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01. Jan. 2017

Endloser Einkaufszettel

Der Fall Aixtron wirft ein Schlaglicht auf Chinas Investitionen im Ausland

Chinas finanzielles Engagement im Ausland steigt rapide. Europäische Unternehmen waren in jüngster Zeit beliebte Übernahmeziele, von Autobauern bis Fleischfabriken. Kritisch wird es aber, wenn es um sicherheitsrelevante Firmentechnik, brisant, wenn es um strategische Wirtschaftspolitik geht. Europa muss sich den neuen Fragen stellen.

Erst waren es chinesische Produkte, die auf die Weltmärkte drängten. Nun ist chinesisches Geld hinzugekommen, mit dem Peking investiert und Unternehmen aufkauft – und damit einer Reihe Regierungen Probleme bereitet. Sie fürchten, dass ­Chinas strategische Investitionen ihre eigenen Ökonomien beeinträchtigen oder gar ihre Sicherheit gefährden.

Jüngstes Beispiel ist das Ringen um den deutschen, bei Aachen ansässigen Chip-Hersteller Aixtron, ein 700-Millionen-Euro-Übernahmeobjekt vom Fujian Grand Chip Investment Fund. Im Herbst zog das Bundeswirtschaftsministerium seine zunächst erteilte „Unbedenklichkeitbescheinigung“ zurück und prüft seitdem. Anfang Dezember folgte US-Präsident Barack Obama der Empfehlung des Committee on Foreign Investment in the US – ein Gremium von Behördenvertretern, dessen Aufgabe es ist, chinesische Direktinvestitionen in den USA (2015 im Wert der Rekordsumme von 15,3 Milliarden Dollar) zu überprüfen. Obamas Veto bezog sich allein auf das US-Geschäft von Aixtron; in seinem wichtigsten Absatzmarkt unterhält das Unternehmen, dessen Chips in Leuchtdioden, aber auch zur Raketen- und Satellitensteuerung eingesetzt werden können, eine Tochtergesellschaft mit rund 100 Beschäftigten in Sunnydale. Ob damit die Übernahme insgesamt gescheitert ist, war Ende 2016 noch offen.

Es ist erst das dritte Mal in 25 Jahren, dass das Weiße Haus eine Firmenübernahme aufgrund von Sicherheitsbedenken gestoppt hat. Laut US-Finanzministerium lagen „glaubhafte Beweise“ vor, „dass ausländische Interessen die Kontrolle ausüben und Schritte unternehmen könnten, die womöglich unsere nationale Sicherheit beeinträchtigen“.

Die chinesische Strategie ist recht einfach gestrickt: Das Land nimmt Unternehmen ins Visier, deren Expertise es China ermöglichen könnte, sich in Schlüsselindustrien Vorsprünge zu erarbeiten. So stiegen nach Angaben des deutschen Botschafters in Peking, Michael Clauss, chinesische Investitionen in Deutschland im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 2000 Prozent; sie betrafen fast ausschließlich den Hightech-Sektor. „Es sieht so aus, als ob sie die Technologielücke durch Übernahmen schließen wollen“, so Clauss gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Dies scheint auch bei Aixtron der Fall: Peking hat ein Programm verabschiedet, seine Halbleiterproduktion auszubauen, und das deutsche Unternehmen würde sich in diese Pläne nahtlos einfügen. Dies wiederum würde es der Volksrepublik ermöglichen, per Einkauf westlicher Technologien eine Schlüsselbranche zu modernisieren und sie damit wettbewerbsfähiger in den westlichen Ländern zu machen. Im Grunde ist dies die Hightech-Variante des Vorgehens im Fertigungsbereich, als China ausländisches Know-how mit den eigenen geringeren Produktionskosten verband, um westliche Produzenten abzuhängen.

Nummer eins neben den USA

Das Vorgehen passt zu den Versuchen von Staats- und Parteichef Xi Jinping, dem Land eine größere globale Rolle zu verschaffen. Industrielle Modernisierung ist Teil dieser Bemühungen. Die Regierung hat das Ziel vorgegeben, China bis zum Ende des Jahrzehnts zum führenden Innovationsland zu machen. „Große wissenschaftliche und technologische Kapazitäten sind ein Muss für ein starkes China und für die Verbesserung des Lebens unseres Volkes“, wurde Xi im Sommer von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua zitiert.

Dahinter steht Xis unbedingter Ehrgeiz, China zur ebenbürtigen Nummer eins neben den USA zu machen. Wie Peking dieses Ziel verfolgt, wird in ganz unterschiedlichen Bereichen sichtbar: von Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer bis hin zur Entwicklung (oder Kauf) von Hochtechnologie. Sollte er erfolgreich in die Tat umgesetzt werden, wäre der „Made in China 2025“-Plan der Regierung zur Verbesserung von Technologisierung und Automatisierung eine klare Herausforderung westlicher Volkswirtschaften, die führend im Ingenieurwesen und beim Maschinenbau sind – wie Deutschland.

Allerdings gibt es gute Gründe anzunehmen, dass dieser Prozess nicht so reibungslos verläuft, wie sich die chinesischen Planer das erhoffen. Der kommunistische Parteienstaat, den Xi erhalten und stärken will, ist nicht gerade prädestiniert dafür, die notwendigen Strukturreformen umzusetzen. Und die von Xi initiierte, politisch und ideologisch orthodoxe Kampagne behindert Innovationen.

