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01. Febr. 2009

Das Dilemma der Ägypter

Kairo muss beides leisten: vermitteln ohne sich verwickeln zu lassen

Keine Frage: Ägypten fühlt sich der palästinensischen Sache verbunden. Der Krieg in Gaza und das Leiden der Zivilbevölkerung erregte auch in Kairo die Gemüter. Aber eine engere Bindung des Gaza-Streifens an Ägypten kommt nicht in Frage. Zu sehr fürchtet Kairo, dass die Islamisten der Hamas auch im Nachbarland ihr Unwesen treiben könnten.

Für Politiker ist es ein Alptraum, wenn sie mit Zielsetzungen konfrontiert sind, die einander widersprechen und sich überdies während eines bewaffneten Konflikts entwickeln. Diese Situation ergab sich für Ägypten mit Israels Feldzug im Gaza-Streifen.

Der Gaza-Streifen ist eng mit der nationalen Sicherheit Ägyptens verbunden. Er stand von 1948 bis 1967 unter ägyptischer Verwaltung. Zu keinem Zeitpunkt  jedoch hatte Kairo auch nur in Betracht gezogen, dieses Gebiet zu annektieren. Auch nachdem Israel und Ägypten 1978 den Friedensvertrag von Camp David unterzeichnet hatten, blieb der Gaza-Streifen ein Teil der von Israel besetzten palästinensischen Gebiete.

Schon zwischen 1982 und 1994, als der Gaza-Streifen im Rahmen der Osloer Verträge der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellt wurde, gab es mindestens 30 Tunnel, die organisierte Verbrecherbanden und politische Aktivisten für den Schmuggel von Drogen und Waffen nutzten. Israel ließ sie bis zum Ausbruch der zweiten Intifada Ende September 2000 gewähren. Dass es dann etwa 1600 Häuser im Grenzgebiet zerstörte, die als Tarnung für Tunneleingänge gedient hatten, löste das Problem nicht; nach Israels Rückzug im Jahr 2005, dem Wahlsieg der Hamas 2006 und deren Putsch gegen die Kräfte der Fatah im Juni 2007 nahm es sogar noch größere Ausmaße an.

Ägyptens geografische Nähe zu Gaza und dessen politische Verbundenheit mit den Palästinensern haben beträchtliche Auswirkungen auf die Sicherheit Ägyptens, die Beziehungen Kairos zu Israel, die wirtschaftliche Entwicklung im Sinai und schließlich die Beziehung zwischen Hamas und der Muslimbruderschaft in Ägypten. In den letzten Jahren kamen drei weitere Herausforderungen hinzu: Nicht nur wurden Waffen in den Sinai geschmuggelt – palästinensische Aktivisten bildeten Terroristen im Sinai aus, die mehrere Attentate in Ägypten verübten. Nachdem Hamas-Aktivisten im Januar 2008 den Grenzzaun nach Ägypten niedergerissen hatten, fluteten vorübergehend fast eine Million Palästinenser in den Sinai. Hier zeichnete sich zum Schrecken Kairos die Möglichkeit ab, dass die Palästinenser den Sinai „übernehmen“ könnten – um dem Druck Israels zu entkommen oder weil die Hamas mit einer strategisch geplanten Invasion der Halbinsel dem Gaza-Streifen strategische Tiefe zu verleihen versucht. Die dritte und größte Gefahr besteht in einer Koalition der Hamas mit anderen Radikalen, die sich gegen Ägypten richten könnte, weil es sich für eine moderate Position des Ausgleichs entschieden hat.

Dies ist einer der wichtigsten Aspekte, die sich mit dem Gaza-Feldzug ergeben haben. Die Hamas hatte Ägypten schon zum Ziel ihrer Attacken erkoren, bevor sie sich entschloss, den Waffenstillstand mit Israel zu brechen. Dies wurde in den Medienkampagnen iranischer, libanesischer, syrischer und palästinensischer Anhänger der Hamas deutlich. Dass die israelische Außenministerin Tzipi Livni nur Stunden vor dem Beginn des Gaza-Feldzugs in Kairo weilte, verleitete Ägyptens Gegner zu der Annahme, Ägypten habe sich mit Israel abgesprochen.

Für Kairo ist diese Situation zum Alptraum geworden. Auf der einen Seite bestehen Verbindungen zu den Palästinensern im Gaza-Streifen, die weder die ägyptische Regierung noch das ägyptische Volk ignorieren können. Sie sind zutiefst geprägt von der eigenen Erinnerung an die Kriege mit Israel – und von der Tatsache der militärischen Überlegenheit Israels, die wir  zusammen mit den Bildern vom Leiden der Bevölkerung in Gaza zu sehen bekamen. Das wühlt alle Ägypter auf.

Auf der anderen Seite ist die Hamas für die Probleme verantwortlich, mit denen Ägypten konfrontiert ist. Sie möchte Ägypten erneut in den Palästinenser-Konflikt verwickeln oder – das entspricht genau der Gedankenwelt der Zentren des Radikalismus in Teheran, Beirut und in Gaza selbst – die ägyptische Regierung stürzen. Beide Ziele sind nicht realisierbar.

Nun ist die Situation in Gaza glücklicherweise nicht neu für Ägypten. Religiöser und nationalistischer Radikalismus haben sich schon früher mit der palästinensischen Frage vermischt. Als Iraks Diktator Saddam Hussein Kuwait überfiel, befand Kairo sich schon in einer ähnlichen Lage; ebenso wie nach der Invasion des Irak durch die USA oder während des Krieges zwischen Israel und der Hisbollah im Sommer 2006. Jedes Mal war es Ägyptens Aufgabe, einen Waffenstillstand auszuhandeln, ein neues Gleichgewicht zwischen den beiden Parteien zu finden und letztlich eine Lösung für den arabisch-israelischen Konflikt zu entwerfen, die jeglicher Form des Radikalismus entgegenwirken würde.

Diese Situation hat sich für Ägypten nicht verändert. Kairo verfügt nach wie vor über die Fähigkeit, das Problem an den Wurzeln zu packen. Jetzt müssen andere Parteien in der Region, vor allem aber Israelis und Palästinenser, beweisen, dass sie das Gleiche zu tun vermögen.

ABDEL-MONEM SAID ist Direktor des Al-Ahram Centre for Political and Strategic Studies in Kairo.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2009, S. 54 - 56.

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