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01. Jan. 2009

Das Energie-Internet

Intelligente Autos und Haushaltsgeräte: eine Reise in die Stadt der Zukunft

Wie halten wir unseren Lebensstandard und schonen zugleich die Umwelt? Wie bleiben wir mobil, ohne weiter die Innenstädte zu verstopfen? Wer reguliert die Stromversorgung? Wir brauchen eine grüne Revolution, die eine neue Ära einläutet: das Zeitalter der Energie und des Klimas. Dann könnte das Jahr 2028 aussehen wie folgt …

Stellen Sie sich vor, alle Energiesysteme Ihres Hauses kommunizierten mit allen Informationssystemen in Ihrem Haus. Sie wären zu einer einzigen Plattform für die Nutzung, Speicherung, Erzeugung und sogar für den Kauf und Verkauf von Energie verschmolzen. Als hätten die Revolutionen der Informationstechnologie und der Energietechnologie, IT und ET, ein einziges, gemeinsames System hervorgebracht. Als lebten Sie mit einem „Energie-Internet“.

Ich weiß, das klingt vielleicht wie Science-Fiction oder Zauberei. Aber das ist es keineswegs. Viele Technologien, die Teil eines solchen Energie-Internet wären (ein Ausdruck, mit dem der Economist das „intelligente Stromnetz“ belegt hat), gibt es schon jetzt oder man arbeitet in Garagen und Laboratorien an ihrer Verbesserung. In vielerlei Hinsicht glichen die Stromversorger bisher einem „großen Fünf-Dollar-All-You-Can-Eat-Buffet“, sagt Peter Corsell, CEO von GridPoint, Hersteller eines Geräts zur Steuerung des gesamten Stromnetzes in Ihrem Haus oder Ihrer Wohnung. „Sie wurden von den Regulierungsbehörden dafür bezahlt, uns zuverlässigen, billigen Strom, soviel wir nur essen konnten, in Haus zu liefern.“

Und wir suchten jeden Tag dieses Buffet auf und aßen, soviel wir wollten. Und das Restaurant war immer geöffnet. Und es war immer billig. Das Leben war schön. Die Betonung lag auf billigem Strom, wodurch Erwägungen zur Effizienz und zur globalen Erwärmung in den Hintergrund rückten. Und so setzten die Stromversorger hauptsächlich auf Kohlekraftwerke. Wir wollen uns in eine Zeitmaschine setzen, um zu schauen, wie das Leben in einer echten grünen Revolution im Jahr 20 des Zeitalters der Energie und des Klimas aussieht.

Der Stromanbieter denkt mit

Um 6.37 Uhr werden Sie mit dem Beatles-Klassiker „Here Comes the Sun“ geweckt, den Sie am Vorabend unter den 10 000 Melodien ausgewählt haben, die Ihnen Ihr Stromversorger in Zusammenarbeit mit Ihrer Telefongesellschaft und iTunes anbietet. Sie haben gar keinen Wecker. Die Melodie kommt aus einem Lautsprecher, der an die Smart-Black-Box (SBB) angeschlossen ist. Jeder hat solch eine SBB – das persönliche Energiekontrollzentrum. Wie man beim Vertragsabschluss mit einem Kabelfernsehanbieter eine Set-Top-Box oder einen Digitalrekorder erhält, so erhält man eine SBB, wenn man mit einem fortschrittlichen Energieversorger wie Duke Energy in North und South Carolina oder mit Southern California Edison an der Westküste einen Vertrag über den Zugang zum Energie-Internet abschließt.

Die SBB ist ein schwarzer Kasten von der Größe eines Mikrowellenherds, der im Erdgeschoss angebracht ist und die integrierte Steuerung und wechselseitige Abstimmung aller Elektro-, Kommunikations- und Unterhaltungsgeräte wie auch der zugehörigen Dienste übernimmt. Dazu gehören: die Einstellung der Zimmertemperaturen und anderer veränderbarer Größen, die Beleuchtung, die Alarmanlage, Telefon, Computer und Internetverbindung, sämtliche elektrischen Geräte, alle Geräte aus dem Bereich der Unterhaltungselektronik und auch das Elektroauto mit Hybridantrieb sowie dessen Batterien. Auf dem digitalen Touchscreen der SBB können Sie jederzeit ablesen, wieviel Energie die einzelnen Geräte gerade verbrauchen.

