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01. März 2017

Da Capo

Alles auf Anfang, heißt es für Italien nach dem Rücktritt Matteo Renzis. Doch eine Alternative zur Reformpolitik gibt es nicht. Staat und Wirtschaft müssen dringend wieder auf Kurs kommen, denn ein Alleingang, womöglich ohne den Euro, ist keine Option, weder für Rom noch für Europa. Und die Chancen sind da – trotz ungünstiger Vorzeichen.

War da was? Was ist geblieben nach monatelangen Diskussionen über das Pro und Contra einer Verfassungsänderung, die mehr Handlungsfähigkeit für die Politik und mehr Effizienz in der Parlamentsarbeit bringen sollte und von den Unternehmern geschlossen befürwortet wurde? Nach immer schrilleren Tönen in der Debatte? Nach der krachenden Niederlage für Matteo Renzi am 4. Dezember 2016? Nur das: Sein Rücktritt drei Tage später, eine neue Regierung, die 66. seit Kriegsende, aber weder Aufarbeitung noch Ursachenforschung, sondern Stillstand.

Italien 2017: Mehltau hat sich über das Land gelegt nach dem Votum gegen Renzis größtes Reformvorhaben. Schweigen. Kein Wort mehr wird in der öffentlichen Diskussion über den Inhalt des Referendums verloren, als hätte es nie stattgefunden. Die Parteien, die zuvor mehrheitlich die Reform im Parlament verabschiedet hatten, sind zu ihrer traditionellen Zerstrittenheit zurückgekehrt. Das Wort Reformen ist aus dem Vokabular der Politiker verschwunden. Man richtet sich ein in der Zwischenwelt mit der Übergangsregierung Gentiloni, deren Halbwertzeit niemand kennt. Die Politik wird von zwei Themen beherrscht: einem neuen Wahlgesetz und einem Termin für Neuwahlen. Die populistischen Oppositionsparteien machen sich Hoffnung auf Stimmenzuwächse. Die deutliche Entscheidung von 59,1 Prozent der Wähler gegen die Reform stand unter dem Einfluss des Brexit und der US-Wahl. Sie hatte aber auch eine inner­italienische Dynamik. Renzi hatte die wachsende soziale Ungleichheit aus den Augen verloren und die große Ablehnung seiner Politik unter jungen Italienern nicht verstanden, die am stärksten unter der Dauerkrise leiden. Es ging nicht um die Revision der Verfassung – bei der die Grundrechte nicht angetastet worden wären. Es ging um einen Denkzettel für Renzi.

Zu groß, um zu scheitern

Die Chance für einen Neubeginn ist somit vertan. Dabei wäre die Verfassungsreform fundamental für die Wirtschaft gewesen. Denn Italien ist „too big to fail“, zu groß und wichtig als drittgrößte Volkswirtschaft in der Euro-Zone und neuntgrößter Industriestaat der Welt, um zu scheitern. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Griechenland steht für knapp 2 Prozent der Wirtschaftsleistung des gesamten Währungsgebiets; Italien kommt auf 16 Prozent. Mit den Referendumszielen schlankere Strukturen in der Verwaltung, schnellere Entscheidungen in der Gesetzgebung und größere politische Stabilität wäre Italiens Wirtschaft besser gerüstet im internationalen Wettbewerb.

Stattdessen stagniert die Wirtschaft, das Land hat hohe Schulden und kämpft mit einer Krise des Bankensektors. Die Ursachenforschung muss jedoch vor der Ära Renzi einsetzen. Die italienische Krankheit ist nicht mit seinem Amtsantritt im Februar 2014 ausgebrochen, nein, die Symptome sind chronisch: Italien leidet unter Wachstumsschwäche, verkrusteten Strukturen und Korruption.

