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01. Mai 2019

Ein strategischer Baustein

Von Ulrich Speck

In der neuen Konkurrenz der Großmächte ist Zusammenarbeit in Europa über-
lebenswichtig. Deshalb brauchen wir einen Europäischen Sicherheitsrat

Das Ende der Hoffnung auf liberale Konvergenz, der härter gewordene Ton im internationalen Verkehr, die Fokussierung der USA auf den Wettbewerb mit China, auch mit Russland, die Rücksichtslosigkeit Donald Trumps gegenüber den Europäern, nicht zuletzt der Brexit – all diese Entwicklungen erschüttern das „Geschäftsmodell“ der Europäer. Dabei sind sie auf den Schutzschirm der USA ebenso angewiesen wie auf eine strategische Führung in Wa­shington, die die Interessen der Europäer berücksichtigt.

Die Europäer stehen vor der Frage, wie sie ihre gemeinsamen Interessen und Vorstellungen artikulieren und durchsetzen können, wie sie mit Bedrohungen umgehen. Können sie ein relevanter machtpolitischer Faktor werden und eine internationale Ordnung abstützen, die für die Sicherheit, Freiheit und Prosperität Europas essenziell ist? Nur als Macht können sie Autokratien wie China und Russland widerstehen. Aber sie müssen wesentlich mehr dafür tun, um die Welt sicher für Demokratie zu machen.

Die europäischen Institutionen sind entstanden unter der Voraussetzung, dass letzten Endes die USA den größeren Rahmen bieten, innerhalb dessen sich die Europäer entfalten können. In einem neuen globalen strategischen Umfeld, in dem Machtpolitik dominiert, muss sich Europa selbst machtpolitisch neu aufstellen. Dazu fehlen jedoch die Institutionen und Plattformen. Der Europäische Auswärtige Dienst, geleitet von einem Hohen Repräsentanten mit erweiterten Zuständigkeiten, ist nicht in der Lage, machtpolitisch zu agieren. Wenn es um die Beziehungen zu großen Mächten geht – USA, China, Russland – oder um den Einsatz erheblicher Ressourcen sowie militärischer Mittel, spielt Brüssel nur eine Nebenrolle. Wo Paris oder Rom, Berlin oder Warschau wichtige nationale Interessen im Spiel sehen, handeln sie im Zweifelsfall unilateral und bemühen sich höchstens darum, andere Hauptstädte und EU-­Institutionen unterstützend an Bord zu bekommen.

Allein sind selbst Frankreich oder Deutschland machtlos gegenüber einem Player wie China. Europäische Zusammenarbeit ist damit überlebenswichtig geworden. Natürlich kann man dafür Ad-hoc-Formate benutzen: die EU3, die mit dem Iran verhandeln, oder jüngst das Treffen von Emmanuel Macron und Angela Merkel plus Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Solchen Formaten jedoch fehlt zum einen die Stetigkeit, zum anderen auch die Legitimität, im Namen Europas zu sprechen und zu handeln. So bietet es sich an, über eine neue Institution nachzudenken, die bereits von Macron und Merkel als Idee erwähnt worden ist: ein Europäischer Sicherheitsrat (ESR). Ein solcher ESR müsste vor allem zwei Merkmale vereinen: Er müsste effizient sein, und er müsste legitim sein, also auf Zustimmung zählen können. Mit 28 Außenministern oder Regierungschefs am Tisch hat man zwar maximale Legitimität, doch ­Effizienz ist äußerst schwer zu erreichen. Die 28 einigen sich entweder darauf, die Sache nicht zu behandeln, weil sie zu kontrovers ist, oder auf einen Minimalkonsens, der in der Sache wenig bringt. Infolgedessen handeln dann die Staaten, die aufgrund ihrer Größe und Macht überregional relevant sind – vor allem Frankreich, Deutschland und Großbritannien – nach eigenen Vorstellungen und Interessen.

Ein ESR müsste diese Realität der Macht berücksichtigen und erstens die Großen und Größeren, diejenigen, die eine relevante Außenpolitik haben, an einen Tisch bringen. Er müsste zweitens, um Durchschlagskraft und Legitimität zu haben, den Kleineren die Chance bieten, auch gelegentlich dabei zu sein. Drittens müssten die EU-Institutionen, die über Ressourcen und Legitimität verfügen, ebenfalls mittun. Und viertens, um für Europa sprechen zu können, müsste Großbritannien dabei sein, ob Brexit oder nicht.

Ein solcher ESR, der auf Ebene der Regierungschefs zweimal jährlich tagen könnte und eine koordinierende, nicht exekutive Rolle hätte, könnte sich zusammensetzen aus den drei Großen: Frankreich, Großbritannien, Deutschland sowie den drei Größeren: Italien, Spanien, Polen. Auch dabei wären die Präsidenten der EU-Kommission sowie des Europäischen Rates und der Hohe Repräsentant für Außenpolitik. Hinzu kämen rotierend zwei weitere, kleinere Staaten. Im Kern würde es darum gehen, dass die entscheidenden Akteure sich über die strategischen Grundlinien in der neuen Großmachtkonkurrenz verständigen. Zum Abschluss ihres Treffens könnten sie ein Strategiedokument veröffentlichen, das sich auf ein Thema konzentriert.

Der Vorteil eines ESR würde darin bestehen, dass die Aufmerksamkeit der Regierungschefs, aber auch ihrer Regierungen und der Öffentlichkeit, zweimal jährlich auf ein großes strategisches Thema gelenkt wird. Damit würde er im günstigsten Fall zum Vehikel einer außen- und sicherheitspolitischen Bewusstseinsbildung und Strategieentwicklung. Sie könnte ein Baustein sein für eine Strategie der Selbstbehauptung Europas in einem dramatisch sich wandelnden geopolitischen Umfeld.

Dr. Ulrich Speck arbeitet als Senior Visiting Fellow beim German Marshall Fund in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2019, S. 42-43

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