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01. Juli 2017

Garanten für neuen Glanz

Wer kann Argentiniens Wirtschaft wieder auf Kurs bringen? Fünf Vorschläge

Im Porträt: ein Agrarunternehmer, der Landwirtschaft mit Technik verbindet, ein IT-Milliardär, der zeigt, dass Argentinien nicht nur Soja und Kühe kann, ein Unternehmer, der seine Managementskills auf die Politik übertragen will, eine „eiserne Heidi“, die im verfaulten System aufräumt, und ein argentinischer Thomas Gottschalk, vor dem die Politik zittert.

Gustavo Grobocopatel

Marcos Galperín

María Eugenia Vidal

Mario Quintana

Marcelo Tinelli

Gustavo Grobocopatel

CEO Los Grobo (Agrartechnologie)

Geboren: 1961 in Carlos Casares (Provinz Buenos Aires)

Ausbildung: Agraringenieur

Stationen: Los Grobo

Schon in seinen wirtschaftlichen Glanzzeiten zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts erzielte Argentinien seinen Wohlstand vornehmlich aus der Landwirtschaft. Auch beim jetzt einsetzenden neuen Aufschwung kommt dem Agrarsektor eine herausragende Rolle zu. Heute kann das Land 400 Millionen Menschen und damit das Zehnfache der eigenen Bevölkerung ernähren. Fachleute schätzen, dass sich in den kommenden fünf Jahren die Produktion um 50 Prozent erhöhen könnte – weniger durch eine Ausweitung der Anbauflächen als vielmehr durch die Steigerung der Produktivität. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Digitalisierung der Agrarproduktion. Argentiniens Landwirte sind heute eher Technologie-Nerds als Lasso schwingende Gauchos. Satellitenbilder, Drohnen, Computermodelle, Biotechnologie und maßgeschneiderte Software sind ihre Werkzeuge.

Niemand verkörpert die Verbindung der großen Vergangenheit und der blühenden Zukunft der argentinischen Landwirtschaft so perfekt wie der „Sojakönig“ Gustavo Grobocopatel. Sein Großvater, ein aus dem zaristischen Russland geflohener Jude aus Bessarabien, hatte das Familienunternehmen vor mehr als hundert Jahren gegründet. Von anfänglich 15 Hektar expandierte die Farm in der nächsten Generation auf 4500 Hektar, selbst für Argentiniens weite Pampa eine stolze Zahl. Enkel Gustavo machte das Unternehmen Los Grobo nach der Jahrtausendwende zu einem der größten Agrarkonzerne Südamerikas. In Spitzenzeiten bewirtschaftet das Unternehmen mehr als 300 000 Hektar, vornehmlich mit Sojabohnen. Doch nur der geringste Teil des Landes gehört ihm selbst. Um heute ein erfolgreicher Landwirt zu sein, brauche man kein eigenes Land und keine eigenen Maschinen, meint Grobocopatel. Land wird gepachtet, die Maschinen werden gemietet, Arbeit outgesourct. „Alles, was man braucht, ist Wissen und Management.“ Das ist die Philosophie des Unternehmens, die der Agraringenieur mit Leidenschaft erklärt, und die an Universitäten in aller Welt als Blaupause für moderne Landwirtschaft gelehrt wird.

