Online-Veröffentlichung

09. Mai 2025

Eine Frage von Leben und Tod

Die Friedensmissionen der Vereinten Nationen sind fast so alt wie die UN selbst. Seit 1948 haben Peacekeeper in 120 Einsätzen weltweit daran mitgearbeitet, Frieden zu sichern oder zu schaffen. Doch was wird aus dem Peacekeeping, wenn sich entscheidende Player wie die USA zurückziehen? 

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Bild: Deutscher UN-Soldat hält seinen blauen Helm unter dem Arm
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Weltweit gibt es heute mehr Konflikte als zu jedem anderen Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg. „Die Existenz von UN-Friedenseinsätzen“, sagt UN-Untergeneralsekretär Jean-Pierre Lacroix, „ist für viele Menschen der Unterschied zwischen Leben und Tod.“ 

Doch das sichtbarste Instrument der UN für Frieden und Sicherheit gerät immer wieder unter Druck: durch Mitgliedstaaten, durch den Sicherheitsrat, durch Kriegsparteien und sonstige Spoiler. Selten war das Peacekeeping so unter Stress wie derzeit. 

Das hat viel mit der neuen Regierung in den Vereinigten Staaten zu tun. Nationale Interessen stehen für Donald Trump im Mittelpunkt. Multilaterale Ansätze spielen keine große Rolle – im Gegenteil: Amerika wendet sich normativ und programmatisch von Themen wie humanitärer Hilfe, reproduktiver Gesundheit, Klima oder Diversität und Rechtsstaatlichkeit ab. Der Ausstieg der USA aus internationalen Verträgen und Organisationen trifft auch das UN-Peacekeeping hart. Er bietet aber dafür anderen Ländern eine Chance auf mehr Einfluss.

Friedensgipfel in Berlin

Damit wäre der Kontext umrissen, in dem Deutschland am 13. und 14. Mai Gastgeber des prestigeträchtigen „UN Peacekeeping Ministerial“ (PKM) ist. Das PKM ist die ranghöchste Konferenz zum Thema Friedenssicherung und der einzige sicherheitspolitische Austausch auf dieser Ebene weltweit. Sein Vorläufer war 2014 noch maßgeblich durch die USA ins Leben gerufen worden.

Beim PKM in Berlin treffen sich hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedstaaten, Truppensteller und Einsatzländer, um über die Zukunft der Friedenssicherung zu diskutieren und ihre Unterstützung für Friedenseinsätze durch die Bereitstellung konkreter Beiträge zu unterstreichen – von Trainingsangeboten bis hin zu den sogenannten Hochwertfähigkeiten wie der strategischen und taktischen Luftbeweglichkeit.

Nach der Verabschiedung des UN-Zukunftspakts im vergangenen Jahr ist das eine besondere Gelegenheit für die neue Bundesregierung, den Konsens zu stärken, der einem effektiven multilateralen Krisenmanagement zugrunde liegen muss. Dabei geht es um die Ausgestaltung zukünftiger Einsätze, um Leistungsfähigkeit und um Finanzierungsfragen. Der Blick auf das weltweite Konfliktgeschehen zeigt, wie sehr weitsichtige Entscheidungen hier drängen, allerdings auch, dass die Umstände kaum schwieriger sein könnten.

Denn in der Tat waren die USA hier bislang der größte Geber. Deutschland ist der viertgrößte Beitragszahler zum UN-Peacekeeping-Haushalt (2023: 5,05 Milliarden Euro) und leistet darüber hinaus weitere freiwillige Beiträge. Mit zivilem Personal und Polizeikräften ist Deutschland etwa bei UNFICYP (Zypern), UNMIK (Kosovo), UNTMIS (Somalia), UNMISS (Südsudan) sowie mit Soldaten bei UNIFIL (Libanon), UNMISS (Südsudan) und MINURSO (Westsahara) engagiert. Deutschland fördert zudem die Ausbildung und den Kapazitätsaufbau von Truppen und Polizeikräften, etwa durch ein mobiles Trainingsteam der Luftwaffe in Uruguay. 

Erfolgreich Frieden stiften

Seit Februar 2025 hat Deutschland für ein Jahr den Vorsitz der Peacebuilding Commission (PBC) inne. Die PBC berät den Sicherheitsrat, die Generalversammlung und den Wirtschafts- und Sozialrat der UN. Sie bietet ein öffentliches Austauschformat für alle Mitgliedstaaten. Man spricht über erfolgreiche Maßnahmen zur Behebung der Konfliktursachen im eigenen Land, teilt „Dos and Don’ts“ und wirbt um Unterstützung durch Dritte. Einer der wichtigsten Befunde, der durch die internationale Forschung und die Praxis belegt ist, lautet: Wer nachhaltigen Frieden will, muss „alle mitnehmen“, braucht Inklusivität und Rücksicht darauf, was vor Ort benötigt wird. 

