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01. Okt. 2008

Energie grüner machen – aber effizient

Warum wir den Markt brauchen, aber keine ökologische Industriepolitik

Die Welt macht derzeit einen historisch wohl einmaligen Entwicklungsschub durch: Niemals zuvor sind so viele Menschen in so kurzer Zeit in den Genuss der Versorgung mit moderner Energie gelangt; niemals zuvor ging die Industrialisierung in der Welt so rasch voran – damit aber auch die Nachfrage nach verlässlicher Energie. Die Energieversorgung der Zukunft stellt die Welt vor schwierige Herausforderungen: Steigende Preise, die Sicherheit der Versorgung mit Energieträgern wie Gas und der drohende Klimawandel treiben Bürger wie Politiker um.

Die Nachfrage nach Primärenergie wird laut Internationaler Energieagentur (IEA) bis 2030 um mehr als 25 Prozent zunehmen. Die Welt setzt dabei größtenteils auf konventionelle Energieträger und auch auf Kernenergie. Glaubt man der IEA, treten wir in ein Jahrhundert der Kohle ein. Das ist ökonomisch nicht weiter verwunderlich: In Indien und China als den größten Entwicklungsländern der Erde ist Kohle reichlich verfügbar und muss für die Industrialisierung genutzt werden. Etwa 80 Prozent des Zuwachses der globalen Nachfrage nach Kohle in den Jahren bis 2030 werden auf China und Indien entfallen. Beide Länder setzen dabei auf Technologien, die bewährt und für die Versorgung einer Industriegesellschaft verfügbar sind, nämlich Kohlekraftwerke. Diese Kraftwerke werden 40 Jahre und mehr in Betrieb sein. Dass damit eine fossile Technologie dauerhaft festgeschrieben wird, muss derzeit noch in Kauf genommen werden, denn diese Länder haben keine andere Wahl: Alternative Technologien mit vergleichbaren Kosten und vergleichbarer Leistungsfähigkeit sind kaum verfügbar und ein Verzicht auf die Nutzung dieser heimischen Energieträger würde massive Entwicklungseinbußen bedeuten. Das hätte soziale Verwerfungen zur Folge, unter denen die ganze Welt zu leiden hätte.

Das Problem besteht darin, dass das Wachstum der Weltwirtschaft so groß ist, dass Effizienzgewinne kompensiert werden. Dabei kann es gerade aus deutscher Sicht nicht schaden, sich die Größenordnungen vor Augen zu führen. Schreibt man den gegenwärtigen Entwicklungstrend fort, tragen allein China und Indien zu 40 Prozent zum Zuwachs der globalen Energienachfrage bis 2030 bei. Die IEA erwartet, dass die globalen CO2-Emissionen im Jahr 2030 um mehr als 50 Prozent über den heutigen liegen werden und sich gegenüber dem oftmals verwendeten Referenzjahr 1990 mehr als verdoppelt haben werden. Dies wird nicht der Endpunkt der Entwicklung sein können, denn auch noch im Jahre 2030 werden weltweit 1,4 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Elektrizität leben müssen. Diese Menschen haben einen Anspruch auf moderne Energieversorgung zu annehmbaren Preisen, die die Lebensqualität und Lebenserwartung erheblich steigert. Dieser Wohlfahrtsgewinn wird sicher zum Teil nur über die steigende Nutzung fossiler Energieträger und entsprechende CO2-Emissionen zu erzielen sein.

Dies alles heißt keinesfalls, dass die Energiewirtschaft in den entwickelten Ländern keinen Beitrag zur Modernisierung der globalen Energieversorgung leisten kann, muss und auch wird. Viel ist hier auch schon erreicht worden: Die EU hat klare Vorgaben für die Treibhausgasemissionen aus den Sektoren Energie und Industrie gemacht und mit dem Emissionshandel ein effizientes Instrument zu deren Einhaltung implementiert. Auf diese Weise wird die EU sicher einen Teil des globalen Anstiegs der CO2-Emissionen kompensieren können. Doch auch hier täusche man sich nicht über die Größenordnungen: Die gesamten CO2-Einsparungen der EU der Jahre 2006 bis 2020 (gesetzt, das Ziel der Einsparungen um 20 Prozent gegenüber 1990 wird erreicht) machen lediglich 70 Prozent der jährlichen Emissionen Indiens und Chinas im Jahr 2020 aus.

Die Schaffung einer effizienteren und damit umweltfreundlicheren wie gleichzeitig marktkonformen Energieversorgung muss auf allen Wertschöpfungsstufen ansetzen und darf keine wirtschaftlich sinnvollen Energieträger ausklammern. Auf der Erzeugungsseite sind die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch und werden die Stromproduktion zunehmend prägen. Gute Chancen für einen wirtschaftlichen Einsatz in Deutschland sind vor allem im Bereich Offshore-Wind zu sehen. EnBW investiert derzeit erhebliche Summen in Offshore-Erzeugung in Nord- und Ostsee. Auch global haben die Erneuerbaren erhebliches Potenzial, wobei darauf geachtet werden muss, dass Kapazitäten dort entstehen, wo es tatsächlich wirtschaftlich ist. Langfristig kann etwa eine sinnvolle Nutzung der Solarenergie darin bestehen, dass diese in sonnenreichen Gegenden der Welt erzeugt und über so genannte Höchstspannungsgleichstromtechnologie in die Verbrauchszentren transportiert wird.

