Titelthema

24. Apr. 2023

Ernte und Erderwärmung

Dürren, Fluten, Schädlingsplagen: Der Klimawandel wirkt wie eine Bremse für die globale Nahrungsmittelproduktion. Um hier effektiv gegenzusteuern, ist mehr gefragt als Anpassung.  

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Bild: Ein Mädchen versucht Heuschrecken von einem Feld zu verscheuchen
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Lange Zeit blieb die bevorstehende Plage unbemerkt. 2018 trafen zwei tropische Zyklone hintereinander die Arabische Halbinsel, gewaltige Regenmengen ergossen sich in der Wüste. Im feuchten Sand und der mit einem Mal erblühenden Vegetation fanden Wüstenheuschrecken perfekte Bedingungen vor. Innerhalb von drei Generationen wuchs die Zahl der Insekten um das 8000-Fache.

Solitär lebende Wstenheuschrecken sind für sich genommen harmlos, doch in großen Gruppen ändern die Tiere ihr Verhalten. Die Schwärme, die teils Millionen Heuschrecken zählen, begeben sich auf Wanderschaft und fressen innerhalb von Stunden riesige Felder leer. So geschah es dann auch. Ende 2019 fielen die Wanderheuschrecken im Jemen und in Ostafrika ein. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO verheerten die Schwärme 200 000 Hektar Agrarflächen, zwei Millionen Menschen litten von einem Tag auf den anderen Hunger.

Der wohl schlimmste Heuschrecken- befall der vergangenen 70 Jahre zeigt, wie komplex das Verhältnis zwischen Klima, Landwirtschaft und Ernährung sein kann – und wie die globale Erwärmung es durcheinanderbringt. Denn die tropischen Zyklone, welche die fatale Kette der Ereignisse in Gang setzten, wurden vermutlich von einem sich erwärmenden Indischen Ozean begünstigt. „Der Ausbruch der Wüstenheuschrecken und die Rolle der Erwärmung des Indischen Ozeans zeigen, dass die Folgen des Klimawandels zu mehr unvorhersehbaren Ereignissen führen können“, heißt es im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC.

Dennoch war der Klimawandel nicht der einzige Faktor dafür, dass am Ende viele Menschen hungerten. Verschärft wurde die Katastrophe auch von bewaffneten Konflikten in Ländern wie Somalia, völlig unzureichenden Frühwarnsystemen und einer dadurch verzögerten Reaktion auf den Ansturm der Insekten.



Unübersehbarer Einfluss

Wegen solcher Wechselwirkungen ist es oft nicht einfach, zweifelsfrei nachzuweisen, dass der Klimawandel eine oder gar die Hauptursache für Hunger ist. Dennoch ist der Einfluss der Erderwärmung bereits unübersehbar. In der Land- wie der Forstwirtschaft, der Fischerei und in Aquakulturen sei der Klimawandel ein Stressfaktor, hält der IPCC in seinem Bericht zu den Folgen der Erderwärmung fest, „was es zunehmend erschwert, menschliche Bedürfnisse zu decken“.

In Zahlen ausgedrückt: Aktuellen Studien zufolge hat die Erderwärmung die globalen Maisernten zwischen 1961 und 2017 um 5,9 Prozent geschmälert, die Weizenernten um 4,9 Prozent und die von Reis um 4,2 Prozent. In Westafrika haben Hitze und Regenfälle, die von der Erderwärmung verstärkt wurden, 10 bis 20 Prozent der Hirseproduktion gekostet.

Insgesamt wirkt der Klimawandel damit bereits wie eine Art Bremse für die globale Nahrungsmittelproduktion – und er erhöht die Risiken für Extremereignisse. Belegt ist etwa, dass die anthropogene Erwärmung schon im Jahr 2007 die Dürre im südlichen Afrika verschlimmerte, was etwa in Lesotho zu Nahrungsmittelknappheit und steigenden Preisen führte. Derzeit leiden der Maghreb und die Türkei unter einer Dürre, ausgelöst von einer ungewöhnlich warmen und trockenen Phase mitten im Winter. In Marokko hinkt das Wachstum von Getreide hinterher, in Tunesien fiel im Winter so wenig Regen wie seit 22 Jahren nicht mehr. Insgesamt könnte die Weizenernte in Nordafrika 2023 um ein Viertel niedriger ausfallen als gewöhnlich, wie das Joint Research Centre der EU-Kommission in einer Analyse warnt.

