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02. März 2018

Die Macher hinter den Marken

Wer bewegt was in Spaniens Wirtschaftsleben?

„Marca España“ lautete der Titel einer Branding-Kampagne, die das spanische Außenministerium vor einigen Jahren startete, als die Krise die Wahrnehmung des Landes prägte. Kaufleute, Sozialunternehmerinnen, Hoteliers, Logistiker und Bankerinnen beweisen der Welt, dass Spaniens Wirtschafts- und Innovationskraft ungebrochen ist. Fünf Porträts.

Juan Roig

Victoria Tortosa

Gabriel Escarrer

José Manuel Entrecanales

Ana Patricia Botín

Juan Roig

Geschäftsführer und Hauptaktionär von Mercadona

Geboren 1949 in Valecia

Ausbildung Studium der Wirtschaftswissenschaften und Betriebswirtschaft in Valencia und Navarra

Stationen Nach dem Studium kaufte er 1981 seinen Eltern den Betrieb ab

Am Anfang war eine Metzgerei in Valencia. Heute leitet Juan Roig eine der 50 wichtigsten Einzelhandelsketten der Welt. Mercadona heißt der Supermarkt, der in Spanien am meisten verkauft: 23 Prozent Marktanteil, mehr als 1600 Filialen, 79 000 Angestellte sind Eckdaten dieser Erfolgsgeschichte, die mit dem Beginn der Demokratie in den 1970er Jahren begann. Die Kette verdient vor allem an ihren Eigenmarken und wächst dank einer flexiblen Unternehmensführung. Roig schipperte durch die große Wirtschaftskrise, die 2008 begann und noch immer spürbar ist, indem er anfangs das Sortiment auf Basisartikel reduzierte und die Preise senkte. Damit schaffte er es, Mercadona zwischen deutschen Discountern wie Lidl oder Aldi und französischen Hypermärkten wie Auchan oder Carrefour zu platzieren: Die krisengebeutelte Mittelschicht blieb ihm treu. Gleichzeitig baute er das Biosegment aus und war einer der ersten, die in einem Supermarkt glutenfreie Ware anbot. Mercadona ist für die gesamte Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft enorm wichtig: Viele seiner Zulieferer gehören heute zu den führenden Mittelständlern im Land. Dazu pflegt Juan Roig gekonnt das Image seiner Supermärkte: Faire Gehälter, modernes Design und vorwiegend regionale Produkte bringen ihm Sympathiepunkte. Kaum ein Spanier bezweifelt, dass Juan Roig viel für sein Land tut. 2010 wurde er für seine unternehmerischen Leistungen mit dem Prinz von Asturien-Preis ausgezeichnet.

Victoria Tortosa

Sozialunternehmerin, Gründerin und Mitinhaberin von La Exclusiva

Geboren 1986 in Soria

Ausbildung Marketing-Fachfrau, Studium der Anthropologie

Stationen Projektleiterin bei der NGO Civis Mundi, seit 2013 La Exclusiva

Landflucht ist in Spanien ein gravierendes Problem. Victoria Tortosa kennt es aus erster Hand. Die 31-jährige Unternehmerin stammt aus der zentralspanischen Region Soria, wo der Bevölkerungsrückgang in 94 Prozent aller Gemeinden eine existenzielle Bedrohung ist. Die Bevölkerungsdichte liegt bei neun Menschen pro Quadratkilometer. 2013 hat Tortosa deshalb mit ihrem Mann das Logistikunternehmen La Exclusiva gegründet. Zwei Kleintransporter versorgen seither mehr als 500 Dörfer in wöchentlichen Routen mit Lebensmitteln, Medikamenten, Handwerkern, Haushaltswaren, Zeitungen. Die Waren und Dienstleistungen sind dabei nicht teurer als im Geschäft. La Exclusiva ist kein fliegender Händler, der sein Risiko und die Fixkosten auf den Endpreis schlägt. „Wir leben vom Rabatt, den uns die Firmen und Geschäfte in der Stadt geben“, sagt Tortosa, „schließlich garantieren wir ihnen feste Kunden.“ Tortosa hat einige Jahre in der Entwicklungshilfe in Lateinamerika gearbeitet. Als sie zurückkam, bemerkte sie, dass auch in der europäischen Provinz Entwicklungshilfe nötig ist. In vielen Dörfern in Soria fehlt das Grundlegende: Geschäfte, Internet, Handyempfang, Busverbindungen. „Wenn ein Dorf ausstirbt, sterben die Häuser, die Geschichte, die Folklore, die Gastronomie“, sagt Tortosa, „und die Menschen verlieren ihre Identität.“ Ihre Idee hat enormes Wachstumspotenzial: In ganz Europa werden Menschen in strukturarmen Gegenden abgehängt. Deshalb hat die amerikanische Ashoka-Stiftung Victoria Tortosa zu den Changemakern 2017 gewählt: Mit ihren Wagen bringt sie nicht nur Milch und Eier, sie ermöglicht ihren Kunden auch ein würdiges Leben.

