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01. Jan. 2002

Die WTO nach Doha

Eine europäische Perspektive

EU-Handelskommissar Pascal Lamynennt das Ergebnis von Doha „einen vollen Erfolg“, es habe die EU-Staaten einer nachhaltigen Gestaltung des Wellthandelssystems ein großes Stück näher gebracht. Er führt dies zurück auf die gründliche Vorbereitung nach dem 11. September.

Die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die vom 9. bis 14. November 2001 in Doha stattfand, war ein Erfolg. Das dort beschlossene Verhandlungsprogramm für die nächsten drei Jahre stärkt das multilaterale Handelssystem, ebnet den Weg für eine umfassende Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft und eröffnet die Chance auf ein besseres Gleichgewicht zwischen Marktliberalisierung und -regulierung.

Mit der in Doha beschlossenen Aufnahme von China und Taiwan hat die WTO ihren Anspruch, ein weltumspannendes System von Handelsregeln zu errichten, ein großes Stück weit umgesetzt. Die WTO umfasst jetzt 144 Mitglieder, die Mehrheit davon sind Entwicklungsländer.

Die Ergebnisse von Doha spiegeln sehr konkret die drei Hauptziele wider, mit denen die EU nach Doha gereist war:

–Marktöffnung: Die vereinbarten Verhandlungen zur Marktöffnung bei Waren und Dienstleistungen werden zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Bürokratieabbau und eine Verbesserung der Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge werden den Unternehmen ihre Aktivitäten auf internationalen Märkten erleichtern. Im Bereich Landwirtschaft wurde ein ausgewogener Kompromiss gefunden, der Verhandlungen in allen Bereichen vorsieht, ohne deren Ergebnis vorwegzunehmen, und der damit den Interessen aller WTO-Mitglieder Rechnung trägt.

–Gleichgewicht zwischen Liberalisierung und Regulierung: Der regelgestützte Charakter der multilateralen Handelsordnung wurde durch den Beschluss gestärkt, über WTO-Abkommen zu Investitionen, Wettbewerb, Handelserleichterung und zum öffentlichen Auftragswesen zu verhandeln. Die Vereinbarung, Regeln für das Verhältnis zwischen WTO-Vorschriften und multilateralen Umweltabkommen auszuhandeln, wird zu mehr Kohärenz im internationalen System beitragen. Begrüßenswert ist auch die Berücksichtigung „nicht handelsbezogener Anliegen“ in den Agrarverhandlungen. Etwas weniger positiv fällt die Bilanz im Bereich der Kernarbeitsnormen aus: in der Schlusserklärung fehlt die Anerkennung der Querverbindungen zwischen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und anderen internationalen Organisationen wie der WTO – zu groß waren die Befürchtungen einiger Entwicklungsländer, dies könne protektionistischen Maßnahmen Tür und Tor öffnen. Die neue Dynamik in der ILO zur sozialen Dimension der Globalisierung bietet jedoch eine gute Grundlage zur Förderung der Einhaltung der Kernarbeitsnormen sowie eine Einbeziehung der WTO.

–Einbeziehung der Entwicklungsländer: Die Entwicklungsdimension zieht sich wie ein roter Faden durch die Erklärung von Doha: vom Marktzugang über Regelungsvorschriften bis hin zu Sonderbestimmungen über Entwicklung, technische Hilfe, „capacity-building“ und die besondere Berücksichtigung der am wenigsten entwickelten Länder. Zudem kam ein Paket zustande, das sich der Schwierigkeiten einer Reihe von Entwicklungsländern bei der Umsetzung der Ergebnisse der letzten Verhandlungsrunde annimmt. Die Mitglieder haben in einer politisch außerordentlich bedeutsamen Erklärung bestätigt, dass die internationalen Regeln über den Schutz geistigen Eigentums Maßnahmen der Entwicklungsländer zur Bekämpfung von Epidemien wie AIDS oder Malaria nicht entgegenstehen.

Wodurch wurden diese Ergebnisse möglich? Hier hat sicher die im Vergleich zu Seattle gründlichere Vorbereitung eine Rolle gespielt: bevor Doha begann, waren etwa 80% der Wegstrecke bereits zurückgelegt – es fehlten also „nur“ noch 20% bis zum gesteckten Ziel. Die Zeit zwischen Seattle und Doha war somit keineswegs verloren: die EU hatte sie vielmehr zu intensiver Zusammenarbeit mit allen Partnern, insbesondere mit den USA und den Entwicklungsländern, genutzt. Der Vorbereitungsprozess für Doha war –  nach dem 11. September – sehr viel partizipativer ausgestaltet, als dies vor früheren Ministerkonferenzen der Fall gewesen war. In einer Reihe von Fragen hatte die EU sich um eine konstruktive Vermittlung zwischen den Vereinigten Staaten und den Entwicklungsländern bemüht. Diese Investition hat sich in Doha ausgezahlt. Es wäre allerdings falsch, das Ergebnis von Doha auf eine altruistische Haltung der EU oder anderer Industriestaaten zurückzuführen – entscheidend waren das Engagement und das Verhandlungsgeschick der Entwicklungsländer, die durch kompetente Verhandlungsführung und durch das Schmieden von Allianzen dieses positive Ergebnis im Interesse aller WTO-Mitglieder erst ermöglicht haben.

Mit dem Abschluss von Doha sind die EU-Staaten somit einer zukunftsweisenden und nachhaltigen Gestaltung des Welthandelssystems ein großes Stück näher gekommen. In den nächsten drei Jahren gilt es, diese Chance zu nutzen – und zu beweisen, dass die EU ihre Zusagen, etwa im Bereich technischer Hilfe für die Entwicklungsländer, auch tatsächlich einhalten kann und will. Denn bei aller Zufriedenheit über das gute Ergebnis: Mit Doha stehen wir erst am Anfang der Verhandlungen.

Deren Ziel muss es sein, einen Beitrag zu einer „Weltordnungspolitik“ zu leisten, die eine aktive Gestaltung der Globalisierung durch die Politik gewährleistet. Doha und die WTO sind nur ein, wenn auch ein unverzichtbarer Stein in diesem Mosaik.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2002, S. 59 - 60.

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