Dabei hat sich die Erde erst um 1,1 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt. Damit herrschen auf dem Planeten zwar bereits höhere Temperaturen als vermutlich jemals in den vergangenen 100 000 Jahren. Mittlerweile ist aber sicher, dass sich die Erde im 21. Jahrhundert noch deutlich stärker aufheizen wird. So ist es kaum noch realistisch, die im Pariser Klimavertrag vereinbarte Grenze von 1,5 Grad Erwärmung einzuhalten. Der IPCC hält ein Überschreiten der Grenze „in naher Zukunft“ für wahrscheinlich, das heißt spätestens bis zum Jahr 2040. „Im Jahr 2030 wird es für jedes einzelne Jahr schon eine Wahrscheinlichkeit von 40 bis 60 Prozent haben, dass wir den 1,5 Grad Temperaturanstieg überschreiten“, sagt Gerhard Krinner, leitender Wissenschaftler am Institut des Géosciences de l’Environnement an der Universität Grenoble Alpes.

Auch um die globale Erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, reichen die aktuellen Anstrengungen nicht aus. Selbst wenn alle Staaten ihre selbst gesteckten Klimaziele einhalten, würde sich die Erde laut einer Analyse des Umweltprogramms der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2100 um etwa 2,5 Grad erwärmen. Unter Beibehaltung des aktuellen Kurses, also einer mangelnden Einhaltung selbst der bescheidenen Ziele, steuert die Welt sogar auf eine Erwärmung von rund 3 Grad zu.



Ein Drittel weniger Anbauflächen

Unzweifelhaft bedeutet eine um 2 oder gar um 3 Grad wärmere Welt völlig andere Bedingungen für die Produktion von Nahrungsmitteln, als es heute der Fall ist. „Der Klimawandel wird sich negativ auf die Ernährungssicherheit auswirken“, ist sich der IPCC sicher. Um zu verstehen, wie genau, muss man sich aber zunächst darüber klar werden, dass Ernährungs­sicherheit keine alleinige Frage der Produktionsmenge ist. Sie hängt auch davon ab, wie diese Nahrungsmittel verteilt sind, wie sie genutzt werden und von wem.

Der letzte Punkt ist ziemlich einfach zu beantworten: Künftig müssen noch mehr Menschen satt werden als heute. Im Jahr 2060 dürften nach Prognosen der UN zwischen 8,8 und 11,6 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Mit allgemein steigendem Wohlstand dürfte dann zudem mehr Fleisch auf die Teller kommen als heute. Insgesamt dürfte daher der Bedarf an Nahrungsmitteln bis 2050 um rund 59 bis 98 Prozent höher liegen als noch 2005.

Der Klimawandel ist nicht gerade hilfreich dabei, diese verschärften Anforderungen zu erfüllen. Beispielsweise verschieben sich durch die steigenden Temperaturen die Zonen, in denen Landwirtschaft möglich ist. 10 Prozent der Landfläche, auf der heute Ackerbau und Viehzucht betrieben wird, könnten bis 2050 dafür klimatisch ungeeignet sein, heißt es in einer 2021 im Fachjournal One Earth erschienenen Studie. Bei einem ungebremsten Wachstum der Treibhausgas-Emissionen könnten bis 2100 sogar zwischen 31 und 34 Prozent der Flächen verloren gehen. Daneben sorgt der Klimawandel dafür, dass Extremereignisse wie Dürren und Starkregenfälle intensiver werden und häufiger auftreten, was das Risiko von Ernteausfällen erhöht.

Sorge macht auch, dass Pflanzenschädlinge von der Erderwärmung profitieren könnten. Höhere Temperaturen führen bei Insekten zu einem erhöhten Stoffumsatz, sie fressen also mehr, zudem vermehren sie sich schneller. Das kann zu Ernteverlusten von 10 bis 25 Prozent pro Grad Temperaturzunahme führen. Auch Pilz­infektionen könnten sich infolge steigender Temperaturen leichter auf Pflanzen verbreiten. Daneben sorgt der Klimawandel für eine Umverteilung von Wasser­ressourcen, und er verschiebt die Blühzeitpunkte von Pflanzen, während zugleich manche bestäubenden Insekten ihre Lebensräume verlieren. Damit wächst die Gefahr, dass Blüten nicht mehr bestäubt werden und die Früchte der Arbeit ausbleiben – sofern diese Arbeit noch erledigt werden kann. Denn selbstverständlich ist Landwirtschaft nicht nur auf die richtige Witterung, geeignete Pflanzen und bestäubende Insekten angewiesen, sondern auch auf Bäuerinnen und Bauern.

