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01. Okt. 2008

Die Neuerfindung des Automobils

Wie wir sauberer und effizienter fahren – drei technologische Trends

1886 war ein besonders kreatives Jahr: Heinrich Hertz schuf die Grundlagen für die Telegrafie, Josephine Cochrane erfand den Geschirrspüler und John Pemberton Coca-Cola. Alle drei Erfindungen wurden große Erfolge und beeinflussten das Leben nachfolgender Generationen. Nur eine weitere Erfindung des Jahres 1886 übertrifft sie noch: die Erfindung des Automobils durch Gottlieb Daimler und Carl Benz. Hinzu kamen bald der Lkw und der Omnibus – die Revolution der Mobilität war perfekt. Im Rückblick hat man das 20. Jahrhundert oft als „Jahrhundert des Automobils“ bezeichnet. Heute müsste man allerdings hinzufügen: Es war das erste Jahrhundert des Automobils; das zweite hat gerade erst begonnen.

Was heißt das konkret? In vielerlei Hinsicht ist der Automobilsektor heute das Rückgrat der Weltwirtschaft: Rund um den Globus hängen über 50 Millionen Arbeitsplätze vom Auto ab. Die Automobilindustrie hat 2006 weltweit über 430 Milliarden Euro an Steuern generiert. Und über 80 Milliarden Euro investiert sie jährlich in Forschung und Entwicklung – mehr als jeder andere Industriezweig. Dabei dürfte die globale Bedeutung des Automobils sogar noch zunehmen: 100 Jahre dauerte es, um den heutigen Bestand von weltweit rund 800 Millionen Fahrzeugen zu erreichen. Diese Zahl könnte sich Experten zufolge schon innerhalb der nächsten 30 Jahre mehr als verdoppeln. China und Indien entdecken das Auto – allein in Peking werden täglich über 1000 Autos zugelassen. Gesellschaftlich und wirtschaftlich ist das positiv. In ökologischer Hinsicht jedoch ist eine globale Automobilisierung nur dann verantwortbar, wenn Pkw und Nutzfahrzeuge zugleich immer sauberer und sparsamer werden. Aus technologischer Sicht zeichnen sich dabei drei Trends ab: zum einen die fortlaufende Verbesserung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren, zum anderen die zusätzliche Effizienzsteigerung durch Hybride, also die Kombination von Verbrennungsmotor und Elektroantrieb, und schließlich das lokal emissionsfreie Fahren mit batterie-elektrischen Antrieben oder Brennstoffzelle.

Die öffentliche Debatte mag mitunter den Eindruck wecken, dass der Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell sei. Die Fakten sprechen allerdings dagegen, das gilt sowohl für den Benziner (Ottomotor) als auch für den Diesel: Jeder dritte Mercedes-Pkw in Europa ist heute ein Fünf-Liter-Auto. Mit einer neuen BLUETEC-Technologie konnten wir beispielsweise Dieselmotoren weiter verbessern – sie haben 80 Prozent weniger Partikel und bis zu 80 Prozent weniger Stickoxide im Abgas gegenüber der EURO 3-Norm.

Der Verbrennungsmotor hat also lange nicht ausgedient – umso weniger, als seine ständige Verbesserung die Voraussetzung für effiziente Hybridfahrzeuge ist. Dies ist der zweite Trend: Bereits 2009 kommt die erste S-Klasse mit Benzin-Hybrid auf den Markt. Im Nutzfahrzeugsektor ist Daimler bereits heute Weltmarktführer bei Hybridfahrzeugen.

Gleichzeitig arbeiten wir an Antriebskonzepten, die ganz ohne Benzin oder Diesel auskommen, insbesondere an batterie-elektrischen Antrieben und an der Brennstoffzelle. Die Idee ist nicht neu: Von den rund 2500 Automobilen, die in Amerika im Jahr 1900 produziert wurden, waren 1500 Elektrofahrzeuge. Die erste Brennstoffzelle ist sogar älter als das Auto selbst; sie stammt aus dem Jahr 1839. Warum also hat sich trotzdem der Verbrennungsmotor durchgesetzt? Einige der Argumente gelten dem Prinzip nach bis heute: kurze Tankzeiten, große Reichweiten, flächendeckende Infrastruktur. Beim elektrischen Fahren ist dagegen noch vieles ungeklärt: Wie weit kommt man mit einer Batterieladung? Wie lädt man die Batterie wieder auf, und wie lange dauert das? Wo sind die Ladestationen? Wie viel Strom wird zusätzlich benötigt? Wie umweltfreundlich wird er erzeugt? Und nicht zuletzt: Was kostet das?

