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01. Aug. 2002

Die EU muss ihre Nahost-Politik ändern!

Der Europa-Parlamentarier kritisiert das blinde Vertrauen der EU in die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und Yasser Arafat; sie ignoriere in diesem Fall ihre ansonsten weltweit angewandten Bedingungen für Partnerschaften. Dies sei angesichts der hohen Wirtschafts-, Finanzund auch Haushaltsdirekthilfen für die PA so nicht länger akzeptabel.

Die Europäische Union unterhält mit zahlreichen Staaten und Regionen der Welt ein globales Netzwerk von Kooperations- und Partnerschaftsbeziehungen, insbesondere auch mit den Entwicklungs- und Schwellenländern. Über reine Wirtschafts- und Handelsbeziehungen hinaus verfügt sie damit über optimale Voraussetzungen und Möglichkeiten, den politischen Dialog mit geostrategisch besonders wichtigen Partnern zu intensivieren und positiv zu beeinflussen. Mit diesen Qualitäten wäre die EU geradezu prädestiniert, einen wichtigen Beitrag zum Frieden und zu Reformen im Nahen Osten zu leisten.

Das Muster der Partnerschaftsbeziehungen der Europäischen Union ist hauptsächlich durch drei Elemente gekennzeichnet:

  1. die Bestimmung eindeutiger Ziele und Zeitpläne;
  2. die Identifizierung klarer Kriterien, an denen konkrete Fortschritte jederzeit messbar sind;
  3. die Bereitschaft, Reformen, die diese Kriterien erfüllen, finanziell großzügig zu unterstützen.

Dies gilt bis heute beispielsweise für die „Kopenhagener Kriterien“ zur Erweiterung der Europäischen Union, für die erfolgreiche Stabilisierungs- und Assoziierungspolitik im westlichen Balkan, für die Euro-Mediterrane Partnerschaft zwischen der EU und den südlichen Mittelmeer-Anrainern, es gilt für die Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, und es gilt seit neuestem auch für die Entwicklungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik), bei denen seit der Revision von Lomé IV und dem sich zurzeit im Ratifizierungsprozess befindlichen Abkommen von Cotonou auch die Nichteinhaltung von Menschenrechts- und Demokratiestandards Sanktionen nach sich ziehen kann.

Überall in der Welt hält sich die Europäische Union an diese erfolgreiche außenpolitische Strategie, die ganz im Zeichen der Konfliktprävention steht – nur nicht bei ihren Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Hier zieht sich die EU auf die Rolle des Geldgebers zurück, auch wenn ein wesentlicher Bestandteil des Osloer Abkommens von 1993, nämlich die friedliche Lösung aller noch bestehenden oder neuen Streitpunkte zwischen Israelis und Palästinensern seit der Ausrufung der zweiten Intifada im Herbst 2000 überhaupt nicht  erfüllt ist. Im Gegenteil: Die Höhe der finanziellen Zuwendungen der Europäischen Union ist nach dem Ende des Oslo-Prozesses und dem Beginn von Terror und Gewalt eher gestiegen als gesunken.

Die EU ist zurzeit führender Geber von Wirtschafts- und Finanzhilfe für diese Region; ihre finanziellen Hilfen zugunsten der PA beliefen sich von 1993 bis 2001 auf über 1,4 Milliarden Euro. Über die konventionellen Finanzhilfen hinaus gewährt die Europäische Kommission der PA seit Juni 2001 auch eine monatliche Haushaltsdirekthilfe in Höhe von 10 Millionen Euro, die angesichts der Finanzkrise der PA die laufenden Verwaltungsausgaben – darin enthalten die Auszahlung von Gehältern – sichert. Derartige Pauschalzahlungen, die gewissermaßen blanko überwiesen werden und nicht an konkrete Projekte gebunden sind, sind haushaltspolitisch höchst problematisch, da eine ausreichende Kontrolle über die tatsächlich verwendeten Gelder nicht gewährleistet werden kann. Sie sichern den Machteinfluss des Führungsclans, verhindern Reformen und erleichtern Missbrauch und Korruption.

Neue Gesamtstrategie

Die neue Nahost-Initiative des amerikanischen Präsidenten,  George W. Bush, vom 24. Juni 2002 könnte Europa wachrütteln. Bush nutzt exakt die europäischen Erfolgsinstrumente: Zeitplan, Kriterien und Bereitschaft zur Hilfe bei Reformen, die die EU im Nahost-Konflikt vorgeschlagen hat. Die Vorstellung des neuen Nahost-Friedensprojekts, das erstmals wieder die Aussicht auf einen Waffenstillstand und die Rückkehr an den Verhandlungstisch bietet, gibt der Europäischen Union die Gelegenheit, im Quartett mit den USA, Russland und den Vereinten Nationen eine neue Gesamtstrategie für die finanzielle Unterstützung des Nahost-Friedensprozesses und insbesondere für die weitere Zusammenarbeit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde zuentwerfen. Diese wäre dringend nötig, da der bisher eingeschlagene Kurs, der sich auf ein nahezu blindes Vertrauen in die PA und ihren Vorsitzenden, Yasser Arafat, stützt, mittlerweile politisch untragbar geworden ist.

Wenn es der Europäischen Union gelingt, ihre weit reichenden Erfahrungen im Bereich der Stabilisierungs- und Kooperationspolitik sowie der Konfliktprävention, mit denen sie in anderen Teilen der Welt bislang sehr erfolgreich war, in eine gemeinsame transatlantische Initiative einzubringen, dann kann sie zu einem der wichtigsten Akteure im Nahost-Friedensprozess werden. Vor allem gemeinsam mit den USA muss der Druck auf die Führung Israels und der PA erhöht werden.

Die guten Beziehungen Europas zur arabischen Welt und die traditionell engen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu Israel bieten dafür eine gute Voraussetzung. Sollte die Europäische Union allerdings weiterhin im Konflikt mit der USA Arafat uneingeschränkt und unkonditioniert alimentieren, läuft sie Gefahr, die Erfolge ihrer noch jungen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu diskreditieren.

Armin Laschet, MdEP; Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik sowie des Haushaltsausschusses, Straßburg.