Drei Jahre dauerte die Rezession nach der Wirtschaftskrise von 2008. Mit fatalen Folgen: Sie schluckte fast 8  Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das Pro-Kopf-Einkommen sank seit 2007 um 10  Prozent, die Industrieproduktion brach um ein Viertel ein. Gleichzeitig stiegen die Schulden, während die Arbeitslosenquote nur marginal sank. Noch immer beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 40  Prozent, Stand Dezember 2016. Dazu kommen eine hohe Steuerlast und Probleme bei der Kreditvergabe an die Realwirtschaft.

Die Krise hat die einst starke Mittelschicht dezimiert. Das Wachstum bleibt schwach und bewegt sich nur im Bereich hinter dem Komma nach oben. Renzi trifft keine Schuld am Ursprung dieser Entwicklung; aber er hat es nicht geschafft, die Dinge zu bessern. Dem überalterten Land gelingt nicht der Sprung in moderne Zeiten. Die Banca d’Italia hat berechnet, dass die Krise die Jugendlichen am stärksten getroffen hat.

Seit 30 Jahren verliert die Wirtschaftsleistung an Dynamik; mit dem Beitritt zur Euro-Zone ist daraus Stagnation geworden. Zwischen 1980 und 2009 sank das reale Wachstum von 2,0 Prozent in den achtziger Jahren auf 1,5  Prozent in den neunziger Jahren und auf 0,6  Prozent im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Der größte Rückgang der Wirtschaftsleistung war 2012 zu verzeichnen. 2017 drücken Deflation und schwache Inlandsnachfrage auf das Wachstum.

Es ist ein Teufelskreis: Abnehmende Produktivität und Konkurrenzfähigkeit fördern den hohen öffentlichen Schuldenstand, der auch unter Renzi weiter anstieg und 2016 bei 2,21 Billionen Euro lag. Kein Wunder, dass die EU-Kommission auf nachhaltige Haushaltskonsolidierung drängt und am Sparwillen der Italiener zweifelt. Denn es geht nicht nur um Rom: Wenn Italien seine Schulden nicht in den Griff bekommt, ist der Euro in seiner Existenz bedroht.

Das Reizwort Flexibilität bestimmte monatelang die Schlagzeilen. 2016 gewährte die EU-Kommission Rom Ausnahmen – eine Einmalmaßnahme. Für den Haushalt 2017 dann machte Italien Sonderausgaben für die Flüchtlingskrise und die Folgen der Erdbeben geltend – und überzog zum wiederholten Mal das Defizit. Ein Kulturkampf zwischen Nord- und Südeuropa entbrannte: Rom kritisierte die wachstumshemmende Austerität und reagierte empfindlich auf Aussagen wie die des Wirtschaftsweisen Lars Feld, dass man Konsolidierung mit Ausgabenreduktion erreiche, nicht über Steuern. Berlin und Brüssel konstatierten mangelnden Sparwillen und kritisierten Ad-hoc-Maßnahmen der Regierung. Die Diskussion wurde so spitz geführt, dass am Ende unterging, dass nicht Berlin, sondern die EU-Kommission über die Haushaltssünder zu entscheiden hat.

Zu viele Banken, zu wenig Effizienz

Die Unternehmer drängen auf einen funktionierenden Staat, eine Eindämmung des Bürokratiewahnsinns und auf politische Stabilität; sie verlangen Berechenbarkeit. Seit mindestens 15 Jahren jedoch behindern strukturelle Probleme die wirtschaftliche Entwicklung. Die Rahmenbedingungen stimmen nicht: „Das Risiko einer Rückkehr in die Vergangenheit oder besser einer Verweigerung der Zukunft existiert und dem muss man entgegentreten. Italien hatte mehr als je zuvor Reformen nötig, die die Wettbewerbsfähigkeit des ganzen Landes und der Unternehmen stärken“, sagte Vincenzo Boccia, der Präsident des Industrieverbands Confindustria, nach dem Referendum. Italien liegt im internationalen Vergleich auf einem der hintersten Plätze.

