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01. Nov. 2006

Friedensexport oder Feuerwehreinsatz?

Für künftige Friedensmissionen müssen neue Konzepte erarbeitet werden

Zahlreiche Friedensmissionen der letzten Jahre haben bewaffnete Konflikte und Kriege durchaus erfolgreich beenden können. Aber dieser Erfolg war oft nicht von Dauer. Wie sieht die Zukunft aus, wenn nicht unbegrenzt weitere Mittel für solche Einsätze zur Verfügung stehen? Neue Ansätze der Friedenskonsolidierung sind gefragt.

Krisenprävention, aber auch Krisenmanagement und Nachkriegskonsolidierung mit parallelem Einsatz militärischer und ziviler Mittel sind ein Schwerpunkt deutscher und internationaler Politik geworden, als, wie es in der offiziellen Darstellung des Auswärtigen Amtes heißt, „fester Bestandteil deutscher Friedenspolitik“.1

Derzeit laufen, von verschiedenen internationalen und regionalen Organisationen, aber auch Gruppen von Staaten angeführt, mehr als 20 Einsätze, in denen Soldaten und Zivilisten mehr oder minder gemeinsam, aber in jedem Fall parallel, damit befasst sind, mit internationalem Mandat ausgestattet, Frieden zu schaffen und dauerhaft zu machen. Viele dieser Einsätze sind umstritten, grundsätzlich oder wegen ihrer Ausgestaltung, wie zuletzt die Debatte über die Entsendung von deutschen Soldaten in den Kongo und den Libanon sowie die Verlängerung des Einsatzes in Afghanistan gezeigt haben. Es gibt Stimmen in Politik und Wissenschaft für eine Ausweitung der Zahl der „Peace Missions“, der durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrats legitimierten Friedensmissionen, wie sie im internationalen Jargon heißen, aber auch für eine deutliche Reduzierung und sogar Beendigung aller Einsätze, zumindest soweit es das militärische Element betrifft.

Wie erfolgreich sind diese Friedensmissionen bei der Schaffung von Frieden, definiert als Abwesenheit von Krieg? Sind die internationalen Einsätze, in denen militärische und zivile Stabilisierungsinstrumente zum Einsatz kommen, ein geeignetes Mittel, um mehr Frieden zu schaffen? Haben sich Instrumente und Konzepte bewährt? Welche Faktoren beeinflussen Erfolg und Misserfolg? Welche Prognose folgt aus der Analyse für die Zukunft von Friedensmissionen?

Abnehmende Kriegshäufigkeit und Friedensmissionen

Gegen Ende des Jahres 2005 fand die Veröffentlichung des ersten „Human Security Report“ aufgrund der im Bericht enthaltenen Kriegsstatistiken große Aufmerksamkeit.2 Nach den dort benutzten Kriegsdaten hat die Zahl der bewaffneten Konflikte seit Anfang der neunziger Jahre stark abgenommen: von 50 im Jahr 1992 auf 29 im Jahr 2003.

Der Rückgang der Kriegshäufigkeit ist vor allem auf die Beendigung einer im Zeitvergleich hohen Zahl innerstaatlicher bewaffneter Konflikte zurückzuführen. Im Bericht werden verschiedene mögliche Ursachen für diesen Trend diskutiert und mit Plausibilitätsargumenten und statistischen Methoden abgearbeitet, etwa das Ende des Ost-West-Konflikts, Demokratie in einer zunehmenden Zahl von Staaten und wirtschaftliche Entwicklung. Die Autoren kommen aber zu dem Schluss, dass das stärkere internationale Engagement im Konfliktmanagement die beste Erklärung des festgestellten Trends abnehmender Kriegshäufigkeit liefert. Insbesondere stellen sie einen kausalen Zusammenhang zwischen der nach dem Kalten Krieg stark gestiegenen Zahl internationaler Friedensmissionen und dem Rückgang der Kriegshäufigkeit her.

