Der Lohn des Mutes
Gestaltungsspielräume für eine internationale Klima- und Energiepolitik
Zwischen Wachstum und Klimaschutz besteht kein tragischer Zielkonflikt. Die Handlungsspielräume
für eine ökologische Strukturpolitik sind größer, als von vielen vermutet wird. Die Diskussion
um die Klimapolitik ist bislang durch falsch gestellte Alternativen geprägt – die Vorschläge
der Autoren versprechen Abhilfe und plädieren für einen wissenschaftlichen und politischen
Lernprozess.
Wie weit soll, wie weit darf der globale Klimaschutz gehen? Erklärtes Ziel der internationalen Klimaschutzpolitik ist die Vermeidung gefährlicher Störungen des Klimasystems (Artikel 2 der Klimarahmenkonvention). Hierzu müssten die Emissionen in spätestens zwei Dekaden zu sinken beginnen, um sich am Ende des 21. Jahrhunderts der Nulllinie zu nähern. Aber es stellt sich die Frage: Darf der globale Klimaschutz überhaupt so weit gehen? Jede Klimaschutzpolitik, die versucht, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf einem niedrigen Niveau zu stabilisieren, steht im Verdacht, das Wirtschaftswachstum drastisch zu vermindern.
Ein weitgehender Wachstumsverzicht ließe sich aber moralisch kaum gegenüber den Weltregionen rechtfertigen, die auf Grund ihrer Armut bereits Zwangsklimaschützer sind, wie beispielsweise das Afrika südlich der Sahara. Er ließe sich auch nicht gegenüber Entwicklungsländern rechtfertigen, deren Erfolge in der Armutsbekämpfung ohne beträchtliches Wirtschaftswachstum unmöglich gewesen wären, wie es etwa in China oder Indien der Fall war.1 Aber auch die Industriestaaten werden auf Wachstum zugunsten der Entwicklungsländer weder verzichten wollen noch können: Sowohl die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als auch die Finanzierung sozialer Sicherheit fordern zumindest moderates Wachstum. Ein Klimaschutz, der von vornherein einen Wachstumsverzicht voraussetzen würde, geriete moralisch in die Defensive und hätte machtpolitisch kaum Chancen zur Durchsetzung.
Die Diskussion um den richtigen Weg in der globalen Klima- und Energiepolitik ist in vollem Gange. Wir wollen zeigen, dass es zwischen Wachstum und Klimaschutz keinen tragischen Zielkonflikt gibt: Die Handlungsspielräume für eine ehrgeizige ökologische Strukturpolitik sind größer, als von vielen vermutet wird. Es bedarf hierzu allerdings kluger Maßnahmen, um diese auch zu nutzen.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und andere wissenschaftliche Gremien sind der Auffassung, dass der Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf höchstens 2°C des vorindustriellen Niveaus begrenzt werden muss und die Geschwindigkeit ihres Anstiegs 0,2°C pro Dekade nicht überschreiten darf. Nur unter dieser Voraussetzung ließen sich dramatisch negative Auswirkungen zunehmender Extremwetterereignisse, Störungen des globalen Wasserkreislaufs, irreversible Verluste an biologischer Vielfalt oder ein Anstieg des Meeresspiegels vermeiden– alles Effekte, von denen vor allem die Entwicklungsländer betroffen sein würden. Das vom WBGU vertretene Klimaschutzziel entspricht einer maximalen CO2-Konzentration in der Atmosphäre von ca. 420 ppm. Die Tatsache, dass die Verluste am weltweiten Sozialprodukt in nahezu allen makroökonomischen Modellen sprunghaft steigen, wenn ein Konzentrationsziel von weniger als 550 ppm erreicht werden soll, zeigt, wie ehrgeizig dieses Klimaschutzziel tatsächlich ist.2
Wären diese konventionellen Kostenschätzungen zutreffend, hätte die internationale Klimaschutzpolitik nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder wäre ambitionierter Klimaschutz mit relativ hohen Wachstumsverlusten erkauft, oder das Wirtschaftswachstum könnte nur um den Preis hoher Klimaschäden erfolgen. Bevor man jedoch solch ein tragisches Dilemma akzeptiert, sollte man prüfen, ob hier nicht durch falsch gestellte Alternativen Entscheidungsträger zur Exekution fiktiver Sachzwänge verleitet werden.