In den vergangenen Jahren konzentrierte sich „Grobo“, wie viele ihn kurz nennen, immer stärker darauf, Service und Zulieferungen für andere Landwirte anzubieten. Sein Geschäftsmodell ist es, den Farmern alles aus einer Hand zu bieten: Saatgut, Agrarchemikalien, Präzisionstechnologie, Logistik, Finanzierung und Risikomanagement. Es gehe nicht so sehr darum, mehr Gleiche zu vereinen, sondern darum, Synergien zwischen Unterschiedlichen zu schaffen. „Unser Netz bringt Leute zusammen, die sich komplementieren.“
Seit drei Jahrzehnten bringt Grobocopatel neue Technologien zu den Farmern. Dank seiner Pionierarbeit wurde Argentinien in den 1990er Jahren zum Vorreiter beim Anbau mit der Direktsaattechnologie, die ohne Pflug und Egge auskommt, dadurch den Boden schont und Kosten spart. So wie auch beim Anbau von genverändertem Mais und Soja. Mitten in der schlimmsten Krise Argentiniens gründete Grobocopatel mit anderen Visionären 2001 die Biotechnologiefirma Bioceres, die heute an die Wall Street drängt. Zuletzt lancierte Grobocopatel mit privaten und staatlichen Partnern die Technologieplattform Frontec, die Raumfahrttechnik und Softwareentwicklung mit Agrarwissenschaft verbindet. Argentinien könne „der Standort für die Gründung vieler Unternehmen des 21. Jahrhunderts sein, die auf Basis der Technologie nicht unbedingt Produkte verarbeiten, sondern Prozesse“, erklärt Grobocopatel. Die Zeitung Clarín nennt Grobocopatel einen „Steve Jobs der Landwirtschaft“.
Bei allem Optimismus: Zuweilen möchte „Grobo“ an seinem Land verzweifeln. Die Steuern seien zu hoch, der Staat zu teuer und ineffizient. „Ein Drittel der Argentinier arbeitet gar nicht, ein Drittel arbeitet, zahlt aber keine Steuern, und das letzte Drittel arbeitet und zahlt Steuern“, sagt er. „Man kann die Strukturen nicht aufrechterhalten, wenn nur ein Drittel seinen Beitrag leistet.“

Marcos Galperín

Gründer und CEO, Mercado Libre

Geboren: 1971 in Buenos Aires

Ausbildung: Ökonom, University of Pennsylvania, Stanford University

Stationen: YPF (Öl), JP Morgan, Endeavor Argentina

Vier der sechs südamerikanischen Unicorns, Technologie-Start-ups mit einem Börsenwert von mehr als einer Milliarde Dollar, kommen aus Argentinien. Das bekannteste ist wohl die Handelsplattform Mercado Libre, das eBay Lateinamerikas. Die Biografie des Unternehmensgründers steht für die Verbindung von alten und neuen Stärken Argentiniens. Marcos Galperín kommt aus der Familie eines der weltgrößten Lederproduzenten. Zusammen mit Fleisch und Weizen begründete der Lederexport Argentiniens früheren Reichtum. Heute ist der Export von Software und wissensbasierten Diensten ein viel wichtigerer Devisenbringer.
Galperíns Aufstieg zum IT-Milliardär begann wie viele Erfolgsgeschichten aus der Technologiebranche. Als er Ende der 1990er Jahre sein Wirtschaftsstudium an der Stanford University absolviert hatte, verschaffte ihm sein Professor die Gelegenheit, einen bedeutenden Private-Equity-Investor zum Flughafen zu fahren. Galperín nutzte die Fahrtzeit, um dem Gast seine Idee von einer Internet-Handelsplattform für den südamerikanischen Markt zu erläutern. Der Investor war überzeugt, Galperín bekam das Geld für sein Start-up. Heute ist Mercado Libre Marktführer in allen wichtigen Ländern Südamerikas und mit einem Börsenwert von zwölf Milliarden Dollar das wertvollste Unternehmen Argentiniens. Galperíns Erfolg stellt sich nicht nur in Zahlen dar. „Wir demokratisieren den Markt, für die Verkäufer und für die Käufer“, sagt Galperín. „Bei uns kann jeder sein Produkt vermarkten, als ob er Walmart oder Carrefour wäre.“

