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01. Okt. 2002

Die Bedeutung der EU-Erweiterung für Kaliningrad

Wenn Polen und Litauen im Jahr 2004 der Europäischen Union beitreten sollten, wird das russische Kaliningrad zur Enklave der EU. Eine Übernahme der Visum- und Grenzregeln für die EUAußengrenzen würde einschneidende negative Konsequenzen für die Bewohner des Gebiets haben. Doch eine einvernehmliche Regelung zwischen der EU und Russland ist noch nicht in Sicht.

Seit kurzem haben sich die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Europäischen Union erheblich zugespitzt. Anlass ist die näher rückende Perspektive, dass das russische Gebiet Kaliningrad nach Aufnahme von Polen und Litauen in die EU zu einer Enklave der Union wird. Bereits im Jahre 2003 werden beide Länder zunächst das nationale und ab 2006/07 auch das Schengener Visumregime einführen.

Das hätte für die russische Seite gravierende Folgen. Am härtesten betroffen wären die Transitrouten zwischen Kaliningrad und Kernrussland, die russischen Angaben zufolge im Jahr 2001 in beide Richtungen von 960 000 Personen per Bahn und 620 000 Personen per Auto benutzt wurden. Hinzu kommt: Bei Grenzübertritten nach Polen und Litauen könnten sich die Bewohner Kaliningrads nicht wie bisher visumfrei bewegen (Transitreisende aus Kernrussland zahlen schon heute acht Dollar). Vielmehr müssten sie künftig ein Visum vorweisen, darunter auch jene, die ihren Lebensunterhalt mit kleinem Grenzhandel bestreiten. Insgesamt registrieren die Kaliningrader Behörden pro Jahr rund neun Millionen Grenzübertritte.

In dieser Situation hätte eine unreflektierte Einführung des Visumregimes an den neuen Außengrenzen der EU in Polen und Litauen für Kaliningrad einschneidende negative Konsequenzen. Eine möglichst rasche Regelung des Visumkomplexes ist daher dringend geboten. Sie würde den Bewohnern des Gebiets das Gefühl nehmen, abgeschnitten von der regionalen Umwelt und vom russischen Kernland „in der Mausefalle zu sitzen“, wie lokale Politiker klagen. Zum andern könnten sich beide Seiten, Russland und die EU, auf die eigentlichen, von der akuten Visumfrage in den Hintergrund gedrängten Probleme Kaliningrads konzentrieren. Gemeint sind hier gemeinsame Anstrengungen für einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung des vernachlässigten Gebiets und dessen Einbettung in die vielfachen Vernetzungen des dynamischen Ostsee-Raums.

Angesichts der geographischen Sonderlage der Exklave/Enklave Kaliningrad erfordert eine einvernehmliche Regelung von Russland und der EU große Flexibilität und Kompromissbereitschaft. Mit Blick auf die unterschiedlichen Ausgangspositionen und Interessen ist dies keine leichte Aufgabe: Während es Moskau vorrangig um die Sicherung seiner territorialen Integrität und die Gewährleistung der Lebensfähigkeit Kaliningrads als russisches Territorium geht, richten sich die Bestrebungen Brüssels in erster Linie auf die Sicherung des eigenen Territoriums gegen negative Einflüsse aus diesem Gebiet. Die Bewohner Kaliningrads ihrerseits haben eigene spezifische Interessen: Anders als die Bürger Kernrusslands schauen sie eher nach Polen, Litauen und Deutschland und wünschen sich daher auch in diese Richtung offene Grenzen – so das Kaliningrader Stadtoberhaupt Jurij Sawenko im Juli 2002. Der Ehrgeiz Kaliningrads bestehe darin, „eine russische Stadt mit europäischem Antlitz“ zu werden.

Grenzübertritte

Russland hatte Kaliningrad lange Zeit vernachlässigt – so empfanden es vor allem die Bewohner des Gebiets selbst. Erst seit Anfang 2002, angesichts des nahenden EU-Beitritts von Polen und Litauen, hat Moskau seine Vorstellungen zum Grenzregime konkretisiert, wobei die für die Anbindung Kaliningrads an Russland wichtige Frage der Transitmodalitäten durch litauisches Gebiet in den Vordergrund rückte. Konzentrierten sich die Befürchtungen in Moskau noch vor wenigen Jahren auf die Vision einer „Germanisierung“ des Gebiets, so wird heute eine andere Entwicklung als Gefahr wahrgenommen: die schleichende Absorption Kaliningrads durch die Europäische Union. Eine visumbedingte De-facto-Abkopplung des Gebiets von Russland würde diese Prozesse aus Moskauer Sicht weiter beschleunigen.