Besonders zeigt sich das Strukturproblem bei den Banken – ein Sektor, in dem Modernisierungen jahrelang versäumt wurden. Matteo Renzi brachte es auf den Punkt: „Es gibt zu viele Banken.“ Zu viele Banken, zu viele Filialen, zu wenig Effizienz. Pro einer Million Einwohner gibt es in Italien 502 Filialen, das liegt über dem europäischen Schnitt. Das Problem hängt auch mit der italienischen Mentalität zusammen: Vor allem in Kleinstädten und auf dem Land läuft kein Geschäft ohne den persönlichen Kontakt – mit zuweilen höchst negativen Folgen: Bei der Rettung von vier Genossenschaftsbanken im Herbst 2015 verloren Kleinsparer ihr Geld, weil sie ohne das Kleingedruckte nachzulesen ihrem Berater blind vertraut und Nachranganleihen gezeichnet hatten.

Die Krisenbranche verzeichnete 2016 Erdrutschverluste an der Börse. Gründe für das Debakel gibt es viele: das makroökonomische Umfeld, das alle Banken in Europa traf, dann die Negativzinsen, die die Bilanzen belasten und die Profitabilität schwächen. Doch es gibt ein spezielles italienisches Problem: die faulen Kredite. Insgesamt verzeichnen die Banken eine Rekordsumme von 360 Milliarden Euro.

Erkannt wurde das Problem von der italienischen Bankenaufsicht, die bei der Notenbank angesiedelt ist, nicht erst im Krisenjahr. Schuld sei die Rezession, sie habe es vielen Firmen schwierig gemacht, ihre Kredite zurückzuzahlen, erklärt Notenbankgouverneur Ignazio Visco. Die Banca d’Italia habe die Banken gedrängt, Vorkehrungen zu treffen. Aber die Zeit zur Erholung sei zu lang. Der Internationale Währungsfonds und die Bankenaufsicht der EU beobachten mit Sorgen die Versuche Italiens, den Berg der faulen Kredite abzutragen. Immerhin, es gibt Fortschritte: Laut Carmelo Barbagallo, Chef der Banken- und Finanzaufsicht der Banca d’Italia, sinkt die Last der faulen Kredite, wenn auch nur langsam.

Negativ-Spitzenreiter ist die 1472 gegründete Bank Monte dei Paschi. In einem Jahr hat sie an der Börse in Mailand rund 60 Prozent an Wert eingebüßt. Die Bank aus Siena war beim Stresstest der EZB im Sommer 2016 Schlusslicht in Europa und hat mit 24,2 Milliarden Euro die meisten faulen Kredite in den Büchern. Die von der EZB geforderte Sanierung – mit der Bedingung, die notleidenden Kredite bis 2018 auf 14,6 Milliarden abzutragen – geriet ins Stocken, weil sich die Rekapitalisierung in einem Volumen von fünf Milliarden Euro mit dem Referendum überschnitt.

Ankerinvestoren wie der Staatsfonds von Katar zogen sich zurück, und dann, kurz nach dem Rücktritt Renzis, wurde das Tabu gebrochen: Der Staat sprang zur Rettung ein, was nach den Regeln der Gläubigerhaftung, die in der EU seit Anfang 2016 gelten, im Prinzip nicht mehr möglich ist. Rom berief sich auf Ausnahmeklauseln und Systemrelevanz. Das Rettungspaket im Volumen von 20 Milliarden Euro lag schon seit Wochen fertig in der Schublade des Finanzministeriums. Im Nachhinein wird deutlich, dass Renzi viel zu lange nur zugeschaut hat. Er habe es ausgesessen, bis Monte dei Paschi kurz vor der Zahlungsunfähigkeit war – um dem Zorn der Kleinanleger (und Wähler) zu entgehen, die zur Kasse gebeten worden wären, meinen Analysten.

