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01. Aug. 2002

„Good Governance“

Erste Schritte zu einer konstruktiven Weltinnenpolitik

Mit den zu Beginn der '90er Jahre abgehaltenen Weltkonferenzen der UN waren große Hoffnungen verknüpft. Helmut Volger stellt ein Buch vor, das eine Antwort auf die Frage sucht, ob diese Weltkonferenzen und ihre Ergebnisse zur Förderung jener staatenübergreifenden Regelungs- und Gestaltungsfähigkeit der Weltgemeinschaft beigetragen haben, die unter dem Begriff „global governance“ zusammengefasst wird.

Als zu Beginn der neunziger Jahre die Serie der UN-Weltkonferenzen unter anderem zum Schutz der Umwelt, zum Schutz der Menschenrechte, zur Bevölkerungspolitik oder zur Armutsbe-kämpfung begann, wurden mit ihnen große Hoffnungen verbunden. Das Problembewusstsein in der öffentlichen Meinung und bei den Politikern der Mitgliedstaaten der Weltorganisation war durch eine effektive Informationsarbeit der UN-Programme und durch die intensive Öffentlichkeitsarbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in einem solchen Maße gefördert worden, dass die Konferenzen ein großes Medienecho fanden und von vielen hochrangigen Politikern besucht wurden.

Aufrüttelnde Schlussdokumente wurden im Konsens verabschiedet, die die Probleme deutlich beim Namen nannten und mögliche Problemlösungen aufzeigten. Sie enthielten ein Bekenntnis der Konferenzteilnehmer zu grundlegenden Werten sowie die feste Absicht, die Umsetzung der dort gefassten Beschlüsse in regelmäßigen Abständen auf Folgekonferenzen zu überprüfen. Ein Fortschritt für die Weltgemeinschaft, wie es schien, ein gangbarer Weg zur schrittweisen Lösung der globalen Probleme. War diese optimistische Sichtweise berechtigt? Was ist aus der Umsetzung der Beschlüsse der Weltkonferenzen geworden? Sind Weltkonferenzen und ihre Ergebnisse „Bausteine“ für die Förderung von „global governance“, jener staatenübergreifenden Regelungs- und Gestaltungsfähigkeit der Weltgemeinschaft also, in deren komplexen Interaktionsnetzwerken neben den Regierungen auch in zunehmender Weise Unternehmen und NGOs mitwirken?

Der von Thomas Fues und Brigitte Hamm herausgegebene Sammelband versucht auf diese Fragen Antworten zu geben. Dirk Messner macht in seinem Grundsatzbeitrag deutlich, dass sich die heutigen Prozesse der Globalisierung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, der finanziellen Transaktionen und der Kommunikation im Vergleich zu früheren Globalisierungsprozessen erheblich schneller und umfassender vollziehen. Für ihn hat dies weit reichende Folgen für öffentliche Güter wie Beschäftigung, Wohlstand, soziale Sicherheit, Bildung, Gesundheit oder eine intakte Umwelt. Es handele sich um ökonomische, soziale, politische und kulturelle Prozesse, „die vor nationalen Grenzen nicht halt machen und von Nationalstaaten im Alleingang nur noch begrenzt gesteuert und gestaltet werden können“ (S. 15). Weil die globalen Wirkungsketten nicht nur ökonomische Innovation und technologischen Wandel fördern, sondern auch zu erheblichen globalen Risiken und Instabilitäten führen, die die soziale und politische Destabilisierung ganzer Regionen zur Folge haben können, bestehe die Notwendigkeit, eine Politik der „global governance“ zu entwickeln. Die Leistung der Weltkonferenzen und ihrer Folgekonferenzen liegt für Messner darin, dass sie die Wirkungen der Globalisierung thematisiert und Impulse geliefert haben für eine neu zu strukturierende Weltpolitik mit einer Vielfalt von Akteuren, die die Entstehung einer globalen Zivilgesellschaft begünstigen.

