Gaulandisierung
Alexander Gauland, ich muss es gestehen, schafft es immer wieder, aus seinem Bauch direkt in mein Herz zu sprechen. Erst die Sache mit Jérôme Boateng. Es ist wahr, ich möchte ihn nicht als Nachbarn haben. Nicht jeder deutsche Bildungsbürger hat den Mut, sich zu seinen Phobien zu bekennen. Aber ich will ehrlich sein: Allein der Gedanke, dass jemand, der mein Jahresgehalt damit verdient, 90 Minuten einen Ball über einen Rasen zu treten, Abend für Abend seinen Porsche neben meinem Klapprad parkt und dann vielleicht auch noch nett grüßt, macht mich fertig.
Und genau an diesem Tiefpunkt, an der Erkenntnis der fundamentalen Ungerechtigkeit der Welt, tritt Gauland nach. Furchtlos. Wieder mitten rein. „Ich bin nicht bereit, diesen Unsinn mit der Globalisierung mitzumachen“, traut sich das AfD-Mastermind klarzustellen. Richtig so. Ich auch nicht! Aber es passiert halt immer wieder, man kann nicht dauernd aufpassen, denn wer unter uns Arbeitern im Weinberg der Globalisierung hat die Zeit? Neulich gerade, im Stress, ein falscher Griff ins Warenregal – und zu Hause stelle ich fest, dass ich Honig „aus EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern“ gekauft habe. Mit anderen Worten: Mein Brotaufstrich kommt aus China. Das ist Unsinn. Am liebsten wäre ich zum Supermarkt zurückgerannt, hätte der Kassiererin das Glas auf die Theke geknallt und sie gefragt, ob ihr trotz der ja nun wirklich deutlichen Mahnung von Herrn Gauland noch immer nicht klar ist, dass hier grundsätzlich was falsch läuft?
Unsinn sind auch Lammsteaks aus Neuseeland, T-Shirts aus Pakistan, Krabben aus Marokko, Solarzellen aus China und Ikea-Möbel aus der Türkei. Aber Herr Gauland hat leicht reden. Nicht jeder hat das Geld und die Kultur für Importwaren, die ausschließlich aus sozialstaatlichen Demokratien stammen, Tweed aus Irland, Jaguars aus England, Whisky aus Schottland, Gedanken aus Österreich. Das ist halt alles Luxus für die da oben.
Jochen Bittner ist Redakteur der ZEIT.
Internationale Politik 4, Juli-August 2016, S. 144