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01. Sep 2013

Gestohlene Wahlen

In Malaysia bröckelt die Macht der Regierungskoalition

Die Nationale Front ist seit vielen Jahrzehnten an der Regierung, mit Wahlmanipulationen und anderen Tricksereien hat sie ihre Macht ausgebaut. Doch nun gewinnt die oppositionelle Volksallianz an Bedeutung. Neben der Polarisierung zwischen Regierung und Opposition wird die malaysische Politik stark von ethnischen und religiösen Konflikten geprägt.

Erstmals hat die seit der Unabhängigkeit 1957 ununterbrochen regierende Koalition, die Nationale Front, bei den Wahlen im Mai 2013 weniger Stimmen bekommen als die Opposi­tion. Aufgrund zahlreicher Manipulationen verfügt sie aber noch immer über die Mehrheit der Sitze im nationalen Parlament. Die Nationale Front, die aus 13 Parteien besteht, regiert autoritär, gerät aber immer mehr unter Druck. Die Opposition – zu der die prochinesische, eher sozialdemokratische DAP (Democratic Action Party), die islamistische PAS (Parti Islam Se-Malaysia) und die multiethnische PKR (Parti Keadilan Rakyat, People’s Justice Party) gehören – versucht Änderungen des Wahlrechts durchzusetzen. Dazu setzt sie weiter auf eine außerparlamentarische, ­zivilgesellschaftliche Mobilisierung. Gleichzeitig steht die wichtigste Regierungspartei UMNO (United Malays National Organization) vor einer Zerreißprobe: Ein Teil der ­Partei setzt auf eine Wiederbelebung rassistischer Stereotype und auf Repression, ein anderer Teil möchte diesen Rassismus durch sehr vorsichtige Reformen gerade überwinden.

Politik in Malaysia ist nicht nur von einer wachsenden Polarisierung zwischen Regierung und Opposition geprägt, sondern auch sehr stark von ethnischen und religiösen Konflikten. Die Regierungskoalition besteht heute aus 13 Parteien, die in der Regel jeweils bestimmte ethnische Gruppen repräsentieren, also etwa die Mehrheit der Malaien (60,3 Prozent der Bevölkerung) oder die chinesische und die indische Minderheit (22,9 bzw. 7,1 Prozent, Zensus von 2010). Diese Einteilung in ethnische Gruppen, die durch die britische Kolonialbürokratie hervorgebracht wurde, ist problematisch, da viele Malaysier in Wirklichkeit einen sehr gemischten kulturellen und ethnischen Hintergrund haben, und die drei genannten Ethnien selbst wiederum in zahlreiche Untergruppen eingeteilt werden könnten.

Den meisten Malaysiern sind diese willkürlichen ethnischen Zuordnungen jedoch allgegenwärtig. Hinzu kommt eine gegenseitige Verstärkung ethnischer und religiöser Spaltungen. Malaien werden in der Verfassung durch ihre Sprache, ihre Bräuche und ihre Religion definiert, nach der sie  immer Muslime sind; der Islam spielt heute für die Identität der Malaien eine herausragende Rolle. Bei der Unabhängigkeit wurde der sunnitische Islam zur Staatsreligion. Abweichende Lehren innerhalb des Islams, etwa der schiitische Islam und einzelne Sekten, wurden verboten; die Religionsfreiheit für andere wurde theoretisch anerkannt, doch Christen oder Hindus werden heute in vielfacher Hinsicht diskriminiert.

