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01. März 2019

„Finnland grübelt, Dänemark verkauft“

Wie man in Nordeuropa gute Geschäfte machen kann – und mit wem

Der Blick gen Norden ist für Deutschlands Unternehmer in jeder Hinsicht naheliegend. Quasi nebenan liegen fünf Länder, die für Verkäufer und Investoren fast ideale Bedingungen bieten. Doch wer die Skandinavier über einen Leisten schlägt, irrt ebenso wie der, der hier auf „deutsche Tugenden“ setzt. Ein Gespräch mit dem Unternehmensberater Benny Egholm Sørensen.

IP: Herr Egholm Sørensen, Sie beraten seit 25 Jahren Unternehmen aus Deutschland, die in Skandinavien investieren wollen. Was sind die größten Fehler, die deutsche Firmen machen, wenn sie den Schritt nach Norden wagen?
Benny Egholm Sørensen: Die Deutschen bereiten sich traditionell sehr ausführlich auf neue Märkte vor – nur die kulturellen Unterschiede unterschätzen sie zuweilen völlig. Wenn man mit seinem Unternehmen nach China geht, dann versteht es sich von selbst, vorher Informationen einzuholen, wie die Chinesen so ticken. Bei Skandinavien tut man das nicht. Vielleicht, weil man dort im Urlaub war und die Menschen nett fand und zuvorkommend und denkt, mit denen wird man sicher problemlos Geschäfte machen können. Tatsächlich gibt es aber ein paar ganz wesentliche Kulturunterschiede, auf die deutsche Unternehmer sich vorbereiten müssen.
 

IP: Zum Beispiel?
Egholm Sørensen: Vor allem ist der Glaube, dass man die so genannten „deutschen Tugenden“ eins zu eins auf Skandinavien übertragen kann, ein Irrtum. Mit dieser konfrontativen und hierarchischen Art kommt man hier nicht weit. In Dänemark etwa gelten ganz andere Gesetze. Bei uns geht es nicht zuvorderst um Geld, um den Preis, sondern um Zuverlässigkeit, um Diskussionen auf Augenhöhe, um flache Hierarchien. Und danach kommt irgendwann an dritter oder vierter Stelle die Frage nach dem Preis.

IP: Sie haben einmal von einer „femininen Gesellschaftsstruktur“ gesprochen …
Egholm Sørensen: Wir Skandinavier gehen sehr sozial miteinander um. In Deutschland mündet eine Diskussion oft in eine Konfrontation, in einen Rechtsstreit, in eine Schlägerei. Wir dagegen diskutieren über die Vor- und Nachteile und finden gemeinsam eine Lösung, bei der wir uns in der Mitte treffen. Das ist nicht der männliche Part – der will mit dem Kopf durch die Wand; der will gewinnen. Wir leben unsere feminine Seite auch in der Familie aus. Wenn ein Unternehmer aus Deutschland nach Dänemark kommt und am Freitagnachmittag mit dem Geschäftsführer sprechen will, dann kommt es schon mal vor, dass der ihn vertröstet – er müsse jetzt leider die Kinder abholen, der Gast möge doch mit seinem Stellvertreter sprechen. Der Deutsche ist natürlich erbost, aber der Däne geht nach Hause, kauft vorher noch ein, kocht vielleicht für seine Familie und so weiter.
 

IP: Und die deutschen Firmen, die erfolgreich in Skandinavien sind, was machen die richtig?
Egholm Sørensen: Eine typische Erfolgsgeschichte wäre die der Firma Sennheiser aus Wennebostel bei Hannover, einem Unternehmen der Audioindustrie. Die haben ihr Skandinavien-Hauptquartier seit 2006 im dänischen Holte in der Nähe von Kopenhagen. „Sennheiser Nordic“ ist zum großen Teil an die Stelle der früheren unabhängigen Vertragspartner in den skandinavischen Ländern getreten. Ich würde nach meinen Erfahrungen fast immer empfehlen, das Headquarter für Skandinavien in Dänemark zu errichten. Ein Däne kann in Schweden verkaufen, aber ein Schwede kann nicht in Dänemark verkaufen. Zudem ist es nicht nur steuerlich von Vorteil, sein Basislager in Dänemark aufzuschlagen – wir haben auch weder Arbeitgeberanteile an den Gehältern noch Kündigungsschutz. Wir haben das Flexicurity-Modell, eine Art Kompromissformel für den Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Und: Man kann bei uns eine Firma in zweieinhalb Stunden gründen, online, ohne Notar. Alles, was man dafür braucht, sind ein paar Tausend Euro Startkapital.
 