In den Anfangsjahren des Zeitalters der Energie und des Klimas wechselten wir von einem Internet, das Computer, und einem World Wide Web, das Inhalte und Webseiten miteinander verband, zu einem dinglichen Internet: einem Energie-Internet, in dem jedes elektrische Gerät oder Aggregat, vom Lichtschalter bis zur Klimaanlage, vom Boiler im Keller über die Autobatterie bis hin zum Stromnetz und den Kraftwerken, mit Mikrochips ausgerüstet ist, die den Stromversorger entweder direkt oder per SBB über den aktuellen Energieverbrauch informieren, von Ihnen oder vom Stromversorger Anweisungen über Betriebszeiten und Verbrauchsniveaus entgegennehmen und Ihrem Stromversorger mitteilen, wann diese Geräte Strom abnehmen oder ins Netz einspeisen wollen. Damit stehen Sie und Ihr Stromversorger nun in wechselseitiger Kommunikation.

Heizung und Klimaanlage, Beleuchtung und alle anderen elektrischen Geräte – von der Geschirrspülmaschine und dem Wäschetrockner bis hin zum Kühlschrank und zur Autobatterie – lassen sich nun so programmieren, dass sie mit geringerer Leistung arbeiten, wenn der Strombedarf im Netz und der Strompreis am höchsten sind, und mit voller Leistung zum Beispiel nachts, oder dass etwa die Batterien Ihres Elektroautos nur nachts aufgeladen werden, wenn der Strombedarf im Netz und der Strompreis am niedrigsten sind.

Aber keine Angst: Der Anschluss an dieses System ist vollkommen freiwillig. Es gibt keinen Big Brother, der Sie dazu zwingt. Wenn Sie keine SBB im Haus haben wollen, dann eben nicht. Sie können Ihren Strom auch weiterhin auf die alte, dumme Art beziehen. Über eines müssen Sie sich allerdings im Klaren sein: Wenn Sie sich dem System nicht anschließen, werden Sie einem allgemeinen Kundenstamm zugeschlagen und müssen höhere Strompreise zahlen, weil der Stromversorger nicht in der Lage ist, den Energieverbrauch in Ihrem Haushalt und die Bereitstellung des dafür erforderlichen Stroms zu optimieren – und die übrigen Kunden werden nicht bereit sein, höhere Strompreise zu zahlen, um Ihre Energieverschwendung und Ihr ökologisch verantwortungsloses Verhalten zu subventionieren.

Chancen für sauberen Strom

Der beliebteste Tarif ist der „Energiespar-Nacht-und-Wochenendtarif“, der dem Stromversorger eine gleichmäßigere Auslastung ermöglicht, weil er den Verbrauch von den Spitzenzeiten am Tag und am frühen Abend auf die Nachtstunden verlagern kann, in denen der Strom dann auch billiger ist. Über die SBB fährt der Stromversorger Ihre Heizung ganz leicht hinauf oder hinunter und stellt Ihre Spülmaschine, den Boiler, den Kühlschrank und die Klimaanlage für kurze Zeit ab – so kurz, dass Sie es gar nicht bemerken. Außerdem schaltet der Stromversorger Ihren Geschirrspüler und Ihren Trockner nachts ein und kann sogar für ein paar Minuten Ihre gesamte Außenbeleuchtung abschalten. Als Gegenleistung für die Erlaubnis, Ihren Energieverbrauch in dieser Weise zu steuern, gewährt Ihnen der Stromversorger einen Abschlag von 15 Prozent auf die monatliche Stromrechnung. Für den Stromversorger ist das ein großer Vorteil, weil er seine Kraftwerkskapazitäten nun effizienter nutzen kann – die Lastspitzen werden reduziert, die Lasttäler aufgefüllt. So braucht das Unternehmen keine zusätzlichen Kraftwerke allein zur Deckung der Verbrauchsspitzen zu bauen. Beliebt ist auch ein weiterer Tarif, bei dem der Verbrauch sich am jeweiligen Strompreis orientiert, der „Tageshandelstarif“.