Ein Erfolgsmodell hat Mauretanien 2024 im Rahmen der PBC vorgestellt: Mit Mitteln aus dem UN-Friedensförderungsfonds wurde ein Netzwerk von 50 Frauen an der Grenze zu Mali gefördert. Die Frauen nahmen in ihren Kommunen eine Führungsrolle ein und kämpften gemeinsam erfolgreich gegen die Ausbreitung von Radikalisierung und Extremismus. Viel dazu beigetragen hat die Tatsache, dass es gelang, den Zusammenhalt zwischen malischen Flüchtlingen und mauretanischen Aufnahmegemeinden zu stärken. Dieses ermutigende Beispiel lokaler Friedensförderung wird derzeit in die offizielle Peacebuilding- und Präventionsstrategie Mauretaniens überführt und kann von anderen Mitgliedstaaten übernommen werden, in denen die Situation ähnlich ist.

Allzu oft gehen Erfolgsgeschichten wie diese unter und werden in ihrer Wirkung unterschätzt. Wir sollten uns gezielter mit solchen Beispielen für „best practice“ befassen. 

Kinderschutz in Konflikten 

Kinder gehören zu den am stärksten gefährdeten Gruppen bei bewaffneten Konflikten. Die Ende 2023 beendete UN-Mission in Mali (MINUSMA) hatte daher ihren Schutz zu einem strategischen Schwerpunkt erklärt. In enger Zusammenarbeit mit dem malischen Ministerium für Frauen, Kinder und Familie und zivilgesellschaftlichen Organisationen stärkte die Mission lokale Schutzmechanismen, um schwerwiegende Kinderrechtsverletzungen zu verhindern, etwa die Ausbeutung und Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen oder sexualisierte Gewalt.

Gemeinsam mit der Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission förderte die Mission den institutionellen Kinderschutz, unter anderem durch die Integration kinderschutzrelevanter Inhalte in die Ausbildung der malischen Streitkräfte. Damit leistete MINUSMA einen wichtigen Beitrag zur Reform des Sicherheitssektors im Sinne internationaler Schutzstandards. 

Zudem führten die Verantwortlichen der Mission einen strukturierten Dialog mit bewaffneten Gruppen, insbesondere mit der „Koordination der Bewegungen des Azawad“ (CMA), einem Zusammenschluss von verschiedenen Gruppen, die nach einem eigenen Staat unter dem Namen Azawad im Norden Malis strebten. Ziel des Dialogs war es, Aktionspläne zur Beendigung der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern umzusetzen. 

Parallel dazu half MINUSMA bei der lokalen Umsetzung der „Safe Schools Declaration“, einem internationalen Instrument zum Schutz von Bildungseinrichtungen in Konfliktgebieten. In zehn Städten, darunter Bamako, Gao und Mopti, gibt es nun sogenannte „One-Stop-Zentren“: Überlebende von konfliktbezogener, sexualisierter Gewalt erfahren dort umfassende Unterstützung, sowohl medizinisch als auch psychosozial und rechtlich.

Das zeigt, dass die Wirkung der Mission über eine reine Schutzpräsenz hinausging. MINUSMA förderte den Aufbau lokaler Schutzstrukturen, gezielter Bildungsinitiativen und partnerschaftlichen Engagements. Und MINUSMA sendete das klare Signal: Kinderschutz ist ein zentraler Bestandteil wirksamer und am Menschen orientierter Friedenssicherung.

Wie sehr die UN-Missionen vor Ort zuweilen geschätzt werden, wird am Beispiel der langjährigen UN-Mission MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo deutlich: So kam Mitte März bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen der Ostafrikanischen Gemeinschaft und der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft die Forderung auf, die operativen Fähigkeiten von MONUSCO wieder zu stärken, um einen Waffenstillstand abzusichern.  

Von den UN lernen?

Die Vereinten Nationen haben in Sachen Handlungsfähigkeit, Finanzierung oder Wirksamkeit nicht notwendigerweise mehr, sondern vielleicht zum Teil sogar weniger Reformbedarf als die einzelnen Mitgliedstaaten. Das versammelte Wissen der UN ist gigantisch, ihr Beitrag für ein regelbasiertes Miteinander unerlässlich. Es gibt keine vergleichbare Organisation der Welt, in der die Bandbreite von Zukunftsthemen wie Klima, Künstliche Intelligenz, Cyber, Tech, Ernährungssicherheit, Gesundheit, Konflikte und Versöhnung unter einem Dach vereint ist. 

Und vielleicht könnte ja auch Deutschland von und in den Vereinten Nationen lernen, wie wir die wachsende Polarisierung im eigenen Land überwinden können. Es wäre sicher nicht falsch, als neugieriger und ratsuchender Gastgeber des PKM aufzutreten. Wenn Deutschland damit aus der Konferenz etwas für die eigene Zukunftsgestaltung mitnähme, wäre das ein gutes Signal an alle, die – berechtigte – Fragen zu Umfang und Wirkung des deutschen Engagements bei den Vereinten Nationen haben.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik, Online-Veröffentlichung, 9. Mai 2025

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Dr. Astrid Irrgang ist Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF).

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