IP: Wie ist das bei Sennheiser weitergegangen?
Egholm Sørensen: Von Kopenhagen aus hat die Firma Filialen im Baltikum, in Schweden, in Norwegen, Finnland, Großbritannien und Irland gegründet. Sie hat aber auch Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung aus Deutschland nach Kopenhagen geholt und sich hier an den weltweit führenden Akustik-Cluster angedockt, mit einem Joint Venture und 180 Mitarbeitern. Daneben beschäftigt Sennheiser in Skandinavien 48 Mitarbeiter, davon 25 in Kopenhagen. Die Firma hat es geschafft, dänische Kultur in ein deutsches Unternehmen zu integrieren.

IP: Sie sagen, ein Däne kann in Schweden verkaufen, aber ein Schwede kann nicht in Dänemark verkaufen. Warum nicht?
Egholm Sørensen: Vereinfacht gesagt, kann man in Finnland gut entwickeln, in Schweden gut produzieren und in Dänemark gut verkaufen. Die Dänen sind kreativ und dynamisch. Schnelle Entscheider. Verkaufstalente. Die Finnen dagegen sind ausgesprochen nachdenkliche Menschen. Wenn man sich mit ihnen unterhält, hat man zuweilen den Eindruck, sie seien nicht ganz bei der Sache. Dabei denken sie nur sehr gründlich darüber nach, was man gerade gesagt hat. Ideale Voraussetzungen fürs Entwickeln. Die Schweden sind besonders gut im Produzieren. Allerdings muss man wissen – gerade wenn man aus Deutschland kommt –, dass sie dabei sehr konsensorientiert vorgehen. Da können Sie nicht sagen, dass ist jetzt eine Entscheidung des Chefs oder einer Mehrheit. Alle, die irgendwie mit dem Prozess zu tun haben, müssen zustimmen. So etwas verstehen die Deutschen natürlich nicht.

IP: Und die Norweger, die Isländer?
Egholm Sørensen: Die Norweger sammeln das Geld ein. Die Menschen dort haben so viel Geld, dass sie vergleichsweise langsam entscheiden – das macht die Innovationsprozesse weniger dynamisch. Island spielt als Investitions­standort noch keine ganz so große Rolle.

IP: Wie würden Sie die Deutschen als Unternehmertypen beschreiben?
Egholm Sørensen: Die Deutschen schauen sich alles genau an und sagen irgendwann: „Das ist ein interessanter Markt – lasst uns eine große Marktanalyse durchführen. Und wenn wir das gemacht haben, dann machen wir nochmal eine Analyse. Anschließend machen wir einen ganz konkreten Maßnahmenplan, und dann, ja dann fangen wir an. Und wenn es dann rollt, rollt es auch richtig.“ Das Problem: Während die Deutschen noch überlegen, wie sie vorgehen, sind die anderen oft schon da.

IP: Welche Anforderungen stellen die Verbraucher im Norden an Produkte oder Dienstleistungen? Gibt es da große Unterschiede zu Deutschland?
Egholm Sørensen: Sie sprechen ja in Deutschland oft von Ihrem Land als „Service-Wüste“. Die Deutschen haben es also besonders schwer einzuschätzen, was man in Skandinavien an Erwartungen an Service hat. Und die Erwartungshaltung ist hoch! Ein Unternehmen etwa der Telekommunikation, das seine Kunden ein gutes Jahr auf die Folter spannt, bis es eine Anfrage bearbeitet, würde hier nicht lange überleben. Vor allem erwartet man einen hohen Grad an Digitalisierung – die nordischen Länder liegen da ja ganz vorne. Und wenn Sie in die Supermärkte schauen, da werden Sie feststellen, dass die Produkte um einiges ansprechender verpackt sind. So etwas ist den Verbrauchern wichtig, der Preis nicht ganz so. Das Gleiche gilt für das Stichwort „Ökologie“ …

IP: Da halten sich die Deutschen ja auch für vorbildlich.
Egholm Sørensen: Verglichen mit Nordeuropa sind sie es nicht. Schauen Sie sich mal die Gemüseabteilungen in Deutschland an, da haben Sie in der Regel eine ziemlich kleine Abteilung für ökologische Produkte. Natürlich, diese Abteilungen werden größer – aber in Skandinavien gibt es gar keine anderen mehr, weil die Verbraucher nur noch Öko-Ware wollen. Auch, weil man es sich leisten kann, die Kaufkraft ist hoch. Wir haben also ganz andere Entscheidungsparameter für den Einkauf. Man muss sich als Anbieter bemühen, stärker auf Qualität denn auf Masse zu setzen.