Erweiterter Handlungsspielraum
Die geschätzten Kosten des Klimaschutzes hängen entscheidend von den Annahmen über die zukünftige Entwicklung des technischen Fortschritts ab. Um die Kosten der notwendigen Maßnahmen einigermaßen zutreffend abzuschätzen, muss technischer Fortschritt in ökonomischen Modellen so dargestellt werden, dass zumindest jene robusten Aspekte des Innovationsprozesses erfasst werden, die der historischen Erfahrung marktwirtschaftlich verfasster Gesellschaften entsprechen. In diesem Abschnitt skizzieren wir drei wichtige Aspekte des technischen Fortschritts, die bislang in Modellen, die Klimaschutzstrategien bewerten, nur unzureichend berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich erstens um die Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Energieproduktivität, zweitens um die Rolle der erneuerbaren Energien, und drittens um die Möglichkeit, CO2 an großen Punktquellen (wie Kohlekraftwerken) einzufangen und in geologischen Formationen zu speichern.
1. Gesamtwirtschaftliche Energieproduktivität
Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität ist in nahezu allen Industriestaaten in den letzten 150 Jahren schneller gewachsen als die Energieproduktivität. Es lässt sich zeigen, dass dies zu einem steigenden Verbrauch an fossilen Brennstoffen pro Kopf führen muss. Zwar hat es vor allem nach den beiden Ölpreiskrisen in den siebziger Jahren beträchtliche Steigerungen der Energieeffizienz gegeben; diese reichten aber nicht aus, um das Wachstum der Arbeitsproduktivität auszugleichen – die Effizienzgewinne in der Nutzung der Energie wurden durch das Wachstum der Arbeitsproduktivität wieder aufgezehrt.
Der Grund hierfür ist in den relativ niedrigen Preisen für Kohle, Öl und Gas zu suchen, die durch den technischen Fortschritt möglich wurden, der in den vergangenen 200 Jahren in der Exploration und Extraktion fossiler Ressourcen erzielt wurde. Da darüber hinaus die Reallöhne schneller gestiegen sind als die Energiepreise, gab es mit Ausnahme der beiden Ölpreiskrisen für die Unternehmen keinen Grund, in die Einsparung von Energie oder in nichtfossile Energieträger in einem Ausmaß zu investieren, das zu einem sinkenden Verbrauch konventioneller Energieträger geführt hätte. Im Umkehrschluss gilt: Soll der Energieverbrauch tatsächlich sinken, muss die Energieproduktivität schneller wachsen als die Arbeitsproduktivität. Dies wird aber nur dann möglich sein, wenn die Unternehmen einen Anreiz haben, vermehrt in innovative, klimafreundliche Technologien zu investieren. Technischer Wandel in diesem Verständnis ist nicht – wie in vielen ökonomischen Modellen vorausgesetzt – „manna from heaven“, sondern Ergebnis unternehmerischer Investitionsentscheidungen. Dieses Verständnis technischen Wandels – basierend auf historischen Erfahrungen – ist entscheidend für eine vernünftigere Abschätzung der Kosten des Klimaschutzes.
2. Backstop-Technologien und Learning-by-doing
Die Investitionen in den erneuerbaren Energiesektoren (Wind, Sonne, Biomasse, Wellen usw.) spielen in der jüngsten Debatte um die Kosten des Klimaschutzes eine herausragende Rolle. Da die erneuerbaren Energiequellen die Atmosphäre nicht belasten und keine erschöpfbaren Ressourcen nutzen, werden sie oft als Backstop-Technologien bezeichnet. Tatsächlich benötigen die erneuerbaren Energiequellen Boden, der grundsätzlich unvermehrbar ist. Boden wäre dann der begrenzende Faktor für künftiges Wirtschaftswachstum. Viele Ökonomen sind jedoch der Auffassung, dass die Erhöhung der Bodenproduktivität ausreichend ist und die Kosten beim Transport von Energie gering genug sind, um den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen nicht dauerhaft zu begrenzen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist Gegenstand gegenwärtiger Forschung.
