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01. Apr. 2006

Demokratie von unten

Die Zivilgesellschaft ist Garant einer gelungenen Entwicklung

Die deutsche Politik der Entwicklungszusammenarbeit setzt auf den funktionierenden afrikanischen Staat. Das birgt die Gefahr, den Kontakt zur Zivilgesellschaft zu verlieren. Dabei sind es gerade die nichtstaatlichen Strukturen, die wichtige Aufgaben übernehmen, an verwurzelte Traditionen anknüpfen und Afrika zum Kontinent der Zukunft machen könnten.

Afrika heute bietet wenig Anlass, über dauerhaft gelungene Entwicklungsmodelle oder findige Nothilfestrategien zu frohlocken: In Uganda entwickeln sich früh gelobte Vorreiter einer neuen afrikanischen Elite zu gefährlichen, machtverliebten Autokraten – mit deutscher Unterstützung. In Kenia erhalten die alten korrupten Seilschaften des vor wenigen Jahren abgewählten Regimes neuen Auftrieb – mit deutscher Hilfe. In Kamerun steuert der gewählte Präsident das Land in einen Bürgerkrieg mit deutscher Tolerierung und zum Thema Simbabwe ist die emphatischste Reaktion ein hilfloses Schulterzucken, geht es um die Hebelwirkung deutscher Außen- und Entwicklungspolitik. Die deutsche Afrika-Politik vergaß im NEPAD-Fieber auf dem G-8-Gipfel in Kananaskis, den großen südafrikanischen Bruder darauf hinzuweisen, dass Menschenrechte unteilbar sind und auch für Nachbarländer wie Simbabwe gelten, die in seinem Einflussbereich liegen. Die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit (als eigenständiges Segment der gemeinsamen deutschen Außenpolitik) handelt nicht aus bösem Willen, sondern wider besseres Wissen. Auch um eines klarzustellen: Dies ist kein Pamphlet gegen die Ziele des NEPAD-Prozesses, doch irrt Uschi Eid, die ehemalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wenn sie betont, das Ziel von NEPAD könne realistisch darin bestehen, „dass afrikanische Regierungen und Regierungsverantwortliche das Allgemeinwohl über das Wohl des Einzelnen und über Partikularinteressen von Ethnien, Clans oder Großfamilien stellen. Entwicklung im Sinne einer gerechteren Verteilung von Chancen und materiellen Werten setzt dieses Verständnis zwingend voraus. Dieses politische Verständnis von Staat ist in weiten Teilen Afrikas nicht verbreitet und stellt ein großes Entwicklungshemmnis dar“.1

Regierung über alles

Es ist das Hohelied auf den funktionierenden afrikanischen Staat in Form seiner Regierung. Allein, wer ausschließlich auf den Staat vertraut, ist in Afrika verraten; denn es ist ein Irrglaube, dieses Ziel nur und allein durch die Förderung, Kontrolle und Überprüfung von Regierungsorganen, ihren Verwaltungen und Institutionen zu erreichen. Zivilgesellschaftliche Initiativen, traditionelle Strukturen, funktionierende Sozialwesen werden auf die eben zitierten „Partikularinteressen von Ethnien, Clans oder Großfamilien“ reduziert. Traditionelle Strukturen und Verwandtschaftsverbände können sehr wohl ihren substanziellen Anteil am gesellschaftlichen Fortschritt haben, vielleicht nicht immer, auf jeden Fall nicht, wenn sie in Konkurrenz zum Staat per se und undifferenziert verteufelt werden. Bei der alleinigen Förderung von staatlichen Strukturen bleibt die Säule der institutionellen Förderung von Zivilität ausgespart.

Ein bescheidenes Durchsickern von Staatsaufbau und funktionierendem Fortschritt wird als Erfolg bewertet, steht jedoch im Schatten gravierender Misserfolge, eklatanter Fehlschläge und überhöhter Transaktionskosten. Die Dimension der NEPAD-Projekte hat ein im Vergleich zu Standards der Entwicklungszusammenarbeit überwältigendes Volumen von 108,7 Milliarden Euro erreicht.2 Heute steht der deklamierte Erfolg der deutschen Afrika-Politik in keinem Verhältnis zu den realen, für die Zivilgesellschaft vor Ort erkennbaren Fortschritten.

