»Das ist die Trennungslinie«
Abdolkarim Sorusch und Dieter Grimm über „Freiheit und Religion“
Im Berliner Wissenschaftskolleg trafen sich der iranische Religionsphilosoph und der deutsche Verfassungsrichter a.D. zu einem Disput über "freiheit und Religion"
Die Verbreitung von Freiheit und Demokratie im Nahen und Mittleren Osten ist zur Schicksalsfrage unserer Zeit erklärt worden. Die Stabilitäts-fixierung des Westens, die lieber mit Tyrannen kooperierte als Freiheit für die Menschen zu fordern, wird zunehmend in Frage gestellt. Ist also alles auf bestem Wege? Aber von welchem Weg reden wir überhaupt? Soll die Demokratie nicht, gar gewaltsam, von außen gebracht werden, so muss man denjenigen Gehör schenken, die in der islamischen Welt für Freiheit und Demokratie stehen. Nicht nur säkularisierte Intellektuelle machen sich über eine liberale Demokratie nach westlichem Vorbild Gedanken. Prominenter und wohl repräsentativer sind Stimmen, die eine freiheitliche Ordnung aus der islamischen Tradition ableiten wollen.
Zu den wichtigsten gehört der iranische Religionsphilosoph Abdolkarim Sorusch. Am Wissenschaftskolleg zu Berlin, das mit seinem „Arbeitskreis Moderne und Islam“ ideale Bedingungen für eine solche Begegnung bietet, hat Sorusch mit Dieter Grimm ein Gespräch über Freiheit und Religion geführt, das für INTERNATIONALE POLITIK von Mariam Lau moderiert wurde. Es zeigt, dass wir noch lernen müssen, viel genauer zuzuhören. Möglichkeiten der Entwicklung ebenso wie Grenzen der Gemeinsamkeit werden deutlich. Eine liberale Ordnung wie im Westen ist nicht das Ziel für Sorusch. Dennoch steht er für eine grundlegende Transformation der politischen Kultur in der Region. Um das zu verstehen, ist manchmal ein feines Gehör nötig. Der Name Leo Strauss, den Sorusch ins Spiel bringt, erinnert nicht nur an die Tradition der Skepsis im islamischen Denken. Strauss schrieb auch über „Verfolgung und die Kunst des Schreibens“. Wer heute in der islamischen Welt für Freiheit eintritt, sieht sich selbst oftmals Verfolgung und Zensur ausgesetzt. Sorusch lebte zu Zeiten des Schahs im Exil in London. 1996 verließ der einstige Weggefährte Khomeinis erneut den Iran. Er lehrte politische Philosophie und Koranstudien in Harvard und Princeton und kehrte im Jahr 2002 nach Teheran zurück.
Lau: Die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, von der iranischen Revolution bis zum 11. September, aber auch der Streit um das Kopftuch oder um die Rolle der Autorität in der Katholischen Kirche stellen eine Herausforderung für die klassische liberale Idee dar, dass Religion individualisiert, rationalisiert und privatisiert sein muss, um nicht mit der Freiheit in Konflikt zu geraten. Wenn wir also von Freiheit und Religion reden – müssen wir die Freiheit vor der Religion beschützen, oder ist es umgekehrt? Herr Sorusch, können Sie uns etwas über Ihr Verhältnis zu Ayatollah Khomeini sagen?
Sorusch: Wir lernten uns durch eines meiner Bücher kennen, das er, selbst Philosoph, sehr schätzte: „Die ruhelose Natur des Universums“. Als die iranische Revolution gesiegt hatte, brach eine Kulturrevolution aus – Studenten hatten als revolutionären Akt die Universitäten geschlossen. Ein Komitee wurde eingesetzt, um die Lehrpläne zu überarbeiten und die Universitäten wieder zu öffnen, und ich wurde zu einem der sieben Mitglieder ernannt. In dieser Zeit stand ich in häufigem Kontakt mit Ayatollah Khomeini. Diese Begegnungen nahmen ein Ende, als ich das Komitee für die Kulturrevolution verlassen hatte.
Lau:War die Frage der Religionsfreiheit ein Grund dafür?
Sorusch: Als ich Khomeini in Paris besuchte, stellte ich ihm offen die Frage nach der Religionsfreiheit. Er antwortete mir, dass nach der Revolution jedermann das Recht haben würde, zu sagen was er wolle, selbst die Marxisten. Das war seine Botschaft über Freiheit und Religion, und so verstanden ihn die Massen. Die Dinge änderten sich dann. Die Religionsfreiheit wurde nicht nur für Nichtmuslime eingeschränkt, sondern auch innerhalb der muslimischen Gemeinschaft entstanden ernste Probleme, was die Redefreiheit und ähnliches betrifft.
Lau: Der Islamwissenschaftler Bernard Lewis hat jüngst erklärt, dem islamischen Denken fehle ein Begriff des Bürgers im westlichen Sinne. Erklärt dies Probleme von Demokratie und Islam?
