Feigheit vor dem Volk
In Sachen Golfmission stößt die Regierung lieber Verbündete vor den Kopf
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: „Die Rolle Irans im Nahen und Mittleren Osten bleibt problematisch. Wir haben Sorge wegen des ballistischen Raketenprogramms und Irans Aktivitäten in seiner Nachbarschaft. Hierzu wollen wir gemeinsam mit unseren Partnern Politikansätze entwickeln.“
Nach 40 Jahren Mullah-Diktatur „Politikansätze entwickeln“ zu wollen, klingt nicht gerade ambitioniert. Seitdem sind aber nicht einmal Ansätze von Ansätzen entwickelt worden.
Mangels Ansätzen sollte man sich wenigstens an Grundsätze halten. Etwa an diesen: „Ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit muss auch wissen, dass im Zweifel, im Notfall, auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege …“ So Bundespräsident Horst Köhler im Mai 2010. Das Aussprechen dieser Selbstverständlichkeit kostete ihn freilich den Job.
Als nun iranische Revolutionsgarden westliche Tanker in der Meerenge von Hormus attackierten, rief US-Präsident Donald Trump nach einer Koalition der Willigen, um diesen wichtigen Handelsweg zu sichern. Die Briten waren schnell dabei. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hätte gern mit einer eigenständigen europäischen Präsenz Flagge gezeigt.
Anstatt sich aber zu freuen, dass Trump endlich den Wert der Verbündeten entdeckt; anstatt Europas Fähigkeiten nicht nur den Iranern, sondern auch den scheidenden Briten zu demonstrieren, kniff Angela Merkel. Auf Druck Berlins musste sich Macron mit einer europäischen „Beobachtermission“ zufriedengeben. Dabei ist klar, wer der Aggressor ist. Ihn gilt es abzuschrecken, nicht bei seiner Aggression zu beobachten. Man wäre froh, wenn hinter dieser Kapitulation wenigstens eine Strategie steckte, und wenn es eine falsche wäre. In Wirklichkeit geht es Merkel gar nicht um den Persischen Golf, sondern um den deutschen Osten.
Schon vor neun Jahren ließ das schwarz-gelbe Kabinett Merkel II lieber den Bundespräsidenten wegen seiner Befürwortung von Militäreinsätzen über die Klinge springen, als dem Volk die Wahrheit zu sagen: Köhler hat recht. Vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen will das schwarz-rote Kabinett Merkel IV lieber die Partner vor den Kopf stoßen, als dem Volk die Wahrheit zu sagen: Trump und Macron haben recht. Merkels Problem ist nicht Feigheit vor dem Feind, sondern Feigheit vor dem Volk.
Alan Posener ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der WELT-Gruppe.
Internationale Politik 5, September/Oktober 2019, S. 144