Dabei betätigen sich Ihre Geräte gewissermaßen selbst als Stromeinkäufer. Sie geben in Ihre SBB ein, dass bestimmte Geräte (der Trockner, der Geschirrspüler, der Boiler) sich nur dann einschalten sollen, wenn der Strompreis unter 5 Cent pro Kilowattstunde fällt, oder dass die Heizung bzw. die Klimaanlage (je nach Jahreszeit) herunterfahren, wenn der Strompreis über 10 Cent pro Kilowattstunde steigt. Sie füllen den Geschirrspüler, bevor Sie ins Bett gehen, aber er schaltet sich erst um 3.36 Uhr ein, wenn Ihre SBB feststellt, dass der Strompreis auf 4,9 Cent pro Kilowattstunde gefallen ist. Ihre Klimaanlage hat das Haus den ganzen Tag über gekühlt, bis der Strompreis um 18 Uhr auf zwölf Cent pro Kilowattstunde hinaufschnellt.

Dann stellt die Klimaanlage sich automatisch ab und nimmt erst wieder den Betrieb auf, wenn um 21 Uhr der Strompreis auf 9,9 Cent pro Kilowattstunde fällt. Das weckt die Erinnerung an Großvaters Zeiten vor dem Jahr eins des Zeitalters der Energie und des Klimas, als die meisten Stromversorger nur einen Einheitspreis pro Kilowattstunde Strom berechneten, unabhängig von der aktuellen Nachfrage und den Schwankungen der Produktionskosten.

Sie und Ihre Nachbarn haben außerdem gemeinsam einen Zusatztarif gewählt, der die Bezeichnung trägt: „Wie langsam kann mein Stromzähler laufen?“. Und das funktioniert so. An der Ecke, an der Ihre vier Grundstücke zusammenstoßen, haben Sie eine Solaranlage aufstellen lassen. Auch diese Anlage haben Sie von Ihrem Stromversorger geleast. Der damit gewonnene Solarstrom fließt direkt in Ihre vier Haushalte und lässt die Stromzähler dort tatsächlich langsamer laufen, weil er die aus dem allgemeinen Versorgungsnetz zu beziehende Strommenge reduziert, so dass Sie einen Teil Ihrer Energie selbst dezentral erzeugen. Die Anlage wird von Ihrem Stromversorger gewartet. Dazu muss niemand das Unternehmen anrufen, denn jedes Modul ist über das intelligente Netz mit dem Supercomputer des Unternehmens verbunden und sendet ein Signal, wenn eine Störung auftritt.

Das Versorgungsunternehmen war froh, die Solaranlage installieren zu können, denn erstens bieten neue Dienstleistungen ihm neue Einnahmemöglichkeiten, und zweitens leben Sie in einem dicht besiedelten Gebiet, in dem es in Spitzenzeiten leicht zu einer Überlastung des Netzes kommen kann. Wenn einige Abnehmer über eine dezentrale Stromerzeugung verfügen, bringt das dem Netz eine gewisse Entlastung.

Aber das Energie-Internet hat nicht nur für eine Erhöhung der Energieeffizienz gesorgt, sondern auch dafür, dass erneuerbare Energien zum ersten Mal in großem Umfang genutzt werden können. Warum? Je flacher das Lastprofil ausfällt, das ein Stromversorger abdecken muss, desto eher kann er erneuerbare Energie kaufen oder selbst erzeugen und statt des Stroms aus Kohle oder Erdgas an Sie und Ihre Nachbarn verkaufen. Gegenwärtig, im Jahr 20 des Zeitalters der Energie und des Klimas, bezieht Southern California Edison mehr als die Hälfte seines Stroms aus zwei großen erneuerbaren Energiequellen: Wind und Sonne, während der Rest aus Atommeilern und Erdgas- oder Kohlekraftwerken mit CO2-Abscheidung stammt. Das Unternehmen hat in Wyoming und Montana riesige Windparks errichtet und außerdem langfristige Abnahmeverträge mit unabhängigen Betreibern von Windkraftanlagen geschlossen. Erst das intelligente Stromnetz hat die Nutzung all dieser erneuerbaren Energien in großem Umfang ermöglicht. In früheren Zeiten lag der große Nachteil der Wind- und der Sonnenenergie in ihrer Veränderlichkeit. Die Sonne scheint nur bei Tage und nicht in der Nacht. In den meisten Teilen des Landes weht der Wind nachts und am frühen Morgen stärker als am Tage – also zu Zeiten, in denen relativ wenig Energie benötigt wird.