Sorusch: Es gibt keinen Begriff des Bürgers im Islam – genauso wenig wie in allen anderen Religionen. Politisches Bürgertum und Staatsbürgerschaft sind moderne Konzepte. In der Vergangenheit war man entweder Untertan eines Herrschers oder Mitglied einer religiösen Gemeinschaft. Wenn wir von Zivilisation, Kultur, Nationalstaat reden, dann sind das breitere Begriffe als Religion. Was Menschenrechte betrifft: Auch die gab es nicht. Leo Strauss erklärte, man finde die Idee von Rechten nicht in der Bibel. Genauso wenig findet man sie im Koran. Der Begriff des Bürgers ist an die Idee des Nationalstaats gebunden, und der Nationalstaat ist eine moderne Schöpfung. Aber ob man daraus auch ableiten kann, dass die Idee der Demokratie dem Islam fremd ist – das ist eine andere Frage.
Lau: Herr Grimm, Sie waren als Bundesverfassungsrichter einer der Autoren des Kruzifixurteils. Dabei ging es um delikate Fragen der Freiheit der Religion und der Freiheit von der Religion. Können Sie uns an diesem Beispiel erläutern, wie diese Fragen zusammenhängen?
Grimm: Im Grundgesetz ist die Religionsfreiheit als subjektives Recht garantiert, das zwei Seiten hat, eine positive: jedermann hat das Recht, seine Religion zu wählen, zu bekennen und zu praktizieren; eine negative: niemand kann gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft anzugehören oder sich ihren Geboten, Riten, Kulten zu unterwerfen. Diese beiden Seiten ein und desselben Grundrechts können miteinander in Konflikt geraten. Im Kruzifixfall gab es Eltern und Schüler, die ein Kreuz im Klassenzimmer wünschten, und andere, die sich dem nicht ausgesetzt sehen wollten. Bei der Lösung eines solchen Konflikts spielt nun aber das aus dem subjektiven Recht der Religionsfreiheit folgende objektive Prinzip der Neutralität des Staates in Religionsfragen eine Rolle. Nur derjenige Staat, der sich selbst mit keiner Religion identifiziert, kann ja das gleichberechtigte und friedliche Nebeneinander der Anhänger verschiedener Religionen gewährleisten. Aus der Notwendigkeit, die religiösen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts beizulegen, ist der moderne Staat entstanden. Er erhob sich über die Bürgerkriegsparteien, identifizierte sich mit keiner der umstrittenen Wahrheiten und gewann so die Möglichkeit, die Wahrheitsfrage zu privatisieren und die Koexistenz verschiedener religiöser Wahrheiten zu ermöglichen. Dass es sich hier nicht um Kruzifixe im öffentlichen oder privaten Raum, sondern in der staatlichen Schule handelte, deren Anbringung der Staat gesetzlich vorgeschrieben hatte, machte also einen entscheidenden Unterschied. Es ging nicht nur um einen Ausgleich zwischen den subjektiven Rechten auf positive und negative Religionsfreiheit, sondern auch um das objektive Gebot staatlicher Neutralität. Letztlich hing die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts also davon ab, wofür das staatlicherseits vorgeschriebene Kruzifix in Klassenzimmern steht: Ist es lediglich ein Symbol für die kulturelle Tradition unseres Landes, in die auch der Schulunterricht eingebettet ist, dann verletzt es die Religionsfreiheit nicht. Ist es dagegen das zentrale Symbol der christlichen Religion, dann verletzt der Staat die Religionsfreiheit Andersgläubiger oder Ungläubiger, wenn er seine Anbringung vorschreibt. An dieser Frage entzweiten sich seinerzeit Mehrheit und Minderheit im Gericht.
Viele derer, die diese Entscheidung ablehnten, beriefen sich darauf, dass das Kreuz als Symbol für Gottes Liebe zur Menschheit, für seine Erlösungstat und für Toleranz stehe und deswegen auch bei Nichtchristen keinen Anstoß erregen könne. Andere sahen im Kreuz aber gegenteilige Traditionen verkörpert und nahmen es gerade als Zeichen für Intoleranz wahr. Auch hier muss wieder differenziert werden, wenn der Staat die Schulen gesetzlich zur Anbringung von Kreuzen verpflichtet. Einerseits kann er einer Religionsgemeinschaft nicht vorschreiben, wie sie ihr zentrales Symbol definiert. Andererseits kann er aber andere nicht verpflichten, sich diese Definition zu eigen zu machen. Die Kirche hat das Recht, die Bedeutung des Symbols für sich und ihre Gläubigen festzulegen. Sie kann ihre Deutung aber nicht mit Hilfe staatlicher Anordnung auf die Gesamtgesellschaft erstrecken.