Erstarken der Opposition

1997/98 wurde auch Malaysia von der Wirtschafts- und Finanzkrise, die als Asien-Krise in die Geschichts­bücher einging, erfasst. Mit dem ökonomischen Kollaps brachen Patronage­netzwerke zusammen, und nur einige der Günstlinge blieben unbeschadet. In der UMNO kam es zum Zerwürfnis zwischen dem übermächtigen malaiisch-nationalistischen Premierminister Mahathir Mohamad, der eine Zusammenarbeit mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds ablehnte, und seinem Stellvertreter und Finanzminister, Anwar Ibrahim, der die Hilfe dieser Institutionen in Anspruch nehmen wollte. Anwar galt lange als Kronprinz von Mahathir, der ihn Anfang der achtziger Jahre ins Kabinett geholt hatte. Anwar war dann vom moderat-islamistischen ­Aktivisten und Vorsitzenden der is­lamischen Jugendbewegung ABIM zum gestandenen UMNO-Politiker geworden. Er galt als orthodoxer Muslim, der aber Mitte der neunziger Jahre mit seinem Buch „The Asian Renaissance“ einen Reformislam sowie einen toleranten Multikulturalismus propagierte.

Als Anwar Ende 1998 wegen angeblicher Korruption und Homosexualität aus dem Kabinett und der Regierungspartei geworfen und in Unter­suchungshaft genommen wurde, bildete sich eine Schichten übergreifende, vor allem städtische und multiethnisch zusammengesetzte Reform- oder „Reformasi“-Bewegung, die aus zahlreichen Nichtregierungsorganisationen und den Oppositionsparteien bestand. Bei den Wahlen 1999 fanden sich die drei Oppositionsparteien zum ersten Mal in der Geschichte des Landes zu einer Koalition zusammen; vorher hatte es immer nur Teilbündnisse gegeben, weil die Interessengegensätze zwischen möglichen Koalitionspartnern nicht überbrückt werden konnten. Solche Bündnisse sind wichtig, um in den Einerwahlkreisen geschlossen gegen den Kandidaten der Regierungskoalition antreten zu können.
Zwar verlor diese Alternative Front die Wahlen, aber zum ersten Mal schien die Vorherrschaft der Nationalen Front brüchig zu werden. Das hatte auch damit zu tun, dass durch das Internet das Nachrichtenmonopol der Regierungsparteien durchbrochen werden konnte. Inzwischen war eine neue Generation von Jungwählern herangewachsen, die sich ganz anders über Politik informierte.

Das Internet-Nachrichtenportal Malaysiakini begann 1999 mit seiner kritischen Berichterstattung und hatte bald mindestens so viele Leser wie die großen regierungskonformen Tageszeitungen. Die Opposition, die ihre parteieigenen Blätter nur in sehr beschränktem Maße verbreiten darf, informierte ihre Anhänger durch Blogs ihrer Spitzenpolitiker und die jeweilige Partei-Homepage. Dazu kam die rasche Verbreitung von Videoaufnahmen etwa auf YouTube.

Aufbau eines „islamischen Staates“

Trotz des Wahlerfolgs 1999 zerfiel das Oppositionsbündnis ein paar Jahre später aufgrund von religionspolitischen Auseinandersetzungen, die weit in die Vergangenheit reichen. Die PAS und UMNO haben sich spätestens seit den siebziger Jahren in einer Art Wettbewerb darum befunden, welche der beiden Parteien am ehesten für islamische Werte steht. Die Aufwertung des Islams im Vergleich zu den anderen Religionen stärkte auch die Machtposition der UMNO innerhalb der Nationalen Front und ermöglichte es zudem, dem „westlichen“ Diskurs zu Demokratie- und Menschenrechtsfragen etwas entgegenzusetzen.

Die Auseinandersetzung zwischen PAS und UMNO hatte den Diskurs über die Bedeutung des Islams in Malaysia derart angeheizt, dass 2001 der damalige Premierminister Mahathir die religiösen Minderheiten mit der kontroversen Erklärung, Malaysia sei ein „Islamic State“, verstörte. Die MCA (Malaysian Chinese Association), der wichtigste Koalitionspartner, brachte daraufhin das Kunststück ­fertig, Mahathir die Stange zu halten und den neuen Begriff vom „säkularen Islamstaat“ zu prägen. Gemeint war ein Gebilde mit im Wesentlichen säkularen politischen Institutionen und ohne die Anwendung islamischen Strafrechts, aber mit dem Islam als Staatsreligion. Die PAS legte daraufhin einen eigenen, allerdings sehr vage formulierten Entwurf für einen „islamischen Staat“ vor. Außerdem propagierte die Partei weiterhin die Einführung von Körperstrafen nach islamischem Recht.