Die Zahl der Friedensmissionen hat in der Tat deutlich zugenommen, und zwar ungefähr parallel zum abnehmenden Kriegsgeschehen. Zwischen 1948 und 1990 gab es nach einer von der schwedischen Folke Bernadotte Peacekeeping Akademie veröffentlichten Aufstellung 42 Friedensmissionen mit militärischer Beteiligung. Seither haben weitere 83 Friedenseinsätze stattgefunden, also mehr als doppelt so viele in knapp einem Drittel der Zeit.3 Die Argumentation im Human Security Report ist also plausibel. Sie wird auch durch statistische Analysen unterstützt, in denen das erweiterte Aufgabenfeld von Friedensmissionen untersucht wird.4

Friedensmissionen und Nachkriegskonsolidierung

Der Erfolg von Friedensmissionen bei der Kriegsbeendigung findet keine Entsprechung in der Konsolidierung des Friedens nach bewaffneten Konflikten. Michael Doyle, bis vor kurzem Berater von Kofi Annan, und Nicholas Sambanis veröffentlichten vor kurzem die bisher umfassendste Untersuchung der Erfolge und Misserfolge von Friedensmissionen nach internen Kriegen auf der Grundlage quantitativer Untersuchungen. Doyle und Sambanis unterscheiden mehrere Konzepte von Frieden in Nachbürgerkriegszeiten.5 Das wichtigste nennen sie „partizipatorischer Frieden“, definiert als Abwesenheit von Kampfhandlungen, organisierter Gewalt und zwischen den Kampfparteien geteilter territorialer Verantwortung sowie das Vorhandensein eines Mindestmaßes an offenem politischem Wettbewerb zwischen den früheren Kriegsparteien. Sie untersuchten 121 Friedensprozesse nach Bürgerkriegen. Gemessen daran, ob zwei Jahre nach Kriegsende „partizipatorischer Frieden“ herrschte, verzeichnen sie 84 Fehlschläge und 37 Erfolge, eine Erfolgsrate von 31 Prozent.6 Die Erfolgsrate steigt mit der Anwesenheit externer Peacekeeping-Akteure nicht an, sie bleibt gleich bei 31 Prozent. Nur für UN-Missionen ist sie mit 42 Prozent höher.7

Andere Untersuchungen, mit anderen Daten, anderen Kriterien und anderen statistischen Modellen kommen zu nach beiden Seiten abweichenden8 Ergebnissen, im Durchschnitt ist die Erfolgsrate aber nicht sehr hoch. Auch Fallstudien führen zu eher ernüchternden Ergebnissen. Necla Tschirgi, Vizepräsidentin der International Peace Academy in New York, fragt in einer Übersicht über die Literatur zu Postconflict-Peacebuilding: „Warum ist das internationale Projekt Friedenskonsolidierung nach mehr als zehn Jahren Erfahrung immer noch so experimentell, amorph und vorläufig?“9

Nachkriegsgesellschaften sind hochgradig kriegsträchtig. Vorhergehender Krieg ist neben Armut der wichtigste Bedingungsfaktor von Krieg. Paul Collier und seine Kollegen von der Forschungsabteilung der Weltbank betitelten den Abschlussband eines größeren Projekts zur Ökonomie von Bürgerkriegen „The conflict trap“, die Konfliktfalle. In ihrer Analyse stellen sie die Schwierigkeiten von Staaten und Gesellschaften heraus, nach Bürgerkriegen wieder langfristig friedfertige Gesellschaften aufzubauen. Bürgerkrieg führt zur Zerstörung von Infrastruktur und sozialem Kapital und damit zu mehr Armut, dem wichtigsten Bedingungsfaktor von Bürgerkrieg. Gleichzeitig werden teure und unproduktive Militärapparate geschaffen, deren Abbau schwierig ist.

Besser werden die Erfolgsaussichten internationaler militärischer Einsätze nach den Analysen von Doyle und Sambanis wie von Collier, wenn zum militärischen Engagement auch erhebliche entwicklungspolitische Leistungen hinzukommen. Doyle und Sambanis stellen ein Peacebuilding-Dreieck vor, in dem sie die Erfolgsaussichten von Nachkriegskonsolidierung abgebildet sehen. Die Erfolgsaussichten sinken mit der Intensität der Konflikte, die eingehegt werden müssen, steigen mit dem Niveau wirtschaftlicher Aktivität in einem Konfliktland und nehmen mit dem internationalen Engagement für Nachkriegskonsolidierung in seiner ganzen Breite zu. Langfristig ist nach dieser Analyse das Niveau wirtschaftlicher Entwicklung, als Kombination von Anfangsniveau und Wachstum, der stärkste Erklärungsfaktor für die Vermeidung eines Rückfalls in kriegerische Konflikte.10