Lau: Das Verhältnis von Staat und Religion ist offensichtlich nicht nur in islamischen Ländern schwierig. Was halten Sie von der Diskussion um den Gottesbezug im europäischen Verfassungsvertrag?
Grimm: Auch hier muss man wieder differenzieren. Da der Verfassungsvertrag sich ausdrücklich in die Tradition Europas seit der Antike stellt, hätte nichts dagegen gesprochen, auch die christlichen Wurzeln zu nennen. Der Verfassungsvertrag ist aber ein säkulares Dokument, das die Rechtsgrundlage für eine politische Gemeinschaft bildet, die Angehörige zahlreicher Religionen ebenso wie Agnostiker und Atheisten in sich vereint und deswegen selber religiös neutral bleiben muss. Sie kann sich folglich nicht auf den christlichen Gott berufen oder im Namen der Unionsbürger ein Bekenntnis zu ihm abgeben.
Sorusch: Man muss das Problem in einen größeren Kontext stellen. Wir reden hier über Religionsfreiheit, und Freiheit ist ein Grundrecht von Menschen – als Individuen oder als Gruppe. Wir leben in einem Paradigma der Rechte, im Paradigma des Liberalismus. Aber das war in der Vergangenheit nicht der Fall, und es ist auch nicht der Fall in einer religiösen Gesellschaft. Rechte sind ein modernes Konzept. In der Vergangenheit, unter der Vorherrschaft der Religion, war der Mensch nicht an Rechten, sondern an Pflichten orientiert, die er Gott, seinem Volk und seinem Nächsten gegenüber hatte. Religionsfreiheit einzufordern ist eine legitime Folge des Paradigmas der Rechte. Darum taucht die Frage der Religionsfreiheit auch in den Gesellschaften vor der Aufklärung gar nicht auf – weder in der Christenheit noch im Islam.
Das zweite hier wesentliche Merkmal der Moderne ist das Konzept des Zweifels. Heute leben wir in einem Zeitalter des Skeptizismus. Man wird kaum einen Philosophen finden, der noch die Idee der Gewissheit, des absoluten Wissens verteidigt. Wir sind uns bewusst, dass wir alle fehlbare, menschliche Wesen sind, dass unsere Theorien eines Tages widerlegt werden könnten – und darum sind wir bescheiden. Aber auch hier verhält es sich in der Gedankenwelt des Gläubigen völlig anders. Denn in einem religiösen Paradigma glaubt man sich im Besitz der Wahrheit. Eine der möglichen Folgen dieser erkenntnistheoretischen Position ist Intoleranz. Um ein solches intolerantes System zu erschüttern, müsste man darum die Elemente des Skeptizismus und der Rechte injizieren. Genau das geschieht derzeit in Gesellschaften wie der unsrigen. Die Leute sprechen nicht direkt von Liberalismus, weil diese Idee von der Gesellschaft verachtet wird.
Lau: Weil man Liberalismus für ein westliches, imperialistisches Konzept hält?
Sorusch: Ja. Der Liberalismus ist etwas, was die Menschen dem Westen nicht abkaufen. Wenn man aber über Rechte redet und über Skepsis, dann spricht das die Menschen stärker an. Und auf ein drittes Element neben diesen beiden kommt es noch an: In islamischen Kulturen ist das islamische Recht, die Scharia, von zentraler Bedeutung. Ein Rechtssystem, das auf Rechten gründet, wäre ein sehr modernes Konzept. Im Islam gründet das Recht dagegen auf Verboten und Verpflichtungen. Doch man muss bedenken, dass das Wesen der Demokratie die Nomokratie, also die Herrschaft des Gesetzes ist. Die islamische Kultur kommt aufgrund ihrer Orientierung am Gesetz dem Kern der Nomokratie sehr nahe. Hinzu tritt die Hauptlehre des Sufismus, der islamischen Mystik, die sich gegen die Anhäufung von Macht und Reichtum ausspricht. Dies hilft den Menschen, das Gesetz zu achten. Das einzige fehlende Verbindungsstück ist also das Konzept der Rechte, das ergänzt werden müsste.
Lau: Und was bedeutet das für das Verhältnis von Staat und Religion in islamischen Gesellschaften?
Sorusch: Das Verhältnis von Staat und Religion ist im Islam kompliziert, denn in der Vergangenheit waren beide identisch. Niemand fragte sich, ob Staat und Religion voneinander getrennt sein sollten. Im Christentum gibt es scheinbar keine politische Theorie. Der Prophet des Islams dagegen schreckte vor politischer Macht nicht zurück. Er war Staatsoberhaupt, herrschte über ein Gebiet, Medina, und hinterließ als Erbe eine Sammlung von Regeln über die Staatsführung. Was die klassische islamische Gesellschaft betrifft, so hielten es seine Nachfolger, die Kalifen, genauso. Aber wie sieht es mit der modernen Gesellschaft aus? Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches wurde über ebendiese Frage debattiert – ob es das Kalifat weiterhin geben sollte oder nicht. 1924 wurde es abgeschafft. Ein Jahr später veröffentlichte der Ägypter Ali Abd al-Raziq (1888–1966) eines der wichtigsten Bücher: „Der Islam und die Prinzipien des Regierens“. Darin vertrat al-Raziq die Ansicht, der Islam enthalte überhaupt keine Prinzipien des Regierens, keine politische Theorie, sondern es sei den Muslimen selbst überlassen, was sie in dieser Hinsicht tun und wen sie als Herrscher wählen wollen.