Doch auch die fossile Erzeugung hat in Europa eine große Zukunft. In Deutschland werden einige der weltweit effizientesten Kohle- und Gaskraftwerke errichtet. Der in Deutschland verbreitete „Regionalismus“ bei der Festlegung von CO2-Einsparzielen scheint mir jedoch bei einem Treibhausgas, bei dem es gleichgültig ist, wo es emittiert wurde, sehr ineffizient zu sein. Der Emissionshandel führt bereits zu einer effizienten Internalisierung der sozialen Kosten, die durch die fossile Stromerzeugung verursacht werden. Dabei hat die kostenlose Vergabe der Emissionsrechte in den vergangenen Jahren zusätzlich dazu geführt, dass Anreize für den Bau neuer hocheffizienter Kraftwerke geschaffen wurden. Dies entfällt nun mit der geplanten Vollauktionierung der Emissionsrechte. Eine Politik, die die internationalen Primärenergiemärkte und die dort bestehenden Abhängigkeiten im Auge behält, täte gut daran, die Auktionierung nochmals zu überdenken.

Kernkraft gehört auch in Zukunft zu einer klimafreundlichen und effizienten Versorgung. Weltweit hat man das längst erkannt: Nach Angaben der World Nuclear Association befinden sich derzeit 34 Reaktoren mit einer Leistung von insgesamt mehr als 27 Gigawatt im Aufbau, davon derzeit vier (mit mehr als vier Gigawatt) in Europa (in Finnland, Frankreich und der Slo-wakei), mehrere Ausstiegsmoratorien und Wiedereinstiegsbeschlüsse wurden gefasst. Die Vorzüge der nahezu CO2-emissionsfreien Technologie, die in Deutschland beinahe die Hälfte der Grundlast wirtschaftlich deckt, sind -unübersehbar.

Auf Seiten der Netzbetreiber können erhebliche Potenziale durch den Ausbau der europäischen Übertragungsnetze ausgeschöpft werden, wenn dies etwa den europaweiten Ausgleich fluktuierender Einspeisung gewährleistet. Einen weiteren, nennenswerten Anteil zum effizienten Umgang mit Strom können so genannte „intelligente Zähler“ leisten, die es Verbrauchern ermöglichen werden, durch eine direkte Reaktion auf den aktuellen Strompreis nicht nur Geld zu sparen, sondern auch zu einer effizienten Energiebereitstellung beizutragen.

Alle Erfahrung zeigt, dass effiziente Energiemärkte, in denen auch gesellschaftliche Kosten (beispielsweise aufgrund der Emission von Klimagasen) internalisiert werden, die beste Gewähr für Einsparungen liefern, weil sie wirtschaftliche Anreize schaffen, den Primärenergieeinsatz zu minimieren und erneuerbare Erzeugungstechnologien einzusetzen. Es ist eine große Errungenschaft der europäischen und deutschen Energiepolitik der vergangenen Jahre, Rahmenbedingungen für effiziente Märkte installiert zu haben. Ökologisch wie ökonomisch unsinnige Ressourcenverschwendung ist hingegen global vor allem auf jenen Märkten zu beobachten, in denen der Staat in die Funktionsweise des Marktes eingreift. Dies haben Länder wie China oder Russland mitt-lerweile erkannt.

Für eine weltweit „grünere“ und effizientere Energieversorgung brauchen wir also keinen Staatsinterventionismus. Vielmehr sind Rahmenbedingungen notwendig, die Anreize schaffen, dort in effizientere Technologien zu investieren, wo es den größten gesellschaftlichen Nutzen erbringt. Das, was in Deutschland unter der Überschrift „ökologische Industriepolitik“ als Mittel zum ökologischen Umbau der Industriegesellschaft firmiert, hat leider wenig mit Marktlösungen zu tun und wird zu enormen Ressourcenverschwendungen führen. Es handelt sich dabei eher um kleinteiligen Interventionismus, der in Bereiche eingreift, die besser von den Marktakteuren selbst zu steuern wären und der vor allem kostenunabhängig die Vermeidung von CO2 dort betreiben will, wo es global gesehen besonders teuer ist: in Deutschland. Es gibt globale Realitäten, die akzeptiert werden müssen, will man die Entwicklung in vielen Ländern nicht hemmen. Wir sind daher überzeugt, dass fossile und nukleare Brennstoffe auf absehbare Zeit auch weiterhin das Rückgrat für die globale Versorgung mit Strom bleiben. Parallel dazu können aber Übergänge in eine „postfossile“ Welt geschaffen werden.

Agiert man pragmatisch und marktgerecht, hat man eine Chance, das Beste für ein effizientes globales Energieversorgungssystem zu erreichen. Das ist unspektakulär und es gibt keinen politisch gut zu verwertenden „großen Wurf“. Es wäre aber ökonomisch unsinnig, die Realität technokratischen Ideen einer „ökologischen Industriepolitik“ anzupassen. Dies wird nur dazu führen, dass in Deutschland Ressourcen verschwendet werden, die in der Welt besser verwendet werden könnten.

HANS-PETER VILLIS ist Vorstandsvorsitzender  der EnBW AG.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2008, S. 78 - 81

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