Schon jetzt erschweren beispielsweise Hitzewellen vielerorts die Feldarbeit erheblich. Eine 2021 im Rahmen der Environmental Research Letters erschienene Studie warnte davor, dass in einer 3 Grad wärmeren Welt massive Einbrüche in der Arbeitskapazität zu erwarten wären. In Südostasien und Subsahara-Afrika könnte Hitzestress die Produktivität um 30 bis 50 Prozent einbrechen lassen, was die Weltwirtschaft jährlich 136 Milliarden US-Dollar kosten würde.



Wunschdenken und echte Hoffnungen

Nicht überall verschlechtern sich die Bedingungen für den Anbau von Nahrungsmitteln. Vor allem in nördlichen Breiten könnten steigende Temperaturen sogar zu einer Ausweitung der verfügbaren Flächen führen. Während beispielsweise für Mais in Afrika, Südamerika und Ozeanien mit Flächenverlusten von bis zu 40 Prozent gerechnet wird, könnten die geeigneten Flächen in Nordamerika und Europa um 10 bis 20 Prozent wachsen.

Global betrachtet dürften solche Flächengewinne aber eher moderat ausfallen. Und auch der Befund, dass höhere CO₂-Gehalte in der Atmosphäre einen positiven Effekt auf das Pflanzenwachstum haben können, sofern gleichzeitig ausreichend Wasser und Nährstoffe verfügbar sind, ist mit Vorsicht zu genießen. Zum einen lässt der Klimawandel weiterhin vielerorts die Böden ausdörren. Und zum anderen führen höhere Temperaturen zwar generell zu einem schnelleren Wachstum von Pflanzen. Jedoch heißt das auch, dass der Pflanze dadurch weniger Zeit bleibt, Biomasse aufzubauen, wodurch die Erträge wieder sinken.

Man sollte also besser nicht darauf vertrauen, dass die Sache schon gut ausgeht. Doch was lässt sich dann unternehmen? Hoffnung macht, dass es schon im 20. Jahrhundert einen gewaltigen Sprung in der landwirtschaftlichen Produktivität gab. Obwohl die Weltbevölkerung im vergangenen Jahrhundert von zwei auf sechs Milliarden Menschen gewachsen ist, hat sich die globale Nahrungsmittelsicherheit im gleichen Zeitraum dramatisch verbessert. Das heißt nicht, dass alle Probleme heute gelöst wären; noch immer sind 800 Millionen Menschen unterernährt und in vielen Staaten wächst der Hunger gerade wieder.

Festhalten lässt sich aber, dass trotz einer größeren Weltbevölkerung heute mehr Nahrungsmittel pro Kopf erzeugt werden als noch vor einem halben Jahrhundert. „Bislang ist uns noch immer etwas eingefallen, sobald es Probleme gab“, schreibt eine Gruppe von Autoren um den Landschaftsökologen Ralf Seppelt im Buch „3 Grad mehr“. Das, so die Wissenschaftler, „kann Mut machen.“

Dass die Erträge gestiegen sind, hat vor allem mit einer intensiveren Bewirtschaftung von Feldern zu tun: mehr Wasser, mehr Pestizide, mehr Dünger, aber auch neue Sorten, die höhere Mengen an Stickstoffdünger in Ertrag verwandeln können. In intensiv bewirtschafteten Regionen wie Europa oder dem Osten der USA stößt dieses Erfolgsrezept jedoch in wachsendem Maße an seine Grenzen; weitere Ertragssteigerungen sind hier kaum noch zu erwarten.

Anders ist das in Regionen wie Indien, China oder Osteuropa, also an Orten, wo noch immer traditionelle Landwirtschaft mit hohem Arbeitseinsatz vorherrscht, wenig Dünger verwendet wird oder es an Infrastruktur fehlt. Durch das Schließen solcher „Ertragslücken“ könnten global betrachtet vermutlich erhebliche Ertragssteigerungen erzielt werden. Die Schätzungen reichen von 60 bis 148 Prozent, wenn man das gegenwärtige Klima zugrunde legt.

