Online-Veröffentlichung

13. Mai 2025

Gemeinsam für bessere Rüstung?

Milliarden sind angekündigt und Wehretats hochgefahren – aber das reicht nicht, um Europas Verteidigungsfähigkeit zu sichern. Bislang gehen Staaten unterschiedlichste Wege und sind noch nicht bereit, der EU eine zentrale Rolle zu übertragen.

Bild
Bild: Zelensky, Starmer, Macron und Rutte vor dem Elysee-Palast
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist klar: Mit der Annäherung der USA an Russland hat die Stunde europäischer Autonomie in der Sicherheitspolitik geschlagen. Er appelliert an die Europäer, zu US-Waffenbestellungen auf Abstand zu gehen. Stattdessen sollen sie französische und europäische Pendants kaufen. 
An Europas Ostflanke hat man jedoch ein gänzlich anderes Kalkül. Mehr europäische Rüstung soll die US-Amerikaner nicht ersetzen, sondern deren Verbleib sichern. Litauens Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė äußerte im Frühjahr, dass Litauen Geschäfte mit „US-Rüstungsindustriegiganten“ wie Lockheed Martin und Northrop Grumman ausbauen möchte. Vilnius hofft, so eine vorteilhafte Bindung zu den in Washington einflussreichen Rüstungsfirmen aufzubauen.
 

Effizienz versus Schnelligkeit

Friedrich Merz (CDU), wahrscheinlich nächster Bundeskanzler, möchte wiederum, dass die Europäer effizienter rüsten. „Es braucht weniger unterschiedliche Angebote an Panzern, Schiffen oder Waffensystemen, dafür mehr gemeinsame Planung“, so Merz in seiner außenpolitischen Grundsatzrede bei der Körber-Stiftung im Januar. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD findet sich die Effizienz-Ambition mit der schmissigen Formel „Simplification, Standardization und Scale“ (S. 130). 
Doch Effizienz ist für andere Europäer zurzeit nicht zentral, sondern Schnelligkeit. Dänemark vereinbarte im vergangenen Sommer mit den Ostseeanrainern, darunter Deutschland, gemeinsam Seeminen zu beschaffen. Das aber war vor Donald Trumps Grönland-Drohungen, Dänemark sei ein schwächlicher Alliierter, die USA sollten die strategisch wichtige Insel zu deren „besseren Schutz“ vereinnahmen. Kopenhagen hat nun eine hastige Aufrüstung begonnen; Seeminen kaufte es vor Kurzem, in überschaubarer Stückzahl, allein.  
 

Unrealistische Erwartungen

Pia Fuhrhop, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, sieht das so: „Die verstärkte Rüstung in Europa wird mit Anforderungen überfrachtet. Mehr Unabhängigkeit von den USA, mehr Kooperation und das alles noch effizient und schnell. Ich denke, wir müssen uns ehrlich machen, dass das alles zusammen unrealistisch ist.“ Die Rüstungsexpertin hat einen Vorschlag: „Erfolgversprechender wäre es, festzulegen, was der entscheidende Punkt ist: Wenn das Gemeinschaftsrüstung ist, heißt das immer schwierige Abstimmung. Mit ‚schnell‘ lüge ich mir hier in die Tasche. Effizienz ist immer wünschenswert, aber vielleicht sind Duplizierungen teils sinnvoll, weil Europa so widerstandsfähiger wird.“

Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Europäer für so eine strategische Rüstung bereit sind. Sie sträuben sich dagegen, die EU zum Konsolidierer ihrer Beschaffungspolitik aufzuwerten. Den wesentlichen Vorschlag dafür präsentierte die EU-Kommission im März 2024 mit einer neuen europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich. Demnach soll ein EU-Rüstungsgremium entstehen: das Defence Industrial Readiness Board. Dort säßen die EU-Staaten, die Kommission und die EU-Chefdiplomatin als Leiter der EU-Rüstungsagentur EDA; gemeinsam legten sie wichtige militärische Fähigkeiten fest. Für diese sollen sich Ländergruppen finden, die sie entwickeln oder einkaufen. Die Projekte würde die Kommission mit einem Industrieprogramm fördern.
 

