Die Clinton-Formel
Der ehemalige US-Präsident erschließt neue Ressourcen der Weltpolitik
Wenn er ruft, kommen die Mächtigen und Reichen und wollen Gutes tun. In nur drei Jahren ist es Bill Clinton gelungen, seine Initiative als Drehscheibe der globalen Philanthropie zu etablieren. Konkrete Hilfszusagen in Milliarden-Höhe werden in Projekte umgesetzt, die der Entwicklung dienen und zugleich auch Profit bringen können.
Wenn Desmond Tutu erklärt, die mutige Aung San Suu Kyi sei für ihn so etwas wie eine Pin-Up-Ikone, wenn Al Gore afrikanische Weisheiten auf die Bekämpfung des Klimawandels anwendet, Angelina Jolie mit der Geschichte von einem Flüchtlingskind in Syrien einen unterkühlten New Yorker Tagungssaal zu Tränen rührt und am Ende mehrere Milliarden Dollar an Projektfinanzierungen für diverse entwicklungs- und klimapolitische Zwecke bereitgestellt werden, dann muss es sich offensichtlich um eine sehr eigene Veranstaltungsform handeln. Es ist nicht die UN-Generalversammlung, obwohl etwa 50 amtierende bzw. ehemalige Staats- und Regierungschefs teilnehmen, es ist auch nicht die Verleihung des Friedensnobelpreises, obwohl allein unter den Hauptrednern der beiden Tage vier Träger des Preises auszumachen sind. Es ist weder das Weltwirtschaftsforum, obwohl eine stattliche Anzahl von CEOs globaler Unternehmen aller Kontinente vor Ort ist, noch das Weltsozialforum, obwohl auch eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen teilnehmen und sich wortstark in den zahlreichen Panels und Diskussionsgruppen einbringen. Es ist die Clinton Global Initiative (CGI), die von all dem etwas hat und die verschiedenen Elemente durch drei Faktoren zusammenbindet: die Dramaturgie amerikanischer Charity-Events, einen gehörigen Schuss an Celebrity-Diplomacy und die Persönlichkeit des 42. US-Präsidenten, der die Initiative 2005 zum Flaggschiff seiner Stiftungsarbeit und postpräsidentiellen Aktivitäten gemacht hat.
Dem Veranstaltungskonzept liegt die Idee zugrunde, dass es auf dieser Tagung Ende September 2007 nicht nur um allgemeine Absichtserklärungen und Problemdebatten gehen soll, sondern um möglichst viele konkrete Verpflichtungen zum Handeln, die als Commitments gesammelt werden und jeweils Projekte in den Bereichen Bildung, Klimawandel, Gesundheit und Armutsbekämpfung darstellen. Wirtschaftsunternehmen, öffentliche und private Institutionen, einzelne Förderer oder Staaten geben ein Commitment ab: So hat sich etwa Richard Branson 2006 dazu verpflichtet, seine Einkünfte aus dem Zug- und Fluggeschäft der Virgin Group in die Förderung neuer Biotreibstoffe zu investieren. Geschätzter Finanzrahmen über zehn Jahre: drei Milliarden Dollar. Die Liste der Projekte ist lang und vielfältig: Es geht um die intensivere Nutzung von Energiesparlampen, die bessere Ausstattung von Schulen, Wiederaufbauhilfen für Opfer des Tsunami oder des Hurrikans Katrina, Hilfsflüge nach Darfur, die Bereitstellung von Medikamenten und Mikrokrediten. Das Gesamtvolumen für 2007 war nur schwer zu schätzen, lag aber wohl allein für dieses Jahr bei deutlich über zehn Milliarden Dollar.