Vor diesem Hintergrund bezog Russland zunächst äußerst harte und kompromisslose Positionen. Im Einklang mit Staatsduma und Föderationsrat erklärte Präsident Wladimir Putin eine Einigung mit der Union über das Transitproblem zum Gradmesser für die Partnerschaft Russland-EU überhaupt. Es könne nicht sein, so das zentrale Argument, dass das Recht der Russen, von einem Teil des Landes in einen anderen zu reisen, von der Entscheidung dieses oder jenes Drittstaats abhänge. Damit würden nicht nur Souveränität und Einheit Russlands in Frage gestellt, sondern auch die Geltung der verfassungsmäßigen Rechte und der Menschenrechte, die die freie Bewegung auf dem eigenen Territorium garantierten.

Schließlich machte Putin den Fall Kaliningrad sogar zur Chefsache: Im Juni 2002 ernannte er Dmitrij Rogosin, den Vorsitzenden des Staatsduma-Komitees für Internationale Beziehungen, zu seinem Sonderbeauftragten für Kaliningrad. Damit verband Putin vor allem zwei Absichten: Zum einen unterstrich er nach außen die Bedeutung, die er einer Kaliningrad-Regelung beimisst. Zum andern ging es ihm darum, das Parlament in seine Strategie einzubinden und damit die innenpolitische Flanke abzusichern.

Die EU ihrerseits hielt bis vor kurzem an ihren Grundpositionen fest, wonach jeder russische Staatsbürger, der die Grenzen der Union überschreitet, über ein gültiges Visum verfügen muss. Angesichts der spezifischen Lage Kaliningrads war Brüssel zwar zu flexiblen Regelungen bereit, die den Bewohnern des Gebiets Erleichterungen beim Grenzübertritt einräumen. Das gilt zum Beispiel im Hinblick auf Mehrfachvisen, verbilligte Visen, Modernisierung der Grenzübergänge, Unterstützung bei der Anfertigung von Auslandspässen. Ausnahmen vom Visumzwang wollte die EU jedoch nicht gewähren – aus Furcht vor illegaler Migration sowie auch aus der Überlegung heraus, keinen Präzedenzfall für spezifische Regimes an den Grenzen zu den neuen Nachbarstaaten zu schaffen.

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Unterdessen ist seit dem Moskauer Russland-EU-Gipfel vom 29. Mai 20021 Bewegung zu verzeichnen: Beide Seiten beginnen, von ihren Maximalpositionen abzurücken und Befürchtungen der anderen Seite in ihr Kalkül einzubeziehen. In Moskau gewinnt die Einsicht an Boden, dass ein Festhalten an der Forderung nach generell visumfreiem Transit durch Litauen für die nahe Zukunft unrealistisch ist und die angestrebte Ausgestaltung der Partnerschaft mit der EU gefährden könnte.

Möglicherweise trägt wachsende Kritik aus Kaliningrad selbst an der starren Haltung des Zentrums zur Auflockerung der Moskauer Ausgangspositionen bei: Während seines Besuchs vor Ort Mitte August 2002 stieß Rogosin mit seinen harten Positionen bei der lokalen Elite und Presse auf ein durchweg negatives Echo. Ganz offensichtlich gibt es in Kaliningrad Befürchtungen, das eigene Interesse an pragmatischen Lösungen im Personen- und Warenverkehr könne übergeordneten Maximalzielen des Moskauer Zentrums geopfert werden.

