Eine neue Welthandelsrunde
Buchkritik
Die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation, die im November 2001 in Doha (Katar) stattfand, kann als Erfolg gewertet werden. Zum einen hat sie den Beginn einer neuen Verhandlungsrunde eingeleitet, in deren Mittelpunkt entwicklungspolitische Themen stehen – ein Erfolg, der nach dem Scheitern des Beginns einer Millenniumsrunde beim Ministertreffen in Seattle immer unwahrscheinlicher geworden war. Zum andern ist es zu einer Stärkung des Handelssystems gekommen, sowohl durch die Aufnahme neuer Themen wie Wettbewerb und Investitionen als auch durch die beschlossene Aufnahme neuer Mitglieder wie China und Taiwan.
Die von Klaus Günter Deutsch und Bernhard Speyer herausgegebene Aufsatzsammlung steht jedoch noch im Schatten der gescheiterten Ministerkonferenz in Seattle, wobei hier die Ursachen für das Scheitern untersucht und die zukünftigen Chancen des multilateralen Handelssystems bewertet werden. Des Weiteren wird ein Überblick über die Handelspolitik und Ziele der wichtigen Akteure und die zentralen Politikfelder gegeben, die auch heute, während der Doha-Entwicklungsrunde, im Mittelpunkt stehen.
Blickt man auf die derzeitige internationale Handelsagenda, so stehen die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU sowie der Stahlkonflikt und seine Auswirkungen auf die WTO-Runde im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sowohl Andreas Falke als auch Henry Nau versuchen in ihren Beiträgen, die amerikanische Handelspolitik der neunziger Jahre zu erklären. Falke stellt dabei fest, dass Handelspolitik ein interessengeleiteter Prozess ist, der eher unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes gesehen werden muss. So würde sich auch erklären, warum Ende der neunziger Jahre, trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung in den USA, der Kongress Präsident Bill Clinton die Handelsvollmacht („Fast-track“) verweigert hat und die Regierung nicht in der Lage war, den Beginn einer neuen Runde zu bewirken. Auch die europäische Handelspolitik, argumentiert Deutsch, sei interessengeleitet, wobei es sich hier nicht nur um ein so genanntes „two level game“, sondern um ein „three level game“ handelt, bei dem Verhandlungen auf nationaler Ebene, zwischen den EU-Mitgliedstaaten und auf multilateraler Ebene stattfinden. Wie in den USA spielen auch hier neue Akteure und Themen wie Umwelt und Soziales eine wichtige Rolle. Da die Schlussfolgerungen des Rates für Allgemeine Angelegenheiten der EU vom 26. Oktober 1999 auch Grundlage der gemeinsamen handelspolitischen Position der EU vor Doha waren, bekommt man einen guten Einblick in die Handelspolitik und Interessen der EU.
Ebenfalls weit oben auf der internationalen Tagesordnung und im Mittelpunkt der Handelsrunde stehen entwicklungspolitische Fragen, gerade auch im Hinblick auf den Ende August stattfindenden Weltgipfel zur nachhaltigen Entwicklung (Rio+10). J. Michael Finger und Philip Schuler zufolge fordern die Entwicklungsländer eine Beschleunigung der Liberalisierung im Bereich Landwirtschaft und Textilien sowie technische Hilfe bei der Umsetzung der Abkommen der Uruguay-Runde. Hingegen stehen sie unter anderm der fortschreitenden Liberalisierung der Finanzdienstleistungen, wie Wendy Dobson ausführt, kritisch gegenüber. Innerhalb eines Kompromisses, der sowohl den Industrieländern als auch den Entwicklungsländern gerecht wird, plädiert sie für eine weitere Liberalisierung unter besonderer Berücksichtigung der Finanzstabilität und einer Beschleunigung der Reform und Stabilisierung der Finanzmärkte in den Entwicklungsländern.
Eine zentrale Rolle in der Doha-Entwicklungsrunde nimmt die Landwirtschaft ein. Auf Grund von Multifunktionalität, Biodiversität, dem Vorsorgeprinzip und Konsumentenschutz werden sich hier die Verhandlungen nicht einfach gestalten, wie Stefan Tangermann schildert. Dennoch ist er vorsichtig optimistisch, gerade in Hinblick auf bereits durchgeführte nationale Reformen, was sich durch die EU-internen Verhandlungen über eine Landwirtschaftsreform heute zu bestätigen scheint.
Weniger optimistisch sieht Stephen Woolcock die Chancen für ein multilaterales Rahmenwerk über Investitionen und Handel; auch Phedon Nicolaides ist im Bereich Wettbewerbsregeln eher pessimistisch und erwartet vielmehr den Ausbau bilateraler und regionaler Abkommen. Falls es dennoch zu einem multilateralen Rahmenwerk kommen sollte, würde dies seiner Meinung nach substanzlos sein. Beide Themenbereiche sind als so genannte neue Themen in die Entwicklungsrunde aufgenommen worden; ob jedoch ein substanzielles Rahmenwerk geschaffen werden kann, entscheidet sich erst nach der fünften WTO-Ministerkonferenz, nach der Verhandlungen auf Basis eines Konsenses in beiden Bereichen stattfinden sollen. Letztlich bleiben institutionelle Belange und die Reform der WTO wichtige Fragen innerhalb der internationalen Handelsagenda. Wie wirkt sich z.B. die Erweiterung der WTO-Mitgliedschaft, insbesondere durch China, auf die WTO aus? Wie sollen die Entscheidungsprozesse in der WTO zukünftig gestaltet werden? Betrachtet man das Aufnahmeverfahren der WTO, gerade in Hinblick auf China, muss man ebenso fragen, ob das Verfahren nicht generell beschleunigt und transparenter gestaltet werden sollte. Im Hinblick auf Streitfälle wie den „Bananenstreit“ zwischen den USA und der EU muss ebenfalls diskutiert werden, ob der Streitschlichtungsmechanismus der WTO als befriedigend bewertet oder wie er effektiver gestaltet werden kann.
Viele der zentralen Fragestellungen und Themen des Bandes stehen demnach immer noch im Mittelpunkt der internationalen handelspolitischen Agenda und der derzeitigen WTO-Verhandlungen. Der Band stellt daher einen guten Querschnitt durch die relevanten Themen rund um die WTO dar. Bedauerlich ist nur, dass die neuesten Entwicklungen auf Grund des Erscheinungsdatums des Buches nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Interessant wäre z.B. ein Vergleich gewesen, warum Seattle gescheitert ist, während Doha zum Beginn einer neuen Handelsrunde geführt hat. Welche Rolle haben dabei die Ereignisse des 11. September und das sich abschwächende Weltwirt-schaftswachstum gespielt? Des Weiteren wäre es interessant zu untersuchen, ob durch Doha tatsächlich tief liegende Divergenzen überwunden wurden und ob der multilaterale Liberalisierungsprozess erfolgreich fortgesetzt wird. Der Stahlkonflikt könnte als Indiz dagegen gewertet werden. Auch sind die Verhandlungen in den schwierigen neuen Bereichen auf die Zeit nach der fünften Ministerkonferenz verschoben worden. Insgesamt werden, wie Deutsch und Speyer ausführen, die Verhandlungen wohl eher schwierig bleiben.
Klaus Günter Deutsch und Bernhard Speyer (Hrsg.), The World Trade Organization Millennium Round. Freer Trade in the twenty-first century, Routledge: New York 2001, 304 S., 100,00 $.
Internationale Politik 6, Juni 2002, S. 59 - 61.