Die schwersten Herausforderungen für den E-Commerce in Argentinien seien Bezahlung und Logistik. Für beide Themen hat Mercado Libre eigene Tochterunternehmen gegründet. Das Zahlungssystem Mercado Pago ist inzwischen das meistgenutzte digitale Zahlungsmittel Südamerikas. Besonders wichtig in Ländern mit vielen Geringverdienern und großer Schattenwirtschaft: Niemand braucht eine Kreditkarte oder auch nur ein Bankkonto, um es nutzen zu können. Gerade hat Galperín eine neue Plattform für die Vergabe von Krediten lanciert. „Wir wollen keine Bank werden, aber ein Medium, das vernetzt“, erklärt er. Das Logistikproblem ist schwerer zu lösen: „Die Logistik ist sehr teuer und ineffizient“, klagt Galperín. Ein Service wie in Mexiko, wo vier von fünf Produkten innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert sind, sei in Argentinien noch nicht zu schaffen.
Galperín gilt als unerschütterlicher Optimist und als Macher. Es komme nicht darauf an, keine Fehler zu machen, sondern darauf, daraus zu lernen und „beharrlich zu korrigieren, bis es funktioniert“. Auf seinem Laptop klebt ein Sticker mit dem Spruch „Get that shit done“. Früher hatte Galperín erklärt, sich mit 45 zur Ruhe setzen zu wollen; jetzt ist der Vater von drei Kindern 46 und denkt nicht daran, aufzuhören. Weil es ihm Spaß mache, immer wieder an neuen Ideen zu arbeiten – und seine Geschichte zu erzählen, um andere zu inspirieren.

 

María Eugenia Vidal

Gouverneurin der Provinz Buenos Aires

Geboren: 1973 in Buenos Aires

Ausbildung: Politologin

Stationen: Thinktank Grupo Sophia, Regierung der Stadt Buenos Aires (Sozialministerin, Vizechefin)

Der Sieg des liberal-konservativen Mauricio Macri bei der Präsidenschaftswahl 2015 war eine ziemliche Überraschung. Doch die eigentliche Sensation vollbrachte María Eugenia Vidal, eine Parteifreundin und enge Weggefährtin Macris. Vidal gewann für Macris Wahlbündnis „Cambiemos“ die gleichzeitig abgehaltene Gouverneurswahl von Buenos Aires, der mit Abstand wichtigsten der 23 Provinzen Argentiniens. Die Provinz, in der fast 40 Prozent der Argentinier leben und zu der die großen Armenviertel im Umfeld der Hauptstadt Buenos Aires gehören, galt als uneinnehmbare Hochburg der Peronisten.
Ein krasser politischer Fehler der Expräsidentin Cristina Kirchner, die in ihrer Überheblichkeit einen extrem unbeliebten Politiker für das Gouverneursamt ins Rennen geschickt hatte, verhalf Vidal zu dem überraschenden Sieg. Macris Entscheidung für Vidal als Kandidatin – trotz vieler kritischer Stimmen in den eigenen Reihen, die Vidal die Aufgabe nicht zugetraut hatten – erwies sich dagegen als geschickter Schachzug. Vidal holte in der Provinz sogar deutlich mehr Stimmen als Macri selbst. Unermüdlich hatte die studierte Politologin die Provinz abgeklappert, mit Bürgern gesprochen und in ihrer warmherzigen und verständnisvollen Art für eine Überwindung der von Kirchner beständig angeheizten Konflikte geworben.
Im Amt überraschte Vidal ein weiteres Mal. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hatte die Gefängnismafia eine Gruppe gefährlicher Verbrecher aus einer Strafanstalt in der Provinz Buenos Aires entkommen lassen. Das wurde als ein Warnschuss an die neue Regierung gesehen. Vidal und Macri schienen machtlos. Doch die Gangster wurden bald wieder gefasst. Und Vidal fackelte nicht lange. In den ersten 500 Tagen entließ sie 3000 Gefängniswärter und Beamte der als korrupt verschrienen Provinzpolizei. Privat verlangte ihr das schwere Opfer ab. Mit ihren drei Kindern musste sie aus Sicherheitsgründen in eine Militärbasis ziehen. Ihre Ehe hielt den Belastungen nicht stand.