In Brüssel wiederum scheint das Bewusstsein zu wachsen, dass es sich bei Kaliningrad um einen Sonderfall handelt, auf den „Schengen pur“ ohne Nachteile für sämtliche Beteiligten nicht angewandt werden kann. In diesem Licht beauftragte der EU-Gipfel von Sevilla im Juni 2002 die Kommission, die Bemühungen um eine Lösung des Problems fortzusetzen „und die im Besitzstand enthaltenen Möglichkeiten zu prüfen“. Bemerkenswerterweise wurde dabei der Begriff „Visum“ vermieden – ein Zeichen dafür, dass sich die EU auf der Suche nach pragmatischen Regelungen die nötige Flexibilität bewahren möchte. Spätere Vorstöße insbesondere der Regierungen aus Frankreich, Deutschland und Schweden sowie auch aus dem unmittelbar betroffenen EU-Kandidatenland Litauen haben die Kompromissbereitschaft der Brüsseler Behörden verstärkt und die Aussichten auf eine einvernehmliche Regelung des Kaliningrad-Komplexes bis zum Kopenhagener Russland-EU-Gipfel im November 2002 verbessert.

Positionen

Wo zeichnen sich Annäherungen in den Positionen Russlands und der EU ab und wo bleiben Differenzen? Den Kern eines möglichen Kompromisses bildet die Installierung des Personentransits in Form eines visumfreien Non-Stopp-Zugverkehrs in beide Richtungen, an den Grenzen und während der Fahrt kontrolliert durch litauische Beamte. Einen solchen Vorschlag, der übrigens bereits Anfang 2002 im Europäischen Parlament diskutiert worden war, macht Putin in einem Memorandum an die EU vom August 2002. Die EU ihrerseits spricht sich dafür aus – im Gegensatz zu früheren negativen Reaktionen –, eine solche Regelung ernsthaft zu prüfen (Mitteilung an den Rat vom September 2002). Offenbar spielte dabei auch die Erkenntnis eine Rolle, dass laut EU-Vertrag unter bestimmten Umständen der Personentransit visumfrei abgewickelt werden kann. Zugleich gibt die Kommission freilich zu bedenken, dass die technischen Voraussetzungen wie die Modernisierung der Schienenwege noch geschaffen werden müssten, um durch hohe Geschwindigkeit des Transitzugs unerwünschte Personenabgänge zu verhindern. Falls sich beide Seiten weiter aufeinander zubewegen, sollte Brüssel Litauen mit diesem für den Aufbau der Partnerschaft EU-Russland wichtigen Problem nicht allein lassen, sondern sich gemeinsam mit den Internationalen Finanzinstitutionen an der Nachrüstung von Zugpark und Schienennetz Litauens beteiligen.

Die Annäherung signalisiert jedoch noch kein Einvernehmen. So lehnt die EU auch weiterhin den von Russland geforderten visumfreien Bustransit als zu unsicher ab. Im Blick auf Russland ist fraglich, ob der jüngste Kommissionsvorschlag zur Ausgabe von vereinfachten und kostengünstigen Mehrjahres-Transitdokumenten an Russen in Moskau auf Zustimmung stoßen wird. Die „Kaliningrad-Pässe“ (Roman Prodi) sollen in den Konsulaten Litauens als Äquivalent für Mehrjahresvisen ausgegeben werden und können gerade deshalb – analog zu den Konzeptionen maschinenlesbarer Magnetkarten – von Moskau als „Visumsurrogat“ (Rogosin) verworfen werden.

Die einvernehmliche Regelung des komplizierten Grenz- und Visumregimes ist eine zentrale Voraussetzung für die Lebensfähigkeit Kaliningrads. Die Konzentration auf diesen Aspekt hat indes die Tatsache überdeckt, dass die eigentlichen Probleme des Gebiets im wirtschaftlichem Bereich liegen. Die schwierige und geradezu paradoxe Situation ergibt sich aus dem Umstand, dass Kaliningrad als russisches Territorium russischen Gesetzen, Standards und Normen unterliegt, als Enklave der Europäischen Union dagegen massiv den Bedingungen und Einflüssen seiner Umwelt ausgesetzt ist.