In den meisten Modellen wird zwar berücksichtigt, dass die erneuerbaren Energiequellen teurer sind als die fossilen Energieträger, unbestritten ist jedoch auch, dass die Kosten der ersteren durch so genanntes Learning-by-doing sinken können: je höher die installierte Kapazität, desto geringer die Kosten pro Kilowatt (kW). Da aber die erneuerbaren Energiequellen erst am Anfang ihrer Entwicklung stehen, fossile Energieträger dagegen am Markt bereits etabliert sind, würden Investoren auch dann nicht in die erneuerbaren Energiequellen investieren, wenn diese langfristig kostengünstiger wären als die fossilen Energieträger. Der Grund liegt darin, dass Pionierunternehmer gerade in den Anfangsphasen der Einführung neuer Techniken viel zum Learning-by-doing beitragen und dadurch die Kosten senken. Später in den Markt eintretende Unternehmer nutzen diesen Kostenvorteil, ohne die entsprechenden Anfangsinvestitionen getätigt haben zu müssen. Auf Märkten mit Lerneffekten besteht daher kein Anreiz, Pionierunternehmer zu sein. Wenn aber alle dem Pionierunternehmer nachfolgen wollen, wird keiner Pionierunternehmer sein können! Dieser Effekt ist um so ausgeprägter, je kürzer der Zeithorizont der Unternehmer ist.
Umstritten ist die Rolle der Kernspaltung beim Umbau des Energiesystems. Beim gegenwärtigen Stand der Technik ist sie keine Backstop-Technologie, da zum einen die Problematik der Endlagerung nicht geklärt ist und zum anderen Uran eine erschöpfbare Ressource ist. Damit die Kernenergie im Rahmen einer Klimaschutzpolitik zumindest vorübergehend eine zentrale Rolle spielen kann, müsste ihr gegenwärtiger Anteil von 17% an der weltweiten Stromproduktion nicht einfach konstant gehalten, sondern beträchtlich gesteigert werden.
Dies würde nicht nur zu einer vermehrten Nutzung von Uran führen, sondern auch die Endlagerproblematik verschärfen, von derjenigen der Proliferation ganz zu schweigen. Nur bei deutlichen Verbesserungen in der Uranabbautechnik oder dem Einsatz von Wiederaufbereitungsanlagen bzw. schnellen Brütern ist es möglich, die nukleare Energiebasis zu vergrößern, um einen nennenswerten Beitrag zur globalen Energieversorgung zu leisten.3 Angesichts der hierzu notwendigen staatlichen und technischen Sicherheitsanforderungen ist es jedoch nicht wahrscheinlich, dass sehr viele Staaten außerhalb der OECD sie anwenden können oder sollten. Aber auch innerhalb der OECD ist die Kernenergie gegenüber den fossilen Energieträgern nicht konkurrenzfähig, da die anfänglichen Investitionskosten sehr hoch sind und die Lerneffekte in der Vergangenheit negativ waren. Die Energie-Enquêtekommission des Deutschen Bundestags (2002) schätzte die Investitionskosten für ein Kernkraftwerk auf 1700–2000 EUR/kW, während für ein konventionelles Kohlekraftwerk 1175–1300 EUR/kW angesetzt wurden.4 Es ist daher ausgeschlossen, dass die Kernkraft global in den nächsten Dekaden eine entscheidende Rolle spielen kann.