Seit es jedoch das Energie-Internet – das intelligente Netz – gibt, können die Stromversorger den Verbrauch an das Angebot anpassen, indem sie den Kühlschrank oder die Klimaanlage vor allem in Zeiten einschalten, in denen der Wind weht oder die Sonne scheint. So können sie diese erneuerbaren Energiequellen mit weitaus geringeren Kosten nutzen.

Wenn sich Wolken vor die Sonne schieben oder der Wind abflaut, senkt das intelligente Netz die Nachfrage, indem es die Preise erhöht (so dass Ihre Smart-Black-Box beschließt, die Waschmaschine jetzt nicht anzustellen) oder indem es den Thermostat Ihrer Heizung oder Klimaanlage entsprechend einstellt. Wenn die Sonne dann strahlend am Himmel steht und der Wind kräftig bläst, versorgt das Netz Ihre Waschmaschine mit billigem Strom. Damit besteht nun ein direkter Zusammenhang zwischen der Intelligenz des Netzes, der darin realisierbaren Energieeffizienz und dem möglichen Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Stromversorgung.

Erst kürzlich kam ein Energieberater von General Electric in Ihr Haus. Das Haus ist 20 Jahre alt. Der Berater von General Electric bot Ihnen folgendes Geschäft an: Zunächst unterzieht das Unternehmen Ihr gesamtes Haus einem genauen Energie-Check. Dann leiht das Unternehmen Ihnen das nötige Geld, um die Lecks in den Leitungen und die Spalten im Dach zu schließen, durch die so viel Energie aus Ihrem Haus entweicht, dass Ihre monatliche Stromrechnung 30 Prozent höher ausfällt als nötig. Außerdem installiert das Unternehmen sparsamere Elektrogeräte in Ihrem Haushalt. Sie selbst brauchen dafür kein Geld vorzustrecken. Das Energieberatungsunternehmen teilt mit Ihnen das Geld, das Sie bei Ihrer monatlichen Strom- und Gasrechnung einsparen, sowie den Erlös, den es durch den Verkauf der durch Ihre Einsparungen generierten CO2-Emissionsrechte auf dem Weltmarkt erzielt. Von dem so eingesparten Geld kommen Ihnen 25 Prozent direkt zugute, 50 Prozent dienen zur Tilgung des Kredits, und 25 Prozent fließen dem Beratungsunternehmen als Gewinn zu. Ihr Haus besitzt nun eine höhere Energieeffizienz und damit auch einen höheren Wiederverkaufswert. Da die Einnahmen aus diesen Einsparungsgeschäften gut vorauszusehen sind, kann das Beratungsunternehmen die Verträge an Investmentbanken verkaufen, die sie in grüne Sparbriefe umwandeln können.

Parken mit Gewinn

Nachdem Sie geduscht und gefrühstückt haben, beschließen Sie, zu Ihrer ersten Besprechung ins Büro zu gehen. Dafür genügen ein paar Schritte, nämlich über den Flur in Ihr Arbeitszimmer, und eine Smart Card. Ihre Smart Card, die von Visa und United Airlines Mileage Plus gesponsert wird, sieht aus wie eine Kreditkarte, ist allerdings ein wenig dicker. Sie beginnen Ihren Arbeitstag, indem sie die Smart Card in den dafür vorgesehenen Schlitz des von Sun Microsystems gebauten Sun-Ray-Terminals auf Ihrem Schreibtisch stecken. Dieser Terminal verbraucht nur fünf Watt – statt der für normale PCs üblichen 50 Watt. Denn er besitzt keine Festplatte, die ansonsten sehr viel Energie verbrauchte. Der Sun-Ray-Terminal besteht aus einem Bildschirm mit einem Schlitz darunter, aber sobald man die Smart Card hineinsteckt, wird man mit der „Netzwerk-Wolke“ verbunden, in der Ihre Programme, Ihre E-mails, Ihre InternetAnwendungen und Ihre persönlichen Dateien gespeichert sind. Die „Wolke“ ist ein Datenverarbeitungszentrum mit zahlreichen Servern ganz in der Nähe eines Staudamms am Columbia River. Das dortige Wasserkraftwerk liefert die saubere Energie für all Ihre Programme (und die von Millionen anderer Menschen) und für die Kühlung der Server.