Was dem Weltmarkt im Weg steht

Alle Banken bemühen sich um Modernisierung, vor allem um Digitalisierung. Das geht wie in anderen Branchen mit Stellenabbau einher. Die Industrie, die eine geringere Steuerlast, besseren Zugang zu Krediten und eine funktionstüchtigere Infrastruktur wie eine leistungsfähige Breitbandversorgung fordert, ist höchst unterschiedlich aufgestellt: Einige Unternehmen, wie Zulieferer für die Autobranche, sind auf dem Weltmarkt vertreten und oft Champions in ihrer Nische. Andere kommen nicht mit, weil es an Innovationsfähigkeit, Entwicklung, Strategie und selbst an Fremdsprachenkenntnissen mangelt. „Die Unternehmen müssen auf eine moderne institutionelle Ordnung zählen können, sonst läuft die Investitionsmaschine nicht wieder an“, fordert Verbands­präsident Boccia; die hätte es mit einem Erfolg des Referendums gegeben.

Zu den Strukturschwächen gehören in einem Land, in dem das System des Klientelismus nicht nur im Süden nach wie vor fest verankert ist, auch Korruption und Missmanagement, Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft. Wirtschafts-Staatsanwaltschaften und die Finanzpolizei nehmen ihre Arbeit ernst, die neue Antikorruptionsbehörde ANAC ist erfolgreich, doch täglich berichten die Medien über neue Fälle von Korruption oder Amtsmissbrauch. 25 Jahre ist der große Bestechungsskandal „Tangentopoli“ her, der eine flächendeckende Korruption enthüllte und das Ende etablierter Parteien wie der Democrazia Cristiana mit sich brachte. Heute geben nach einer Umfrage des Instituts Demos von Anfang Januar 86 Prozent der Befragten an, dass sie Korruption in der Politik für ebenso geläufig oder noch verbreiteter halten als damals. Nach wie vor wird bestochen, vor allem bei der Auftragsvergabe.

Dazu kommt, dass die ausufernde Bürokratie und das reformbedürftige Justizsystem die Missachtung der Regeln geradezu fördern. Die Regierung Renzi hatte sich an die Verschlankung der öffentlichen Verwaltung gemacht – unter anderem mit einer Neuordnung der Provinzen. Doch das ist eine Sisyphus-Aufgabe in einem Land, in dem Schlaumeier auffallen, die morgens schnell einstempeln und dann anderen Aktivitäten nachgehen statt im Büro zu sitzen. Der Widerstand gegen jede Art von Veränderung hin zu Effizienz und Kontrolle ist groß.

Unternehmer fordern mehr Tempo bei der Justizreform, im Zivil- wie im Strafrecht. Ein Urteil wird erst nach drei Instanzen gültig, und die ziehen sich meist über Jahre hin. Laut Daten der EU-Kommission sind 2014 durchschnittlich mehr als 500 Tage vergangen, bis in einem Zivilprozess ein Urteil in erster Instanz gefällt wurde. Bei Strafprozessen kommt oft genug die Verjährung vor dem endgültigen Urteil. Größter Nutznießer war Silvio Berlusconi, der in zahllosen Prozessen wegen Steuerbetrug, Korruption, Meineid und Amtsmissbrauch angeklagt war. Nur ein Mal wurde er endgültig verurteilt, kam aber aus Altersgründen mit Hausarrest und Sozialdienst davon. Schnellere Prozesse wären auch für ausländische Investoren ein Anreiz. Aber das Gesetz über eine Neuregelung der Verjährung liegt noch immer im Parlament – der Dauerwahlkampf behindert die parlamentarische Arbeit.