Gabriel Escarrer

Geschäftsführer Melià Hotels International

Geboren 1971 in Palma de Mallorca

Ausbildung Studium Finanzmanagement und Unternehmensführung in Pennsylvania und Barcelona

Stationen Salomon Smith Barney Bank, Inmotel Inversiones (Melià), seit 1999 Melià Hotels International

Ende 2016 hat Gabriel Escarrer die Führung des Hotelimperiums Melià von seinem gleichnamigen Vater übernommen: 370 Hotels in 43 Ländern und die Erkenntnis, dass man sich im dynamischen Hotelgewerbe nie ausruhen kann. Dank permanenter Expansion hat sich das spanische Familienunternehmen im internationalen Konkurrenzkampf mit amerikanischen und chinesischen Hotelketten auf Platz 16 positioniert. In Spanien ist es das größte seiner Branche, vor Konkurrenten wie Barceló, Riu oder Iberostar. Dass sie alle auf Mallorca ihren Ursprung haben, zeigt, wie stark die Insel Spaniens Tourismusgeschichte geprägt hat – und damit den wirtschaftlichen Werdegang: Tourismus macht gut 11 Prozent des spanischen Bruttoinlandsprodukts aus und ist damit vor der Autoindustrie die stärkste Branche. Das ist auch den Escarrers zu verdanken. Der Senior begann 1956, im Alter von 21 Jahren, mit einem gemieteten Stadthotel in Palma; heute, nach mehr als 60 Jahren im Geschäft, besitzt er knapp 1,6 Milliarden Euro. Beim Aufbau des Imperiums hat er auch Beziehungen spielen lassen: Der ehemalige König Juan Carlos ist ein Duzfreund und mit dem kubanischen Partei- und Staatschef Fidel Castro verband Escarrer eine lange Freundschaft. So war Melià das erste ausländische Hotel, das 1990 in Kuba eröffnet wurde. Dem Sohn hat er ein solides, seit 1996 börsennotiertes Unternehmen übergeben. Die Zeiten der kleinen, einfachen Hotels sind lange vorbei. Dieses Jahr heißt es für den Sohn: Next Destination Dubai, Schanghai und Hamburg.