Die 1996 als Ausgleich für die spezifische geographische Lage gebildete Sonderwirtschaftszone hat dem Gebiet nicht den erhofften Fortschritt gebracht – im Gegenteil: der wirtschaftliche und soziale Abschwung hat sich sogar weiter fortgesetzt, sichtbar insbesondere im Niedergang traditioneller Industriesektoren (Produktionsrückgang seit 1990: 60%), im Verfall der vernachlässigten Landwirtschaft sowie in den Defiziten der Verkehrsinfrastruktur einschließlich der Häfen. Die Konsequenz war, dass im Ranking der 89 Regionen Russlands Kaliningrad Gouverneur Wladimir Jegorow zufolge im Jahr 2001 nur den 45. Platz einnahm. Das Pro-Kopf-Einkommen seiner Bevölkerung macht offiziellen Statistiken zufolge nur 75% des gesamtrussischen aus; noch deutlicher ist der Abstand zu den baltischen Staaten (65%) und zu Polen (50%). 2001 standen Exporten aus Kaliningrad in Höhe von 480 Millionen Dollar Importe von 1,2 Milliarden Dollar gegenüber.

Unter diesen Bedingungen ist die Erweiterung der EU um Polen und Litauen für Kaliningrad durchaus ambivalent. Auf der einen Seite bietet sie die Chance einer wirtschaftlichen Teilintegration in die EU-Umwelt. Wesentliche Voraussetzung hierfür wären freilich massive Modernisierungsinvestitionen und die hierfür notwendigen berechenbaren Rahmenbedingungen. Auf der andern Seite könnten sich, falls diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, die bestehenden Asymmetrien zwischen Kaliningrad und seinen Nachbarn sogar noch weiter vergrößern, da das Gebiet den Bedingungen eines offenen Wettbewerbs mit EU-Mitgliedsländern nicht standhalten würde. Paradoxerweise trägt die Union – wenn auch nur indirekt und unbeabsichtigt – schon heute zum Wachsen der Asymmetrien bei: als Teil Russlands muss sich Kaliningrad mit begrenzten Mitteln aus dem EU-Tacis-Programm zur technischen Entwicklung bescheiden, seit 1991 waren es insgesamt 40 Millionen Euro.

Polen und Litauen dagegen erhalten als Beitrittskandidaten bereits jetzt umfangreiche EU-Förderung zur Vorbereitung auf die Mitgliedschaft; nach ihrem Beitritt wird die Strukturförderung aus Brüssel weiter steigen. So besteht die Gefahr, dass mit der Modernisierung der Infrastruktur in Polen und Litauen die Wirtschaftsströme an Kaliningrad vorbeifließen. Umgekehrt ist abzusehen, dass Kaliningrader Exporte nach Polen und Litauen deutlich erschwert werden, sobald beide Länder mit ihrem Beitritt die Standards und Normen der EU übernehmen. Ohne massive Investitionen wird Kaliningrad also auf Grund der Wettbewerbsschwäche seiner Produkte, seines unterentwickelten Finanz- und Dienstleistungswesens sowie seiner veralteten Infrastruktur unvermeidlich noch weiter zurückgeworfen.

Vor diesem Hintergrund wird die überragende Bedeutung sichtbar, die den Bemühungen um einen wirtschaftlichen Aufschwung Kaliningrads jenseits der Visum- und Grenzproblematik zukommt. Die Hauptverantwortung hierfür liegt bei Russland, dessen integralen Bestandteil Kaliningrad auch zukünftig bildet. Bislang hat Moskau jedoch noch kein klares Konzept für das Gebiet und für eine entsprechende Zusammenarbeit mit der EU entwickelt. Zwar enthält das auf zehn Jahre angelegte „Föderale Zielprogramm“ des Zentrums für Kaliningrad, das im Dezember 2001 verabschiedet wurde und insgesamt 3,3 Milliarden Dollar bereitstellen soll, eine Reihe positiver Ansätze. Zugleich weist es jedoch gravierende Defizite auf, die befürchten lassen, dass das Programm nur unzulänglich erfüllt wird. Es enthält keine klaren Prioritäten, verzichtet auf Verklammerungen mit potenziellen EU-Aktivitäten und steht in seiner Finanzierung auf schwachen Füßen.

Die EU ihrerseits sieht es zunehmend als wichtige Aufgabe an, bei der Modernisierung und Neugestaltung des neuen Nachbarn Kaliningrad aktiv mitzuwirken. So hat Brüssel im Juli 2002 angeboten, außerhalb des Tacis-Kontingents die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in Kaliningrad mit zusätzlichen einmaligen 25 Millionen Euro zu fördern und einen Kaliningrad-Fonds zu bilden, zu dem Kommission, EU-Mitgliedstaaten und weitere Interessenten beitragen. Finanziert werden könnten damit Projekt- und Machbarkeitsstudien als Anreiz und Vorbereitung für Direktinvestitionen. Im Falle eines Einvernehmens mit Russland würde sich die EU darüber hinaus verstärkt für eine Einbeziehung der internationalen Finanzinstitutionen in die Modernisierung Kaliningrads einsetzen.