Dabei sollte man sich allerdings stets bewusst sein, dass eine solche Intensivierung nicht nur Vorteile mit sich bringt. In Deutschland sind die Folgen dieser Wirtschaftsweise unübersehbar: Das Grundwasser ist mit Nitraten verseucht, der Einsatz von Pestiziden lässt Insekten und Vögel sterben. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) hält die Landwirtschaft für den wesentlichen Treiber für den Verlust der Artenvielfalt. Und das hat Rückwirkungen auf die Landwirtschaft selbst, die ohne funktionierende Ökosysteme undenkbar ist. Vögel und Insekten bekämpfen Schädlinge und stabilisieren so die Ernten; fruchtbare Böden entstehen erst im Wechselspiel zwischen Pilzen, Mikroorganismen und Kleinstlebewesen. „Intensivierung ist also ein zweischneidiges Schwert: Sie eliminiert limitierende Faktoren und führt so in vielen Fällen zu einer Zunahme der Erträge, aber eben auch zu einer Abnahme der Artenvielfalt, was längerfristig die Erträge wiederum gefährdet“, erklärt Seppelt.



Meere in Gefahr

Folglich sieht etwa der Weltklimarat den Einsatz von Düngemitteln nur als eine von vielen möglichen Anpassungsmaßnahmen. Veränderte Saat- und Ernte­zeitpunkte sind mindestens ebenso wichtig, daneben eine größere Vielfalt von Feldfrüchten, ein besseres Wassermanagement oder Frühwarnsysteme für Pflanzenschädlinge. Es brauche aber auch geeignete Versicherungen für Landwirtinnen und Landwirte, etwa gegen Extremwetter. Die Hoffnung ruht außerdem auf der Entwicklung neuer hitzeresistenter Sorten, vor allem mithilfe der ­Gen-Schere Crispr-Cas9 und anderer Gene-Editing-­Methoden. Wichtig ist: Anpassung funktioniert wahrscheinlich nur bis zu einem gewissen Grad, schon weil die meisten Organismen unter Temperaturen von mehr als 42 Grad erheblich leiden. Es bleibt also unumgänglich, die Erderwärmung selbst zu begrenzen, wenn die Ernährungssicherheit gewährleistet werden soll.

Deutlich weniger Möglichkeiten zur Anpassung bestehen zudem in den Ozeanen. Seit 1930 hat der Klimawandel die Erträge der Fischerei bereits um 4 Prozent abgesenkt, heißt es in einer 2019 erschienenen Arbeit. Je nach Emissionsszenario könnte die tierische Biomasse in den Ozeanen zwischen 1970 und 2100 um 5 bis 17 Prozent zurückgehen. Fischen und anderen Meereslebewesen machen nicht nur steigende Durchschnittstemperaturen und eine wachsende Zahl mariner Hitzewellen zu schaffen, sondern auch die durch die Aufnahme von CO₂ bedingte Versauerung der Ozeane. Die globale Erwärmung lässt auch den Sauerstoffgehalt in den Weltmeeren absinken, was sich negativ auf das Wachstum von Fischen auswirkt. Hier lässt sich im Wesentlichen nur durch Regulierung gegensteuern, etwa durch strengere Fangquoten, damit sich Fischbestände erholen können.

Mit der Ernte oder dem Einbringen der Netze ist es freilich nicht getan, die Nahrung muss auch zu den Verbrauchern gelangen. Auch hier wirkt sich der Klimawandel aus. Steigende Temperaturen und eine höhere Luftfeuchtigkeit können beispielsweise das Risiko für die Kontamination von Nahrungsmitteln erhöhen, etwa mit Aflatoxinen. Auch bakterielle Erreger wie Salmonellen oder Campylobacter breiten sich bei höheren Temperaturen leichter aus. Starkregenfälle könnten Straßen unter Wasser setzen, was den Transport von Lebensmitteln erschwert. Das alles ist nicht nur ein Problem für ärmere Staaten. So zerstörten extreme Regenfälle im US-Bundesstaat Iowa 2019 eine große Anzahl von Getreidesilos, die bis dahin als sehr robust galten.

Generell sind sich Klimaforscher einig, dass sich die Erderwärmung rund um den Äquator am gravierendsten auswirken dürfte, sowohl an Land als auch in den Ozeanen. Je weiter das Jahrhundert fortschreitet, umso stärkere Folgen sind zu erwarten. Die Größenordnung und das Ausmaß dieser Folgen hängen entscheidend davon ab, wie viele Treibhausgase noch in die Atmosphäre gelangen. Der Mensch hat es selbst in der Hand, wie viele Menschen künftig satt werden.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2023, S. 52-57

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Christoph von Eichhorn ist Redakteur im Ressort Wissen der Süddeutschen Zeitung und dort zuständig für die Themen Klimawandel und Energie.

 

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