Die Kernfusion hingegen wäre in der Tat eine Backstop-Technologie, die aber frühestens in einigen Dekaden (etwa ab 2050) zur Verfügung stehen kann. Die internationale Energiepolitik auf diese Erwartung auszurichten, wäre zweifellos unvernünftig, da bei einem Scheitern dieser Option wertvolle Zeit vertan wäre, um andere gangbare Wege auszuloten. Im Folgenden soll daher geprüft werden, ob eine umweltverträgliche weltweite Energieversorgung auch ohne weiteren Ausbau der Kernenergie möglich ist.
3. Kohlenstoffdeponierung
Gerade in den Vereinigten Staaten werden heute vermehrt die Möglichkeiten eines industriellen Kohlenstoffmanagements (IKM) diskutiert. Dabei soll das CO2 an Kraftwerken zunächst eingefangen werden (Capturing), um es anschließend in ausgeförderten Erdgas- oder Erdölfeldern einzulagern (Sequestration). Diese Option wird nachfolgend als CCS (Carbon Capturing and Sequestration) bezeichnet. Da 50% der Emissionen in den Industriestaaten von Kraftwerken (Punktquellen) emittiert werden, erscheint diese Option viel versprechend. Diskutiert wird auch die Option, das CO2 z.B. in flüssigem oder superkritischem Zustand in den Ozean einzuleiten. Wie viel CO2 ohne große Umweltrisiken im Ozean verklappt werden könnte, bedarf der Klärung und ist Gegenstand aktueller Forschung.
Vor dieser Klärung wäre es nur dann sinnvoll, auf diese Option zurückzugreifen, wenn nicht andere, weniger risikoreiche Optionen zur Verfügung stünden wie insbesondere die Lagerung von CO2 in geologischen Formationen. Erste Abschätzungen deuten auch darauf hin, dass das Potenzial entsprechender geologischer Speicher ausreicht, um eine angemessene Weiternutzung fossiler Energieträger zu ermöglichen.
Eine weitere Option für das Kohlenstoffmanagement besteht in der Aufforstung, um das in die Atmosphäre entwichene CO2 zu binden und zugleich vermehrt Holz als Biomasse zur Erzeugung von Wärme oder Elektrizität zu nutzen. Für diese Option scheint die Obergrenze für eine nachhaltige Nutzung bei etwa 100 Exajoule pro Jahr zu liegen (was etwa 25% des heutigen Primärenergieverbrauchs entspricht), wenn unerwünschte Nebeneffekte vermieden werden sollen.5
Klimaschutz billiger durch Investitionen?
Die Kosten des Klimaschutzes werden in vielen Modellen tendenziell aus drei Gründen überschätzt: Erstens wird nicht berücksichtigt, dass Unternehmer innovativ auf Knappheitssignale reagieren können, z.B. indem sie fossile Energie effizienter nutzen. Zweitens werden die Kostensenkungspotenziale der erneuerbaren Energieträger unzureichend berücksichtigt. Drittens werden häufig nicht alle relevanten Optionen zur Vermeidung von Kohlendioxidemissionen in die Analyse mit einbezogen. Mit jeder neuen Option aber wird die Wirtschaft flexibler und kann darum kostengünstiger auf die Vorgaben der Klimapolitik reagieren.
Mit Hilfe des Modells MIND,6 das diese Aspekte des technischen Wandels berücksichtigt, wurde überprüft, ob mit den folgenden drei Optionen ein sowohl technisch machbarer als auch ökonomischer, nachhaltiger Umbau des Energiesystems bewerkstelligt werden kann, der zugleich den Ansprüchen des Klimaschutzes genügt:
- Effizienzsteigerung bei der Nutzung fossiler Energieträger;
- Ersatz fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien;
- Einfangen von CO2 an Kraftwerken und dessen Lagerung in geologischen Formationen.