Das Sicherheitsnetz nichtstaatlicher Strukturen

Die Bereitschaft afrikanischer Regierungen, die gerechtfertigten sozialen und menschenrechtlichen Belange ihrer Bevölkerungen zu vernachlässigen, ist hoch. Es besteht die Gefahr, dass bi- und multilaterale Zusammenarbeit ohne partnerschaftlich vereinbarte Richtlinien („benchmarking“) hinsichtlich überprüfbarer Menschenrechts- und Sozialfortschritte verpuffen wird. Die Vereinten Nationen haben mit der Unterstreichung des Dogmas der „menschlichen Sicherheit“ einen Paradigmenwechsel erreicht. Es ist an der Zeit, den Wert „Entwicklungssicherheit“ als Überbau von Unterstützung zu begreifen und einzufordern. Leider birgt die deutsche Afrika-Zusammenarbeit heute die Gefahr, den Kontakt zur Zivilgesellschaft zu verlieren, nicht aus programmatischen Gründen, sondern weil sie noch nicht realisiert hat, dass „funktionierende Institutionen“ in afrikanischen Staaten nicht eben zum Vorteil der Bevölkerung arbeiten, sondern gegen die Interessen der Bevölkerung genutzt werden. Oberflächlich funktionierende Rechts- oder Gesundheitssysteme sind häufig die staatlichen Vehikel für die Stagnation durch Selbstbereicherung und Machtmissbrauch.

Wenn Afrika nicht durchgängig als „verlorener Kontinent“ abgeschrieben werden soll, geht es in Zukunft um die Berücksichtigung eines kausalen, wirkungsorientierten und nachhaltigen Entwicklungsmodells. Statistische Fortschritte bei der vermeintlichen Verankerung von Rechtsinstitutionen, demokratischen Wahlen und freier Presse müssen nicht notwendigerweise bei der Bevölkerung als echter Fortschritt und Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse wahrgenommen werden. Eine dynamische Entwicklungspolitik muss die Stärken des reformbereiten afrikanischen Staates aufgreifen und gleichzeitig nach unterstützenswerten Verbänden, funktionierenden traditionellen Organisationen, regionalen Zusammenschlüssen suchen. Der vergleichbare Vorteil dieser Doppelstrategie wäre die Abfederung sozialen Niedergangs bei fortgesetztem Staatszerfall. In den zehn Jahren des Bürgerkriegs im Osten der Demokratischen Republik Kongo bieten traditionelle und kirchliche Ordnungsmuster die einzigen verlässlichen zivil-politischen Orientierungen für die Bevölkerung. Sie können hinübergerettet werden, wenn Staatsaufbau gescheitert ist. Nichtstaatliche Strukturen dienen so als Puffer bei Staatszerfall und als Andockmöglichkeit funktionierender Zivilität bei Staatserholung.

Es ist bedauerlich, dass deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu häufig funktionierende Strukturen ignoriert und sich vehement auf „Auslaufmodelle“, sei es von Staaten, Personen oder Institutionen, konzentriert. Die deutsche Außenpolitik sollte auch auf die Förderung von afrikanischen Regimen setzen, die ein authentisches Interesse an der Entwicklung des Kontinents haben – Regime wohlverstanden als gesellschaftlich verfasste Ordnungssysteme auch jenseits von Staatlichkeit. Demokratische Wahlen führen nicht zwangsläufig zur Einhaltung von Menschenrechten. Korruption und Misswirtschaft grassieren auch im Rahmen einer demokratischen Verfassung. Es ist grotesk, von einem schwachen afrikanischen Staat sozial- und ordnungspolitische Aufgaben zu fordern, während seine Protagonisten eher an Machterhalt, Klientelwirtschaft und Selbstbereicherung interessiert sind. Wenn der „gefühlte“ Nutzen entwicklungspolitischer Interventionen auf Dauer für die Menschen gegen Null geht, kann eine entwicklungspolitische Zusammenarbeit als gescheitert angesehen werden.

Vorbildlich, aber nicht anerkannt: Somaliland

Deutsche Afrika-Politik sollte den gesellschaftlichen Realitäten auf dem Kontinent Rechnung tragen, wenn sie wesentlicher Bestandteil einer auf Nachhaltigkeit angelegten Entwicklungsförderung sein soll. Der Zukunftskontinent Afrika wurde bislang weniger durch die Staaten auf den Weg gebracht, als vielmehr durch die gezielte Unterstützung von sozialpolitischen Organisationen und Regionen sozialen Fortschritts. Einige Beispiele: Dass Ghana in dem ethnischen Konflikt Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht zerbrochen und im Krieg versunken ist wie sein Nachbar, die Elfenbeinküste, hat seinen Grund in der starken Verankerung der Zivilgesellschaft, kirchlicher und säkularer Werke und NGOs. Tansanias kriegslose postkoloniale Vergangenheit ist kein entwicklungspolitischer Selbstläufer, sondern Resultat vieler Jahre friedlichen zivilen Aufbaus, begleitet und getragen durch eine lebendige und selbstbewusste Zivilgesellschaft.