Die empirischen Befunde zeigen an, dass die internationale Staatenwelt zwar weit davon entfernt ist, alle laufenden Kriege zu beenden, dass aber die internationalen Bemühungen, Kriege einzuhegen und zu einem Ende zu bringen, deutlich intensiver und auch, verglichen mit der Zeit des Kalten Krieges, erfolgreicher geworden sind. Hingegen sind, trotz ebenfalls verstärkter internationaler Bemühungen, keine vergleichbar großen Fortschritte bei der Schaffung dauerhafter Friedensstrukturen in Nachkriegsgesellschaften festzustellen. Woran liegt das? Vielfältige fallspezifische und strukturelle Ursachen sind für die Defizite der Friedenskonsolidierung mit externer Unterstützung identifiziert worden.

Häufig genannte strukturelle Ursachen lassen sich in drei Faktorenbündeln zusammenfassen. Das erste umfasst die mangelhafte Koordination der internationalen Akteure. Das zweite sind Ungleichgewichte im Ressourceneinsatz, insbesondere zwischen militärischen und zivilen Mitteln und das dritte betrifft die Divergenz zwischen den hohen Ansprüchen, mit denen Nachkriegskonsolidierung geplant wird, und den -Bedingungen für deren Durchsetzung. Diese Probleme der Nachkriegskonsolidierung lassen sich gut am Beispiel eines Instruments der internationalen Zusammenarbeit darlegen, das zunehmend an Bedeutung gewinnt: der Reform des Sicherheitssektors.

Reform des Sicherheitssektors

Die Sicherheitslage in Nachkriegssituationen ist generell prekär, auch weil Struktur und Zahl der vorhandenen Sicherheitskräfte der Situation nicht angemessen sind. Der Abbau und die Reform vorhandener, aber auch der Aufbau neuer Sicherheitskräfte sind daher regelmäßig notwendige Bedingungen für erfolgreiche Friedenskonsolidierung. Für die Gestaltung der Sicherheitskräfte ist unter der Überschrift „Sicherheitssektorreform“ ein international breit anerkanntes Normengerüst entwickelt worden, zunächst in der Entwicklungszusammenarbeit,11 das dann für Friedensmissionen der UN12 und der EU13 übernommen wurde. Als Optimum gelten demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich gebundene, effektive und effiziente Sicherheitskräfte, die Entwicklung fördern statt sie zu hemmen, die Menschen schützen statt sie zu bedrohen, die zivilen Institutionen dienen statt sie zu dominieren.

In der Praxis aber ergeben sich erhebliche Zielkonflikte. Ausländische Truppensteller wollen ihre Soldaten möglichst rasch abziehen und deshalb so schnell wie möglich einheimische Sicherheitskräfte in die Lage versetzen, für Sicherheit zu sorgen. David Yost vom NATO Defense College in Rom hat von der Sicherheitssektorreform als der bevorzugten Exit-Strategie ausländischer Truppensteller gesprochen.14

Damit hat aus der Sicht vieler Peacekeeper, sowohl der Planer in New York, Brüssel und in nationalen Hauptstädten als auch der Kommandeure vor Ort, die Effizienzsteigerung der Sicherheitskräfte in der Regel Vorrang. Kurzfristige Ausbildung möglichst vieler Personen steht im Vordergrund. Demokratische Steuerung, Kontrolle und Normenbindung wird demgegenüber häufig als zweitrangig angesehen, als etwas, was später kommen kann, wenn die Truppen gut ausgebildet sind. Der Aufbau geeigneter ziviler Steuerungs- und Kontrollinstitutionen wird darüber hinaus als politische Aufgabe angesehen, die außerhalb der Kompetenz und Kapazität der Peacekeeper liegt. Diese Praxis widerspricht aber dem Konzept der Sicherheitssektorreform, dessen Kern die Verbindung von Effizienzsteigerung und rechtsstaatlich-demokratischer Steuerung und Kontrolle von Sicherheitskräften ist.