Dabei wiesen die Weltkonferenzen der neunziger Jahre einen gravierenden Mangel auf, der erst in der Folgezeit abgemildert werden konnte: Wegen des Widerstands der Industrieländer des „Nordens“ konnten die „harten“ Themen – Welthandelssystem, Weltfinanzordnung, Militär- und Sicherheitspolitik – nicht in die Diskussionen einbezogen werden, obwohl sie von ihrer Sachlogik her eng mit den Themen der Konferenzen verknüpft gewesen seien. Erst in den letzten Jahren habe auch in den internationalen Handels- und Finanzorganisationen die Debatte um die Erkenntnisse der Weltkonferenzen begonnen. Allerdings wird die erforderliche Kooperation im Bereich des Welthandelssystems gefährdet durch die zurzeit starken Tendenzen zur supranationalen Regionalisierung in Latein- und Nordamerika einerseits und im asiatisch-pazifischen Raum andererseits, wie der Beitrag von Heribert Dieter verdeutlicht.

Für den Bereich der Militär- und Sicherheitspolitik steht die Diskussion über weltweite Kooperationsstrukturen noch weitgehend aus, worauf Christoph Rohloff zu Recht in seinem Beitrag über „global governance“ auf dem Gebiet der Friedens- und Sicherheitspolitik hinweist. Zwar habe sich in der Praxis eine sinnvolle Ausweitung des Sicherheitsbegriffs auf wirtschaftliche Stabilität, Schutz der Menschenrechte und Einhaltung demokratischer Regeln vollzogen, es fehlten aber globale kooperative Sicherheitsstrukturen. Rohloff fordert deshalb, die Funktionslogik der „gemeinsamen Sicherheit“ aus dem KSZE-Prozess auf das Nord-Süd-Verhältnis zu übertragen.

Welche Zukunftsaussichten hat das Projekt der „global governance“? Messner erörtert drei Szenarien: das Eigeninteresse der Nationalstaaten verhindert gemeinsame Problemlösungen; die Eigendynamik globaler Normenbildung und die damit einhergehende Senkung der „Transaktionskosten“ der Staaten begünstigen die Institutionalisierung von „global governance“; das Ausmaß des Wandels bewirkt Prozesse komplexen Lernens und einen weit reichenden Wandel der Formen internationaler Zusammenarbeit. Der Autor tendiert zum zweiten und dritten Szenario, allerdings bei dem letzten mit einem langen Zeithorizont: Die Weltkonferenzen hätten zwar das Problembewusstsein geändert, der Wandel zu mehr gemeinsamem Handeln vollziehe sich jedoch sehr langsam, weil sich die Wissens- und Deutungsmuster in Bezug auf die globalen Probleme nur langsam veränderten.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen gemeinsamen Erkenntnissen und der Festlegung auf gemeinsame Werte einerseits und der langsamen Umsetzung in die Praxis andererseits verdeutlichen exemplarisch die Beiträge über die Umsetzung der Beschlüsse von drei der wichtigsten Weltkonferenzen der neunziger Jahre: Petra Stephan befasst sich mit der Kommission für nachhaltige Entwicklung im Folgeprozess nach der Weltumweltkonferenz in Rio 1992, Thomas Fues mit dem Kopenhagen-Prozess nach dem Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen, Birgit Dederichs-Bain mit dem Folgeprozess nach der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. Als positiv wird in allen drei Fällen neben einem allmählichen Wandel der völkerrechtlichen Normen in Richtung auf die in den Konferenzen postulierten Ziele vor allem die intensive Mitwirkung der NGOs an den Folgeprozessen angesehen.

Demgegenüber wird die überaus langsame Umsetzung der Konferenzbeschlüsse konstatiert, die vor allem auf mangelndem politischen Willen und die schlechte Ausstattung von internationalen und nationalen Gremien und Programmen mit finanziellen Mitteln zurückzuführen sei. Es habe sich gezeigt, dass eine Ergänzung der internationalen Gremien durch aktive nationale Institutionen als Diskussionsforen für die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte unerlässlich sei, um die Erkenntnisse der Weltkonferenzen und ihrer Folgeprozesse in der Bevölkerung stärker zu verbreiten und um für ihre Umsetzung in nationale Politik mehr Unterstützung zu gewinnen.