Die Initiative misst denn ihren „impact“ auch gerne in konkret bezifferbaren Veränderungen der Lebenssituation von Menschen: 8,5 Millionen mehr Kinder in Grundschulen, 50 Millionen Menschen mehr mit der Chance zur Behandlung von Tropenkrankheiten und 1,2 Millionen Menschen mit besserem Zugang zu Krediten und Einkommen. Der gesammelte Ökoeffekt der Commitments drückt sich nach eigenen Angaben u.a. in der Verhinderung von über 550 Millionen Tonen Treibhausgas-Emissionen aus. Für eine Reihe von Projekten ist die CGI nur die Schaubühne, da sie von ihren Initiatoren ohnehin angeschoben worden wären. Der von Clinton bereitgestellte inhaltliche Rahmen, die Gelegenheit, Ideen aufzugreifen und Projektpartner zu finden sowie nicht zuletzt der erhöhte Sichtbarkeits- und Werbeffekt führen jedoch auch zu originärem und nicht selten etwas großzügigerem Engagement.
Die CGI selbst kann und will die Verpflichtungen nicht wirklich überprüfen – ähnlich wie beim Globalen Pakt der Vereinten Nationen geht es um Selbstdokumentation der Projektpaten. Wer jedoch Großes ankündigt und nichts liefert, wird auch nicht mehr eingeladen. Sicher: Die Nachhaltigkeit der Projekte kann hinterfragt, die Fokussierung auf „messbare“ Ergebnisse kann kritisiert werden. Die Projekte mögen etwas wahllos erscheinen, sind in ihrer konkreten Art nur schwer unter einen Hut zu bringen. Und doch: Clinton hat neue und erhebliche Ressourcen für die Arbeit an globalen Problemen erschlossen.
Die CGI hat sich in nur drei Jahren als Drehscheibe der globalen Philanthropie etabliert. In seinem pünktlich zur Konferenz erschienenen Buch „Giving. How each of us can change the world“ liefert Clinton nicht nur zahlreiche Anregungen wie und wo man Geld, Zeit und eigene Fähigkeiten für andere einbringen kann, sondern auch ein Plädoyer für die gewachsene Bedeutung philanthropischer Aktivitäten. Auffällig ist dabei, dass er gerade im Fall privater Spender davon ausgeht, dass sich die Projekte auch „lohnen“ müssen. Tatsächlich: Würde Branson einen alltags-tauglichen Biotreibstoff finden, wären die drei Milliarden angesichts der erwartbaren Rendite eine gute Investition. Auf ähnliche Art und Weise hat Clinton ja bereits die großen Pharma-Unternehmen zur Verbilligung ihrer Aids-Medikamente in Afrika bewegt, indem er im Gegenzug die erhöhte Abnahme durch Bedürftige in Aussicht stellte. Dem gleichen Prinzip folgend konnte er auch ein Bankenkonsortium dazu gewinnen, Finanzmittel von insgesamt fünf Milliarden Dollar bereitzustellen, damit in 16 der weltweit größten Städte Gebäudesanierungen durchgeführt werden, die die Energieeffizienz öffentlicher Bauten erhöhen. Der Kredit wird gestreckt zurückgezahlt – aus den Ersparnissen des niedrigeren Energieverbrauchs. Das Motto dieser „Deals“ lautet schlicht, neue Märkte für öffentliche Güter wie Gesundheit, Umwelt oder Bildung zu schaffen, von denen alle Beteiligten profitieren können.
Wieso macht Clinton das? Als Trostpreis für den als Amerikaner nicht erreichbaren Job des UN-Generalsekretärs? Als Wahlkampfhilfe für seine Frau Hillary? Er selbst hebt stets hervor, dass er mit dem Projekt nach seiner „politischen“ Karriere das Ziel verfolge, möglichst vielen Menschen möglichst viele Lebenschancen zu eröffnen und möglichst viel vermeidbares Sterben aus Krise, Krieg und Not zu verhindern. Sollte er als „first husband“ nach Washington zurückkehren, kann man sich mit Blick auf die CGI ungefähr vorstellen, wie er als „goodwill ambassador“ arbeiten würde. Ein besonderer Aspekt der CGI ist jedoch, dass diese einstweilen auch ohne das Weiße Haus funktioniert. Al Gore meint ja auch, dass er das gar nicht mehr braucht.
Prof. Dr. MANUEL FRÖHLICH, geb. 1972, ist Juniorprofessor für Politikwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Koordinator des Forschungsrats der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
Internationale Politik 12, Dezember 2007, S. 58 - 60.