Doch „Heidi“, wie Kritiker die immer sanft sprechende Vidal spöttisch nannten, entpuppte sich als äußerst durchsetzungsfähige Chefin der am schwersten zu regierenden Provinz Argentiniens. Nicht nur in der Sicherheitspolitik zeigte Vidal Zähne. Ihre harte Haltung gegenüber der Lehrergewerkschaft, deren Lohnforderungen sie auch nach einem wochenlangen Streik nicht nachgab, brachte Vidal Vergleiche mit Großbritanniens „Eiserner Lady“ Margaret Thatcher und deren Konflikt mit den Bergarbeitern ein. Um wichtige Gesetzesvorhaben durchzubringen, setzte Vidal allerdings ebenso wie Macri auf die Zusammenarbeit mit Oppositionsparteien, die im Parlament der Provinz und im Nationalkongress weiterhin die Mehrheit haben. Stärker noch als Macri ging Vidal auch auf Vertreter des Peronismus zu.
Um zu verstehen, was die 43 Jahre junge Vidal zur beliebtesten Politikerin Argentiniens macht, reicht es schon, sie einmal im Fernsehen erlebt zu haben. Selbst über den Bildschirm kommt die Wärme herüber, die sie ausstrahlt, spürt man die Empathie, die sie mit Menschen unterschiedlichster Herkunft verbindet. Auf die Strahlkraft dieser Frau kann Macri nicht mehr verzichten. Wo immer möglich, nimmt Macri seinen Wählerliebling zu Auftritten mit. Auch bei den Teilwahlen zum Parlament im Oktober wird Vidal das wichtigste Zugpferd für das Regierungsbündnis sein. Und bei einer Umfrage unter argentinischen Spitzenunternehmern, wer ihr Favorit für die Präsidentenwahl 2019 sei, sprachen sich ebenso viele für Vidal aus wie für Macri selbst.

 

Mario Quintana

Vize-Kabinettschef, Koordinator der Wirtschaftspolitik

Geboren: 1967 in Buenos Aires

Ausbildung: Ökonom, Universität von Buenos Aires, INSEAD (Frankreich)

Stationen: Siemens, McKinsey & Co, Farmacity, Pegasus Group

Präsident Macris Kabinett wird häufig als „Regierung der Manager“ bezeichnet. Zumindest in den wirtschaftlich relevanten Ressorts trifft das zu. Mario Quintana, selbst erfolgreicher Manager und Investor, ist in diesem Team so etwas wie der CEO. Als einer von zwei stellvertretenden Kabinettschefs hat Quintana die Aufgabe, die nicht weniger als zehn wirtschaftsrelevanten Ressorts sowie eine Reihe staatlicher Unternehmen und Institutionen zu koordinieren. Nicht immer läuft das so glatt, wie der Ingenieur Macri sich das vorgestellt haben mag. Immer wieder gehen Dinge derart daneben, dass die „Regierung der Manager“ eher wie eine Gruppe von Praktikanten wirkt.
Auch Quintana leistete sich einige Schnitzer. Etwa als er ein Dekret durchgehen ließ, das aus rein verwaltungsrechtlichen Gründen die planmäßige Anpassung der Renten an die galoppierende Inflation um ein paar Zehntelprozent verringert hätte. Der Opposition lieferte das die Steilvorlage, von einer vermeintlichen Rentenkürzung zu sprechen, obwohl die Macri-Regierung gerade erst Milliarden in den Ausgleich von unter Vorgängerregierungen aufgestauten Schulden gegenüber Hunderttausenden Rentnern gepumpt hatte. Als Quintana dann auch noch sagte, wegen ein paar Pesos lasse er sich nicht in die Ecke drängen, stand er als personifiziertes Klischee des sozial unsensiblen Unternehmers da.
Quintana gibt sich alle Mühe, dieses Bild zu korrigieren. Bei einer Tagung des Davoser Weltwirtschaftsforums in Buenos Aires versicherte er, die 14 Millionen Armen des Landes, 30 Prozent der Bevölkerung, gingen ihm „nicht aus dem Kopf“. Argentinien biete derzeit nicht allen gleiche Chancen.