In den folgenden Jahren kam es deshalb innerhalb der Alternativen Front zu Spannungen insbesondere zwischen DAP und PAS. Nachdem letztere die Forderung nach Errichtung eines „islamischen Staates“ immer stärker in den Vordergrund rückte, war für die DAP die rote Linie überschritten. Die Alternative Front zerbrach 2003, sodass die Wahlen 2004 zu einem Triumph für die Nationale Front und den neuen Premierminister Abdullah Badawi und zu einem Desaster für die Opposition wurden. Nach den Wahlen wurde jedoch Anwar überraschend freigelassen, die Opposition fand wieder zueinander, auch weil sich in der PAS moderate Kräfte zu­sehends durchsetzten. Das neue Bündnis gewann bei den Wahlen 2008 82 der 222 Mandate und konnte sensationell in fünf der 13 Bundesländer die Regierung übernehmen.
Die Nationale Front hat seitdem versucht, dieses Bündnis zu sprengen. So kursierten im Internet regelmäßig verschwommene Sexvideos, auf denen angeblich Anwar Ibrahim und der Generalsekretär der PAS zu sehen seien. In Perak, einem Bundesland, das seit 2008 von der Opposition regiert wurde, sorgte die Nationale Front dafür, dass mehrere Abgeordnete die Seiten wechselten und die dortige Regierung auseinanderfiel.

Die einheimische, insbesondere die malaiischsprachige Presse versucht immer wieder, religiöse Themen zu instrumentalisieren oder bestehende Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen zu verstärken. Einflussreich sind daher Organisationen wie die malaiisch-chauvinistische Perkasa (Indigenous Empowerment Organization), die strikt an den Bumiputera-Privilegien festhält und mit­unter rassistische Ressentiments schürt. Für die Bumiputera („Söhne der Erde“) gelten höchst umstrittene Bevorzugungen: So werden Malaien und einige kleinere indigene Gruppen zum Beispiel bei der Vergabe von Jobs, ­Studienplätzen und öffentlichen Aufträgen bevorzugt, was ausdrücklich nicht für Malaysier chinesischer oder indischer Abstammung gilt. Da Perkasa zugleich gegen die Opposition agitiert und Premierminister Najib auf die Unterstützung dieser Chauvinisten angewiesen ist, verteidigte er auf einem der letzten UMNO-Parteitage das umstrittene Konzept der malaiischen Suprematie.

Wie hitzig solche Debatten über interethnische und interreligiöse Beziehungen geführt werden, offenbarte sich in der langen Auseinandersetzung um die Frage, ob Christen in ihren Schriften und Bibelübersetzungen das Wort „Allah“ für „Gott“ verwenden dürfen – eine in arabischen Ländern gängige Praxis. Im Mai 2011 konstruierte die der UMNO sehr nahe stehende Tageszeitung Utusan Malaysia sogar eine abenteuerliche, reichlich verworrene Geschichte über eine angebliche Verschwörung zur Schaffung eines christlichen Staates in Malaysia.