Afrikanische Kotaus in Richtung der Forderungen der Geber haben in vielen Fällen einen unbegrenzten Förderfreischein zur Folge, der nur im Extremfall wegen Verletzungen internationaler Standards wieder aufgehoben wird (wie im Fall von Simbabwe). Es ist Augenwischerei, wenn Jahr für Jahr Ministerien in Europa Konferenzen unterstützen, die eine Zentralregierung in Somalia ins Amt hieven soll, wo doch jeder weiß, dass der zerbrochene Staat Somalia nie wieder auf der afrikanischen Landkarte entstehen wird. Somaliland hingegen, das seit 1991 gute Ergebnisse in Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und Entwicklung hat, wird von der internationalen Staatengemeinschaft als Paria behandelt und nicht zur Kenntnis genommen. Macht man die Tour d’Horizon durch die Leitlinien deutscher Entwicklungszusammenarbeit, so entspricht Somaliland einem „Ideal-Gemeinwesen“ in Afrika, einem quasi „Modell-Schwerpunktland“, ja einem Beispiel kluger Entwicklungsstrategien – doch es verbleibt in entwicklungspolitischer Quarantäne ohne Förderung und Anerkennung, weil sich die Afrikanische Union und einige europäische Staaten nicht auf eine diplomatische Anerkennung des Landes verständigen können. Auf dem Altar der Staatsräson und der Diplomatie wird allzu häufig der kluge entwicklungspolitische Menschenverstand geopfert. Objektive Stärken eines Gemeinwesens – oder wie soll man einen Staat beschreiben, der nicht anerkannt ist – werden im künstlichen Koma gehalten. Deutsche Entwicklungszusammenarbeit jagt damit einem Staatsphantom Somalia hinterher, obgleich Somaliland schon seit Jahren funktioniert.

Was die kirchlichen Hilfswerke schon lange praktizieren, sollte der deutschen Regierung nur recht und billig sein: Förderung und Unterstützung von zukunftsträchtigen, auf Wachstum und Wohlstand ausgerichtete gesellschaftliche Segmente. Es gilt, klug und nachhaltig die politischen Hebel zu nutzen, die Afrika selbst bietet, um aus der Misere zu kommen.

Braucht Entwicklungszusammenarbeit eine neue Radikalität?

Ob Afrika ein Kontinent der Zukunft werden kann, wird sich auch an einer reformwilligen deutschen Außenpolitik entscheiden. Das ins Zentrum gerückte Mantra deutscher Entwicklungspolitik, die „gute Regierungsführung“, weist auch auf die deutsche Regierung selbst zurück. Unreife oder gescheiterte Versuche deutscher Entwicklungszusammenarbeit sollten einer selbstbewussten, lernbereiten und flexiblen Neuorientierung weichen. Innovative Entwicklungsstrategien können sich an zukunftsträchtigen und vorwärtsgewandten Modellen orientieren – auch wenn diese nicht auf die Ewigkeit angelegt sind. Unter dem Druck der sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche in Afrika kann sich der Kontinent nicht mehr viele Niederlagen leisten.

Kein Mensch bezweifelt ernsthaft, dass ohne funktionierende Institutionen, Gewaltenteilung und staatliche Ordnung alle Entwicklungsstrategien auf Sand gebaut sind. Davon ist Afrika jedoch weit entfernt. Deutsche Afrika-Politik hat die fixe Idee, dass die existierenden Staaten in jedem Fall entwicklungsfähig und entwicklungswillig sind. Dabei wird übersehen, dass afrikanische Staaten in vielen Fällen von ihren Eliten als Vehikel zur Selbstbereicherung genutzt werden. Doch auf dem so häufig von Hungersnöten geplagten Kontinent sollte die Zukunft denen gehören, die derzeitig nicht adäquat von den entwicklungspolitischen Maßnahmen profitieren.

Sicher sind die reichen mineralischen Ressourcen für Afrika heute eher ein Fluch denn ein Segen. Die vielen hartnäckigen Kriege, Umwelt- und Naturkatastrophen, Hungersnöte ... Ist es da nicht zynisch, von Afrika als dem Zukunftskontinent zu sprechen?