Dies war eine geradezu revolutionäre Idee. Aber sie wurde von der höchsten Autorität, der Al-Azhar-Universität, abgelehnt. Viele Jahre lang war das Buch verboten. Doch heute wird es überall gelesen und nachgedruckt. Die Ideen dieses Buches entsprechen offensichtlich einem Bedürfnis. Man kommt zu der Schlussfolgerung, dass es im islamischen Recht so etwas wie einen freien Raum gibt (mantiqa al-faragh). In diesem freien oder Regel-losen Raum bleibt die Entscheidung den Menschen und nicht dem Propheten oder Gott überlassen. Dieser freie Raum dehnt sich aus oder schrumpft, je nach der Auslegung (ijtihad) der Rechtsgelehrten. Für al-Raziq sind Staat und Regierung Teil dieses freien Raumes. Wie der Prophet gehandelt hat, gehört seiner Epoche an, ist aber kein Vorbild, dem spätere Generationen folgen müssten.
Der völlige Gegensatz zu dieser Auffassung ist das, was gegenwärtig im Iran geschieht. Dort ist der Islam gemäß Ayatollah Khomeini, seinen Nachfolgern und der iranischen Verfassung ein hundertprozentig politisches System, eine politische Religion also. Zwischen diesen Enden des Spektrums gibt es eine Vielzahl von Mischformen, etwa dass die Herrschenden islamisches Recht durchsetzen sollten. Ich persönlich vertrete die erstgenannte Auffassung.
Grimm: Ich kann mir schwer vorstellen, wie man ein solches System schaffen kann, wenn zwischen Religion, Politik und Recht nicht getrennt wird, und zwar in dem Sinn, dass jeder dieser Bereiche im Kern seinen je eigenen Imperativen und Maximen folgen darf. Kein System darf das andere kurzschließen oder für seine Zwecke instrumentalisieren. Diese Differenz und die dadurch begründete Autonomie ist die Bedingung von Freiheit, auch von Religionsfreiheit. In diesem Sinn vermitteln Grundrechte nicht nur individuelle Freiheit, sondern auch die relative Autonomie der sozialen Funktionsbereiche, der sie ihre Leistungskraft verdanken. Einebnung dieser Differenz wäre Regression.
Auch im Westen hat sich die Umstellung der Rechtsordnung von Pflichten auf Rechte erst relativ spät vollzogen, vor gut 200 Jahren, und die Kirchen haben sogar erst im 20. Jahrhundert mit dieser Umstellung ihren Frieden gemacht. Das bedeutet freilich nicht, dass es nun keine Pflichten mehr gäbe. Aber die Pflichten werden von den Rechten her gedacht, nicht umgekehrt. Heute hört man im Westen wieder häufiger Kritik an einer Sozialordnung, die auf Rechten aufbaut. Ziel dieser Kritik ist allerdings nicht die Umkehr der Verhältnisse. In Zeiten der Desintegration, in denen viele Sozialisationsfaktoren, die traditionell zu gesellschaftlicher Kohäsion und einem gewissen Wertekonsens beigetragen haben, zerfallen und der Möglichkeitsraum für Individualisierung immer größerer wird, wollen manche den Pflichtgedanken wieder stärker machen. Die Kritik richtet sich dann auf ein überzogenes Rechtsdenken und die hohe Relevanz, die die Grundrechte in unserer Rechtsordnung erlangt haben. Sie findet Ausdruck in der Forderung, dem Katalog der Grundrechte einen Katalog der Grundpflichten zur Seite zu stellen. Das ist ein fundamentales Missverständnis. Warum hat der Einzelne neben zahlreichen Rechten, die ihm zustehen, auch noch Grundrechte? Die Antwort ergibt sich daraus, dass der Staat sowohl über die Befugnis wie über die Machtmittel verfügt, den Einzelnen alle Pflichten aufzuerlegen, die er im Interesse des Gemeinwohls für erforderlich hält. Es gibt zwischen dem Staat und den Individuen also ein Machtgefälle zu Lasten der Individuen. Diese sind der Staatsgewalt unterworfen. Wenn der Staat seine Machtfülle nicht missbrauchen, sondern im Interesse der Aufrechterhaltung und Harmonisierung individueller Freiheit einsetzen soll, dann muss ihm diese Freiheit vorgeordnet werden und als Ziel und Grenze seiner Aufgabenerfüllung fungieren. Diese Vorordnung leisten Grundrechte im Unterschied zu gewöhnlichen Rechten, die der Staat im Gesetzgebungswege geben und nehmen kann. Eine Überhöhung der Rechtsposition benötigt also der Einzelne gegenüber dem Staat, nicht der Staat gegenüber den Einzelnen; der Staat ist ohnehin in der überlegenen Position. Grundpflichten würden die von Grundrechten hergestellte Sicherung und Balance wieder zurücknehmen. Rechtlich könnten sie nichts anderes bedeuten als zusätzliche Eingriffstitel für den Staat, die das Grundverhältnis zwischen ihm und den Bürgern umzukehren drohten. Damit leugne ich nicht, dass unsere Gesellschaft mit einer größeren Portion Pflichtbewusstsein besser dastünde als jetzt. Aber das ist völlig unabhängig von einem verfassungsrechtlichen Pflichtenkatalog und könnte durch diesen auch nicht erzeugt werden.
