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01. März 2012

„Das ‚pazifische Jahrhundert‘ ist so etwas wie ein Codewort“

Interview mit dem Auslandsreporter Robert D. Kaplan

Für Washington steht fest: Dem indo-pazifischen Raum gehört die Zukunft. Im IP-Interview erläutert der amerikanische Journalist Robert D. Kaplan, was die Region so bedeutungsvoll macht, warum die Vereinigten Staaten ihre außenpolitischen Prioritäten immer mehr in Asien sehen und welche
Rolle die vorherrschenden Mächte China und Indien spielen.

IP: Herr Kaplan, Hillary Clinton hat jüngst das „pazifische Jahrhundert“ ausgerufen: Spricht sie da von dem richtigen Ozean?

Robert D. Kaplan: Ja, das tut sie. Das „pazifische Jahrhundert“ ist so etwas wie ein Codewort. In Wirklichkeit handelt es sich um den Indo-Pazifik, also um das Gebiet zwischen Indien und Japan. Den Begriff „Indo-Pazifik“ würde allerdings niemand verstehen. Man könnte auch sagen, es ist eine Verlagerung weg vom Nahen und Mittleren Osten.

IP: Warum ist der Indische Ozean oder der Indo-Pazifik so wichtig?

Kaplan: Der Indische Ozean ist die wichtigste Energieautobahn der Welt, über die das Erdöl und das Erdgas des Mittleren Ostens zu den Hunderten Millionen Konsumenten in Ostasien transportiert wird, die nach dem Status einer Mittelschicht streben. Der Indische Ozean verbindet den Mittleren Osten mit Asien. Der Indo-Pazifik ist das maritime Ordnungsprinzip Eurasiens.

IP: Welche strategischen Folgen hat diese Verlagerung?  

Kaplan: Nun, ich glaube, im Moment ist der Schwenk in Richtung Asien noch mehr ein Bestreben als eine tatsächliche Entwicklung, da Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten die Eigenschaft haben, einen immer wieder einzuholen. Das sieht man beispielsweise daran, dass diese Woche ein weiterer amerikanischer Flugzeugträger in den Persischen Golf entsandt wurde. Die Rede vom „pazifischen Jahrhundert“ dient jedoch auch als Rückversicherung für die asiatischen Verbündeten, offizielle wie Japan und Südkorea sowie inoffizielle wie Vietnam, Malaysia und natürlich Indien. Die Botschaft für sie lautet: Trotz gekürzter Rüstungsausgaben wird es in der Region auch weiterhin eine gleichwertige Militärpräsenz der USA geben.

IP: Wie wird das amerikanische Engagement in der Region aufgenommen?

Kaplan: Die Vereinigten Staaten sind in Asien schon immer beliebter gewesen als im Nahen Osten oder in Europa. Vergessen Sie nicht, dass George W. Bush in Indien als ein großartiger Präsident gilt, dem man die nun engeren amerikanisch-indischen Beziehungen verdankt. Die Vereinigten Staaten haben dort also kein Imageproblem. In Südasien spielt eher ein anderes Problem eine Rolle: die Angst vor dem Machtverlust der USA. Die asiatischen Partner fürchten, Amerika könnte sich zurückziehen, und sie wären dann China ausgeliefert, ihrem größten Handelspartner, der direkt nebenan wohnt.

IP: Sie haben außerdem von einem „New Great Game“ in der Region geschrieben …

Kaplan: … das zwischen Indien und China ausgetragen wird, die sich in einem heftigen Konkurrenzkampf um Einfluss in Ländern wie Sri Lanka, Bangladesch oder Nepal befinden. Es hat etwas von „wie du mir, so ich dir“: Die Chinesen bauen einen Hochseehafen in Gwadar in Pakistan, also bauen die Inder Hochseehäfen entlang ihrer Ostküste. Manche Länder sind sehr geschickt darin, beide Seiten gegeneinander auszuspielen. Bangladesch hat es geschafft, in beachtlichem Maße sowohl chinesische als auch indische Entwicklungshilfen zu beziehen, Birma auch.

IP: Spielen die USA auch eine Rolle in diesem „New Great Game“?   

Kaplan: Die amerikanischen Interessen stimmen mit denen der Inder völlig überein. Die bloße Existenz Indiens ist ein strategischer Glücksfall für die USA. Allein der Platz, den die Inder auf der Landkarte einnehmen, beschert Indien eine Schlüsselrolle. Vor der jüngsten Annäherung zwischen Washington und Rangun waren es beispielsweise auch die Inder, die die amerikanischen Interessen in Birma vertreten haben.

IP: Wie wichtig ist der Faktor „Furcht vor China“?

Kaplan: Aus amerikanischer Perspektive betrachtet ist „Furcht“ nicht das richtige Wort. Der Aufstieg Chinas ist normal und legitim. China ist kein „Schurkenstaat“ wie der Iran, der die Existenz anderer bedroht. In vielerlei Hinsicht ähnelt Chinas Aufschwung dem der Vereinigten Staaten nach Ende des Bürgerkriegs 1865. Das Problem ist nur, dass neue Großmächte das System internationaler Beziehungen durcheinander bringen können. Es sollte also vor allem darum gehen, das aufstrebende China friedlich in das internationale System zu integrieren. Einige Länder in der Region, insbesondere die unmittelbaren Nachbarn, fürchten jedoch Chinas Aufstieg. Sie haben Angst vor einer „Finnlandisierung“, also einem Szenario, in dem die Chinesen eine Vetomacht über die Außen- und Sicherheitspolitik ihrer Nachbarstaaten erlangen.

IP: Spielt Europa eine Rolle in diesen Entwicklungen?

Kaplan: Vergessen Sie nicht, dass Europa Chinas größter Handelspartner ist. Europa spielt also eine wichtige Rolle, jedoch nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Da die EU keine richtige Militärmacht ist, ist ihre machtpolitische Rolle in der Region sehr begrenzt. Man sollte sich auch ins Gedächtnis rufen, dass die Amerikaner schon nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 einen Schwenk Richtung Osten geplant hatten. Doch dann marschierte 1990 Saddam Hussein in Kuwait ein, und die USA verbrachten die nächsten zwölf Jahre damit, die Flugverbotszone über dem Irak zu überwachen. Es folgten der „11. September“ und die Kriege in Afghanistan und dem Irak, die nun langsam zum Ende kommen. Nun wird also ein neuer Versuch gestartet. Europa sollte darüber nicht beunruhigt sein, das ist eine natürliche Entwicklung.

Die Fragen stellte Henning Hoff

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/ April 2012, S. 52-54

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