In der Tat lässt sich mit Hilfe dieser drei Optionen ein Umbau des Energiesystems bewerkstelligen: Während der „heißen“ Umbauphase steigt die Nachfrage nach Energiedienstleistungen für den Aufbau der regenerativen Infrastruktur. Wenn die Emissionen nicht in gleichem Umfang steigen sollen, muss die Energieeffizienz drastisch erhöht werden. Erst durch diese gestiegene Energieeffizienz wird es möglich, den Anteil der erneuerbaren Energieträger zu steigern, ohne das Klimaschutzziel zu verletzen. Eine Erhöhung der Energieeffizienz allein reicht jedoch nicht aus, da das Klimaschutzziel bei einem steigenden Weltenergiebedarf erreicht werden muss: Soll es nicht zu Wachstumseinbußen kommen, sind erneuerbare Energieträger daher langfristig unverzichtbar.
Mit Hilfe des Energiesystemmodells MESSAGE wurde im Rahmen des Jahresgutachtens 2003 des WBGU ermittelt, welche Technologien ein ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Energiesystem umfassen würde. Nach Berechnungen des WBGU spielt die Sonnenenergie in Form von Solarthermie erst nach 2050 eine wichtige Rolle. Vor 2050 sollten Windkraft und Biomasse relativ zügig eingesetzt werden. Das Szenario des WBGU zeigt jedoch auch, dass wir bis zur Mitte dieses Jahrhunderts mit einem hohen Anteil an fossilen Energieträgern leben müssen, deren Nutzung durch CCS klimafreundlich ausgestaltet werden kann. Darin stimmen sowohl das MIND-Szenario als auch die beiden Energieszenarien des WBGU mit anderen Energieszenarien weitgehend überein.7
Ein Emissionspfad, der den Ansprüchen des Klimaschutzes genügt, ohne dabei erhebliche Wachstumseinbußen hervorzurufen, ist in Abbildung 1 zu sehen. Dieser Emissionspfad erlaubt es, den Anstieg der Globalen Mitteltemperatur auf 2°C bis 2100 zu begrenzen und die Geschwindigkeit des Anstiegs nicht über 0,2° C pro Dekade geraten zu lassen.
Abbildung 1 zeigt deutlich, vor welchen energiepolitischen Herausforderung die Menschheit steht: Gegenüber dem Business-As-Usual-Pfad müssen die Emissionen nämlich im Klimaschutz-Pfad (KSP) drastisch abgesenkt werden. Zwar können die Emissionen im Klimaschutz-Pfad noch zwei Dekaden lang etwas ansteigen, müssen aber dann nach 2020 absolut zu sinken beginnen. Die bislang im Kyoto-Protokoll vereinbarten Verpflichtungen reichen allerdings bei weitem nicht aus, um den Klimaschutz-Pfad zu erreichen. Bliebe es bei den im Kyoto-Protokoll vereinbarten Verpflichtungen, würde sich die Weltwirtschaft im Wesentlichen entlang des BAU-Pfades entwickeln. Kyoto kann daher bestenfalls ein erster zaghafter Schritt sein. Wenn nicht weitere mutige Schritte folgen, lässt sich das Klimaschutzziel von 2°C, das nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch von der EU und wichtigen Unternehmensführern wie Lord Browne von BP akzeptiert wird,8 nicht erreichen.
Was aber sind die wirtschaftlichen Implikationen eines ambitionierten Klimaschutzes, wie er durch den Klimaschutz-Pfad (KSP) beschrieben wird? Abbildung 2 zeigt, dass die volkswirtschaftlichen Kosten dieses Szenarios mit MIND deutlich geringer sind als die Kostenschätzungen vergleichbare Modelle, in denen ähnliche sozioökonomische Szenarien vorausgesetzt werden.9 Der Grund hierfür liegt darin, dass die Fähigkeit der Unternehmen und Investoren, flexibel auf die Vorgaben des Klimaschutzes zu reagieren, im MIND-Modell mit erfasst wurde.