Lau: Aber benötigt man nicht die Religion für ein Wertesystem, ohne das die Demokratie nicht existieren kann?
Grimm: Meines Erachtens benötigt eine politisch geeinte Gesellschaft ein Wertesystem. Aber dieses muss nicht unbedingt religiös bestimmt sein. Religion kann eine außerordentlich starke Wertebasis liefern. Doch muss dann über die Wahrheit der Religion Konsens bestehen. Davon können wir in westlichen Gesellschaften nicht mehr ausgehen. Allerdings wird es häufig so sein, dass die Werte, in denen sich westliche Gesellschaften einig wissen und die sie auch zu verteidigen bereit sind, religiösen Ursprung haben, mittlerweile jedoch in die allgemeine kulturelle Tradition eingegangen sind und als Ausprägungen einer religionsunabhängigen Humanität gelten. Dass ohne Religion moderne Gesellschaften nicht mehr integrierbar und vielleicht auch nicht mehr regierbar wären, würde ich bestreiten.
Sorusch: Natürlich konstruiere ich Idealtypen von Moderne und Vormoderne, um die Unterschiede so scharf wie möglich zu markieren. Es gibt kein völlig reines Paradigma der Rechte, genauso wenig wie es ein völlig reines Paradigma der Pflichten gibt. Aber beide Paradigmen haben auch hässliche Folgen. Darum müssten wir vielleicht in einem hegelianischen Sinne eine Synthese aus beidem erreichen: ein Paradigma, in dem es zugleich Rechte und Pflichten gibt, die nicht miteinander in Konflikt stünden. Ich wüsste nicht, dass eine solche Synthese schon überzeugend formuliert worden wäre.
Grimm: Ich gebe Ihnen hinsichtlich der verschobenen Balance recht. Vermutlich liegt die Asymmetrie schon im Grundansatz begründet. Wenn man eine Gesellschaftsordnung von Pflichten her denkt, wird jede Freiheitseinräumung begründungspflichtig. Denkt man die Ordnung von Rechten her, wird jede Freiheitsbeschränkung oder Pflichtenauferlegung rechtfertigungsbedürftig. Das Problem der westlichen Gesellschaften scheint mir darin zu bestehen, dass ihr aufgrund der wachsenden Pluralität breit konsentierte Rechfertigungen für traditionelle Freiheitsgrenzen schwinden. Die Gesellschaft gibt sozusagen scheibchenweise nach, weil sie gegen eine kleine Grenzverschiebung zugunsten einer bislang benachteiligten oder ausgeschlossenen Personengruppe keine durchschlagenden Argumente mehr findet. Sie kann dann oft nur noch auf den „Slippery Slope“ verweisen, auf den man dadurch gerät.
Sorusch: Wenn ich mich im Westen aufhalte, spüre ich, dass die Betonung der Rechte die Idee der Pflichten und der Verantwortung marginalisiert hat bis hin zur Zügellosigkeit und einem allem gegenüber gleichgültigen Liberalismus. In meiner eigenen Gesellschaft dagegen hat die Betonung der Pflichten die Rechte marginalisiert, bis hin zu dem Ausmaß, dass Menschen ihrer fundamentalen Rechte beraubt werden. Wie können wir eine Synthese oder ein Gleichgewicht der beiden herstellen?
Auch was die Religionsfreiheit betrifft, muss man einige genauere Unterscheidungen vornehmen. Was meinen wir mit Religion? Ich würde sagen: erstens die religiöse Erfahrung, zweitens die religiösen Überzeugungen und Glaubenslehren, drittens die religiösen Institutionen und viertens die religiösen Praktiken – all das gilt sowohl für das Individuum als auch für Kollektive. Wenn wir nun über Religionsfreiheit reden, welches Element der Religionsfreiheit meinen wir dann? Welches ist am meisten in einer nichtreligiösen Gesellschaft bedroht? Und wie können wir, mit Kant gesprochen, die Bedingungen der Möglichkeit dieser Kategorien der Religionsfreiheit herstellen?