Ein Beispiel ist das Engagement der Europäischen Investitionsbank für ausgewählte Umweltprojekte im Nordwesten Russlands, darunter auch für Kaliningrad: Im März 2001 gewährte sie dem Gebiet für den Wasserschutz einen Kredit über 15 Millionen Euro und stellte im September 2002 einen weiteren Kredit über 20 Millionen Euro in Aussicht. Neben dem Umweltschutz gibt es dringenden Investitionsbedarf in den Bereichen hoch technisierte Industriesektoren, kleine und mittlere Betriebe, Verkehrsinfrastruktur, Telekommunikation, Finanz- und Versicherungswesen sowie Tourismus.

Kompromisse

Das Problem des Visum- und Grenzregimes um Kaliningrad kann nur durch Kompromissbereitschaft und pragmatische Zusammenarbeit beider Seiten gelöst werden. Ähnliches gilt für die ungleich schwierigere und langwierigere Aufgabe, den Verfall Kaliningrads aufzuhalten und das Gebiet wirtschaftlich und sozial an das Niveau seiner Nachbarn Polen und Litauen heranzuführen. Russland selbst ist kaum in der Lage, die notwendigen Investitionen in ausreichendem Maße bereitzustellen. Umgekehrt wäre eine einseitige Unterstützung durch die EU in den eigenen Reihen nur schwer zu vermitteln. Sie würde darüber hinaus Russland den Anreiz nehmen, seinerseits aktiv zu werden und als Ko-Financier aufzutreten. Wirtschaftsförderung für Kaliningrad sollte daher als gemeinsames Entwicklungsprogramm konzipiert werden, wobei von Russland angestoßene Projekte gemeinsam ausgearbeitet und finanziert würden. Eine im Rahmen des Partnerschaftsvertrags EU-Russland gebildete Task-Force für Kaliningrad könnte die Aufgabe übernehmen, Projekte vorzuschlagen sowie in ihrer Zielgenauigkeit und Realisierung kontinuierlich zu begleiten.

In seinem Memorandum an die Europäische Union von Ende August 2002 machte Präsident Putin den bemerkenswerten Vorschlag, zwischen Russland und der EU „in einer realistischen Perspektive“ den visumfreien Personenverkehr zwischen den Partnern einzuführen. Dies würde mit den Bestrebungen der Seiten harmonieren, in Großeuropa gemeinsame Wirtschafts-, Sozial- und Rechtsräume zu bilden.

Die Lösung des Visumproblems, der Putin mit seiner Offerte frische Impulse geben will, muss freilich vorher gefunden werden: Ein rigides Festhalten der EU am Visumregime würde Kaliningrad isolieren, die Partnerschaft mit Russland beschädigen und die Konzeption gemeinsamer Räume diskreditieren. Die Aufforderung Rogosins an seinen Präsidenten, im Falle eines Scheiterns einer Kompromissregelung den Kopenhagener Russland-EU-Gipfel im November platzen zu lassen, gibt hierauf einen Vorgeschmack.

Zugleich sind die Interessen an einem Ausbau der Partnerschaft Russland-EU so groß, dass beide Seiten ernsthaft nach einem Einvernehmen suchen. Dabei könnten anfängliche Erleichterungen im grenzüberschreitenden Personenverkehr in dem Maße ausgebaut werden, wie sich die geltenden Regelungen als zuverlässig erwiesen haben – so das Europäische Parlament in seiner Kaliningrad-Entschließung vom Mai 2002. Ein gemeinsames wirtschaftliches Engagement könnte nach der EU-Erweiterung sogar wesentlich dazu beitragen, dass Kaliningrad in regionalem Rahmen zu einem Beispiel funktionierender Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland wird.

Abgeschlossen am 25.9.2002

Anmerkung

1  Vgl. dazu die Stellungnahme der Vertreter der EU und Russlands, hier abgedruckt, S. 106 ff.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2002, S. 25 - 32.

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