IP

01. Juli 2014

Die Medienflut

Ministerpräsident Vucic betreibt populistisches Krisenmanagement

Am Ufer der Save sind noch die Stapel mit Sandsäcken zu sehen. Der Fluss, der die Belgrader Altstadt von den Neubauvierteln Novi Beograds trennt, hat hier keine großen Verwüstungen angerichtet. Etwas weiter flussabwärts, in dem Vorort Obrenovac, haben die hastig erhöhten Deiche jedoch nicht gehalten. Hier bietet sich ein Bild der Verwüstung:

Die Straßen sind von Schlamm und Geröll bedeckt, Unrat, Möbel und tote Katzen liegen auf den Straßen, Katastrophenhelfer und Armee sind im Einsatz, der Ort ist teilweise für die Öffentlichkeit gesperrt – Seuchengefahr.
Nach den heftigsten Regenfällen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen richtete im Mai eine Jahrhundertflut in Serbien und Bosnien-Herzegowina (und zum Teil auch in Kroatien) Schäden in Höhe von vielen Milliarden Euro an. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic sagte im Parlament, die Naturkatastrophe habe mindestens 25 Bürgern das Leben gekostet. Infrastrukturministerin Zorana Mihajlovic bezifferte allein den Schaden bei Stromleitungen, Telekommunikationsanlagen, Eisenbahnschienen und Straßen auf ca. 260 Millionen Euro, während aus den Städten und Gemeinden zusätzlich Schäden von 200 Millionen Euro gemeldet worden seien. Hinzu kommen Ernteausfälle und Verluste durch ertrunkenes Vieh. Viele Existenzen wurden im Wortsinne fortgespült, was sich auch auf die Steuereinnahmen auswirken wird. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung bezifferte den voraussichtlichen Gesamtschaden in einer vorläufigen Schätzung auf bis zu zwei Milliarden Euro.
Zu den Folgen der Flut gehört jedoch auch eine Debatte über die Rolle der serbischen Medien – sowie über Versuche von Ministerpräsident Vucic, kritische Anmerkungen zu seinem -populistischen Krisenmanagement zu unterdrücken. Vucic hatte mehrere Krisensitzungen live vom Fernsehen übertragen lassen. Manche erinnerten an Schauprozesse: Vucic putzte seine Minister vor laufenden Kameras herunter und gab ihnen herrisch (zum Teil sinnlose) Anweisungen.
Bei einer Mehrheit der Serben kam das gut an, es bestätigte Vucics Stellung als populärster Politiker in Belgrad seit Milosevic und Tito. Andere fühlten sich an eine Episode aus dem Februar dieses Jahres erinnert, als Vucic – damals noch stellvertretender Regierungschef – sich als Retter in den Schneewehen feiern ließ, die damals ganze Ortschaften von der Außenwelt abschnitten. Es war die Stunde des Wahlkämpfers Vucic, der unvermittelt im Schneegestöber nahe der Ortschaft Feketic auftauchte und heroisch ein Kind zu einem Rettungshubschrauber trug – was ein rein zufällig zur selben Zeit am selben Ort anwesendes Kamerateam für die Abendnachrichten des Staatssenders festhielt.
Unbekannte stellten daraufhin ein satirisches Video ins Netz, in dem die Bilder mit sarkastischen Untertiteln versehen wurden, die das Geschehen als das darstellten, was es war – ein Werbevideo für Vucic. Versuche von dessen „Serbischer Fortschrittspartei“, das Video aus dem Netz entfernen zu lassen, endeten fast desaströs für die Urheber. Doch der Politiker ersann einen klugen Ausweg: Er stellte das satirische Video auf seine eigene Facebookseite und behauptete, selbst darüber schmunzeln zu können. Damit war den Gegnern der Wind aus den Segeln genommen.
Doch mit der Flut kam der Wind neu auf, als kritische Kommentare zum populistischen Umgang der Regierung mit der Naturkatastrophe von den Internetseiten bekannter Medien entfernt wurden. Der Verdacht lag nahe, die gewählten Machthaber stünden dahinter. Dieser Verdacht erhielt zusätzliche Nahrung, als das Budget für Sasa Jankovic, den für Menschenrechte zuständigen Ombudsmann Serbiens, drastisch gekürzt wurde, nachdem er sich ebenfalls skeptisch zu diesem Thema geäußert hatte. Parallel stellte ein Anonymus ein Video ins Netz, in dem es hieß, der Ombudsmann koste den Steuerzahler vier Millionen Euro im Jahr – Geld, das sich besser für die Beseitigung von Flutschäden verwenden ließe.
Zahlreiche Belgrader Journalisten bestätigen im vertraulichen Gespräch, dass der Druck auf sie, bestimmte Informationen nicht zu senden oder zu drucken, unter der Regierung Vucic deutlich gestiegen sei. Es liegt ein Schatten auf dem Bild, das Vucic im Ausland bisher recht erfolgreich von sich zu vermitteln sucht. Er war in den neunziger Jahren ein großserbischer Propagandist und ein autoritärer Chauvinist, zeitweilig als Minister für die Kujonierung der Presse zuständig. Seit 2008 geriert er sich als pro-europäischer Demokrat – und als besonders deutschlandfreundlich.
Vucic weiß, dass Serbiens Weg in die EU auch über Berlin führt. Ständig zitiert er Max Weber, dessen „protestantische Ethik“ er am liebsten zur Staatsdoktrin erheben würde. Unlängst wurde er von Helmut Kohl in Oggersheim empfangen. Kohl sei beeindruckt gewesen von dem Besucher aus Serbien, behaupteten Teilnehmer später. Vucic war übrigens auch beeindruckt von Kohl: Wer 16 Jahre Serbien regierte habe, würde nicht in so einem bescheidenen Bungalow leben, berichtete er einem Vertrauten.

Michael Martens 
leitet das Büro der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Istanbul.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2014, S. 124-125

Teilen

Mehr von den Autoren