Einigen Theologen und Philosophen zufolge ist die religiöse Erfahrung der eigentliche Kern der Religion. Religion ohne religiöse Erfahrung ist leer, sie ist wie ein toter Körper. Ohne religiöse Erfahrung kann man nicht gläubig sein. Und es gibt Bedingungen der Möglichkeit religiöser Erfahrung. Allen Propheten zufolge – und hier würde ich nicht nur die Propheten des Islams, sondern Jesus und Moses einschließen – ist eine zügellose, permissive Gesellschaft kein guter Ort für die religiöse Erfahrung. Ein gewisses Maß an Enthaltsamkeit, an Askese, an Moral ist nötig, um seine Seele für die religiöse Erfahrung bereit zu machen. Provokativ würde ich behaupten, dass der Westen nicht die Freiheit der religiösen Erfahrung genießt und nicht die Bedingungen der Möglichkeit religiöser Erfahrung garantiert.
Grimm: Es macht sich allerdings immer wieder eine Sehnsucht danach bemerkbar, die dann oft aus fernen oder obskuren Quellen gestillt wird. Im übrigen ist Ihre Unterscheidung für mich sehr interessant. Rechtliche Konflikte entstehen in westlichen Gesellschaften selten auf der Ebene der religiösen Erfahrung oder der Glaubensinhalte, öfter auf der Ebene der religiösen Institutionen, am häufigsten aber, sobald es um Glaubenspraktiken geht: Wenn Menschen aus religiöser Überzeugung etwas tun wollen, was der Gesellschaft im allgemeinen verboten ist, oder wenn sie etwas nicht tun wollen, was von der Gesellschaft im allgemeinen verlangt wird.
Lau: Oder wenn sie anderen etwas auferlegen wollen.
Grimm: Das ist der schwierigste Fall: wenn unter Berufung auf die Religionsfreiheit Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft oder der Familie etwas verboten werden soll, was allen anderen erlaubt ist. Im Unterschied zu den anderen Fällen geht es hier nicht um eine Erweiterung, sondern um eine Einschränkung des Freiheitsrahmens. Die Erweiterungsfälle sind weniger schwierig, denn die Rechtsordnung kennt zahlreiche Dispense von allgemeinen Ge- oder Verboten, ohne dass die Gesellschaft deswegen auseinanderfiele. Sie kann auch Dispense aus religiösen Gründen ertragen. Wenn Religionsgruppen aber Menschenrechte für ihre Angehörigen einschränken wollen, stößt man schnell an Grenzen. Es gibt Essentialia der verfassungsmäßigen Ordnung, die im Geltungsbereich der Verfassung nicht verhandelbar sind. Menschenwürde, physische und psychische Integrität, freie Religionswahl, Informationsfreiheit, Gleichheit, auch Geschlechtergleichheit, gehören dazu. Dort endet die Toleranz. Insoweit gibt es dann nur die Alternative von Anpassung oder Wegzug.
Lau: Herr Sorusch, steht es denn in religiösen Gesellschaften wirklich immer besser um die Moral als in liberalen Gesellschaften, die Sie auch „permissive Gesellschaften“ genannt haben?
Sorusch: Mit „permissiver Gesellschaft“ meine ich eine Gesellschaft, die moralische Werte verletzt. Aber Sie haben Recht, eine religiöse Gesellschaft ist nicht notwendigerweise eine moralischere Gesellschaft. Besonders dann, wenn die Idee des Rechts betont wird. Denn zu viel Nachdruck auf dem Buchstaben des Gesetzes kann schließlich zu einer Form der Immoralität führen. Die Leute denken dann, nur streng das Gesetz zu befolgen sei ausreichend, und sie müssten in ihrem Inneren keine moralischen Menschen mehr sein. Dem Gesetz zu gehorchen führt nicht zwingend zur Moral, manchmal verhindert es diese sogar. Aber was die Permissivität betrifft, würde ich meine Position aufrechterhalten: Ohne einige Prinzipien der Moral geht es nicht.
Lau: Und was bedeutet hier Toleranz?
