Porträt

29. Aug. 2022

Es bleibt in der Familie

Der Clan des früheren philippinischen Diktators Ferdinand Marcos ist seit Jahrzehnten auf einem Kreuzzug, um den Glanz der Dynastie wieder herzustellen. Jetzt hat er es geschafft: Ferdinand Marcos Junior ist seit dem 30. Juni Präsident der Philippinen.

 

Bild
Bild: Porträt von Ferdinand Marcos Junior während einer Rede
Rückkehr: Dass er einmal Präsident würde, hatte man Ferdinand Marcos Jr. schon an der Wiege gesungen. Jetzt ist er in den Palast eingezogen, in dem er aufgewachsen ist.
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Als Ferdinand „Bongbong“ Marcos ein Kind war, da rief sein Vater, der Diktator Ferdinand Marcos Senior, zur Bewaffnung der Philippinen ein ehrgeiziges Raketenprogramm ins Leben. Der erste erfolgreiche Start gelang mit einem Raketentyp, den Vater Marcos nach seinem Sohn benannte: Bongbong.



Bereits ein paar Jahre zuvor war Bongbong in dem Film „Man of Destiny“ aufgetreten, einem Propaganda-Streifen über seinen Vater, in dem der Sohn vor seiner Familie eine Rede hielt: „Liebe Freunde, meine Damen und Herren, ich bin Bongbong Marcos. Wenn ich erwachsen bin, dann will ich Politiker werden.“



Und warum auch nicht? Kaum, dass Bongbong Anfang 20 war, hievte sein Vater ihn ins Amt des Vizegouverneurs, dann des Gouverneurs in seiner Heimatprovinz Ilocos Norte. Damit war der Grundstein für eine Karriere gelegt, die ihn bis ganz nach oben führen sollte.



Windeln voller Diamanten

Aber die Laufbahn fand ein jähes Ende. 1986, Bongbong war damals 29 Jahre alt, jagte die ­People Power Revolution seinen Vater aus dem Amt und zwang die Familie zur Flucht ins Ausland. Bongbongs Mutter Imelda erzählte später, dass sie damals Diamanten in Windeln wickelte, um sie ins US-Exil auf Hawaii zu schmuggeln. Nicht, dass sie darauf angewiesen gewesen wäre. Insgesamt soll der Marcos-Clan zehn Milliarden US-Dollar bei­seite geschafft haben.



Auf den Philippinen richtete man gleich 1986 eine staatliche Kommission ein, um das zusammengestohlene Vermögen der Marcos-Familie aufzuspüren. Die Kommission gibt es noch immer. Bongbong und seine Familie haben auch heute noch sehr tiefe Taschen.

Immerhin: 1986 war man Marcos Senior und seine Gattin Imelda endlich los. Die Prunksucht des Paares ging so weit, dass sie einen Zug ins Märchenhafte hatte. Wer erinnert sich nicht an die Nachricht von den 3000 Paar Designerschuhen, die man nach ihrer Flucht im Palast des Präsidenten fand? Auch die ehrgeizigen Kinder des Clans war man los, dazu die Nichten, Neffen, Cronies und Spezis jeder Art, die Politik und Wirtschaft der Philippinen dominiert hatten.



In den Jahren 1986 bis 1990 wehrten sich die alten Netzwerke mit nicht weniger als acht Putschversuchen, die unter so abenteuerlichen Namen bekannt wurden wie dem „God Save the Queen Plot“ und dem „Zwischenfall vom Schwarzen Samstag“. Letztlich konnte die neue Präsidentin Aquino die Macht der alten Dynastien nicht brechen. Aber wenigstens waren die Marcos nicht mehr dabei. Schon bald waren sie so weit entfernt, dass sie keine Rolle mehr spielten – so schien es jedenfalls.



Immerhin kein Irrer

So kann man sich täuschen. Knapp 40 Jahre, nachdem Ferdi­nand Marcos Senior mit seiner Familie geflohen war, ist sein Sohn Bongbong wieder in nämlichen Präsidentenpalast eingezogen, in dem er aufgewachsen ist. Soweit abzusehen, hat Bongbong kein politisches Programm. Das Wesentliche ist die Familie. Immerhin, ein paar Hinweise gibt es doch: So machte Bongbong die Ernährungssicherheit zur Chefsache. Dass es auf den Philippinen genug zu essen gibt, zu Preisen, die auch die Leute in Slums bezahlen können, versteht sich nicht von selbst. Allein in Metro Manila (etwa 20 Millionen Einwohner) leben nach einer Schätzung von 2018 rund vier Millionen Menschen in Slums. Ob der Reis bezahlbar bleibt, das ist die Frage, an der Bongbong sich in der Gunst seiner Wähler bewähren oder an der er scheitern wird.