José Manuel Entrecanales

Vorsitzender des Verwaltungsrats von Acciona

Geboren 1963 in Madrid

Ausbildung Studium der Wirtschaftswissenschaften in Madrid

Stationen Investmentbank Merrill Lynch, seit 1991 bei Acciona

Deutsche kennen den Namen Acciona vielleicht vom Flughafen, denn der Logistikzweig des Mischkonzerns wickelt europaweit für viele Airlines den Bodenservice ab. In Spanien ist Acciona sowieso omnipräsent. Das Unternehmen hat nach dem Ende der Franco-Diktatur große Infrastrukturanlagen gebaut und Spanien modernisiert. Auch heute noch prangt das Logo an etlichen Baustellen. Dazu ist der Konzern spanischer Marktführer bei erneuerbaren Energien. Mehr als 500 Kunden kaufen sauberen Acciona-Strom, darunter die spanischen Filialen von Unilever, Google oder Coca Cola. Der Name der Familie hinter dem Konzern ist indes nur wenigen bekannt. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats, José Manuel ­Entrecanales, ist wie sein Vater und Großvater zurückhaltend. Er genoss eine progressive Erziehung und Bildung und steht im Gegensatz zu den meisten spanischen Unternehmern politisch nicht den Konservativen nahe, sondern den Sozialisten. Entrecanales betreibt eine Umweltstiftung und hat sich jüngst in die Branche des Carsharing und der Elektroautos eingekauft. Er ist, wie auch seine vier Geschwister, Anhänger des Biolandbaus, liebt Pferde und segelt gerne. Dabei hat er noch Zeit, ein Unternehmen mit mehr als 30 000 Angestellten und einem Umsatz von knapp sechs Milliarden Euro im Jahr 2016 zu leiten. Entrecanales, der seit 2004 an der Spitze des Unternehmens steht, hat die Firma internationalisiert. So hat Acciona in Italien die größte Meerwasserentsalzungsanlage des Mittelmeers gebaut, in Australien das Schienennetz erneuert, und in Ägypten war der Konzern am Bau von Afrikas größter Kläranlage beteiligt. Nachhaltigkeit ist ein Leitmotiv des Vorstandsvorsitzenden. Deshalb wurde Acciona dieses Jahr beim Weltwirtschaftsforum in Davos zu den hundert nachhaltigsten Unternehmen weltweit gezählt. Das ist auch ein Imagegewinn für Spanien. Acciona ist Teil der Branding-Kampagne „Marca España“, die das Außenministerium 2012 gestartet hat, als die Wirtschaftskrise die Außenwahrnehmung des Landes prägte. José Manuel Entrecanales beweist der Welt, dass Spanien Wirtschafts- und Innovationskraft hat.

Ana Patricia Botín

Aufsichtsratsvorsitzende der Santander-Gruppe

Geboren 1960 in Santander

Ausbildung Wirtschaftsstudium an der Harvard Business School und der Privatuniversität Bryn Mawr College in den USA

Stationen JPMorgan Chase & Co. Bank, seit 1988 bei der Santander-Gruppe

Ana Patricia Botín ist eine der wenigen Frauen, die in Spaniens Wirtschaft den Ton angeben. Und auch weltweit spielt sie eine wichtige Rolle: Für Forbes ist sie eine der zehn mächtigsten Frauen der Welt. Die 57-Jährige steht der Banco Santander vor, dem größten und bestnotierten Konzern an Spaniens Börse. Angetreten hat sie den Posten 2014, nach dem Tod ihres Vaters Emilio Botín. Damit führt sie eine Tradition in vierter Genera­tion weiter. Ana Patricias Vater war eine wichtige Figur. Er hat nach Francos Tod die Bankenbranche seines Landes modernisiert und sich schnell durchgesetzt: Er senkte die Darlehenszinsen, erhöhte die Guthabenzinsen und zog so der Konkurrenz massenweise Kunden ab. Später kaufte er viele spanische Banken auf. So machte Botín die Santander-Bank zur stärksten Bank seines Landes, nach der Jahrtausendwende auch zu Europas führendem Finanzinstitut. Die Tochter treibt die vom Vater begonnene Expansion in Europa und Lateinamerika weiter. Heute hat die Universalbank 125 Millionen Kunden und verzeichnet steigende Gewinne: Im Jahr 2016 waren es 6,2 Milliarden Euro. Neben dem Geschäft setzt Ana Patricia Botín auf gesellschaftliches Engagement bei Bildung und Talentförderung. Kürzlich hat sie die Gründung des Netzwerks Santander X verkündet, dem weltweit größten Zusammenschluss von Universitäten und Unternehmen in Spanien und Lateinamerika. Die Kontaktbörse soll Ländern wie Chile, Uruguay oder Brasilien wirtschaftliche Impulse geben. Öffentliche Sympathie ist Botín wichtig. So plaudert sie in ihrem Twitter-Account über Yoga und Tee und tritt mittlerweile öfter als Mentorin denn als Bankdirektorin auf. Diese Imagepolitur hat Kalkül: Spaniens Banken erlitten während der großen Wirtschaftskrise einen starken Vertrauensverlust, denn die Bankenrettung mit Steuergeldern brachte viele Spanier gegen den Sektor auf. Die Santander-Bank kam weitgehend unbeschadet davon und profitierte sogar: Zuletzt kaufte sie die angeschlagene Banco Popular Español auf, für den symbolischen Preis von einem Euro.

Brigitte Kramer berichtet u.a. für die NZZ am Sonntag, die Süddeutsche Zeitung, den Standard, Deutschlandradio und diverse ARD-Sender aus Spanien.

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Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 1, März - Juni 2018, S. 22 - 27

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