Sorusch: Toleranz ist manchmal ein Akt der Gnade, eine Art Arroganz sogar. Man toleriert jemanden und blickt mitleidig auf ihn herab. Diese Art der Toleranz ist unethisch, ja unmoralisch. Aber es gibt auch eine andere Toleranz, und diese entspringt dem Grundsatz des Pluralismus der Wahrheit. Dieses Konzept ist mit der Idee des Skeptizismus verbunden, aber es meint nicht zwangsläufig Relativität der Wahrheit oder Relativismus. Toleranz ist dann vielmehr in ein pluralistisches Verständnis der Religion eingebunden. Die islamischen Mystiker haben uns gelehrt, dass es in der Welt ein pluralistisches religiöses System gibt. Jeder Prophet hat einen Teil, aber kein Prophet hat die ganze Wahrheit gesehen. Sie ist so multidimensional, dass Moses einen Teil sah, Jesus einen anderen und Mohammed wieder einen anderen. In diesem Sinne kann man eine pluralistische religiöse Person sein und andere tolerieren, weil deren Wahrheit die eigene Wahrheit ergänzt und nicht im Konflikt dazu steht. Das ist meine Idee der Toleranz.
Grimm: Toleranz ist im Unterschied zu Indifferenz eine Tugend. Sie hat ihren Platz dort, wo gegensätzliche Überzeugungen aufeinandertreffen. Wer tolerant ist, gibt die eigene Überzeugung nicht auf, verzichtet aber darauf, andere zu bekämpfen. Insofern ist Toleranz ein Duldungsakt, kein Anerkennungsakt. Deswegen kann sie das Recht auf Religionsfreiheit nicht ersetzen. In der Toleranz werden Überlegenheitsansprüche aufrecht erhalten. Deswegen würde ich, wenn es um Sozialordnungen geht, vorziehen, von Rechten zu sprechen. Vielleicht ist das nur eine Sache der Begrifflichkeit, aber ich glaube, dass es mehr ist.
Sorusch: Die islamische Mystik kennt verschiedene Stufen der Wahrheit. Vielleicht glaube ich an dieselbe Wahrheit wie du, aber auf einer anderen Stufe – das war die Hauptlehre der Mystiker und der Sufis. Ihnen zufolge sollte man sich nie mit der Stufe der Wahrheit, auf der man sich gerade befindet, zufrieden geben. Man kann also sein Verständnis verbessern. Die Wahrheit ist multidimensional, und man kann sie von verschiedenen Punkten aus erreichen. Gott ist multidimensional, und darum kann ich nie sagen, ich würde Gott wirklich kennen. Nicht nur ihre Nachfolger, sondern auch die Propheten selbst sind pluralistisch gemäß der Hauptlehre der Sufis und Mystiker. Es gibt verschiedene Ordnungen, verschiedene Stufen, und darum können wir einen sich ergänzenden Dialog führen.
Publikumsfrage: In der Türkei sind nicht Religion oder Scharia entscheidend, sondern der Staatsapparat, die Tradition des starken Staates. Muss man das Verhältnis von Staat und Religion in islamischen Ländern nicht stärker differenzieren?
Sorusch: Die Türkei stellt eine Ausnahme dar. Einige Ethnologen und Soziologen haben sich gefragt, warum die islamische Kultur angeblich resistent gegenüber dem Säkularismus ist. Eine der Antworten war jedoch, dass Elemente des Säkularismus bereits in der Scharia stecken – und dass darum keine weitergehende Säkularisierung nötig war. Denn im islamischen Recht braucht man in 99 Prozent aller Fälle keine Geistlichkeit, um das Recht durchzusetzen. Man braucht keinen klerikalen Staat. Er ist kein essentieller Teil der islamischen Kultur, sondern entstand durch historische Umstände. Es gab also im islamischen Recht immer schon Elemente eines gewissen Säkularismus, weshalb sich die Türkei zu einer zugleich säkularen und islamischen Gesellschaft entwickeln konnte.
Grimm: In meinen Augen ist nicht Recht oder Staat die Alternative. Es gibt keinen Staat ohne Recht und Gesetz. Die wirkliche Frage ist: Welche Art von Recht haben wir? Ist es von der Religion beherrscht und von religiösen Institutionen vollzogen? Oder wird es von der Politik erzeugt und unabhängig vollzogen? Das ist die echte Alternative.
Lau: Ist es ein Problem, dass es im Islam keine geistliche Autorität wie den Papst gibt, die etwa zur Al-Qaida sagen könnte: Was ihr tut, ist gegen den Islam?
Sorusch: Das stimmt. Es gibt keine theologisch definierte Rolle, wer das letzte Wort haben soll. Aber wenn diese Frage mit politischer Macht kombiniert wird, sieht es anders aus. Im Iran etwa gibt es einen Führer, der die Autorität hat, ein endgültiges Verdikt auszusprechen.
Publikumsfrage: Der wirkliche Kon-flikt, um den es heute geht, scheint mir ein anderer zu sein, und ich will die Gegensätze sehr vereinfacht darstellen: Es gibt zwei Gruppen in der Welt. Die eine ist bereit zu töten, um ihr Weltanschauungssystem zu verteidigen, ohne das ihr Leben bedeutungslos und ihr Tod sinnlos wäre. Die andere Gruppe ist bereit zu töten, um ihr Recht zu schützen, frei und individuell ein Weltanschauungssystem zu wählen. Mir erscheint es unrealistisch, diesen Konflikt lösen zu wollen, indem man Konzeptionen von Rechten und Skeptizismus etwa der iranischen Gesellschaft injiziert.