Der deutsche Entdecker Georg Schweinfurth schrieb im Jahre 1878: „Ich habe Afrika gesehen und habe noch vor Augen, wie es als das große Haus der Knechtschaft ist – nicht wie es sein sollte, nämlich das ungeheure Gebiet einer freien Mitarbeit an den Gesamtaufgaben der Menschheit. An einem endlichen Sieg der guten Sache sowie an der Zukunft des schwarzen Menschengeschlechts werde ich nie zweifeln!“3 Schweinfurth schrieb diese Zeilen zu einer Zeit, in der die meisten Entdecker und Forscher an Ausbeutung, Kolonisierung und Unterjochung des „schwarzen Menschengeschlechts“ und des afrikanischen Kontinents dachten und nicht an eine „freie Mitarbeit an den Gesamtaufgaben der Menschheit“.

Afrikas Zukunft steht am Scheideweg. Es geht um die neue Aufrichtigkeit von internationaler Politik hinsichtlich Afrikas Stabilität und nachhaltiger Entwicklung. Auf der Soll-Seite deutscher Außen- und Entwicklungspolitik steht die weitgehend nicht hinterfragte Kontinuität deutscher Zahlungen an Regime, deren Menschenrechtsbilanz, Armutsbekämpfung und Friedensbereitschaft mehr als miserabel ist. Die Implosion des nigerianischen Staates ist absehbar, wenn es nicht zur einvernehmlichen und sozial gerechten Verteilung von Ressourcenerlösen kommt. Deutsche Politik sollte sich die friedliche Entwicklung in Botswana, Tansania und Somaliland als Beispiel für eine nachhaltige Entwicklung nehmen, auch, was die bemerkenswerte politische Stabilität und den institutionellen Fortschritt betrifft. Jedoch wird die internationale Gemeinschaft seit Jahren von der ugandischen Regierung hinsichtlich ihres vermeintlichen Friedenswillens an der Nase herumgeführt. Das Flüchtlingsarmageddon im Norden Ugandas wird mittelbar auch von der internationalen Gemeinschaft geduldet. Auf der Haben-Seite steht die uneingeschränkte Unterstützung Deutschlands für den Friedensprozess im Sudan. Eine massive, internationale Förderanstrengung für Südsudan hätte neben der wirtschaftlichen Prosperität auch politische Stabilität zur Folge. Es nützt jedoch wenig, den Friedensprozess im Südsudan zu stützen, ohne auf den hartnäckigen Konflikt in Norduganda einzuwirken, der sich auf die benachbarten Regionen auszudehnen droht.

Staatsaufbau in Afrika wird zu häufig mit Regierungsaufbau verwechselt. Ein wichtiger Aspekt von guter Regierungsführung ist die politische Akzeptanz der Zivilgesellschaft als bedeutende politische Gestaltungskraft. Zu häufig bleibt die Zivilgesellschaft als entscheidender Artikulator soziopolitischer Defizite ausgegrenzt, ja wird als lästige Konkurrenz gesehen, die um begrenzte Güter konkurriert. Der Zukunftskontinent Afrika zeigt sich noch verhalten, doch unaufhaltbar in Gemeinwesen, die es gar nicht geben dürfte (z.B. Südsudan und Somaliland) oder in Staaten wie Ghana, Botswana und Tansania, die zivilgesellschaftlichen Prozessen relativ freien Raum lassen, um sich zu etablieren und zu verfestigen.

Die Kraft der afrikanischen Zivilgesellschaft

Solange es für die Staatsmolkerei in Ouagadougou in Burkina Faso günstiger ist, Milchpulver aus Europa zu importieren, als die Milch bei den Erzeugern zu kaufen, weil sie dort das Doppelte kostet,4 laufen viele Anstrengungen, zur ländlichen Entwicklung beizutragen und politische Initiativen zu starten, ins Leere. Dieses Beispiel illustriert die Paradoxien internationaler Politik zur Entwicklung des afrikanischen Kontinents.

