Gewalt ohne Grenzen
Buchkritik
Die Anschläge in Mumbai vom vergangenen November haben erneut deutlich gemacht, dass Terror mit separatistischer und ideologischer Motivation eine Bedrohung bleibt, mit der wir uns intensiv beschäftigen müssen. Die Hintergründe des Schreckens und Strategien zu seiner Bekämpfung zeigt ein neuer Sammelband auf.
Was sind die wesentlichen Entwicklungen im Terrorismus in den vergangenen zwei Jahren? Welche Spielarten des Terrors gibt es, und wie sind sie zu bekämpfen? Antworten auf diese Fragen sucht das zum zweiten Mal nach 2006 vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel herausgegebene „Jahrbuch Terrorismus 2007/2008“.
Neben dem Schwerpunkt des Bandes, dem islamistischen Dschihad-Terrorismus, widmen sich die Autoren auch dem Terrorismus mit ethnonationaler Ausrichtung wie auf Sri Lanka durch die LTTE („Tamil Tigers“) oder durch die ETA in Spanien. An der einen oder anderen Stelle wäre eine Systematisierung nach den verschiedenen Zielsetzungen des Terrors wünschenswert. Die Unterscheidung in Gewaltideologien (Dschihadismus) und separatistische Motivationen (z.B. ETA, LTTE) könnte mitunter deutlicher hervortreten.
Der islamistische Terrorismus wird im Jahrbuch an einigen Stellen in nationalen und „transnationalen“ Terrorismus unterschieden. Diese Einteilung erweist sich aber als hinderlich, da Ideologien oder Weltanschauungen per se nicht an Grenzen gebunden sind, sondern überall dort wirken, wo sich Anhänger und Sympathisanten finden lassen.
Eine solche Ideologie ist das Dschihad-Konzept, das seit über 50 Jahren in verschiedenen Ausprägungen und Interpretationen den Hintergrund für Gewalt mit politisch-religiöser Motivation liefert. Islamistische Theoretiker wie Sayyid Qutb oder Abdallah Azzam stehen für die ideologische Verbindung von missbräuchlich interpretierter Religion mit politischen Zielen und exzessiver Gewaltanwendung. Immer wieder gelingt es dabei, neue Sympathisanten weltweit zu gewinnen; prominentestes Beispiel ist die Anwerbung Osama Bin Ladens in den siebziger Jahren.
Dementsprechend sind Bewegungen wie Al-Kaida oder andere Dschihad-Gruppen auch keine Organisationen im klassischen Verständnis, sondern werden durch gemeinsame ideologische Grundüberzeugungen zusammengehalten – egal, ob im Maghreb, im Irak, in Tschetschenien, Afghanistan oder anderswo in Afrika und Asien. Nach ihrer Weltanschauung gefragt, nennen diese regional so unterschiedlichen Gruppen immer wieder das Konzept des Dschihad. Das ist die ideologische Basis für gemeinsame Trainingslager der Dschihad-Fanatiker früher in Afghanistan und heute in Pakistan.
Diese Bemerkungen trüben allerdings nicht den Gesamteindruck, dass dieses Jahrbuch kompetent und auf den Punkt über terroristische Entwicklungen im gesteckten Zeitraum informiert und uneingeschränkt zur Leküre empfohlen werden kann. Im Gegensatz zu einem Großteil der gängigen Terrorismusliteratur schreiben hier anerkannte Experten, die den Bogen über den Irak, Pakistan, den Maghreb und Nahost bis hin nach Sri Lanka und Spanien spannen. Daneben bieten die Autoren eine ganze Reihe viel versprechender Konzepte und Ansätze zur Terrorismusbekämpfung. Trotz der unterschiedlichen thematischen Ausrichtung der Beiträge erscheint eine Botschaft klar: Terrorismus mit separatistischem und ideologischem Hintergrund wird auch in den kommenden Jahren nicht abnehmen und uns als Bedrohung beschäftigen. Die Anschläge von Mumbai im vergangenen November haben das einmal mehr gezeigt.
Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (Hrsg.):Jahrbuch Terrorismus 2007/2008. Leverkusen: Verlag Barbara Budrich 2008, 259 Seiten, 24,90 €
Dr. KAI HIRSCHMANN ist stellvertretender Direktor des Instituts für Terrrorismusforschung und Sicherheitspolitik (IFTUS) in Essen.
Internationale Politik 2, Februar 2009, S. 106 - 107.