IP: Schauen wir mal in die andere Richtung. Was lockt nach Ihrer Erfahrung skandinavische Investoren und Unternehmen nach Deutschland?
Egholm Sørensen: Wenn wir mit Dänemark anfangen, so gehen knapp 25 Prozent unserer Exporte nach Deutschland. Warum? Weil es ein riesiger Markt ist, der direkt vor unserer Haustür liegt. Aber es gibt ja immer ein „Aber“ bei allem, sagt der Däne. Auch beim dänischen Blick auf Deutschland haben Sie wieder eine ganz ähnliche Problematik wie die, über die wir eingangs sprachen …

IP: Die dänische Kulturbrille?
Egholm Sørensen: Genau. Die Dänen gehen mit der Erwartung nach Deutschland, dass die Leute so gut Englisch sprechen wie sie. Irrtum! In Deutschland hört man weder in der Schule vernünftiges Englisch noch im Fernsehen. Bei den Jüngeren ist das deutlich besser als bei der Generation 50+, aber insgesamt ist das für die Dänen unbegreiflich. Unbegreiflich, dass man Broschüren nicht auf Englisch machen kann, dass das auf Deutsch sein muss.

IP: Und wenn es um das Thema Digitalisierung geht …
Egholm Sørensen: Das Gleiche! Wir glauben, Deutschland sei ein modernes Land – das ist es ja auch in mancherlei Hinsicht –, aber bei der Digitalisierung hinkt man in einer Weise hinterher, die sich bei uns niemand vorstellen kann. Die Dänen führen ihr Geschäft übers Handy. In Düsseldorf oder Berlin kann ich nicht mal mit Karte bezahlen, wenn ich in die Parkgarage fahre! Und das ist ja noch nicht alles. Die Firmengründung dauert länger, bei den Gehältern muss ich einen erheblichen Arbeitgeberanteil einkalkulieren und so weiter und so fort. Von der Bürokratie ganz zu schweigen. Skandinaviens öffentliche Behörden sind kundenorientiert. Wenn ich um 22 Uhr eine Mail ans Amt schreibe, bekomme ich sofort eine Antwort. In Deutschland schwer vorstellbar.

IP: Schweden und Dänemark sind EU-Mitglieder, Finnland hat den Euro, Norwegen und Island sind noch eher außen vor. Die Diskussion über Finanzkrise und Brexit wird ja auch im Norden aufmerksam verfolgt. Mit welchem Ergebnis?
Egholm Sørensen: Insgesamt ist die Stimmung in den Bevölkerungen eher pro Europa. Wenn Sie jetzt in Schweden und Dänemark eine Volksabstimmung machten, dann käme ein Votum für „Drinbleiben“ heraus. Als abschreckendes Beispiel funktioniert das hervorragend, was Großbritannien sich da gerade antut. Ein Beitritt zur Eurozone steht dagegen derzeit nicht zur Debatte. Wenn wir uns den Fall Griechenland anschauen, sagen wir in Skandinavien: „Oh ja, macht mal, finanziert das ruhig. Wir machen da nicht mit.“ Heute sind wir in Dänemark heilfroh, dass wir im Jahre 2000 „Nein“ zum Euro gesagt haben. Wir Skandinavier tendieren dazu, uns das alles anzuschauen und ein bisschen außen vor zu bleiben. Stärker annähern wollen wir uns lieber nicht. Noch nicht.

Benny E. Sørensen ist Leiter des Auslandsbüros des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft in Silkeborg/Dänemark und Geschäftsführer bei der Beratungsfirma SØRENSEN – Connecting Markets.

Die Fragen stellten Uta Kuhlmann und Joachim Staron

Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 01, März - Juni 2019, S. 52-55

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