Brief aus...

26. Juni 2023

Frauenpower am Tigris

Nach Jahrzehnten von Terror und Chaos im Irak kehrt langsam die Hoffnung zurück. Und die ist nicht nur grammatikalisch weiblich.

Bild
Bild: Zeichnung Bagdads
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Lange Jahre war der Irak isoliert, haben Kriege, Embargos und Terror das Land zerstört, die Menschen gelähmt. Die Schergen der Diktatur trieben viele außer Landes, die amerikanische und britische Besatzung und der Terror ebenfalls. 20 Jahre ist es her, dass die „Allianz der Willigen“ unter George Bush jun. in das Land zwischen Euphrat und Tigris einfiel, Saddam Hussein stürzte und den Irak ins Chaos trieb. Die Folgen der Besatzung sind auch heute noch lebendig. Und doch glimmt derzeit ein Silberstreif am Horizont, ein Hoffnungsschimmer, dass es mit dem Land jetzt endlich aufwärts geht. Mitten in diesem Aufbruch stehen die Frauen des Irak.

Da ist Rawan, eine junge Unternehmerin, die sich dem Umweltschutz verschrieben hat und Millionen Bäume im Irak pflanzen will. Mit ihrer Firma verkauft sie Setzlinge und liefert die Ratschläge, wie sie anwachsen und schnell zu CO2-Spendern werden können, gleich mit.

Da ist Alaa, eine Modedesignerin, die ihr eigenes Label entwickelt, eine Werkstatt und ein Atelier ihr Eigen nennt und mittlerweile fünf Angestellte hat.

Da ist Ghada, die den größten Medienkonzern des Irak leitet und zum Vorbild für viele Frauen geworden ist.

Und da ist Heidi, die mit ihren 24 Jahren die derzeit gefragteste Sologeigerin des Landes ist und nicht nur bei Konzerten im Rampenlicht steht, sondern auch in den sozialen Medien.

Und da ist nicht zuletzt Suhad, die mit ihrem Kulturzentrum im südirakischen Basra Dämme gebrochen hat, weil sie sich dem Dialog zwischen den Geschlechtern verschrieben hat.

Frau und jung zu sein, ist im Land derzeit sehr angesagt. Erfolgreiche Frauen werden hofiert, von alten Politikern und Würdenträgern dekoriert, von jungen Irakern bejubelt und als Ikonen gefeiert. Organisationen von vorgestern erneuern sich mit Frauenkomitees, Chat-Gruppen für Frauen entstehen, Frauentreffs für fast jede Berufsgruppe. Frauenrechtlerinnen wie die vor 100 Jahren in Bagdad geborene Schriftstellerin Nazik al-Malaika feiern eine Renaissance. Zu ihrem Gedenkabend kommen alle, die im Irak derzeit Rang und Namen haben, auch wenn sie sich zuvor jahrelang als Unterdrücker der Frauen hervorgetan haben.



Die Sitten der Schiiten

Es war eine Achterbahnfahrt, die die Frauen des Irak in den vergangenen 20 Jahren erlebt haben. Die Diktatur unter Saddam Hussein richtete sich nicht gegen das weibliche Geschlecht: Sie richtete sich einfach gegen all jene, die Saddams Macht infrage stellten. Die ließ er gnadenlos verfolgen, auch die Frauen. Trotzdem sagen heute viele, dass es unter dem Gewaltherrscher besser um die Frau in der Gesellschaft bestellt war als unter den Regierungen, die danach kamen. Den Hidschab, das alle Haare verdeckende Kopftuch, trugen damals nur die religiösen Frauen.

Allerdings habe Saddam, so schränken die meisten Beobachter ein, nach der Niederlage im Kuwait-Krieg eine Wende hin zur Religion vollzogen. Plötzlich war der Hidschab angesagt. Dieser Trend verstärkte sich, als nach der US-Invasion 2003 die religiösen Hardliner die Wahlen gewannen, in Parlament und Regierung einzogen und das Machtvakuum füllten.

Mit an vorderster Front standen die Exiliraker, die aus dem Iran zurückkamen und die Sitten der schiitischen Mullahs einführten. Die Südmetropole Basra wurde damals als „Stadt der Pinguine“ bezeichnet, wegen der Frauen in schwarzem Umhang (Abbaja) und schwarzem Schleier mit weißem Stirnband. Auch die Christinnen passten sich den Gepflogenheiten an und verhüllten sich schwarz.

Die sunnitischen Extremisten von Al-Kaida verschärften die Regelungen für, oder besser: gegen Frauen weiter. Autofahren war nicht mehr erlaubt, nackte Haut wurde zum absoluten Tabu. So wurde selbst Inana, die Göttin der antiken Sumerer vor 5000 Jahren, die nackt dargestellt wird, verhüllt oder aus der Öffentlichkeit verbannt. Bücher und Publikationen wurden auf religiöse Inhalte und Bebilderungen überprüft und nicht selten vom Markt genommen.

Manche Frauen waren durch diese neue Situation so eingeschüchtert, dass sie monatelang das Haus nicht mehr verließen. Dann kam die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), den die Iraker Al-Kaida 2.0 nennen, was die Situation abermals verschärfte. Auch die häusliche Gewalt nahm in diesen Jahren zu. Der gesellschaftliche Druck auf die Frauen im Irak wurde unerträglich.

Die Befreiung vom IS im Jahre 2017 war auch eine Befreiung für die Frauen. Der Einfluss der Religiösen schwindet seither kontinuierlich, die Scheidungsraten steigen rasant und die Frauen drängen auf Unabhängigkeit. Immer mehr von ihnen arbeiten, immer mehr entscheiden sich gegen den Hidschab, wollen alleine leben, stellen Autoritäten infrage.

Wenngleich die Protestbewegung, die 2019 und 2020 auch im Irak Massen von jungen Menschen auf die Straßen trieb, vorerst gescheitert ist, so geht doch die Revolution innerhalb der Gesellschaft weiter. „Wir lassen uns nicht mehr die Butter vom Brot nehmen“, hört man allenthalben von Mossul bis Basra. Die gesellschaftlichen Veränderungen seien nicht mehr rückgängig zu machen, waren sich die Teilnehmerinnen der Frauenkonferenz in Bagdad im Mai sicher. Jetzt wollen sie ein Gesetz durchs Parlament bringen, das Gewalt an Frauen unter Strafe stellt. Ob sie damit durchkommen, ist eine andere Frage. Doch schon die Tatsache, dass ein solcher Antrag überhaupt eingebracht wird, dokumentiert ein neues Bewusstsein: Sie zeigt, wie weit die Frauen im Irak gekommen sind.

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2023, S. 114-115

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren

Birgit Svensson berichtet als freie Journalistin aus dem Irak, u.a. für die Welt, die ZEIT und Deutschlandradio.

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.