Das Falsche studiert
Dass die deutsche öffentliche Diskussion zu Fragen der Außenpolitik nicht breit und nicht tief genug ist – ein Gemeinplatz! Längst bekannt auch die Gründe dafür: Befangenheiten durch die Nazivergangenheit, Fremdeln mit der Realität nach 40 Jahren Mündeldasein, Introspektion nach der deutschen Einheit.
Doch der Aufschrei nach Horst Köhlers Äußerungen zur deutschen Geopolitik zeigt, dass nicht nur Komplexe und Reflexe ein Debattenproblem sind, sondern noch etwas anderes: Unwissenheit. Die Deutschen verstehen die Welt einfach nicht. Und das können sie auch gar nicht, denn dafür lernen sie schlicht das Falsche. Nämlich meistens entweder Jura oder Politikwissenschaft. Oder beides.
Man ist erstaunt, wie viele der aktuellen Volksvertreter, Journalisten und Welterklärer in diesen Studiengängen zuhause sind. In Deutschland leiden beide Fächer darunter, dass sie meist nicht in Anreizstrukturen (also ordnungspolitisch) denken und sich im Normativen erschöpfen. Sie sind also oft bloß Meinungsverstärker, nicht Analysewerkzeug. Jura ist zudem häufig degradiert zum Verwaltungshandwerk und somit eher Berufsausbildung als Erkenntnisdisziplin. Die Politikwissenschaft muss hierzulande ihren Anspruch als Problemlösungswissenschaft, wie er in den Vereinigten Staaten normal ist, erst noch entwickeln.
Was also sollen die Deutschen studieren, damit sie annähernd verstehen, was in der Welt los ist? Das, was die Realität prägt: Geschichte, Geografie, Ökonomie. Und als Krönungsdisziplin die „condition humaine“, also das Wesen des Menschen – sprich die gute alte humanistische Bildung, die die prekäre Balance zwischen biologischer Getriebenheit und kultureller Fähigkeit des Menschen beleuchtet, und deren Wertevermittlung nach 1968 faktisch abgeschafft wurde.
Die Ökonomie macht sich keine Illusionen darüber, dass der Mensch zuallererst ein Bedürfniswesen ist. Die Lehre von der Deckung dieser Bedürfnisse analysiert zeitlose Triebkräfte und ist daher essenziell. Die Geografie bindet dies an die räumlichen Grundlagen der menschlichen Existenz, einen weiteren, in moderner Zeit gern übersehenen Fundamentalfaktor für das Handeln von Völkern, Staaten und Kulturen. Die Geschichte schließlich baut den Faktor Zeit in die Gemengelage ein und berücksichtigt so die prägende Kraft der Vergangenheit und ihrer Wahrnehmung. Wer so gerüstet ist und sich von den Theorien der Internationalen Beziehungen weitgehend fernhält, dem wird manches klarer vorkommen. Allerdings auch unbequemer.
JAN TECHAU hat Politikwissenschaft und Jura studiert und arbeitet am NATO Defense College in Rom.
Internationale Politik 4, Juli/August 2010, S. 144
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