Instruktiv ist hier die Rolle der Abscheidung und Speicherung des Kohlenstoffs (CCS): Diese Option erlaubt eine längere und geschmeidigere Einführungsphase, weil das in der fossilen Energiewirtschaft gebundene Kapital langsamer entwertet wird. CCS ermöglicht daher die Verluste einer ambitionierten Klimapolitik für die gegenwärtigen Generationen zu vermindern. Es ist aber auch klar, dass das industrielle Kohlenstoffmanagement nur eine End-of-pipe-Technologie ist, bei der CO2 nicht an der Quelle vermieden wird, sondern am Ende des Produktionsprozesses abgeschieden und gelagert wird. Da CO2 irgendwann wieder entweichen wird, kann CCS nur die Funktion eines „Jokers“ übernehmen: Je teurer die erneuerbaren Energieträger sind, desto stärker kommt CCS zum Einsatz. CCS ist dabei umso effektiver, je länger das CO2 in der Lagerstätte verbleibt.
In dem hier gezeigten Szenario wird angenommen, dass die erneuerbaren Energieträger eine Lernrate von 15% pro Verdoppelung der installierten Kapazität aufweisen und der Kohlenstoff mit 0,5% pro Jahr aus den geologischen Formationen entweicht; unter dieser Voraussetzung müssten im kommenden Jahrhundert etwa 160 Gigatonnen Kohlenstoff in geologischen Formationen eingelagert werden. Bei einer Lernrate von 5% würde sich die Menge des Kohlenstoffs, der in geologischen Formationen eingelagert werden müsste, auf 216 Gigatonnen Kohlenstoff erhöhen. Die Rate, mit der CO2 aus den geologischen Formationen entweicht, ist eine der großen Unbekannten in der Gleichung, die den Nutzen von CCS bestimmen. Erste Experimente über die Dichte dieser Lagerstätten stehen vor der Durchführung; über das Management dieser Umweltrisiken hat die Fachdebatte gerade erst begonnen.10
Wider die falschen Alternativen
Die Diskussion um die Klimapolitik ist bislang durch falsch gestellte Alternativen geprägt – Wachstum ohne Klimaschutz oder Klimaschutz ohne Wachstum. Auf der Basis unserer Modellrechnungen haben wir gezeigt, dass sich selbst ehrgeizige Klimaschutzziele zu moderaten Kosten, in der Größenordnung von 0,5% bis 10% des weltweiten Sozialprodukts erreichen lassen. Dieses technische und wirtschaftliche Potenzial ist aber nur dann ausschöpfbar, wenn es zu einer internationalen Kooperation in der Klima- und Energiepolitik kommt. Diese Kooperation muss auf mindestens drei Säulen stehen:11
Erstens müssen die Rahmenbedingungen derart geschaffen werden, dass sowohl die USA und Russland als auch die Entwicklungsländer weitere Ziele der Emissionsminderung akzeptieren (cap), damit das von der EU angestrebte Klimaschutzziel auch erreicht werden kann. Dabei muss der internationale Handel mit Emissionsrechten (trade) so ausgestaltet werden, dass die Emissionen nicht nur dort vermieden werden, wo es am kostengünstigsten ist, sondern die Entwicklungs- und Transformationsländer auch davon profitieren. Die Grundzüge einer solchen Ausgestaltung sind noch nicht hinreichend geklärt und bedürfen noch weiterer Forschung. Die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Ziele sind keineswegs ausreichend, sie sind ein erster zaghafter Schritt, dem weit mutigere Schritte zur Emissionsminderung folgen müssen. Durch den Zertifikatshandel kann ein globaler Markt für Kohlenstoff geschaffen werden, auf dem multinationale Firmen eine Führungsrolle in der Entwicklung und Verbreitung klimafreundlicher Techniken übernehmen können.
Zweitens müssen die erneuerbaren Energieträger so gefördert werden, dass sie innerhalb der nächsten drei Dekaden gegenüber den fossilen Energieträgern konkurrenzfähig werden können und dabei zugleich die wirtschaftliche Basis für technische Durchbrüche geschaffen wird.
Drittens bedarf es eines ordnungspolitischen Rahmens für die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff. Dieser Rahmen soll Unternehmen anregen, kostengünstige Methoden der Abscheidung zu finden. Darüber hinaus sollen Unternehmen nur solche Lagerstätten nutzen dürfen, bei denen das Risiko gering ist, dass CO2 in großem Umfang entweicht.