Mit Tricksereien und Repression

Wie schon in den Wahlen zuvor, gab es auch 2013 zahlreiche Hinweise auf Manipulationen durch die Regierungskoalition. Das betraf den außerordentlich hohen Stimmenanteil für die Nationale Front bei der Briefwahl, zahlreiche Ungereimtheiten bei den Wählerlisten sowie Wähler fraglicher Herkunft („phantom voters“), die zum Teil in Bussen zu Wahllokalen gekarrt worden sein sollen. Vereinzelt soll es zu Stimmenkauf, zum Austausch von Wahlurnen und zur mehrfachen Stimmenabgabe gekommen sein. Vor allem in den sehr abgelegenen ländlichen Gebieten und in den beiden auf der Insel Borneo liegenden ostmalaysischen Bundesländern Sabah und Sarawak, in denen Kandidaten zum Teil nur mit dem Hubschrauber Wahlkampf betreiben können, waren dem Wahlbetrug Tür und Tor geöffnet.
Der alles entscheidende Vorteil der Regierungskoalition ergab sich aber durch die über Jahrzehnte entstandene ungleiche Gewichtung von Stimmen in ländlichen und urbanen Gebieten. Die durchschnittliche Wähleranzahl in den meist eher urbanen Wahlkreisen, die von der Opposition, die sich jetzt Volksallianz (Pakatan Rakyat) nannte, gewonnen wurden, lag bei über 77 000; bei der Nationalen Front lag dieser Schnitt bei gut 46 000 Wählern. So gibt es Wahlkreise mit nur 15 800 Wählern wie im Verwaltungszentrum Putrajaya, aber auch solche mit bis zu 144 000 Stimmberechtigten wie in Kapar im Bundesland Selangor. Die Wahlkreise sind über Jahrzehnte so zugeschnitten worden, dass in Regionen, in denen die Nationale Front besonders stark ist, überdurchschnittlich viele Mandate vergeben werden. Beispielsweise erhielt sie in Sabah und Sarawak 23 von 26 bzw. 25 von 31 zu vergebenden Sitzen für das nationale Parlament. Aus diesem Grund verlor die Opposition die Wahlen, obwohl sie landesweit knapp 51 Prozent der Stimmen erhielt, während die Kandidaten der Regierungskoalition zusammen auf nur 47,4 Prozent kamen (die verbleibenden Stimmen gingen an Unabhängige).

Die Nationale Front verließ sich bei den Wahlen aber nicht nur auf die genannten Tricksereien, sondern auch auf die relativ hohen, wenngleich in den Monaten vor den Wahlen gefallenen Zustimmungsraten für den Premierminister, auf ein gewisses Maß an Repression, auf mehr oder weniger öffentlichkeitswirksame Pseudoreformen und auf die Wirkung von großzügigen Wahlgeschenken. Najib, der von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung und vom Amtsbonus profitiert, ist vor allem bei Indern und Malaien immer noch recht angesehen.
Die jüngsten Wahlen sind vor dem Hintergrund der Manipulationen als Erfolg der Opposition zu werten. Sie gewann 89 der 222 Parlamentssitze auf Bundesebene und 229 der 505 Sitze in den Länderparlamenten. Zwar erzielte sie nur in drei Länderparlamenten eine Mehrheit, mit Kelantan und besonders Selangor und Penang handelt es sich aber um sehr wichtige Machtbasen. Kelantan ist seit den späten fünfziger Jahren die Bastion der PAS, das mehrheitlich von Chinesen bewohnte Penang seit 2008 jenes der DAP und Selangor, das industrielle Kerngebiet um die Hauptstadt Kuala Lumpur, wird ebenfalls seit 2008 von einem Ministerpräsidenten der PKR regiert.

Auch wenn sich in den Oppositionsparteien einige Politiker befinden, die keine lupenreinen Demokraten sind – die unsicheren Kantonisten, die während der letzten Legislatur­periode ins andere Lager gewechselt sind oder sich als zu eigenwillig erwiesen haben, sind inzwischen überwiegend ausgesiebt worden. Die Opposi­tion tritt zudem mittlerweile geschlossener auf, selbst DAP und PAS ­kommunizieren sehr viel selbstverständlicher miteinander. Vor allem haben sie sich auf gemeinsame Ziele einigen können. Dazu zählen freie und faire Wahlen, die Abschaffung repressiver Gesetze und damit die Durchsetzung von Presse-, Demonstrations-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Schwieriger wird die Abschaffung der Privilegierung der Bumiputera sein. Das Modell einer multikulturellen, toleranten Gesellschaft ist also noch nicht ausbuchstabiert.