Andere Zahlen sprechen für sich: Die Steuerhinterziehung liegt bei 109 Milliarden Euro pro Jahr, die Schattenwirtschaft beträgt nach Einschätzung der Statistikbehörde Istat rund 12 Prozent der gesamten Beschäftigung. Das zu ändern ist eine Herkulesaufgabe für jeden Regierungschef. 20 Jahre Berlusconismus haben das Staatsbewusstsein und den Sinn für ziviles Miteinander nicht gestärkt. Schon 1513 schrieb Machiavelli in seinem „Fürsten“: „Der Neuordner hat alle die zu Feinden, die sich in der alten Ordnung wohlbefinden, und laue Mitstreiter in denen, welche bei der Neuordnung zu gewinnen hoffen.“

Selbstläufer „Made in Italy“

Es ist nicht alles schlecht in Italien: „Wir sind weltweit auf Platz fünf beim Handelsüberschuss und hatten 2015 einen Exportrekord von 414 Milliarden Euro. Viele Unternehmen sind in der globalen Wertschöpfungskette integriert“, sagt Industrieminister Carlo Calenda. Die Regionen im Norden des Landes unterscheiden sich von ihrer Struktur und Wettbewerbsfähigkeit her nicht von Bayern oder Baden-Württemberg.

Das „Made in Italy“ ist ein Selbstläufer. Der Luxussektor boomt und das nicht nur bei den großen Modehäusern. Gut laufen die Branchen Lederwaren, Design, Lebensmittel und Wein. Auch beim metallverarbeitenden Gewerbe und in der Elektronik gibt es zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen, die mit ihren Produkten Weltmarktführer sind. Der Wandel der italienischen Industrie im vergangenen Jahrzehnt hin zu Sektoren des Maschinenbaus, der Robotik und der pharmazeutischen Erzeugnisse stärkt die Verbindungen zu Deutschland, seit Jahren der wichtigste Handelspartner Italiens. 2950 Niederlassungen deutscher Unternehmen sind in Italien vertreten.

Matteo Renzi wurde von politischen Gegnern vorgeworfen, „Spotlight“-­Politik zu machen statt strukturelle Eingriffe richtig anzugehen. Doch ist seine Reformbilanz – mit Ausnahme des Referendums – gar nicht schlecht. Vor allem den Arbeitsmarkt hat er modernisiert, gegen große Widerstände. Beendet ist diese Reform noch nicht, außerdem sind im Parlament noch ein neues Insolvenzrecht und ein Wettbewerbsgesetz anhängig.

Zu den italienischen Tugenden gehören Innovationsfähigkeit, Kreativität und schnelle Problemlösungen. Die Italiener sind anpassungsfähig und flexibel in Krisensituationen. Auch Individualität und die Verwurzelung im Lokalen statt im Nationalen gehören dazu. Das Privatvermögen der Italiener ist im europäischen Durchschnitt sehr hoch – das alles sind Faktoren, die gewährleisten, dass Italien den Neuanfang schafft und nicht abstürzt. Das Land hat es bisher immer hinbekommen, verliert aber viel Zeit. Offensichtlich trifft auf Italien das Hummel-Paradox zu: Der Brummer kann nach den Gesetzen der Aerodynamik nicht fliegen: zu schwer, zu wenig Flügelfläche. Und doch erzeugt eine Hummel durch den Flügelschlag Wirbel, die ihr den nötigen dynamischen Aufwind verschaffen.

Zwei Perspektiven schrecken Investoren. Die eine wäre ein weiterer Vormarsch oder sogar Sieg des „Movimento 5 Stelle“ von Beppe Grillo. Die eurokritische 5-Sterne-Bewegung, scheinbar postideologisch, tatsächlich aber von einer häufig wechselnden Gegen-alles-Ideologie geleitet, liegt in Meinungsumfragen nahe bei der Regierungspartei Partito Democratico (PD). Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2016 eroberte sie die Rathäuser von Rom und Turin. Aber gerade in den Mühen der Ebene verliert ihr Mythos an Kraft, vor allem in der Hauptstadt wirkt die politisch unerfahrene und von Skandalen verfolgte Bürgermeisterin Virginia Raggi völlig überfordert.

