltungen eintauschen. Mit rund 6800 Tonnen Abfall jährlich werden damit nicht nur die Stadtviertel von Müll gesäubert, sondern auch Nebenverdienste für Niedrigverdiener geschaffen. Mit annähernd 70 Prozent der Haushalte wies Curitiba über 20 Jahre die weltweit höchste Mülltrennungsrate auf. Seit 1989 steht zudem Umwelterziehung auf dem Lehrplan von Curitibas Schulen.

Realitätscheck: Das umweltbewusste Verhalten der Bewohner Curitibas macht sich in vielen Bereichen bemerkbar. So liegt der Wasserverbrauch pro Kopf mit 150 Litern täglich weit unter dem Durchschnitt anderer lateinamerikanischer Vorbildstädte (264 Litern). Zudem liegt der Kraftstoffverbrauch durch die konsequente Nutzung des Nahverkehrssystems 23 Prozent unter dem brasilianischen Durchschnitt. 84 Prozent der benötigten städtischen Energie werden aus Wasserkraft gewonnen. Gleichwohl gibt es vor allem hinsichtlich des Energieverbrauchs noch ungenutztes Potenzial. So hat es die Stadtverwaltung bisher versäumt, Energieeffizienzkriterien für Gebäude aufzustellen. Darüber hinaus fehlen bis dato Anreize für Unternehmen und private Haushalte, ihren Energieverbrauch zu reduzieren.

Prognose: Curitiba scheint auch für die Zukunft gut gewappnet. Gleichwohl bleibt fraglich, inwieweit die ökologischen Errungenschaften mit dem weiterhin rasanten Wachstum der Stadt mithalten können. Angesichts einer Verdreifachung der Bevölkerungszahl innerhalb der vergangenen 20 Jahre und einer rapiden Ausdehnung der Stadtfläche nimmt der Zivilisationsdruck stetig zu.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/ August 2012, S. 70-73

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