Zudem wird ein Teil der PAS nach einem Wahlsieg auf ihre religions­politischen Ziele kaum verzichten – es könnte sogar zu einer Wiederbelebung des Islamismus kommen. Gegenwärtig ist dies aber unwahrscheinlich, denn nach dem Wahldebakel 2004 hat sich in der Partei ein moderater Flügel durchgesetzt, der das Ziel der Errichtung eines islamistischen Staates auf Eis gelegt hat. Dieser Kursschwenk war auch deshalb gelungen, weil die Partei seit 1999 viele neue Mitglieder gewinnen konnte, die nicht aus den klassischen islamistischen Milieus stammen, und weil sie versuchte, auch Wähler außerhalb ihres Kerngebiets im Norden Westmalaysias zu mobilisieren. Die Führung der PAS, die erst in den siebziger Jahren von einer malaiisch-chauvinistischen zu einer islamistischen Partei mutierte, scheint erkannt zu haben, dass sie nur im Verein mit Nichtmuslimen und mit einem klaren Bekenntnis zur Demokratie Wahlen gewinnen können.

Das Elitenbündnis löst sich auf

Heute befindet sich das Land aus der Sicht der Opposition in einer Middle-income-Falle. Gemeint ist, dass das anspruchsvolle Ziel, zu den hoch entwickelten Ökonomien aufzuschließen, verfehlt werden könnte, weil dringende Reformen bei der Steuergesetzgebung, im Arbeits- und Sozialrecht, bei der Gleichbehandlung der ethnischen Gruppen und der Bekämpfung der Korruption nicht eingeleitet werden. Für die Opposition ist dieser weitere wirtschaftliche Aufstieg direkt an politische Reformen gekoppelt, also an die Durchsetzung freier und fairer Wahlen, einer Presse, die nicht von Vorgaben der Regierungskoalition abhängig ist, und einem eingespielten System von „checks and balances“.

Die Regierung steht vor einigen großen Herausforderungen. Das inter­ethnische Elitenbündnis, Ergebnis des so genannten „bargains“ zwischen Vertretern der drei großen ethnischen Gruppen in den frühen fünfziger Jahren, löst sich mehr und mehr auf. Ursprünglich war es zu dem Bündnis gekommen, weil man glaubte, mit diesem Konkordanzmodell ethnische Spannungen ausgleichen zu können. Diese Machtteilung hat allerdings häufig auch den Effekt, dass die bestehende Segregation noch verstärkt wird.

UMNO’s Koalitionspartner sind heute im Parlament kaum noch vertreten. Die MCA hat angekündigt, kein Ministeramt übernehmen zu wollen. Sie war lange der wichtigste Koalitionspartner und sah sich als einzige legitime Interessenvertretung der Chinesen in Malaysia. In den fünfziger und sechziger Jahren war die Partei sogar als Geldgeber in der Regierungskoalition von besonderer Bedeutung. Heute ist die Nationale Front so sehr von UMNO dominiert wie niemals zuvor. Die wichtigste Regierungspartei hatte einmal als Vertretung der wirtschaftlich benachteiligten Malaien begonnen, wurde zunächst von Aristokraten mit britischer Bildung geführt, dann auch von Lehrern dominiert und ist seit den siebziger/achtziger Jahren immer mehr zur Interessenvertretung malai­ischer Unternehmer geworden, die durch staatliche Protektion aufgestiegen sind.
Heute ist UMNO für viele Malaysier nur noch ein Netzwerk von korrupten, eng verflochtenen unternehmerischen und politischen Eliten, die insbesondere die ländliche Bevölkerung durch Patronage an sich bindet. Premierminister Najib ist Sohn des zweiten Premierministers Malaysias, der neue Ministerpräsident von Kedah ist Sohn Mahathirs, der Verteidigungsminister ist Enkel des UMNO-Gründers, Sohn des dritten Premierministers und Cousin von Najib, der Chef der UMNO-Jugendorganisation und Jugend- und Sportminister ist der Schwiegersohn des Vorgängers von Najib, Badawi – es ließen sich reichlich Beispiele anführen. UMNO verfügt heute über ein riesiges Unternehmenskonglomerat, dessen genaue Ausmaße nur erahnt werden können.