Und dann wäre da noch das Gespenst eines Italexit, dem Austritt Italiens aus der Euro-Zone. Den Ton der internationalen Diskussion hat der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz vorgegeben: „Italien und der Euro, das funktioniert nicht.“ Deutsche Ökonomen stimmten ein: „Sollte Renzi am 4. Dezember verlieren, dürfte Italien auf einen Austritt aus der Währungsunion zusteuern“, hatte der Ökonom Thomas Mayer prophezeit. Doch danach sieht es nicht aus im Frühjahr 2017. Die Konjunkturdaten wenden sich langsam, sehr langsam zum Besseren, die Regierung von Paolo Gentiloni konzentriert sich auf die Armutsbekämpfung und den sozialen Zusammenhalt. Als erste Amtshandlung wurde die Schulreform durch Regierungsdekret in geltendes Recht umgesetzt, ebenso die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Zudem wurde ein Hilfspaket für den Süden des Landes verabschiedet. Das neue, schwere Erdbeben Anfang 2017 brachte die Regierung dann zurück in den Modus des Krisenmanagements.

An einem politisch instabilen Italien wird im Jahr der Wahlen in Frankreich und Deutschland auch Brüssel nicht gelegen sein. Amerikanische Investoren geben bereits Entwarnung: „Wir gehen nicht davon aus, dass die Anti-Establishment-5-Sterne-Bewegung an die Macht kommen wird und ein Referendum zum Italexit durchführen wird“, so Andrew Wilson von Goldman Sachs Asset Management. „Doch wie bei dem Brexit im Vereinigten Königreich und der Wahl von Donald Trump in den USA müssen wir uns die Dinge genau anschauen, um nicht unangenehm überrascht zu werden.“

Was passiert in der Politik? Kommt Renzi zurück? Und braucht ihn das Land für die weitere Umsetzung der Reformen? Gleich, wann es Neuwahlen geben wird, ob vorgezogen 2017 oder nach dem Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2018, die Zeiten deutlicher Mehrheiten sind vorbei. Es wird langwierige Koalitionsverhandlungen geben, denn keine politische Kraft kann allein regieren, wie anderswo in Europa auch. Italien leide unter „Wahlitis“, meint Giuseppe Vita, Präsident der Großbank Unicredit und Aufsichtsratsvorsitzender von Springer. Deshalb hat die Reform des Wahlrechts Priorität.

Ob mit oder ohne Renzi, die Erneuerungskräfte sind am Werk, man muss nur genau hinschauen. Zwei Beispiele: Der alte und neue Industrieminister Carlo Calenda treibt das Thema Industrie 4.0 unbeirrt voran – Vorzeigeunternehmer wie Alberto Bombassei vom Bremsenhersteller Brembo halten ihn für „den richtigen Mann an der richtigen Stelle“. Und entgegen Zahlen der EU ist die Justiz „kein Klotz mehr am Bein der Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Luciano Violante, der frühere Präsident des Abgeordnetenhauses und Chef des Think Tanks Italiadecide. Eine zusammen mit der Großbank Intesa Sanpaolo durchgeführte Italiadecide-Studie vom Januar 2017 ergibt, dass in Italien zwischen 2009 und 2016 die Dauer der Zivilprozesse gesunken ist. Dass die Reformen ihre Zeit brauchen werden, hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel beim deutsch-­italienischen Gipfel im Herbst 2016 in Maranello nüchtern festgestellt. Zusätzlichen Aufschwung erhält Italien durch ein steigendes Unternehmer- und Verbrauchervertrauen sowie den G7-Vorsitz 2017. Wie sagt Bankpräsident Giuseppe Vita: „Das Licht am Ende des Tunnels ist nicht das eines entgegenkommenden Zuges, sondern das Tageslicht.“

Regina Krieger ist Italien-Korrespondentin des Handelsblatts. Sie lebt und arbeitet in Rom.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt 1, März - Juni 2017, S. 6-12

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