Vergleichende und Einzelanalysen belegen die bestenfalls gemischte Erfolgsbilanz von Ansätzen zur Sicherheitssektorreform in Nachkriegssituationen. Während die Effektivität und ethnische Repräsentanz von Sicherheitskräften oft gesteigert werden konnte, werden andere Ziele umfassender Sicherheitssektorreform selten erreicht. Besonders problematisch sind die Bereiche politische Unabhängigkeit, demokratische Kontrolle, Kosteneffizienz und Korruption.15 Umfassende Reformen, in denen die Steigerung der Fähigkeiten von Sicherheitskräften mit verstärkter demokratischer Steuerung gekoppelt war, sind die Ausnahme geblieben. In einer Evaluationsstudie der friedensunterstützenden Operationen in Osttimor, Sierra Leone und Kosovo aus dem King’s College in London heißt es: „Die Theorie und Praxis der Transformation von Sicherheitssektoren scheint weder zum UN-Sekretariat noch auf die operative Ebene durchgesickert zu sein. Die umfassenden Konzepte haben keinen wirklichen Einfluss auf die Politik und Strategie von Friedensoperationen gehabt. Die traditionelle Trennung von zivilem und militärischem Personal, mit Autonomie für die letzteren, dominierte weiterhin die Wahrnehmung der Beteiligten.“16

Erfolge und Misserfolge haben viele spezifische Ursachen, die mit Personen, spezifischen Konstellationen in den Nachkriegsländern und der internationalen Politik zu tun haben. Die Bedeutung von Personen wird in Haiti besonders deutlich, wo der Person Jean-Bertrand Aristide eine Schlüsselrolle zunächst bei der Konsolidierung und dann beim Zerfall der Nachkriegsordnung zukommt; die Rolle der internationalen Politik wird besonders deutlich im Kosovo, wo ohne eine Lösung der Frage des völkerrechtlichen Status die Bewältigung aller anderen Fragen bestenfalls Stückwerk bleibt.

Aber neben solchen spezifischen lassen sich auch allgemeine Faktoren des Erfolgs und Misserfolgs von Nachkriegskonsolidierung benennen. Sie können für den Bereich der Sicherheitssektorreform in gleicher Weise zusammengefasst werden wie für die Nachkriegskonsolidierung insgesamt. Die drei Faktorenbündel sind 1. mangelnde Abstimmung unter den externen Akteuren, 2. sektorales Ungleichgewicht zwischen zivilen und militärischen Maßnahmen und 3. die Diskrepanz zwischen hohen Ansprüchen externer Akteure und vorhandenen Bedingungen in Nachkriegsländern.

Mangelhafte Koordination der Akteure

Der erste strukturelle Faktor, die mangelhafte Koordination der externen Akteure bei Planung und Umsetzung untereinander sowie mit lokalen Akteuren, ist schon häufig beklagt worden. Besonders schwierig ist weiterhin, trotz einer Reihe von Versuchen für Verbesserungen, die Zusammenarbeit zwischen Organisationen, die mit Sicherheitsfragen betraut, und solchen, die für Entwicklungsfragen zuständig sind.17 Unterschiedliche nationale Interessen und Ziele der Truppensteller und Entwicklungshilfegeber prägen das Verhalten externer Akteure in Friedensmissionen.

Die kurz vor Weihnachten des letzten Jahres vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Einrichtung der Peacebuilding Commission soll Abhilfe schaffen, aber sie wird dies nur in begrenztem Umfang tun können. Ihre personelle und finanzielle Ausstattung ist dürftig. Die Hauptaufgabe der Koordination der verschiedenen UN-Organisationen und weiterer internationaler Organisationen, wie zum Beispiel der Weltbank, nationaler Geber und einheimischer Akteure, in Nachkriegsgesellschaften erfordert ein Maß an Autorität, das die Kommission als Beratungsgremium des UN-Sicherheitsrats nicht hat. Wenn sie zur Verbesserung der Transparenz unter den Gebern und der besseren Abstimmung der Aktivitäten einzelner Akteure untereinander beitragen kann, hat sie schon viel erreicht.

