General in heikler Mission
Der neue Präsident des Libanon verspricht einen gerechten Staat – ohne Korruption und mit staatlichem Waffenmonopol. Insbesondere bei der Hisbollah hört man das nicht gern. Schafft Joseph Aoun für sein Land die Wende in eine positive Zukunft?
Heute beginnt eine neue Phase in der Geschichte des Libanon“, verspricht der neu gewählte Präsident des Libanon in seiner ersten Rede vor dem Parlament. Wir schreiben den 9. Januar 2025; gerade hat Joseph Aoun die Stimmen von 99 der insgesamt 128 Abgeordneten gewonnen. Seine Dankesrede strotzt vor Versprechungen.
Aoun verspricht eine unabhängige Justiz, den Kampf gegen Korruption, Drogenhandel und Geldwäsche sowie Reformen, um das Land aus der Wirtschaftskrise zu bringen. „Nur der Staat hat das Monopol auf Waffen“, bekräftigt er im Hinblick auf die vielen bewaffneten Parteien im Land, allen voran die Hisbollah. „Wenn wir eine Nation aufbauen wollen, müssen wir alle unter dem Dach von Recht und Gerechtigkeit stehen. Dafür setze ich mich ein!“
Keiner der Vorgänger Aouns hat solch eine lange und deutliche Antrittsrede gehalten wie der neue Präsident. Gibt es berechtigte Hoffnungen auf einen politischen Neustart im Libanon?
Jahrelang predigten westliche Diplomaten, ein funktionierender Staat ohne Korruption sei Voraussetzung für neue Hilfsgelder. Bestechlichkeit und Misswirtschaft haben das Land in eine tiefe Wirtschaftskrise geführt; Hunderttausende waren im Jahr 2019 dagegen auf die Straße gegangen. Im Mai 2022 schafften es immerhin 13 unabhängige Abgeordnete, mit Forderungen nach einem Verzicht auf Klientelismus ins Parlament einzuziehen. Seitdem herrschte allerdings politischer Stillstand.
Den Libanon wiederaufbauen
Die Wahl Aouns ist ein Meilenstein. Nach mehr als zwei Jahren und zwölf vergeblichen Anläufen hat das Land wieder ein Staatsoberhaupt. Nur der Präsident hat das Recht, einen Ministerpräsidenten und ein Kabinett zu ernennen. Und so folgte eine Woche später eine neue Regierung unter dem Ministerpräsidenten Nawaf Salam. Dieser war zuvor Präsident des Internationalen Gerichtshofs und gilt als integre Persönlichkeit. Gemeinsam wollen Aoun und Salam den Libanon sprichwörtlich wieder aufbauen.
Und da haben sie einiges zu tun. Mehr als 4000 Menschen wurden im Krieg zwischen Israel und der Hisbollah durch israelische Angriffe getötet, zehntausende Häuser zerstört oder stark beschädigt. Der Wiederaufbau dürfte 9,6 Milliarden Euro kosten, schätzt die Weltbank. Geld, das weder die Libanesen haben noch der Staat.
Hinzu kommt das fragile Waffenstillstandsabkommen, das die Vorgänger-Regierung mit Israel ausgehandelt hatte. Der neue Präsident muss sicherstellen, dass die Hisbollah-Kämpfer ihre Stellungen im Südlibanon aufgeben und Platz für die libanesische Armee machen. Dann müsste die Entwaffnung der Hisbollah im gesamten Land folgen – ein Unterfangen, an dem politische Vorgänger gescheitert sind und das im schlimmsten Fall zum Bürgerkrieg führen könnte. Kann Aoun das alles schaffen?
Das passende Profil für den Job hat er. Aoun, Jahrgang 1964, ist im Beiruter Stadtteil Sin el-Fil geboren, seine Familie stammt aus Aishiyah im Südlibanon. Mit 19 Jahren trat Aoun ins Militär ein, 1986 startete er eine Ausbildung zum Offizier. In Syrien ließ sich Aoun zum Bataillonskommandeur ausbilden, und in den Jahren 2008 und 2013 schloss er in den USA und im Libanon Ausbildungen in Terrorismusbekämpfung ab.
Neben einem Bachelor von der Militärakademie der libanesischen Armee hat Aoun einen Bachelor in Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen von der Libanesisch-Amerikanischen Universität. In den USA hat er Strategic Studies studiert.