Ihr Arbeitgeber ermuntert Sie eigentlich, nach Möglichkeit zu Hause zu arbeiten, aber heute finden Sie auf Ihrem Sun-Ray-Terminal eine Mitteilung Ihres Chefs, wonach um 10.30 Uhr im Firmengebäude eine Telekonferenz Ihres Managements mit den Kollegen im indischen Chennai stattfinden soll, wo Ihre Firma an einem großen Bauprojekt beteiligt ist. Um 9.45 Uhr setzen Sie sich in Ihre Ford-Mustang-RESE (Rollende Energie-Speichereinheit), einen Wagen mit Plugin-Hybridantrieb, der das Äquivalent von 2,4 Litern auf 100 Kilometer verbraucht. Plugin-Hybridantriebe ähneln gewöhnlichen Hybridantrieben, allerdings verfügen sie über größere Batterien, die an der Steckdose aufladbar sind. So können Sie in einem bestimmten Umkreis ständig mit Elektroantrieb fahren, haben für den Notfall oder lange Fahrten zugleich einen Benzinmotor zur Verfügung.

Bei der Einfahrt in die Innenstadt passieren Sie ein elektronisches Tor, das Ihr Konto automatisch mit zwölf Dollar belastet, weil Sie in der Zeit von 10 bis 14 Uhr mit dem Wagen in diesen Bereich fahren (während der Rush-Hour kostet es 18 Dollar). Hier liegt ein weiterer Grund, weshalb Sie so oft wie möglich zu Hause arbeiten, sich am Carpool beteiligen oder den Bus in die Innenstadt nehmen. All das ist Teil des neuen Programms zur Entlastung der Innenstädte, das die Zahl der dort verkehrenden Autos drastisch verringert und so Platz für mehr Elektrobusse und andere öffentliche Verkehrsmittel geschaffen hat, die nun sehr viel mehr Menschen schneller an viel mehr Orte bringen können. Tatsächlich gewann der neue Bürgermeister Ihrer Stadt die Wahl mit dem Slogan: „Sauberer Verkehr durch kostenpflichtige Straßenbenutzung“.

In der Nähe Ihres Büros parken Sie Ihren Wagen in einem Parkhaus, in dem Sie auf allen Stellplätzen die Autobatterie aufladen oder aber Strom ins Netz einspeisen können. Jedes Haus und jeder Parkplatz in Amerika ist mit solchen Zweiweganschlüssen ausgerüstet. Sie haben sich für Ihr Parkhaus entschieden, nachdem der Betreiber einen Bieterwettbewerb gegen das nächstgelegene Parkhaus gewonnen hatte. Solche Bieterwettbewerbe zwischen Parkhausbetreibern sind inzwischen weit verbreitet. Ihr Parkhaus gewann, weil es vier Tage kostenloses Parken pro Monat und eine Autowäsche jeden Freitag anbot.

Weshalb ist der Parkhausbetreiber so darauf aus, dass Sie bei ihm parken? Weil er die Hälfte des Geldes erhält, das Sie durch die Einspeisung überschüssigen Stroms ins Netz verdienen. Das gesamte Dach des Parkhauses ist mit Solarmodulen bedeckt, die sauberen Strom erzeugen, den der Betreiber an die Besitzer der geparkten Autos verkauft. Der Parkhausbetreiber spricht hier von „e-Benzin“ und hat seinem Parkhaus den Namen „Bills Künstliches Ölfeld“ gegeben. Als die Temperatur um 14.32 Uhr auf 30°C steigt, errechnet Ihr Auto, dessen Batterien von der letzten Nacht immer noch größtenteils geladen sind, dass der Strompreis im intelligenten Netz einen Punkt erreicht hat, an dem es sich lohnt, Strom ins Netz einzuspeisen. Ihr intelligentes Auto hat berechnet, wieviel Strom Sie an einem normalen Mittwoch nach der Arbeit noch benötigen (um die Kinder zum Fußballtraining zu bringen und im Supermarkt einzukaufen), wobei es eine Reserve von zehn Prozent einkalkulierte für den Fall, dass Ihr Tag Überraschungen bieten sollte. Dann macht es Ihrem Stromversorger das Angebot, ihm Strom für 40 Cent pro Kilowattstunde zu verkaufen, und der bezieht über den Zweiweganschluss fünf Kilowattstunden aus Ihrer Autobatterie. Das hilft dem Stromversorger, die Spitzenlast zu bedienen und seine Lastkurve möglichst flach zu halten, während Sie und der Parkhausbetreiber Geld verdienen. In diesem Falle haben Sie zwei Dollar verdient. Einen kleinen Teil davon erhält der Parkhausbetreiber, der die Solaranlage und den Anschluss an das Stromnetz bereitstellt. Auf diese Weise hat Ihre Autobatterie in diesem Monat 24 Dollar mit dem Verkauf überschüssigen Stroms verdient. Für das Laden der Autobatterie haben Sie nur 47 Dollar gezahlt, weil Sie dazu meist den kostengünstigen Strom während des nächtlichen Verbrauchsminimums nutzen, den Sie zum Teil während der Spitzenzeiten am Tage wieder teuer verkaufen. Für das Äquivalent eines Liters Benzin zahlen Sie auf diese Weise gerade einmal 40 Cent.