Nicht alle Antworten darauf kann ein Autohersteller allein geben. Um beispielsweise die nötige Infrastruktur zu schaffen, müssen Politik, Energieversorger und Automobilindustrie zusammenwirken. So planen Daimler und RWE den Aufbau eines Netzes von 500 Strom-Ladestationen für 100 Elektrofahrzeuge in der Bundeshauptstadt Berlin. Dabei stellt der Stromversorger die Ladestationen und Daimler die Elektroautos. Möglich wird dies unter anderem durch Technologien, mit deren Hilfe Fahrzeug und Ladestation kommunizieren. Auf diese Weise wird die Batterie automatisch mit günstigem Nachtstrom geladen, wenn das Netz gerade nicht ausgelastet ist. Oder wenn mehr Strom aus alternativen Energiequellen zur Verfügung steht als zu diesem Zeitpunkt gebraucht wird. Bereits Ende 2009 werden die ersten Elektrofahrzeuge mit modernen Lithium-Ionen-Batterien an Kunden ausgeliefert. Diese bisher vor allem aus Handys oder PC-Notebooks bekannten Batterien sind wesentlich kompakter als herkömmliche Typen; außerdem ermöglichen sie mehr Reichweite bei kürzerer Ladezeit.

Ist die Zukunft des Automobils also elektrisch? Langfristig spricht auf Kurzstrecken vieles dafür. Vor allem im Stadtverkehr können batterie-elektrische Antriebe den Menschen mobil machen. Auf längeren Strecken, wie im Transportwesen oder bei Busreisen, dürfte aber der Verbrennungsmotor noch länger dominieren. Eine Alternative wäre hier das emissionsfreie Fahren mit Brennstoffzelle – eine Technologie, die aktuell weniger im Rampenlicht steht.

Aus unserer Sicht hat die Brennstoffzelle durchaus Potenzial. Sie ist effizient und emissionsfrei. Dabei ermöglicht sie Reichweiten in der Größenordnung eines Verbrennungsmotors und lässt sich in drei bis vier Minuten betanken. Während Öl knapper und teurer wird, ist der für Brennstoffzellen benötigte Wasserstoff das häufigste Element im Universum. Der Knackpunkt ist aber auch hier die Infrastruktur. Falls es jedoch gelingt, ein flächendeckendes Versorgungsnetz aufzubauen, dürften auch die Kraftstoffkosten für Brennstoffzellenfahrzeuge langfristig wettbewerbsfähig werden. Einige Experten schätzen den Markt für Wasserstoffautos im Jahr 2020 allein in der EU auf etwa fünf Millionen Fahrzeuge; wir könnten sie alle bereits antreiben, wenn wir von der heutigen Wasserstoffproduktion auch nur ein Prozent abzweigen.

Wie man sieht, ist der Wettkampf um die „zweite Erfindung“ des Automobils bereits in vollem Gange. Noch zeichnet sich nicht die einzige Technologie ab, die allen anderen überlegen ist. Daimler „fährt“ deshalb bewusst mehrgleisig. Bis 2010 werden wir rund 26,5 Milliarden Euro in die Zukunft investieren allein 14 Milliarden davon fließen in Forschung und Entwicklung.

Die Politik sollte der Versuchung widerstehen, bestimmte Marktsegmente oder Technologien einseitig zu subventionieren. Zu groß ist die Gefahr, dass solche Interventionen die Entwicklung potenziell besserer Alternativen abwürgen. Immer wieder haben „gut gemeinte“ Staatseingriffe unerwünschte Nebenwirkungen. Ein besserer Innovations-Scout als der Staat ist deshalb der Kunde. Man könnte auch sagen: der Wettbewerb.

Stattdessen sollte die Politik faire Regeln garantieren und übergeordnete Ziele definieren, aber nicht den Weg dorthin. Ihr Ziel muss es sein, klare und verlässliche Rahmenbedingungen für Kunden und Hersteller zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise eine wettbewerbsneutrale, CO2-basierte Kraftfahrzeugsteuer. Auch bei der Infrastruktur ist die Politik naturgemäß gefragt.

Wünschenswert ist darüber hinaus eine gewisse Harmonisierung der Umweltstandards. Heute gibt es in den USA, Europa und Japan drei verschiedene Ansätze, um die Umweltfreundlichkeit eines Autos zu beurteilen. Innerhalb der USA und der EU sind die Regelungen dann nochmals verschieden – mit dem Effekt, dass Neufahrzeuge auch entsprechend verschiedene Testzyklen durchlaufen und verschiedene Grenzwerte einhalten müssen. Was eigentlich gefördert werden sollte – nämlich die rasche Markteinführung umweltfreundlicher Produkte – wird auf diese Weise verzögert, verteuert und sogar verhindert.

Der langjährige saudi-arabische Ölminister Scheich Zaki Yamani hat sinngemäß einmal gesagt: „Die Steinzeit ging nicht deshalb zu Ende, weil es keine Steine mehr gab. Und das Ölzeitalter wird zu Ende gehen, lange bevor es kein Öl mehr gibt.“ Er hat Recht – und der Grund dafür sind Kreativität und Innovationsgeist. Sie ermöglichen bessere Alternativen. Das hat 1886 zur Erfindung des Automobils geführt; und heute zu seiner Neuerfindung. Diesmal werden wir das Auto sicherer, sauberer und effizienter machen als je zuvor.

Dr. DIETER ZETSCHE ist Vorstandsvorsitzender der Daimler AG.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2008, S. 72 - 74

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