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01. Sep 2008

Die unverzichtbare Allianz

Amerika braucht Europa

Ironischerweise geht es uns heute wie Ishmael, dem Helden aus Herman Melvilles „Moby Dick“. Er sah sich zwischen „einer großen, umstrittenen Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten“ und „einer blutigen Schlacht in Afghanistan“ gefangen. Unsere „große umstrittene Wahl“ hat uns in eine Debatte geführt, die den Kurs Amerikas und der Welt bestimmen wird. Wir bleiben Madeleine Albrights „unverzichtbare Nation“ oder zumindest Josef Joffes „Standard-Anführer“ in der Welt. Doch wie auch immer diese Wahl ausgeht: Der Gewinner steht vor der Herausforderung, die amerikanische Politik wieder ins Weltgeschehen einzubinden. Wir haben erkannt, dass die Ära der amerikanischen Vorherrschaft vorbei ist.

Gewiss: Die 2002 veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie entstand aus einer ernsten terroristischen Bedrohung. Diese Bedrohung dauert an, aber unilaterale Antworten sind keine Option mehr. Wenn ich Präsident Obama oder Präsident McCain beraten sollte, würde ich ihn bitten, die beiden in der Natur amerikanischer Macht verwurzelten Richtungen – Isolationismus und Unilateralismus – aus seiner Regierung zu verbannen. Wenn wir also der Welt nicht isolationistisch den Rücken zukehren wollen, wie wird der nächste US-Präsident sich Europa annähern und von seinen Stärken profitieren? Können wir für die Welt das erreichen, was Europa durch die Verschmelzung nationalstaatlicher Souveränitäten in der EU für die Verbreitung der Demokratie erreicht hat? Kann die EU zu einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik gelangen und ihre Macht mit der unsrigen vereinen? In seinem Essay über die verschiedenen Strategien auf beiden Seiten des Atlantiks, „Architects of delusion“, bedauert Simon Serfaty nicht zu Unrecht, dass weder europäische noch amerikanische Politiker der transatlantischen Solidarität einen hohen Stellenwert einräumen.

Dabei wissen wir, dass die transatlantische Partnerschaft ein unverzichtbarer Baustein für Frieden und Wohlstand ist. Wir sollten es begrüßen, dass Europa durch seine Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan mehr militärische Verantwortung übernimmt. Und trotz des Zerwürfnisses zwischen den USA und Europa über den Irak muss ein starkes Europa kein Gegenpol sein. Vielmehr sehen wir es im Umgang mit militärischen Konflikten als gleichberechtigten Partner an. Die Basis einer erfolgreichen Partnerschaft mit unseren europäischen Freunden sind unsere gemeinsamen Werte. Wenn wir Unterstützung für politische Vorhaben auf der Grundlage dieser Werte suchen und sie durch unser Handeln verteidigen, dann werden wir weltweit auf Solidarität stoßen. Doch wenn unser politisches Handeln diese Werte verrät, werden wir scheitern.

Was Walter Russell Mead über Deutschland, Amerika und den Nahen Osten gesagt hat, ist auch heute noch gültig: „Zunächst bleibt eine stabile und solide Beziehung zwischen den USA und Deutschland die unabdingbare Voraussetzung für eine europäische Vereinigung. Zweitens ist das Thema, um das die USA und Deutschland am häufigsten streiten – der Nahe Osten – zugleich jenes, bei dem die beiden Staaten die meisten Interessen teilen und somit am meisten gewinnen können, wenn sie einen gemeinsamen Weg finden.“

Historische Aufgaben erwarten die transatlantische Zusammenarbeit – nicht nur die blutigen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch die globale Energie- und Klimapolitik, Al-Qaida, die Taliban und atomare Bedrohungen, der Aufstieg neuer Mächte wie Indien und China und das Wiedererstarken Russlands, zuletzt im Kaukasus-Krieg. Doch nehmen wir Amerikas militärische und ökonomische Macht, verbinden sie mit den Demokratien und sozialen Marktwirtschaften Europas und umrahmen dies mit unserer gemeinsamen Verpflichtung dem Rechtsstaat und den Menschenrechten gegenüber – so erhalten wir die stärkste Gegenmacht gegenüber diesen geopolitischen Herausforderungen.

Natürlich werden wir weiterhin unterschiedlicher Ansicht darüber sein, welches politische Handeln das Beste ist. Doch wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren: Unermüdlich müssen wir die Welt davon überzeugen, sich zu Respekt vor der Menschenwürde, dem Rechtsstaat und zivilgesellschaftlichen Institu-tionen zu bekennen. Dies wird nur erfolgreich sein, wenn wir unseren Worten endlich Taten folgen lassen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2008, S. 96 - 97

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