Er selbst kommt aus einer Familie, die noch in besseren Zeiten den sozialen Aufstieg geschafft hatte. Quintana studierte Wirtschaftswissenschaften in Buenos Aires, er arbeitete bei Siemens, auch einige Zeit in Deutschland; in Frankreich machte er seinen MBA an der renommierten Business School INSEAD. Nach einigen Jahren bei der Beratungsfirma McKinsey machte sich Quintana selbständig. Mit Partnern gründete er in den 1990er Jahren die Drogeriekette Farmacity, später die Risikokapitalgesellschaft Pegasus Group.
Trotz seiner bedeutenden Stellung als heimlicher Superminister für Wirtschaft hält sich Quintana für gewöhnlich im Hintergrund. Beim Weltwirtschaftsforum im April allerdings ging er mit der etablierten Unternehmerkaste Argentiniens hart ins Gericht. „Wir müssen das Blut unserer Unternehmerschaft erneuern“, schimpfte Quintana. „Die sollen ihren Erfolg nicht auf der Basis von Pfründen und Subventionen erzielen.“ Es müsse Platz für alle geben, „aber nicht für die, die sich auf Kosten der Gesellschaft bereichert haben“, bekräftigte der Erfolgsmanager, der sich jetzt in den Dienst der öffentlichen Sache stellt. Die Regierung arbeite daran, die unternehmerische Initiative gerade auch in Elendsvierteln zu fördern, sagt er. Man habe jedoch eine chronische Armut geerbt, die man vorerst nur mit Sozialleistungen lindern könne. „Wir haben keine Zeit zu warten, bis das Wirtschaftswachstum nach unten durchsickert.“

 

Marcelo Tinelli

TV-Moderator und Produzent

Geboren: 1960 in Bolívar (Provinz Buenos Aires)

Ausbildung: Colegio Manuel Belgrano (Schule)

Stationen: Radio Rivadavia, diverse TV-Sender, Ideas del Sur (Produktionsfirma), 
Fußballclub Atlético San Lorenzo, AfA (Argentinischer Fußballverband)

Es ist schwer, in Deutschland einen passenden Vergleich für die herausragende Stellung des TV-Moderators Marcelo Tinelli in der argentinischen Medienlandschaft zu finden. Am ehesten vielleicht noch Thomas Gottschalk in dessen besten Zeiten. Tinelli ist indes nicht bloß der mit Abstand populärste Showmaster des Landes. Der Showman ist ein bedeutender Medienunternehmer, Fußballfunktionär, selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt werden ihm nachgesagt.
Nach dem frühen Tod seines Vaters musste Tinelli als Eis- und Schuhverkäufer jobben, bevor der Fußballfan in den 1970er Jahren Sportreporter wurde. Später wechselte er ins humoristische Fach. Der Durchbruch gelang Tinelli in den frühen 1990ern mit der Show Videomatch, einem Mix aus „Verstehen Sie Spaß?“ und Juxreportagen à la „heute-show“. Mit wechselnden Formaten führt Tinellis Programm, das heute Showmatch heißt, seit 25 Jahren das TV-Rating in Argentinien an. Die Liebe zum Sport verlor Tinelli nie. Seit Jahren ist er Vizepräsident des Fußballvereins San Lorenzo, dem Lieblingsclub von Papst Franziskus.

Mit seiner Show hat Tinelli enormen politischen Einfluss gewonnen, auch wenn eine tiefere politische Überzeugung bei ihm nicht zu erkennen ist. Politiker drängen danach, in seinem Programm aufzutreten. Doch vor allem lässt Tinelli prominente Politiker parodieren. Als der ohnehin als schwach geltende Präsident Fernando De la Rúa nach einem Auftritt bei Tinelli Ende 2000 den Ausgang von der Bühne nicht gleich fand, ließ Tinelli die Szene in den folgenden Monaten von einem Imitator immer wieder nachstellen. So oft, dass es schwerfiel, den wirklichen De la Rúa noch ernst zu nehmen. Tinelli habe zu seinem frühzeitigen Sturz 2001 beigetragen, sagte De la Rúa später. Auf die Spitze trieb Tinelli das ab 2009 mit „Gran Cuñado“ (Großer Schwager), einer Big-Brother-Persiflage, bei der er Imitatoren bekannter Politiker im Container aufeinander losließ. Je nachdem, wie gut oder schlecht die Politiker in den Parodien wegkamen, gewannen oder verloren sie im wirklichen Leben an Popularität. Das Zittern, welche Kandidaten Tinelli vor den Parlamentswahlen im Oktober gut aussehen lässt und welche nicht, dürfte demnächst losgehen.

Carl Moses ist Volkswirt und freier Journalist. Seit vielen Jahren berichtet er aus Argentinien für 
Germany Trade & Invest und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 2, Juli - Oktober 2017, S. 20 - 25

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