Kreditprogramm für Käufe innerhalb der EU

Doch im ersten EU-Weißbuch zur Sicherheitspolitik der Kommission von Anfang März dieses Jahres kommt das Rüstungsindustrieprogramm nur vage vor. Die EU-Staaten wollen die EU nicht als Mitorganisator, sondern als zweitrangigen Dienstleister, der die ökonomischen Rahmenbedingungen ihrer nationalen Wehrindustrien verbessert und ihnen Geld beschafft. Die Kommission schlägt dazu im Weißbuch zweierlei vor. Erstens: 150 Milliarden Euro Rüstungsdarlehen über das EU-Budget. Und zweitens: Von der EU-Defizitgrenze von 3 Prozent des BIP sind Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,5 Prozent des BIP ausgenommen. 

Beides befriedet nicht den ewigen Grabenkampf der Europäer, wenn es um EU-Mittel zur Verteidigung geht. Die 150 Milliarden für Kooperationsrüstung in ganz EU-Europa sind nur ein schmaler Appetizer. Der Zinssatz dazu ist bis dato unklar. Staaten mit Triple A-Ranking wie Deutschland könnten an den Kapitalmärkten wohl bessere Bedingungen erhalten. Für hoch verschuldete Länder mit wichtigen europäischen Armeen wie Italien (136 Prozent des BIP) und Frankreich (113 Prozent des BIP) ist wiederum der etwas erweiterte Schuldenspielraum keine große Hilfe.
 

Wie Frankreich den Waffenkauf finanzieren will

Dazu das Beispiel Frankreich, dessen Militärausgaben am Anschlag sind. Mehr als 400 Milliarden Euro investiert Paris bis zum Ende dieses Jahrzehnts in seine Armee. Um sich von diesen Kosten zu entlasten, betreiben die Franzosen seit Jahren eine globale Waffenexportoffensive. Inzwischen haben sie Russland von Platz zwei des weltweiten Rüstungsexports verdrängt, wie die Erhebungen des Stockholmer Instituts für Internationale Friedensforschung (SIPRI) zeigen. 

Doch das reicht nicht, um die Streitkräfte samt nuklearer Abschreckung zu modernisieren und so auszubauen, dass Frankreich als europäische Anlehnungsarmee agieren kann. Inzwischen will die Regierung sogar das Ersparte der Franzosen für die Rüstung mobilisieren – über das „Volkssparbuch“ Livre A hat die Bevölkerung mehr als 500 Milliarden Euro angelegt. Bisher wurde daraus der soziale Wohnungsbau gefördert, künftig soll auch der Waffenkauf unterstützt werden.
 

Führung durch die „Group of Five“

Rüstungsexpertin Pia Fuhrhop von der SWP schlägt Folgendes vor: „Der wichtige Schritt für bessere Rüstung in Europa, der jetzt kommen muss, ist, dass sich die EU-Staaten endlich auf ein Set von Schlüsseltechnologien verständigen. Diese dürften nur noch kooperativ entwickelt und beschafft werden. Der Antreiber dieser Kooperationsrüstung müssten deutlich ausgebaute Finanzierungshilfen über die Union sein.“

EU-Rüstungskommissar Andrius Kubilius äußerte im März in Berlin seine Hoffnung auf eine Einigung bis zum nächsten EU-Gipfel im Juni. Ob das gelingt, ist allerdings fraglich. Auch weil die wichtigsten Militärmächte Europas ein Format abseits der EU gewählt haben, um die europäische Rüstung voranzubringen: die „Group of Five“. 

Dieser Koalition der Willigen gehören die fünf Staaten Europas mit den höchsten Rüstungsausgaben an: Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien und Polen. Gegründet wurde die Gruppe als Reaktion auf Trumps Wahlsieg im November 2024. Bei ihrem März-Treffen in Paris verkündete Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): „Wir erarbeiten Initiativen, die für ganz Europa Wirkung entfalten sollen.“ Anforderungen an Waffensysteme sollen künftig nur einmal formuliert werden und dann über Rahmenverträge beschafft werden. Es sollen einheitliche Zertifizierungsregeln für Waffensysteme kommen. 

Noch ist offen, ob sich die Fünf auf substanzielle Vorschläge einigen können. In einem zweiten Schritt müssten dann die restlichen Europäer überzeugt werden, diese Führungsgruppe zu akzeptieren – was erfahrungsgemäß schwierig werden dürfte. 

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik, Online-Veröffentlichung, 13. Mai 2025

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren

Björn Müller

Europas Rüstung schwächelt

Die Europäer haben keine kriegstüchtige Waffenproduktion – siehe Ukraine-Krieg. Die EU will das mit einer Rüstungsstrategie ändern, doch deren Hürden sind Legion.

Björn Müller ist freier Fachjournalist für Sicherheitspolitik in Berlin und Redakteur  bei Loyal – Magazin für Sicherheitspolitik.

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.