Es gibt auch einen echten Silberstreif am Horizont. „Nach den Duterte-Jahren starten wir hier auf sehr, sehr niedrigem Niveau“, sagt der philippinische Publizist Richard Heydarian. „Es ist zu erwarten, dass Bongbong weniger schlecht sein wird als sein Vorgänger.“ Dieser Vorgänger war Rodrigo Duterte, ein Mann, der auftrat wie ein gewaltbereiter Irrer. „Dutertes Markenzeichen war, konsequent gegen alle grundlegenden Umgangsformen zu verstoßen“, so Heydarian.



Und das war noch das kleinste Problem. Denn vor allen Dingen machte Duterte einen „Drogenkrieg“ zum Kernstück seiner Politik, der die Polizei ermächtigte, jeden des Drogenhandels Verdächtigen auf bloßen Verdacht hin zu erschießen. Der Body Count beläuft sich, so schätzt Human Rights Watch, auf etwa 12 000 Tote. Das übertrifft die Anzahl der dokumentierten Todesopfer der Marcos Senior-Diktatur um mehr als das Dreifache.



Diktatur als goldenes Zeitalter

Anders als Duterte pflegt Bongbong einen „nostalgischen Populismus“, der charmante Umgangsformen betont. „Schon wie Bongbong redet, die altmodischen Formulierungen, die er verwendet“, sagt Heydarian. „Die Leute mögen das.“



Andererseits: 2016 finanzierte die Marcos-Familie den Wahlkampf für den Gewalttäter Duterte. Der Deal war, dass Bongbong dafür sein Vize wird. Dazu ist es nicht gekommen; auf den Phi­lippinen wird auch der Vizepräsident direkt gewählt. Bongbong scheiterte damals knapp. Dafür ist nun Dutertes Tochter Bongbongs Vizepräsidentin. Auf den Philippinen bleibt eben immer alles in der Familie.



Auch außenpolitisch ist das meiste unklar. Philippinischen Zeitungen ist zwar zu entnehmen, die neue Regierung werde sich weniger vorbehaltlos an China anlehnen als ihre Vorgänger im Amt und stattdessen alte Verbindungen nach Amerika neu beleben. Aber Tatsache ist auch, dass der neue Präsident noch am Tag seiner Amtseinführung für mehr als ein halbes Dutzend Kabinettsposten keine Namen nennen konnte, darunter auch für den des Außenministers.



Dafür erließ Bongbong gleich am Inaugurationstag eine Verordnung zur Abschaffung der Antikorruptionskommission des Präsidenten. Der Grund: Man wolle mehr „Sparsamkeit und Effizienz“ in der Bürokratie erzielen. So eine Maßnahme erfordert schon Chuzpe. Mit der gleichen Unverfrorenheit ist es den Marcos in einer jahrelangen Kampagne gelungen, die jüngere Geschichte des Landes umzudeuten.



Die Diktatur war demnach kein Fehlschlag, sondern ein goldenes Zeitalter. Die darauf folgenden Jahrzehnte der Demokratie hätten dagegen wenig mehr geleistet, als das goldene Zeitalter abzuwracken. Um diese Geschichte zu etablieren, brauchte es eine wahre Fake-News-­Lawine. Bei Facebook gelten die Philippinen als „Patient null“, als weltweit erster Fall einer durch soziale Medien übertragenen Fake-News-Epidemie, in der alle Seiten sich gegenseitig der Lüge und Korruption bezichtigen.



Alles nur eine Schmutzkampagne der Marcos also? Damit würde man es sich zu leicht machen. Ein Grund, aus dem das Marcos-Narrativ so populär werden konnte, ist der Unmut vieler Bürger gegen den Klüngel der mächtigen Familien, der eben auch nach dem Sturz von Marcos Senior dominant blieb.



Über Jahrzehnte machte sich das Gefühl breit, da werde ein abgekartetes Spiel gespielt. Der Verdacht erhärtete sich, dass man in einer „Eliten-Demokratie“ lebe, wie ein Schlagwort lautet, das auf den Philippinen die Runde macht. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Ironie liegt nur da­rin, dass ausgerechnet ein Marcos sich als Volksheld präsentiert.



Wie man so ein Kunststück vollbringt, das weiß niemand besser als die Matriarchin der Dynastie, Imelda Marcos. „Wenn ich die Slums besuche, dann mache ich mich immer besonders schön“, sagte sie kürzlich in einem Fernsehinterview. „Die Armen suchen nach einem Stern, wenn die Nacht am dunkelsten ist“. So ein Stern ist sie, so einer ist ihr Sohn. Und dann äußerte die alte Dame, gekleidet in eine Art Schneewittchenkostüm und auf ihrem von goldenen Ornamenten überwucherten ­Empire-Sofa sitzend, eine seltsame Tiefsinnigkeit. „Der Anschein ist real“, sprach sie. „Die Wahrheit ist nicht real.“ Darum ist Bongbong Präsident.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2022, S. 9-11

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren

Justus Krüger lebt seit 2005 als freier Korrespondent in China und schreibt u.a. für die Neue Zürcher Zeitung, Mare und Geo.