Es bedarf hier sowohl eines wissenschaftlichen als auch eines politischen Lernprozesses, um den geeigneten institutionellen Rahmen zu entwerfen und zu implementieren. Am Ende dieses Lernprozesses könnte die Einsicht stehen, dass wir zwischen Wachstum ohne Klimaschutz und Klimaschutz ohne Wachstum nicht wählen müssen und darum auch nicht wählen dürfen.
Anmerkungen
1 Der Weltentwicklungsbericht 2003 „Nachhaltige Entwicklung in einer dynamischen Welt“ zeigt, dass die Zahl der Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, zwischen 1980 und 1998 um 200 Millionen Menschen gesunken ist. Diese Durchschnittszahl verdeckt jedoch, dass in Afrika südlich der Sahara die Zahl der Armen absolut gestiegen ist, während sie in China stark und in Indien moderat gesunken ist.
2 Vgl. Tsuneyuki Morita et al., Overview of Mitigation Scenarios for Global Climate Stabilisation based on the New IPCC Emissions Scenarios (SRES), in: Environmental Economics and Policy Studies, Nr. 3/2000, S. 65–88.
3 Vgl. IPCC, Climate Change 2001. Mitigation. Contribution of Working Group III to the Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, S.236, schätzt die sicher gewinnbaren Uranreserven auf 1977EJ, die um den Faktor 60 erhöht werden können, wenn Brutprozesse angewendet werden. In dem Bericht der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (2003), Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen 2002, S. 22, werden die sicher gewinnbaren Uranreserven auf 644EJ geschätzt, woraus sich die statische Reichweite von 42 Jahren ergibt, S. 41. Die statische Reichweite gibt an, wie lange eine erschöpfbare Ressource reicht, wenn ihr gegenwärtig beobachteter Verbrauch fortgesetzt wird.
4 Vgl. Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags, Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und Liberalisierung, Deutscher Bundestag, Berlin 2002, S. 455–459.
5 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU), Energiewende zur Nachhaltigkeit, Berlin 2003, S. 66. Zu weiteren Maßnahmen des Geo-engineering vgl. Schellnhuber, Geo-engineering: Was können wir, was dürfen wir, in: Gotthilf Hempel, MeinradSchulz-Baldes (Hrsg.), Nachhaltigkeit und globaler Wandel, Berlin/Heidelberg2003, S. 137–138.
6 Vgl. Edenhofer, Bauer und Elmar Kriegler, The Impact of Technological Change on Climate Protection and Welfare: Insights from the MIND model. Paper submitted to Ecological Economics, 2004.
7 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Über Kyoto hinausdenken – Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert. Sondergutachten, Berlin 2003, S. 34.
8 Vgl. John Browne, Beyond Kyoto, in: Foreign Affairs, Juli/August 2004, S. 20–32.
9 Vgl. Morita et al., a.a.O. (Anm. 2), S. 65–88.
10 Vgl. Edenhofer, Hermann Held,Bauer, A Regulatory Framework for Carbon Capturing and Sequestration within the Post-Kyoto Process. Vorbereitet für GHGT-7, 7th International Conference on Greenhouse Gas control Technologies, 6.–9. September 2004 in Vancouver, BC, Canada. S. auch Edenhofer, Held, Bauer, Wege zu einem nachhaltigen Energiesystem. Ein ordnungspolitischer Rahmen für die Deponierung von Kohlenstoff, in: Bernt Johnke, Jürgen Scheffran, Konrad Soyez, (Hrsg.), Abfall, Energie und Klima: Wege und Konzepte für eine integrierte Ressourcennutzung, Berlin 2004 (im Erscheinen).
11 Vgl. Edenhofer, Wege zu einer nachhaltigen Klima- und Energiepolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 27/2003, S. 18–26.
Internationale Politik 8, August 2004, S. 29‑38
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