Zukunftmusik – bereits erprobt

Was ich oben beschrieben habe, klingt sicher weit hergeholt – wie aus einem Science-Fiction-Roman. Aber so weit hergeholt ist das alles gar nicht. Ein einfacher Prototyp dieses Energie-Internet wurde 2007 auf der Olympic Peninsula im Bundesstaat Washington gezeigt, und zwar im Rahmen eines Testversuchs, den das Northwest National Laboratory des Energieministeriums in Zusammenarbeit mit der Bonneville Power Administration und lokalen Stromversorgern durchführte.

Am 26. November 2007 brachte MSNBC unter dem Titel „Intelligente Elektrogeräte ermöglichen Einsparungen beim Stromnetz“ einen Bericht über die vorläufigen Ergebnisse des Versuchs. Darin heißt es: „Im Rahmen des Experiments fanden die Forscher heraus, dass sie die Lastspitzen der beteiligten Haushalte an drei aufeinanderfolgenden Tagen halbieren konnten.“ Diese Technologie, die inzwischen in größeren Gemeinden erprobt wird, besitzt viele schöne Seiten. Zu einer Überlastung des Stromnetzes kommt es gegenwärtig einige Male in der Woche. Aber davon merken Sie nichts, da Ihr Stromversorger ein oder zwei Kraftwerke in Reserve hält und zuschaltet, sobald es zu einer Überlastung kommt. Wenn diese Kapazitätsreserve von einem Kohlekraftwerk gedeckt wird, bläst es sehr viel CO2 in die Atmosphäre – nur damit Sie nichts von der Überlastung des Netzes bemerken.

Wenn es uns gelänge, diese Belastungsspitzen zu beherrschen, indem wir den Verbrauch reduzierten statt zusätzliche Kraftwerke dafür vorzuhalten, könnten wir Energie und Geld sparen und außerdem noch die CO2-Emissionen verringern. „Seit das Stromnetz existiert, versuchen wir alle Probleme mit neuen Technologien auf der Seite des Versorgers zu lösen.

Wir haben es nie geschafft, dafür neue Technologien auf der Seite des Verbrauchers einzusetzen“, sagt Mike Davis, stellvertretender Leiter des Energy Science and Technology Directorate am Pacific Northwest National Laboratory. „Jetzt haben wir die dafür nötige Technologie. Wenn jemand das Heizelement in meiner Kaffeemaschine für einige Minuten am Tag ausschalten möchte und das in Millionen Haushalten tut, brauchen wir keine zusätzlichen Kohlekraftwerke mehr, und das finde ich gut.“ Damit veränderte sich die Aufgabe der Stromversorger ganz beträchtlich – von der Bereitstellung eines Fünf-Dollar-All-You-Can-Eat-Buffets hin zur Optimierung eines Energie-Internet.

Wenn wir dieses wie oben beschrieben aufbauen, ergeben sich daraus Potenziale für mehr Wachstum mit weniger Kraftwerken, höherer Energieeffizienz, mehr erneuerbarer Energien wie Sonne und Windkraft, weil die Spitzen und Täler des Strombedarfs eingeebnet werden. Und die Revolution wäre vollkommen, wenn wir einen weiteren Durchbruch erzielen könnten: die Erfindung einer Energiequelle, die sauberen, zuverlässigen, billigen, in großer Menge verfügbaren Strom für das Energie-Internet lieferte und den Einsatz von Kohle, Öl und Erdgas drastisch verringerte. Dann flösse sauberer Strom in intelligente, sparsame Stromnetze, intelligente Haushalte und intelligente Autos.

THOMAS L. FRIEDMAN ist Korrespondent und Kommentator für Außenpolitik bei der New York Times.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2009, S. 106 - 113.

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