Drei Fragen an ... Hürcan Aslı Aksoy
Leiterin des Centrums für angewandte Türkeistudien an der SWP
1. Mit der Festnahme Ekrem İmamoğlus scheint die Türkei endgültig auf dem Weg in die Autokratie. Was kann die Opposition noch tun?
Die Türkei hat sich von einer kompetitiven zu einer vollständigen Autokratie entwickelt. Trotz unfairer Wahlbedingungen war die Opposition bislang konkurrenzfähig, jetzt ist der letzte demokratische Rest politischen Wettbewerbs unterbunden. Die Opposition reagiert sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Neben anhaltenden Protesten und Konsumboykott hat die Republikanische Volkspartei (CHP) ihre Vorwahlen für die gesamte Bevölkerung geöffnet: 16 Millionen Menschen brachten ihre Solidarität mit İmamoğlu zum Ausdruck. Die CHP will eine nachhaltige Mobilisierung.
2. Die Türkei will auch außenpolitisch in der ersten Liga spielen. Nun kommt innenpolitischer Druck dazu. Überreizt Erdoğan sein Blatt?
Willen allein reicht nicht, es braucht auch Kompetenzen. Erdoğan hat zwar bewiesen, dass er Krisen meistern kann: von den Gezi-Protesten 2013 über den Putschversuch 2016 bis zur schrittweisen Kontrolle aller staatlichen Institutionen. Doch die Wirtschaft befindet sich in einer Dauerkrise, und die Demonstrationen stellen Erdoğan und seine Partei auf eine harte Probe. Er nutzt die geopolitische Bedeutung der Türkei gezielt aus. Ihre potenzielle Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur dient ihm als Schutzschild gegen westliche Kritik an seinem innenpolitischen Machtkurs.
3. Wie kann und sollte Europa reagieren?
Europa sollte eine pragmatische, aber zugleich wertebasierte Zusammenarbeit mit der Türkei anstreben – insbesondere in einem zunehmend instabilen globalen Sicherheitsumfeld. Dabei muss die EU jedoch klare Grenzen setzen. Statt lediglich vage „Besorgnis“ zu äußern, sollte sie sowohl der türkischen Regierung als auch in der Öffentlichkeit unmissverständlich vermitteln: Eine vertiefte Partnerschaft mit Europa ist nur möglich, wenn die Türkei wenigstens ein Mindestmaß an demokratischer Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit wahrt. Eine strategische Allianz mit einem Regime, das demokratische Normen vollständig aufgibt, wäre weder politisch noch moralisch vertretbar.
Internationale Politik, Mai/Juni 2025, S. 6