Kommentar

25. Juni 2021

Faire Regeln für alle statt Digital-Strafsteuer

Ein Kommentar vor dem Hintergrund aggressiver Steuervermeidung vor allem durch Digitalkonzerne. 

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Bild: Grafische Illustration eines Schwertes dessen Spitze in einen Stift übergeht
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Der Kampf gegen aggressive Steuervermeidung durch große, international operierende Unternehmen beschäftigt die internationale Gemeinschaft schon viele Jahre. Fast alle Staaten stimmen darin überein, dass gegen künstlich anmutende Gewinnverlagerungen, die dazu führen können, dass Unternehmen nur sehr geringe Steuerbeträge zahlen, vorgegangen werden muss. Dazu haben die OECD sowie die G20 das sogenannte BEPS-Projekt (Base Erosion and Profit Shifting) ins Leben gerufen, das auf der Grundlage eines 2013 vorgelegten Aktionsplans zahlreiche Maßnahmen zur Bekämpfung aggressiver Steuervermeidung angestoßen hat.

Die Diskussion hat sich in den vergangenen Jahren besonders auf die großen amerikanischen Digitalkonzerne Google, Amazon, Facebook und Apple (die sogenannten „GAFAs“) eingeschossen. Diese machten in Deutschland und der EU insgesamt hohe Umsätze, zahlten aber nur verschwindend geringe Steuern in ihren Heimatländern. Als Antwort auf dieses Problem wird eine Digitalsteuer vorgeschlagen: Dort, wo die Digitalwirtschaft ihre Geschäfte macht, müsse sie auch ihren fairen Anteil an Steuern zahlen, so der Gedanke.



In der Tat kann es nicht angehen, dass der Mittelständler vor Ort seine Steuern ordnungsgemäß abführt, während es große Milliardenkonzerne schaffen, auf teilweise winzige Steuersätze und Steuerbeträge zu kommen. Durch Pandemie und Lockdown, die dem lokalen Einzelhandel extrem zugesetzt haben, hat diese Diskussion noch einmal an Brisanz und Gewicht gewonnen.

Da den Anhängern der Digitalsteuer die laufenden Gespräche über internationale Steuerregeln in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Gruppe der 20 größten Industrienationen (G20) zur angemessenen Besteuerung multinationaler Unternehmen oftmals zu lange dauern, fordern viele von ihnen die Einführung einer Digitalsteuer auf nationaler oder europäischer Ebene. Dazu werden zwei Grundmodelle diskutiert: erstens eine Sondersteuer auf den Umsatz für bestimmte digitale Dienstleistungen und zweitens die Fiktion einer digitalen Betriebsstätte, die für die Besteuerung nicht mehr allein am Ort der Wertschöpfung, sondern am Wohnort des Nutzers ansetzt.



Obszöne Praktiken der Steuervermeidung

Doch diese Diskussion krankt an einem grundlegenden Missverständnis: Aggressive Steuervermeidung durch Gewinnverlagerung ist keinesfalls nur ein Problem der Digitalwirtschaft. Dazu muss man sich nur andere prominente Fälle wie Starbucks oder IKEA vergegenwärtigen, die als Café-Kette und Möbelhaus für klassische analoge Geschäftsmodelle stehen. Einen Teil des Problems hat der damalige US-Präsident Donald Trump bereits im Jahr 2018 durch seine Steuerreform gelöst. Auch die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat sich im Kampf gegen Steuerdumping in der EU verdient gemacht und durch strikte Anwendung der EU-Beihilferegeln einige obszöne Praktiken der Steuervermeidung in Europa abgestellt. Wir benötigen aber weiterhin effektivere globale Regelungen gegen Gewinnverlagerungen – und das unabhängig vom Geschäftsmodell eines Unternehmens. Auch ein moderater globaler Mindeststeuersatz, wie ihn US-Präsident Joe Biden vorgeschlagen hat und ihn auch die G7-Finanzminister auf ihrem jüngsten Treffen befürwortet haben, kann dazu einen Beitrag leisten.



Die Vorschläge für eine gesonderte Digitalsteuer verdienen dagegen keine Unterstützung. Eine umsatzbasierte Digitalsteuer würde, wie es bei Umsatzsteuern üblich ist, an die Verbraucher weitergegeben. Diese müssten dann für die Nutzung von Angeboten im Internet mehr zahlen. An der Problematik der kreativen Gewinnverlagerung durch einige Unternehmen würde sich hierdurch gar nichts ändern.