Vier weitere Beiträge widmen sich den Auswirkungen der Konferenzen auf die Politik einzelner Staaten bzw. Regionen. Sie zeigen, dass die Weltkonferenzen zwar in allen Staaten politische Impulse gesetzt hätten, diese aber in ihren Auswirkungen vom Entwicklungsstand, der politischen Infrastruktur, der Zivilgesellschaft und von nationalen Interessen beeinflusst würden. So macht der Beitrag von Claudio Maggi über den Einfluss der Weltkonferenzen auf die Politik der lateinamerikanischen Staaten deutlich, dass trotz des vorhandenen Willens, die Konferenzbeschlüsse umzusetzen, die neu gegründeten öffentlichen Einrichtungen schwach entwickelt sind und dass sie ihre Politik wenig effizient mit den zivilen Akteuren koordinieren.

Andererseits gibt es aber auch eindeutig positive Entwicklungen. Japan etwa – so Ben Warkentin in seinem Beitrag – sei ein Beispiel dafür, dass ein Land im wohlverstandenen Eigeninteresse die Ergebnisse der Weltkonferenzen dafür nutzt, einen Wandel in der Entwicklungspolitik, in seinem politischen Apparat und der Öffentlichkeit durchzusetzen. Die Entwicklungszusammenarbeit nach den Kriterien der Weltkonferenzen biete Japan mehr ökonomischen Nutzen als jede bilaterale Hilfe und entlaste das Land in seiner Außenpolitik zugleich vom Vorwurf eines Interventionismus, weil es sich an den Prioritäten der Organisationen der Vereinten Nationen orientiere.

Jene deutliche Orientierung der japanischen Haushaltspolitik an den Zielvorgaben der Weltkonferenzen fehlt in der deutschen Politik. Dies betonen Thomas Fues und Brigitte Hamm in ihrem Beitrag. Sie weisen nach, dass sich Deutschland bei der Umsetzung der Beschlüsse der Weltkonferenzen schwer tut: Zwar habe man die neuen Leitbilder wie „nachhaltige Entwicklung“ offiziell in die Politik übernommen und durch die Schaffung geeigneter Gremien einen Beratungsprozess mit Wissenschaftlern und NGOs über die nationale Umsetzung begonnen; in der Praxis scheitere die Umsetzung jedoch oft an der Bremserrolle des Bundesfinanzministeriums und der Haushaltspolitiker des Bundestags sowie an der mangelnden Koordination zwischen den Ressorts. Angesichts der zunehmenden Globalisierung vieler Politikfelder, in deren Folge viele Bundesministerien an Weltkonferenzen teilnehmen, stelle sich – so Walter Eberlei in seinem Beitrag über die koordinierende Funktion des Auswärtigen Amtes – die Frage nach einer effizienten Koordination. Das Auswärtige Amt sei damit in seiner bisherigen Struktur überfordert; es besitze nicht die erforderlichen personellen Strukturen, das Know-how und die politischen Kompetenzen. Denkbar wären nach Eberlei zwei Alternativen: das Auswärtige Amt werde zu Lasten der bisher zuständigen Ressorts zu einem „Superministerium für auswärtige Politik“ ausgebaut, oder es beschränke sich auf die Kernkompetenzen für eine präventive Friedens- und Sicherheitspolitik. Dann müsste das Bundeskanzleramt die Koordinationsrolle übernehmen, die diese Behörde jedoch seit Jahrzehnten nur ungenügend und sporadisch wahrgenommen habe.

Das Buch bietet für die Diskussionen um eine „global governance“ viel Stoff durch seine übersichtlichen Zusammenfassungen der Konferenzergebnisse, Analysen der Umsetzungsprozesse und Prognosen für die weitere Entwicklung. Dabei ist den Autoren zugute zu halten, dass sie sich trotz der vielen Misserfolge und Hindernisse, die sie auf den „Baustellen für Global Governance“ antreffen, engagiert, aber realistisch für eine optimistische Perspektive einsetzen.

Thomas Fues/Brigitte I. Hamm (Hrsg.), Die Weltkonferenzen der 90er Jahre: Baustellen für Global Governance (EINE Welt – Texte der Stiftung Entwicklung und Frieden, Bd. 12), Bonn: J.H.W. Dietz Verlag Nachf. 2001, 391 S., 12,70 EUR.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2002, S. 47 - 49.

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