Zivil-militärische Balance

Sicherheitssektorreform ist vom -Spannungsverhältnis zwischen Verbesserung von rechtsstaatlich-demokratischer Integration, Steuerung und Kontrolle von Sicherheitskräften einerseits und der Verbesserung ihrer Ausbildung, Ausstattung und Ausrüstung andererseits gekennzeichnet. Dieses Spannungsverhältnis ist gleichzeitig auch eines zwischen zivilen und militärischen Elementen ausländischer Unterstützung von Sicherheitssektorreform, mit in der Regel deutlichem Übergewicht der militärischen Seite.

Das Ungleichgewicht zwischen externem militärischem und zivilem Engagement findet sich auf vielen Feldern der externen Unterstützung, aber vielleicht am klarsten im Ressourceneinsatz, bei den Finanzen.

Friedensmissionen sind in der Regel billig im Vergleich zu den Kosten der Kriege, die sie beenden, aber teuer im Vergleich zu dem, was an internationalen Leistungen in der Entwicklungszusammenarbeit zu mobilisieren ist. Besonders teuer sind nicht von den UN geführte Missionen – Beispiel: Kosovo. Insgesamt sind für den militärischen Einsatz seit dem Ende des Krieges im Juni 1999 mehr als zwölf Milliarden Euro zusätzlich für den KFOR-Einsatz ausgegeben worden, der deutsche Anteil beträgt etwa drei Milliarden.18 UNMIK hat etwa 2,5 Milliarden Euro gekostet. Die offizielle Entwicklungshilfe für den Kosovo im gleichen Zeitraum betrug etwa vier Milliarden Euro.

In einer anderen finanziellen Liga spielen die USA, die aber ihre Kosten auch anders berechnen, nicht als zusätzliche Kosten, sondern als Vollkosten einer Mission. Beispiel Afghanistan: Die zusätzlichen Kosten für den lange Zeit auf Kabul beschränkten ISAF-Einsatz seit Anfang 2002 summieren sich auf mindestens fünf Milliarden Euro, davon über zwei Milliarden für den deutschen Anteil, die US-amerikanischen militärischen Auf-wen-dun-gen für Enduring Freedom in Afghanistan seit Anfang 2002 auf fast 70 Milliarden Dollar.19 Die gesamte Entwicklungshilfe für Afghanistan betrug für den gleichen Zeitraum etwa fünf Milliarden Euro. UN-Friedensmissionen sind verglichen mit anderen Einsätzen eher kostengünstig. Das Budget für alle 18 UN-Missionen für das laufende Finanzjahr beträgt etwa fünf Milliarden Dollar. Das ist ungefähr so hoch wie die Entwicklungshilfe, die die Länder bekommen, in denen Friedensmissionen stattfinden.20

Nun sind die Ausgaben für den militärischen Teil der jeweiligen Friedensmissionen gemessen am Niveau der Sicherheit, das geschaffen werden konnte, in der Regel eher zu niedrig als zu hoch. Aber das gilt in noch weit stärkerem Maße für den zivilen Wiederaufbau. Unter dem Gesichtspunkt langfristiger Friedenskonsolidierung stehen die Ausgaben für Stabilisierung von Sicherheit deshalb nicht in einem angemessenen Verhältnis zu denen für die Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Zum Vergleich: Selbst bei Staaten im Krieg liegt der Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt selten höher als bei 30 Prozent. Die zum Teil deutlich darüber liegenden militärischen Anteile an der Finanzierung der externen Unterstützung von Friedensmissionen und Nachkriegskonsolidierung sind mit diesen Zahlen zwar nur bedingt vergleichbar. Sie weisen aber darauf hin, dass, wenn denn die Ausgaben für das Militär halbwegs gerechtfertigt sind, die für zivile Aufgaben unverhältnismäßig gering sind.

Das Ungleichgewicht wird verstärkt durch das Verhalten der meisten Regierungen in Nachkriegsstaaten, die deutlich über dem Durchschnitt liegende Anteile ihrer Budgets für Militär und Streitkräfte aufwenden.21 Der Abbau dieser Streitkräfte ist schwierig, auch wenn die Demobilisierung und Reintegration von ehemaligen Kombattanten inzwischen zum Standardprogramm internationaler Förderung von Nachkriegskonsolidierung gehört.