Ob Afrika in einen Kontinent der Zukunft umgestaltet wird, hängt von einer widerspruchsfreien Entwicklungspolitik ab. Die Entwicklungsfallen internationaler Politik müssen abgebaut werden. Umso erstaunlicher ist es, wenn einige Regionen Afrikas in der Lage sind, auch unter widrigsten ökonomischen Bedingungen Aufbauleistungen zustande zu bringen oder nicht weiter in Staatsauflösung oder noch tiefere wirtschaftliche Agonie abzustürzen. Ein Grund liegt in der Kraft der afrikanischen Zivilgesellschaft und hierbei ist besonders die Aufbaurolle der Frauen zu erwähnen, die gerade in Zeiten von ökonomischer und politischer Krise ungeahnte gesellschaftliche und familiäre Leistungen vollbringen. Die Zivilgesellschaft im kriegszerstörten Südsudan war in der Lage, sich in den Jahren der Krise so genannten „INGOs“ (Indigenous Non-Governmental Organizations) zu organisieren und am Leben zu halten. Viele kleine Gruppen, die gemeinschaftlich Kriegsfolgen und Misswirtschaft beseitigen wollen, sind nach der Implementierung des Friedensabkommens zivilgesellschaftliche Andockstellen für eine unterstützende Aufbauarbeit.

Es gibt in Afrika nicht nur die (vieldiskutierten) „neuen Kriege“, sondern auch den (häufig vergessenen) „alten Frieden“. Im Norden Ghanas war das politische Zusammenspiel von staatlicher Autorität, Kirchen, Entwicklungswerken und zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Lage, den ethnischen Konflikt um Land und politischen Einfluss einzudämmen und in ein Friedensabkommen umzuleiten. Wenn in dieser empfindlichen, instabilen Nachkonfliktphase die Menschen eine echte Möglichkeit hätten, friedlich und nachhaltig ihren Lebensunterhalt zu verdienen, z.B. als konkurrenzfähige Milchbauern, dann würden sie sich auch nicht so leicht von Rebellen rekrutieren lassen. Ohne unfaire Handelsbarrieren und Exportsubventionen wäre Afrika aus eigenen Kräften ökonomisch wesentlich stärker, als es alle Unterstützungsmaßnahmen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zu Wege bringen können.

Nigeria, das wegen der Spannungen zwischen Christen und Muslimen traurige Berühmtheit erlangt hat, verdankt seine relative Ruhe bislang auch einer Vielzahl von muslimisch-christlichen Versöhnungsgruppen, die versuchen, Konflikte schon im Vorfeld zu verhindern. Im Süden des Landes beobachten wir dieser Tage das Aufkommen und die Etablierung von Rebellengruppen, die für eine gerechte Verteilung der Erdöleinkünfte kämpfen. Einmal erfolgreich etabliert, wird man das Aufkeimen von neuen Rebellengruppen (wie in der Elfenbeinküste, der Demokratischen Republik Kongo und anderen Staaten) und den anschließenden zermürbenden innerstaatlichen Dauerkrieg nur noch mit allergrößten Schwierigkeiten aufhalten können. Weil Nigeria Partnerland deutscher Entwicklungszusammenarbeit ist, wäre es gerade hier die Aufgabe deutscher Außenpolitik, konfliktpräventiv tätig zu werden. Immerhin steht Nigeria am Abgrund eines Krieges, der Afrika (und damit auch die westliche Welt) in seinen sozialen und politischen Grundfesten erschüttern würde.

Mehr als 20 000 qualifiziert ausgebildete medizinische Fachkräfte verlassen jedes Jahr Afrika südlich der Sahara.5 Solange qualifiziertes medizinisches Personal massiv aus Afrika abgeworben wird, kann es keine Entwicklung geben. Es gibt das viel zitierte „global village“ – aber in Zeiten verstärkter ländlicher Armut auch die real existierende „analoge Kontinentalflucht“ von den Entwicklungsländern in die Länder des Nordens. Jeder Schuss, der in Ituri im Kongo oder in Darfur im Sudan abgefeuert wird, trifft in Zeiten der Globalisierung eben auch uns.

Dr. VOLKER RIEHL,  geb. 1957, arbeitete zwölf Jahre als Wissenschaftler und Lehrbeauftragter an den Universitäten von Accra (Ghana) und Kampala (Uganda). Seit 2003 arbeitet er als Entwicklungspolitischer Beauftragter von Misereor in Berlin.

  • 1Uschi Eid: Afrikas Reformbemühungen ernst nehmen: Fünf Jahre neuer Partnerschaft zwischen G8 und den NEPAD-Staaten, eins Entwicklungspolitik, Nr. 1–2/2006, S. 28.
  • 2Carl Melchers: Inside NEPAD, eins Entwicklungspolitik, Nr. 1–2/2006, S. 32–34.
  • 3Georg Schweinfurth: Im Herzen von Afrika, Stuttgart 1984, S. 18.
  • 4http://www.misereor.de/index.
  • 5Klaus Fleischer: „Brain-drain“ medizinischer Fachkräfte aus der Dritten Welt, Symposium Medical Berlin, 2005, S. 30–32.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 58 - 63

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