Eine Neudefinition des Begriffs der Betriebsstätte ist ebenfalls keine Option. Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Wertschöpfung stattfindet. Die Nutzer eines digitalen Angebots durch rechtliche Fiktion zur Betriebsstätte eines Unternehmens zu deklarieren, ist schon begrifflich abwegig. Im Kern ist diese Idee ein alter Hut: Wenn ein Unternehmen seine Leistung an Bürger eines anderen Staates erbringen möchte, verlangt dieser Staat von dem Unternehmen eine Art Eintrittsgeld. Im Warenverkehr nennt man es Zoll, im Internet soll es nun als virtuelle Betriebsstätte bemäntelt werden. Wir brauchen aber keine neuen Zölle, egal wie sie heißen, sondern das Gegenteil: offene Grenzen für Waren und Dienstleistungen.



Im Übrigen darf man sich nicht täuschen: Wenn der deutsche oder europäische Gesetzgeber meint, sich über welche Konstruktion auch immer Steueraufkommen der großen US-Digitalunternehmen an Land ziehen zu können, dann werden die USA auch unter Präsident Biden mit harten Maßnahmen gegen die europäische Wirtschaft reagieren. Das letzte, was wir für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg nach der Pandemie brauchen, sind transatlantische Wirtschaftskonflikte. Diese würden auf beiden Seiten nur Verlierer produzieren. Arbeitsplätze und Steueraufkommen in Deutschland und Europa dürften sich dadurch jedenfalls nicht vermehren lassen.



Daher ist es zu begrüßen, dass die G7-Finanzminister sich bereits grundsätzlich auf eine globale Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne von 15 Prozent geeinigt haben. Weniger positiv fällt das Urteil über eine andere Komponente dieser Einigung aus, nämlich die vorgeschlagene internationale Neuverteilung von Besteuerungsrechten: Unabhängig vom Wirtschaftszweig sollen aus Sicht der G7-Finanzminister multinationale Unternehmen mit einer Gewinnmarge von mindestens 10 Prozent künftig nicht mehr nur am Unternehmenssitz Steuern zahlen. Ein Fünftel der Gewinne oberhalb dieser Marge soll in den Absatzstaaten besteuert werden.



Diese beiden Punkte werden in der OECD seit Jahren unter den Stichworten „Säule 1“ (Neuverteilung von Besteuerungsrechten) und „Säule 2“ (globale Mindeststeuer) diskutiert. Diese Regelung ähnelt dann doch sehr dem Modell einer virtuellen Betriebsstätte. Sie ist rein fiskalisch motiviert und wird die Besteuerung von Unternehmen noch komplizierter machen. Gerade bei besonders aggressiven Steuervermeidungsstrategien wird sie nur wenig ändern. Exportorientierte Länder werden auf Steuereinnahmen verzichten müssen, obwohl die Wertschöpfung zweifelsfrei bei ihnen stattgefunden hat. Daher sehe ich die Zustimmung der Bundesregierung zu dieser Komponente der Einigung überaus kritisch.



Im Juli stehen bereits die Verhandlungen im größeren Kreis der G20 an. Wenn die Befürworter einer nationalen oder europäischen Digitalsteuer ihre Pläne angesichts der G7-Einigung endgültig zu den Akten legten, wäre auf dem Weg zur Einigung schon viel gewonnen. Die Umsetzung einer globalen Mindeststeuer darf nicht an solchen Alleingängen scheitern. Aggressive Steuervermeidung können wir nur verhindern, wenn die großen Wirtschaftsmächte an einem Strang ziehen.



Die Bundesregierung muss im laufenden Einigungsprozess eine konstruktive Rolle spielen, sollte aber berücksichtigen, dass die Vereinbarung der G7 zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten enorme Risiken für Deutschland birgt. In den weiteren Verhandlungen zur genauen Ausgestaltung der beiden Säulen muss Berlin dafür Sorge tragen, dass das deutsche Steuersubstrat nicht angegriffen wird.

 

Dr. Florian Toncar ist parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2021, S. 108-109

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