Titelthema

20. Juni 2025

Eine Bank für Europas Sicherheit

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Bild: Grafische Illustration eines Schwertes dessen Spitze in einen Stift übergeht
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"Germany is back on track“ – so lautete die erste Botschaft von Bundeskanzler Friedrich Merz an die internationale Presse. In seiner ersten Regierungserklärung im Mai 2025 folgte eine klare Analyse des hybriden Konflikts, in dem sich Europa seit der russischen Invasion der Ukraine befindet. Allerdings sind die Herausforderungen nicht nur militärischer, sondern auch finanzieller Natur: Rund 75 Prozent der NATO-Staaten verfügen weder über ausreichend hohe Verteidigungsbudgets noch über günstige Kreditkonditionen, um ihre Verteidigungsfähigkeiten schnell zu stärken.
 
Gleichzeitig zieht sich privates Kapital europaweit zurück, besonders bei den spezialisierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die Schlüsselkomponenten für große Rüstungskonzerne liefern. Gerade diese Komponenten­entwickler sind entscheidend dafür, dass börsennotierte Unternehmen ihre Großaufträge termingerecht erfüllen können. Trotz erweiterter finanzieller Spielräume nimmt die Bundesregierung damit ihre Arbeit in einem angespannten geoökonomischen Umfeld auf, das nach neuen Antworten verlangt. Es gilt, ökonomische Resilienz und Abschreckung zusammenzudenken.


SAFE: ein erster Schritt

Mit dem 150-Milliarden-Euro-Programm Security Action for Europe (SAFE) hat Brüssel einen zuvor undenkbaren Schritt getan: eine gemeinsame Ausgabe von Anleihen zur Finanzierung von Rüstungsbeschaffungen. Erstmals nehmen EU-Institutionen Kapital im Namen aller 27 Mitgliedstaaten auf, um gemeinsame Beschaffungen hochentwickelter Verteidigungsfähigkeiten zu finanzieren – von Artillerie und Luftabwehr bis zu Drohnen und Cybertools. Deutschland ist aufgrund seiner hohen Kreditwürdigkeit zwar eher indirekt betroffen. Profitieren dürften jedoch nahezu alle europäischen Staaten an der Grenze zur Ukraine und dem russischen Aggressor.

Es ist lobenswert, dass die EU-Kommission mit SAFE die Beschaffungsfinanzierung für den Verteidigungsfall antizipiert. Doch ohne eine europäische Industriestrategie, die allerdings nicht auf Ebene der EU-Kommission verhandelt werden kann, bleiben Liquiditätsprobleme kritischer Zulieferer bestehen. Die Folgen sind gestörte Lieferketten, eine Preisinflation bei Verteidigungsgütern und die drohende Neutralisierung der gerade erst neu gewonnenen Mittel. Bei einem zu geringen Angebot zeichnet sich außerdem ein dramatischer EU-Binnenwettbewerb ab: Wenige EU-Staaten mit hohen Budgets und solider Bonität kaufen die Bestände auf, während potenzielle Frontstaaten leer ausgehen. Auch der Draghi-Report warnt vor einem solchen Szenario. Friedrich Merz und Finanzminister Lars Klingbeil könnten jedoch ein neues Finanzierungsinstrument nutzen, um diesem Risiko entgegenzuwirken.


Eine Lösung für das Liquiditätsproblem

Das Instrument der Stunde ist die Defense, Security and Resilience Bank (DSR Bank). Erstmals beim Atlantic Council vorgeschlagen, soll sie Europas Verteidigungsfähigkeiten – komplementär zu SAFE – langfristig und im großen Maßstab finanzieren. Inzwischen wächst der Rückhalt für die Idee einer neuen multilateralen Entwicklungsbank für die europäische Sicherheitsarchitektur. Das EU-Parlament sprach sich im März 2025 in seinem Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung für die Gründung aus. Auch aus der Finanzwirtschaft kommt Zuspruch: Deutsche-Bank-CEO Christian Sewing lobte den Vorschlag im Handelsblatt. Nachdem der britische Verteidigungsminister John Healey das Interesse seiner Regierung zuletzt im britischen Parlament bestätigte, bereitet 10 Downing Street laut Daily Telegraph eine Gründung mittlerweile aktiv vor – unter Einbeziehung weiterer Partner.