Offensichtlich ist es trotz der allgemeinen und, wie erwähnt, empirisch gut abgesicherten Erkenntnisse über die zentrale Bedeutung der Unterstützung ziviler Konflikttransformation in vielen Geberländern aber auch zum Beispiel bei den Vereinten Nationen in New York leichter, militärische als zivile Maßnahmen zu finanzieren. Warum ist das so? Viele Faktoren kommen zusammen, einer davon ist, dass der unmittelbare Erfolg, die Beendigung von Kriegen, schneller sichtbar ist als der Erfolg der meisten zivilen Aktivitäten, die einen längeren Zeithorizont haben, wenn sie denn überhaupt Erfolg haben.22

Die Grenzen des „liberalen Friedens“

Immer häufiger wird hinterfragt, ob die Rezepte der internationalen Gebergemeinschaft zur Konflikttransformation und Nachkriegskonsolidierung zielführend, angemessen und umsetzbar sind. Dies wird international aktuell unter der Überschrift des „liberal peace“, des liberalen Friedens, diskutiert, definiert als ein vor allem an westlichen Vorstellungen orientiertes Modell gesellschaftlicher Organisation, das den Frieden sichern soll, dessen Exportierbarkeit aber zunehmend in Frage gestellt wird. Die Kritik betrifft die Umsetzbarkeit, aber auch die Grundsatzfrage der Legitimation externer Akteure, massive gesellschaftliche Veränderungen durchsetzen zu wollen.23

Die Erfolgsaussichten für die Etablierung von liberalem Frieden nach internationalen Interventionen sind sehr unterschiedlich. In wenig westlich geprägten Ländern, wie etwa Afghanistan, sind die Anforderungen an gesellschaftliche Veränderungen weit höher als etwa in Zentralamerika, während gleichzeitig die lokale Legitimation für einen derartigen Umbau geringer ist. In Ländern mit besonders armer Bevölkerung, wie Haiti oder weiten Teilen Afrikas, sind die Erfolgsaussichten für liberalen Frieden ebenfalls gering. Die institutionellen Hülsen lassen sich schaffen, aber sie erfüllen nicht die ihnen zugedachten Funktionen. Stattdessen werden sie von den lokalen Akteuren zur Umsetzung ihrer eigenen Ziele genutzt. Nachkriegskonsolidierung ist ein politischer Prozess, in dem verschiedene Akteure, die lokalen wie die externen, ihre Interessen einzubringen und umzusetzen versuchen, keine mechanische Umsetzung eines Planes. Ideen und Interessen externer und lokaler Akteure vermischen sich in jeweils unterschiedlicher Weise, ohne in einer homogenen neuen Einheit aufzugehen. Selbst im besten Fall, wie etwa in Mosambik, ist das Ergebnis auf lange Zeit ein schwacher Staat mit einer von internationaler Unterstützung abhängigen Infrastruktur.24

Dies lässt sich am Beispiel der Erfahrungen im Bereich der Sicherheitssektorreform illustrieren. Die benannten Zielvorstellungen für Sicherheitssektorreformen entspringen einem westlichen Idealmodell. Die Umsetzung dieses Modells erfordert gesellschaftliche und politische Voraussetzungen, die nur selten gegeben sind. Lokale Akteure, wie etwa die großen Warlords in Afghanistan, machen scheinbar mit bei den Reformen im Sicherheitssektor, indem sie ihre Milizen in die staatlichen Streitkräfte eingliedern, sie achten aber darauf, dass diese Verbände unter der Führung loyaler Kommandeure zusammenbleiben und damit im Krisenfall wieder für die eigenen Interessen mobilisierbar sind.

Die Zukunft der Friedensmissionen

Die internationale Gemeinschaft der Truppensteller und Geber steht vor schwierigen politischen Entscheidungen. Sie muss entweder deutlich mehr Mittel, Geld und Personal für Nachkriegskonsolidierung mit hohem Anspruch aufbringen oder sie kann nur eine begrenzte Zahl von Operationen wie in Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Afghanistan durchführen. Gleichzeitig kann die internationale Gemeinschaft andere Fälle, in denen die „responsibility to protect“ gefordert ist, wie aktuell in der DR Kongo und in Darfur, nicht ignorieren. Das wäre angesichts des unlängst in den Vereinten Nationen vereinbarten moralischen Anspruchs der „Verantwortung zu schützen“ für ihre Glaubwürdigkeit fatal.