Als Befehlshaber der 9. Brigade war Aoun für die Zusammenarbeit mit Beobachtern der UN-Mission UNIFIL im Südlibanon zuständig, einer Region, in der die Hisbollah besonders präsent ist. 2017 ernannte das libanesische Kabinett Aoun zum Armee-Chef. Ernennungen auf einen solchen Posten brauchen die Zustimmung der Hisbollah. Unter der neuen Führung vertrieben libanesische Soldaten gemeinsam mit Kämpfern der Hisbollah im August 2017 Militante des „Islamischen Staats“ (IS) von der syrisch-libanesischen Grenze.
Mit 60 Jahren sollte Aoun im Januar 2024 in den Ruhestand gehen. Doch wegen des Krieges wurde seine Amtszeit zweimal verlängert. Zuletzt im November, als das Waffenstillstandsabkommen in Kraft trat und klar war, dass das libanesische Militär für dessen Einhaltung sorgen sollte. Aoun hatte seine Armee aus dem Krieg herausgehalten und befohlen, dem gesellschaftlichen Frieden Priorität einzuräumen. Die Armee gilt als Einheit, in der alle Konfessionen vertreten sein sollen. Aoun sei als Chef der Streitkräfte keiner Konfession zuzuordnen gewesen, hat dessen ehemaliger Brigadekommandeur Amine Hoteit der Zeitung L’Orient-Le Jour gesagt.
Vor seiner Wahl hatte Aoun sich mit medienwirksamen Auftritten zurückgehalten. Er galt als bevorzugter Kandidat der USA und Saudi-Arabiens – Länder, deren Unterstützung der Libanon benötigt, um den Wiederaufbau zu finanzieren. Neben Amerika und Saudi-Arabien machten auch die Franzosen Druck, damit die meisten Parlamentsblöcke Aoun unterstützen. Mit Erfolg: Letztlich wählten auch Abgeordnete der Hisbollah und mit ihr verbündeter Parteien Aoun im zweiten Durchgang zum Präsidenten.
Feinheiten der Formulierung
Als die damalige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im März ihre letzte Amtsreise antrat, flog sie in den Libanon. Aoun sagte ihr, die libanesische Armee erfülle ihre Pflicht „in vollem Umfang“, beschlagnahme alle Arten von Waffen im Südlibanon und sei „in allen Gebieten stationiert, aus denen sich die Israelis zurückgezogen haben“. Die Armee schließe Tunnel und beschlagnahme Munitionsdepots. Einer verlässlichen diplomatischen Quelle zufolge soll Aoun Baerbock Beweis-Videos auf seinem Handy gezeigt haben.
„Die Hisbollah kooperiert im Südlibanon“, bestätigte Aoun Ende März gegenüber dem französischen Sondergesandten Jean-Yves Le Drian und lobte im Interview mit der arabischsprachigen Zeitung The New Arab die „große Zurückhaltung“ der Organisation: „Sie will das Land nicht in einen neuen Krieg hineinziehen.“
Aouns Strategie gegenüber der Hisbollah ist der direkte Dialog; sein Ziel ist es, ihre Kämpfer in die Armee einzugliedern. Er will keinen Bürgerkrieg riskieren, es der Hisbollah aber auch nicht gestatten, eine unabhängige Einheit innerhalb des Militärs zu bilden. Daher achte er genau auf seine Formulierung, sagt Aoun, es heiße ausdrücklich: „Waffen dem Staat unterstellen“ statt „Entwaffnung der Hisbollah“.
Diese Strategie scheint aufzugehen. So lobt Nabih Berri, schiitischer Parlamentssprecher und enger Verbündeter der Hisbollah, Aoun dafür, dass er sich von populistischer Rhetorik fernhalte, wenn es um die Abrüstung der Organisation gehe.
Aoun hat einen guten Stand bei der Hisbollah. Deren Strategie scheint zu sein, den Staat gewähren zu lassen, um dann bei anhaltender israelischer Aggression auf die Schwäche des Militärs zu verweisen. Auch daher liegt westlichen Geldgebern viel daran, das libanesische Militär finanziell zu unterstützen.
Mit Nawaf Salam als Ministerpräsident hat Aoun einen starken Partner. Salams Regierung hat in kurzer Zeit lang aufgeschobene Wirtschaftsreformen auf den Weg gebracht. Finanzminister Yassine Jaber hat versprochen, Korruption gerichtlich zu verfolgen. Im April wurde dafür das Bankengeheimnis aufgehoben. Im Mai billigte das Kabinett einen Gesetzesentwurf zur Unabhängigkeit der Justiz. Durch erste Reformen sollen Hilfen des Internationalen Währungsfonds freigegeben werden.
Doch der libanesischen Regierung rennt die Zeit davon. Im kommenden Jahr stehen Neuwahlen an. Bereits dann könnte der libanesische Staat wieder gelähmt sein und Aoun ohne handlungsfähige Regierung dastehen.
Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 9-11
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