Einigkeit besteht darüber, dass Europa seine Verteidigungsfähigkeit rasch stärken muss – durch den Ausbau der Rüstungsproduktion, die Sicherung kritischer Lieferketten und Investitionen in militärische Infrastruktur. Doch der wirtschaftliche Unterbau – vor allem Rüstungs- und Munitionshersteller sowie ihre Zulieferer – leidet unter verschärften Kreditbedingungen und fehlenden Sicherheiten. Versiegt die Liquidität, stockt die Produktion, Lieferungen verzögern sich, und die Abschreckungswirkung sinkt. 

Um das zu verhindern, braucht es eine multilaterale Koordination der Verteidigungsinvestitionen. Zersplitterte nationale Strategien verzerren die Nachfrage und verteuern die Beschaffung. Eine DSR-Bank könnte durch ihre Kreditkriterien die Interoperabilität bei Beschaffungen und den Aufbau gemeinsamer Fähigkeiten fördern. Mit Garantien für Privatbanken und bewährten Instrumenten wie Mischfinanzierungen oder First-Loss-Tranchen ließen sich privates Kapital mobilisieren und fragile Lieferketten stabilisieren. So könnte die Produktion skaliert und der Zusammenhalt gleichgesinnter Staaten gestärkt werden. 


Sparvorteile in Milliardenhöhe

Der Zugang zu großvolumigem Kapital in der Lieferkette ist entscheidend. Sonst überholt die steigende Güternachfrage die Produktionskapazitäten, wie zu Beginn der russischen Invasion, als der Preis einer 155-mm-Artilleriegranate binnen weniger Monate um 290 Prozent stieg. Es droht eine inflationsgetriebene Verteidigungsspirale: Staaten müssten verstärkt Kredite aufnehmen, um das knappe Angebot zu finanzieren – eine Dynamik, vor der das US-Finanzdienstleistungsunternehmen S&P Global eindringlich warnt. Eine DSR-Bank könnte hier gezielt gegensteuern: mit dauerhaft günstiger Finanzierung – auch über das SAFE-Volumen hinaus – zur Unterstützung von Investitionen und Kreditaufnahme. So ließe sich die Produktion ohne Kostenexplosion ausweiten; zugleich würde der Anleihemarkt entlastet. Staaten ohne AAA-Rating (die bestmögliche Bewertung) würden langfristig profitieren, ohne auf fiskalisch heikle Eurobonds zurückgreifen zu müssen. Kreditausgaben verblieben auf der Bankbilanz; Einlagen zählten national als Vermögenswerte und als Beitrag zum NATO-Ziel.

Genau wie die Weltbank in der Lage ist, günstig Kredite aufzunehmen, könnte die DSR-Bank Einsparungen an Mitgliedstaaten weitergeben. Polen finanzierte 2002 den Kauf von 48 F-16-Jets mit einem 13-jährigen US-Kredit zu einem Zinssatz von 5 Prozent pro Jahr – insgesamt Zinskosten von 3,47 Milliarden US-Dollar. Würde ein vergleichbares Projekt heute über die DSR-Bank abgewickelt – die analog zur Internationalen Bank für Wiederaufbau rund 3 Prozent bieten dürfte – ließe sich etwa eine Milliarde Dollar sparen. Auf NATO-Binnenexporte (30 Milliarden Dollar jährlich) angewandt, ergibt sich eine Zinsersparnis von 500 Millionen Dollar pro Jahr. Bei langfristigen Rüstungsaufträgen wächst der Betrag schnell in den zweistelligen Milliardenbereich. 
Sparvorteile über die EU hinaus sind zentral, denn Abschreckung ist kein nationales Privileg, sondern ein kollektives Gut. Auch Wertepartner außerhalb Europas wie Kanada, Australien, Japan und Südkorea sollten stärker eingebunden werden. Dafür reicht es nicht, nur Deutschland oder die EU-Beschaffungsnachfrage wieder auf Kurs zu bringen. Gefragt ist jene Führung, die Olaf Scholz einst versprach, aber nie einlöste. Für Kanzler Merz und Finanzminister Klingbeil bietet die DSR-Bank eine Blaupause in einem geopolitischen Wettbewerb, in dem ökonomische Resilienz und Abschreckung untrennbar verknüpft sind. 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 30-31

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Said D. Werner ist Innovationsforscher an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Affiliate Director des MIT Murray Lab for Deep Tech & Geopolitics. In Deutschland arbeitet er als unabhängiger Strategieberater für Angehörige von Bundes- und Landesregierungen, für Stiftungen, Unternehmen und politische Parteien.

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