Sorusch: Vielleicht vertrete ich eine idealistische Position, wenn ich mich dafür ausspreche, Skeptizismus und Rechte zu injizieren. Aber ich sage nicht, dass dies ausreiche – es ist nur eines von vielen Heilmitteln, die man verabreichen muss, um die Krankheit zu heilen. Ja, es gibt diesen weiteren Unterschied zwischen dem, was ich moderne und vormoderne Kultur genannt habe: der Vorrang des Glaubens vor dem Leben und umgekehrt. Heute gilt der Vorrang des Lebens vor dem Glauben. Darum ist es für uns nicht selbstverständlich, unser eigenes Leben oder das anderer Menschen für den Glauben zu opfern. Aber in allen Religionen war dies selbstverständlich, dass der Glauben wichtiger ist als das Leben. Darum wurde man zum Märtyrer, darum war man berechtigt, sein eigenes oder sogar das Leben anderer für den Glauben zu opfern. Aus diesem Grund muss man solchen Systemen noch weitere Heilmittel verabreichen.
Publikumsfrage: Die Idee des freien Raumes scheint mir die potenziell fruchtbarste Idee zu sein. Wie frei ist dieser wirklich? Und könnte das der Ausgangspunkt sein, aus einer islamischen Perspektive – nämlich zunächst nicht zu konkret – über das Politische zu reden? Und könnte man von hier aus schließlich zu einer Art konstitutionellen Regierungsform gelangen? Zum anderen höre ich aus Ihren Ausführungen sehr vertraute Positionen heraus. Denn ähnliche Ansichten sind von konservativen Stimmen im Westen zu hören – dass die Kultur der Rechte die Werte untergräbt; dass wir wieder zurückrudern müssen, wenn es zuviel Freiheit gibt. Ist da nicht ein Widerspruch im Denken?
Sorusch: Der freie Raum ist wirklich frei, nach welcher islamischen Tradition man ihn auch definiert – ob er nun absolut frei ist oder Gott ihn frei gemacht hat. Hier können die Menschen selbständig entscheiden.
Vor sechs Monaten besuchte ich im Iran Großayatollah Montazeri, der einst zum Nachfolger Khomeinis bestimmt war, aber aus politischen Gründen diese Position nicht antreten konnte. Ich ging also zu ihm und fragte ihn, ob eine auf einem Vertrag basierende Regierungsform falsch wäre – wenn also Muslime in einem Gemeinwesen eine Vereinbarung mit einer Gruppe von Leuten träfen, denen sie Steuern bezahlen und die dafür die Staatsgeschäfte führen. Es gäbe dann Regierende und Untertanen oder Bürger, und wenn die Regierenden die Vertragsbedingungen verletzen, müssen sie gestürzt oder abgesetzt werden. Ich habe diese Frage vom rein religiösen Standpunkt aus gestellt, aus Sicht des islamischen Rechts, denn Montazeri ist ein großer Rechtsgelehrter. Er überlegte kurz und antwortete mir, dass dies vom religiösen Standpunkt aus gestattet sei. Dann las er mir Verse aus dem Koran vor, wonach Muslime Verträge, die sie eingegangen sind, einhalten müssen. Das trifft für Verträge zwischen zwei Personen ebenso zu wie für einen Vertrag zwischen einem Volk und einer Regierung. Es gibt also Fälle in der Tradition der Scharia und Interpretationen des Korans, die den Weg zu einer solchen Form der Regierung weisen. Und Montazeri ist niemand, dem man unterstellen könnte, er sei von modernen Ideen verseucht worden – ganz und gar nicht. Er sprach allein auf der Grundlage traditioneller Begriffe. Dennoch fand er die Idee einer konstitutionellen, auf einem Vertrag beruhenden Regierung faszinierend und mit der Tradition vereinbar. Er sah darin einen Gegenstand, der innerhalb des freien Raumes zu verhandeln ist.
Grimm: Ich würde nie bezweifeln, dass Religion mehr ist als ein Recht. Aber die Funktion des Rechts ist es zu garantieren, dass alle gleichermaßen diesem Mehr, also ihrer Glaubensüberzeugung und Wahrheit, gemäß leben können. Religionsfreiheit hat nichts mit Relativismus zu tun. Niemand wird gezwungen, seine Wahrheit nur für eine relative zu halten. Man muss nur anerkennen, dass verschiedene Personen oder Personengruppen verschiedene Wahrheitsüberzeugungen hegen dürfen. Die entscheidende Frage lautet also: Verlangt meine Wahrheit von mir, dass ich die konkurrierenden Wahrheiten unterdrücke? Das ist die Trennungslinie.
Internationale Politik 6, Juni 2005, S. 46 - 55.