Was also tun, wenn nicht mehr Ressourcen für langfristige Friedenskonsolidierung zur Verfügung stehen? Meine Prognose ist, dass die internationale Gemeinschaft zunehmend auf die Installierung des Gesellschaftsmodells des „liberal peace“ verzichten und bereit sein wird, Mischformen traditioneller und demokratischer Herrschaft, aber auch halbautoritäre Regime oder „regulierte Anarchie“ zu akzeptieren. Friedensmissionen werden überwiegend „Feuerwehraktionen“ sein, langfristigorientierte Friedenskonsolidierung auf einzelne wenige Fälle beschränkt sein.

Daraus folgt die Prognose, dass die Erfolge bei der Reduzierung der Zahl von Kriegen ein temporäres Phänomen bleiben werden. Möglicherweise eröffnet ein weniger intensives externes Engagement aber zumindest in einigen Nachkriegssituationen auch neue Möglichkeiten für dauerhafte Friedensbildung. So werden gegenwärtig vorhandene traditionale Formen der Konfliktschlichtung durch massives externes Engagement eher verschüttet oder ganz übersehen.25 Und die Fixierung auf den Aufbau zentralstaatlicher Institutionen versperrt den Blick auf substaatliche und nichtstaatliche Institutionen, auch im Bereich des Schutzes vor Bedrohungen und der Schaffung von Sicherheit.

Zusammenfassung

Friedensmissionen haben Erfolge bei der Beendigung von bewaffneten Konflikten und Kriegen gehabt, insoweit hat es „Friedensexport“ gegeben. Auch in weiteren Fällen bewaffneter Konflikte können sie diesen Erfolg haben, etwa im Rahmen einer erweiterten Mission in Darfur. Das ist nicht wenig. Aber in vielen Fällen war dieser Erfolg nicht dauerhaft. Friedenskonsolidierung ist nach wie vor ein risikoreiches, häufig scheiterndes Unterfangen. Das Standardkonzept von Friedensmissionen mit hohen normativen Ansprüchen, aber letztlich trotz des hohen finanziellen Aufwands unzureichender finanzieller Ausstattung vor allem im zivilen Teil ist an seine Grenzen gestoßen und kann, ohne weit höheren Mittelaufwand, nicht über einzelne wenige Fälle hinaus erweitert werden.

Neue Konzepte der externen Unterstützung von Nachkriegskonsolidierung müssen entwickelt werden, mit verbesserter Koordination der verschiedenen Akteure, einer anderen Balance militärischer und ziviler Maßnahmen und vor allem stärkerer Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse und Ansätze zur Friedenskonsolidierung. Nur mit mehr Mitteln oder erfolgreichen neuen Ansätzen der Friedenskonsolidierung wird sich der für die letzten Jahren feststellbare Trend im Kriegsgeschehen fortsetzen lassen.

Prof. Dr. MICHAEL BRZOSKA, geb. 1953, ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).