Der Einsatz in Verteidigungstechnologien ist für Regierungen recht leicht zu identifizieren und zu beurteilen. Die übergeordnete Frage des strategischen industriellen Wettbewerbs wird in den kommenden ­Jahren dagegen die entscheidende werden. Entwickelte Industrieländer werden sich vernehmlicher über den Mangel an Gegenseitigkeit beschweren. So berichten westliche Unternehmen von immer größeren Schwierigkeiten, ihre Operationen auszuweiten und mit chinesischen Firmen gleichberechtigt zusammenzuarbeiten – von Übernahmen ganz zu schweigen.

Dieser Umstand scheint zumindest bei einigen ein Umdenken angestoßen zu haben. Die Bundesregierung erlaubte Chinas Haushaltsgerätehersteller Midea den Einstieg beim Roboterbauer Kuka, setzte die Erlaubnis im Fall Aixtron aber aus. Staatssekretär Matthias Machnig erklärte dies damit, dass die Regierung neue, sicherheitsrelevante Informationen erhalten habe. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel machte sich zugleich für eine europaweit geltende Sicherheitsklausel stark. Sie soll verhindern, dass Firmen, die für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg der EU strategische Bedeutung haben, von ausländischen Investoren übernommen werden. Auch EU-Kommissar Günther Oettinger plädierte für ein Außenhandelsgesetz, das Firmen wie Kuka vor dem Aufkauf schützt.

In der Erklärung des Weißen Hauses zu Aixtron wurde auf „das Risiko für die nationale Sicherheit“ verwiesen, „das unter anderem hinsichtlich des militärischen Einsatzes der technischen Kenntnisse und Erfahrungen von Aixtron“ durch die Übernahme entstünde. „Eine normale kommerzielle Übernahme sollte auf Grundlage geschäftlicher Standards und Marktprinzipien beurteilt werden“, hielt das chinesische Außenministerium dagegen. „Wir wollen nicht, dass solche kommerziellen Aktivitäten politisch überinterpretiert oder beeinflusst werden.“

Während der ersten Phase der chinesischen Entwicklung flossen Investitionen fast ausschließlich in Richtung Volksrepublik: Ausländische Unternehmen bauten ihre Positionen im größten Schwellenmarkt auf und spielten bei der Modernisierung praktisch aller Bereiche eine große Rolle, von Konsumprodukten bis Industrieanlagen, gefolgt von Hochgeschwindigkeitszügen und Elektronik. Dann aber begann Chinas Zugriff auf ausländische Bodenschätze – logisch genug für ein Land, dem wichtige industrielle Rohstoffe fehlen. So engagierte sich China in Afrika, Lateinamerika und Australien auf der Suche nach Eisen­erz und Kupfer. Auch gab es weniger erfolgreiche Versuche, mit dem Aufkauf von Agrarland die Versorgung der eigenen Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen sicherzustellen.

Heute jedoch scheint der Einkaufszettel endlos zu sein – von Immobilien über Luxusyacht-Werften bis hin zu Fleischfabriken. Rund die Hälfte der Auslandsinvestitionen entfiel zuletzt auf Europa, mit Großbritannien an der Spitze, gefolgt von Deutschland und Frankreich. Volvo, Pirelli und Club Med sind mittlerweile in chinesischer Hand.

Die Furcht vor den Aufkäufern

Als die Volksrepublik die Weltwirtschaft Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Ausbau ihrer Fertigungsindus­trie veränderte, diskutierte man bang die Frage, was wohl werden würde, wenn China erst die Werkbank der ganzen Welt sei. Heute scheint die Sorge eher die vor chinesischen Aufkäufern zu sein, die mit dem billigen Geld von Chinas Staatsbanken und Unterstützung von Regierungsstellen Unternehmen nach Belieben übernehmen.

2015 prognostizierten das Mercator Institute for China Studies und die amerikanische Rodium Group, dass China bis Ende des Jahrzehnts zu einem der größten internationalen Investoren aufsteigen würde; das Volumen chinesischer Auslandswerte werde sich bis 2020 auf 20 Billionen Dollar verdreifachen. Ein großer Teil dessen besteht aus Portfolio-Investments und der Aufhäufung ausländischer Währungsreserven. Aber auch der Bereich der Direkten Auslandsinvestitionen (Foreign Direct Investments / FDI) würde von 744 Milliarden auf zwei Billionen Dollar um das Dreifache wachsen; insbesondere die Investitionsströme in westliche Länder würden stark ansteigen.

Diese Entwicklung wäre gewissermaßen natürlich – Nachzügler China hinkt in Sachen Verhältnis FDI zu Bruttoinlandsprodukt mit weniger als 10 Prozent immer noch weit hinter entwickelten Nationen zurück; bei den USA ist der Anteil dreimal, bei Deutschland sogar viermal so groß. Zudem gibt es auch binnenwirtschaftliche Gründe: Weil der harte Preiswettbewerb in China wenig Ertrag verspricht, sind Auslandsinvestitionen mit ihrer größeren Rendite attraktiv. In vielen Ländern und Unternehmen, die Kapital benötigen und die Verbindung zur Volksrepublik schätzen, waren chinesische Investitionen stets willkommen.

Doch die Herausforderung in diesem neuen Bereich, in dem westliche Staaten mit Chinas Einfluss ringen, ist unausweichlich. Nationale Regierungen und die Europäische Union müssen sich den natürlichen Folgen Chinas wachsender Präsenz stellen – in einer Welt, die China zugleich willkommen heißt und fürchtet.

Jonathan Fenby war Chefredakteur des Observer und der South China Morning Post. Der Autor zahl­reicher Bücher über China führt heute die Consulting TSL ­Research in London.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 98-101

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