Pseudoreformen zur Versöhnung

Wegen der großen Unterstützung der Chinesen für die Volksallianz sprach Najib unmittelbar nach den Wahlen 2013 von einem „chinesischen Tsunami“ und spielte auf die Wahlen 2008 an, die damals in der Presse als „politischer Tsunami“ bezeichnet wurden. Auf diese Einschätzung antworteten liberale Intellektuelle und Oppositionspolitiker mit bissigen Kommentaren. Sie warfen Premier Najib vor, die Politik in Malaysia wieder auf ethnische Konflikte zu reduzieren. In der Utusan Malaysia, seit jeher das Sprachrohr jener Malaien, die die Bevorzugung der Bumiputera mit Vehemenz verteidigen, wurde noch dazu das Wahlergebnis mit der rhetorischen Frage „Apa lagi Cina mahu?“ (Was wollen die Chinesen noch?) kommentiert. Der neue Innenminister forderte überdies all jene, die mit der Regierungsarbeit unzufrieden seien, auf, das Land zu verlassen.
Im Gegensatz zu diesem gezielten Schüren ethnischer und religiöser Konflikte steht eine Strategie der gemäßigten Reformen. Ein Beispiel ist die überraschende Ernennung des Chefs von Transparency International Malaysia, Paul Low, zu einem Minister in der Behörde des Premiers. Be­obachter gehen allerdings davon aus, dass Low lediglich als Feigenblatt dient, zumal die meisten neuen Minister typische UMNO-Patrone und ­-Regionalfürsten sind. Dafür spricht, dass die von Najib groß angekündigten Korrekturen an repressiven Gesetzen in den vergangenen Jahren in aller Regel nur dazu führten, dass neue, nicht weniger restriktive Bestimmungen erlassen wurden. Auch seine Initiativen zur Versöhnung zwischen den ethnischen Gruppen unter dem Slogan „1Malaysia“ fassen viele angesichts der Duldung extremistischer Gruppierungen wie Perkasa als blanken Hohn auf.  

Mittlerweile hat die Regierung nach dem Verlust der Stimmenmehrheit ihre noch verbliebene Legitima­tion weitgehend eingebüßt. Die Opposition setzt jetzt alles daran, ihre Anhängerschaft weiter zu mobilisieren. Zuletzt kam es daher zu großen Kundgebungen mit jeweils mehreren zehntausend Teilnehmern in Kuala Lumpur, Penang und Johor Baru.

Ausstrahlung in die Region

Prodemokratisch orientierte Muslime hoffen, dass eine Liberalisierung in Malaysia auf andere mehrheitlich muslimische Länder ausstrahlen könnte. Malaysia und das benachbarte Indonesien könnten das unter Beweis stellen, was für die meisten Islamwissenschaftler ohnehin selbstverständlich ist – dass nämlich ein ­liberal ­interpretierter Islam und Demokratie vereinbar sind. Für die gesamte Region wäre eine Demokra­tisierung Malaysias ein weiterer ­Mo­saikstein in der Zurückdrängung des Autoritarismus. Schon jetzt gibt es mehrere politische Systeme mit weitgehend freien und fairen Wahlen, etwa in Indonesien, den Philippinen, Thailand und Ost-Timor. In Myanmar ist es in den vergangenen Jahren ebenfalls zu einschneidenden Reformen gekommen, deren Ausgang allerdings noch ungewiss ist.
Diese langsame, wenngleich immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnete Demokratisierung in Südostasien könnte eine Neujustierung der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) fördern. Die ASEAN war bisher immer sehr zurückhaltend in Menschenrechtsfragen und hat es vermieden, sich in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsländer einzumischen. Würden die aktiven zivilgesellschaftlichen Gruppierungen Malaysias zusammen mit Aktivisten aus anderen Ländern einen stärkeren Einfluss auf die ASEAN gewinnen, könnte sich deren Agenda langsam ändern.

PD Dr. Andreas Ufen 
ist wissenschaftlicher Referent am GIGA -Institut für Asien--Studien. Bis September lehrte er Politische Wissenschaft an der Uni Erlangen-Nürnberg.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2013, S. 106-113

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