  • 1http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/ Aussenpolitik/FriedenSicherheit-/Uebersicht.html.
  • 2Human Security Report 2005. War and Peace in the 21st Century, Human Security Center, University of British Columbia, Canada, Oxford 2005.
  • 3Birger Heldt und Peter Wallensteen: Peacekeeping Operations. Global Patterns of Intervention and Success, 1948–2004, Sandö: Folke Bernadotte Academy 2005.
  • 4Vgl. etwa Virginia Page Fortna: Does Peacekeeping Keep Peace? International Intervention and the Duration of Peace After Civil War, International Studies Quaterly, Juni 2004, S. 269–292.
  • 5Michael Doyle und Nicolas Sambanis: Making War and Building Peace, Princeton 2006.
  • 6Polity score von nicht unter 3.
  • 7Errechnet aus http://pantheon.yale.edu/~ns237/index/research/nonUN.pdf, Anhang zu Daten.
  • 8Fortna (Anm. 4) verzeichnet höhere Erfolgsraten für internationale Friedensmissionen, während Paul Collier, Anke Hoeffler und Mans Söderbom: On the Duration of Civil War (with Paul Collier and Måns Söderbom), Journal of Peace Research, 3/2004, S. 253–273, keinen Unterschied feststellen.
  • 9Nina Tschirgi: Post-Conflict Peacebuilding Revisited. Achievements, Limitations, Challenges, New York 2004, S. 1.
  • 10http://pantheon.yale.edu/~ns237/index/research/Oxford.pdf.
  • 11Siehe zur Begriffsgeschichte Michael Brzoska: Development Donors and the Concept of Security Sector Reform, DCAF Occasional papers, 3, Genf, November 2003.
  • 12Vgl. Edward Rees: Security Sector Reform (SSR) and Peace Operation: „Improvisation and Confusion“ from the Field, United Nations, Department for Peacekeeping Operations, New York 2006.
  • 13Council of the European Union, Political and Security Committee: EU Concept for ESDP Support to Security Sector Reform (SSR), 12566/05, 28 October 2005; European Commission, Communication from the Commission to the Council and the European Parliament: A Concept for European Community Support for Security Sector Reform, COM(2006) 253 final, 21 June 2006.
  • 14David Yost: NATO-EU Cooperation in Post-Conflict Reconstruction, NATO Defense College, Research Paper No. 25, Rome, December 2005.
  • 15Michael Brzoska und David Law (Hrsg.): Security Sector Reconstruction and Reform in Peace Support Operations, International Peacekeeping, Vol. 13, Nr. 1, 2006; Albrecht Schnabel und Hans-Georg Ehrhart: Security Sector Reform and Post-Conflict Peacebuilding, Tokio 2005; Bryden Alan und Heiner Hänggi (Hrsg.): Reform and Reconstruction of the Security Sector, Münster 2004. Anja H. Ebnöther und Philipp H. Fluri (Hrsg.): After Intervention: Public Security Management in Post-Conflict Societies – From Intervention to Sustainable Local Ownership, PFP Consortium Working Group on Security Sector Reform, Wien/Genf 2005.
  • 16Conflict, Security and Development Group, King’s College, London: A Review of Peace Operations: A Case for Change, Overall Introduction and Synthesis Report, London, 10.3.2003, S. 39.
  • 17Espen Barth Eide, Anja Therese Kaspersen, Randolph Kent und Karen von Hippel: Report on Integrated Missions: Practical Perspectives and Recommendations, Independent Study for the Expanded UN ECHA Core Group, New York, May 2005; Alberto Cutillo: International Assistance to Countries Emerging from Conflict. A Review of Fifteen Years of Interventions and the Future of Peacebuilding, Policy Paper, New York, February 2006; Nina Tschirgi: Post-Conflict Peacebuilding Revisited: Achievements, Limitations, Challenges, New York, October 2004.
  • 18http://www.kosovo.net/news/archive/ticker/2005/January_25/33.html.
  • 19Amy Belasco: The Cost of Iraq, Afghanistan, and Other Global War on Terror Operations Since 9/11, CRS, Washington, 24.4.2006.
  • 20Zahlen für Länder in 2004, nach eigenen Schätzungen aus verschiedenen Quellen, u.a. OECD, DAC, UNDP, Weltbank.
  • 21Paul Collier und Anke Hoeffler: Civil Wars, in: Keith Hartley und Todd Sandler: Handbook of Defence Economics, Amsterdam, im Erscheinen.
  • 22Cutillo (Anm. 17).
  • 23Siehe etwa Oliver P. Richmond: Understanding Liberal Peace, University of St. Andrews, 2006, und auf Staatsbildung fokussiert: Klaus Schlichte: Der Staat in der Weltgesellschaft, Frankfurt a.M. 2005.
  • 24Schlichte (Anm. 23), S. 284 ff.
  • 25Siehe etwa Volker Böge: Muschelgeld und Blutdiamanten – Traditionelle Konfliktbearbeitung in zeitgenössischen Gewaltkonflikten, Schriften des Deutschen Übersee-Instituts, Hamburg 2004.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2006, S.58‑67

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