Büchse der Pandora
Neue Bücher über die Vereinigten Staaten von Amerika – im Würgegriff des plutokratischen Populismus
Der überraschende Wahlsieg Donald Trumps 2016 war kein punktueller Ausreißer in der jüngsten amerikanischen Geschichte. Er war Ergebnis der Politik der Republikanischen Partei, die nach und nach eine Büchse der Pandora öffnete und das Übel des plutokratischen Populismus freisetzte. So wurde der Trumpismus zu einer strukturellen Herausforderung des politischen und ökonomischen Systems der USA – mit weltweiten Folgen.
Rechtzeitig zu den US-Wahlen legt Stephan Bierling eine Bilanz der ersten Amtszeit Trumps vor. Der Einzug ins Weiße Haus glückt in Bierlings Darstellung dank Trumps hoher Bekanntheit, seines Reichtums (oder zumindest der Illusion von Reichtum) und der kostenlosen, mit Milliardenbeträgen aufzuwiegenden Sendezeit, die ihm die Nachrichtenkanäle schenken. Mit Ressentiments gegenüber Eliten, Immigration und (kultureller) Globalisierung gewinnt er die republikanische Basis für sich. Mehr noch: Trump gelingt es, die Grand Old Party zu kidnappen und die starke parteipolitische Polarisierung in den USA für sich zu nutzen, um die unpopuläre Gegenkandidatin der Demokratischen Partei, Hillary Clinton, in den Bundesstaaten des Mittleren Westens entscheidend zu schlagen.
Im Amt gibt sich Trump geheimniskrämerisch und geschwätzig zugleich; er sorgt dafür, dass das Personalkarussell nie stillsteht. Trotz Chaos, Mueller-Ermittlungen und späterem Impeachment-Verfahren dominiert Trump die politische Debatte und kann lange auf stabile Umfragewerte bauen.
In der Wirtschaftspolitik gibt sich der Präsident als Neo-Merkantilist und versucht, begleitet von starken Sprüchen, das US-Handelsbilanzdefizit mit China zu senken. Dem entgegen steht sein „für Plutokraten gestrickter Steuerplan“ (Financial Times), der das makroökonomische Doppeldefizit aus Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit noch verschärft. Außenpolitisch setzt Trump auf Isolationismus und vertieft die europäisch-amerikanische kulturelle Kluft, die Werner Weidenfeld bereits 1996 in „Kulturbruch mit Amerika? Das Ende transatlantischer Selbstverständlichkeit“ prognostizierte. Das daraus entstandene Strategievakuum des Westens können auch die gemeinsamen NATO-„Feldgottesdienste“ nicht (mehr) kaschieren.
Winner-take-all-Ökonomie
Während Bierling von einer Trump’schen Zerstörung der Republikanischen Partei spricht, sehen Jacob Hacker und Paul Pierson in „Let Them Eat Tweets“ darin vielmehr die plutokratische Apotheose. Sie skizzieren, wie die Republikaner seit den 1980er Jahren eine Politik für die Superreichen und die Unternehmen betreiben und sich dabei sukzessive von ihrer Kernwählerschaft entfremden.
So steht die Vermögenskonzentration der obersten 0,1 Prozent, die genauso viel Reichtum besitzen wie die untersten 90 Prozent, als Inbegriff einer „Winner-take-all“-Ökonomie. Die Plutokratie, die Herrschaft der Besitzenden, hat sich in einer Zweckgemeinschaft mit dem rechten Populismus verbunden, um Steuersenkungen für die wirtschaftlichen Eliten durchzusetzen. Aus dieser ökonomischen Disparität heraus erwächst eine systemische Gefahr für die US-Demokratie, denn konzentrierter Wohlstand schafft ungleiche Kräfteverhältnisse und ermöglicht die Umwandlung von wirtschaftlicher in politische Macht. Die größte Bedrohung für das politische System besteht laut den Autoren in der Angst der wirtschaftlichen Eliten vor der Institution Demokratie selbst, da durch Wahlen ein Auftrag nach ökonomischer Umverteilung legitimiert werden könne.
Als Folge könne die Republikanische Partei kaum noch autonom die parteipolitische Agenda bestimmen, weil sie im Würgegriff von US-Multimilliardären wie Charles Koch stecke (Charles’ im Buch noch erwähnter Bruder David verstarb im August 2019). Ökonomische Themen würden kulturell verbrämt und aufgeladen. Im Grunde fuße die republikanische Strategie auf drei Säulen: Ressentiment, Radikalisierung und Rigidität. Letzteres zielt darauf ab, den Einfluss von nicht-weißen Wählerschichten einzuschränken. Mit Vizepräsident Mike Pence, der enge Kontakte zu den Koch-Brüdern pflegt(e), und Trumps „Team der Milliardäre“ werde die plutokratische Agenda nun top-down und unmittelbar aus dem Weißen Haus betrieben: Deregulierung und Steuersenkung für den Geldadel. Sollte Trump die Wiederwahl versagt bleiben, so wäre sein politisches Erbe dennoch groß. Der Kongress hat an Macht verloren und die horizontale Gewaltenteilung funktioniert kaum mehr. Eine geografisch diffus verteilte republikanische Wählerschaft begünstigt die Vorherrschaft im Senat und ermöglicht im Falle eines Wahlsiegs von Joe Biden die totale Blockadepolitik.
Gleiches gilt für die konservative Neuausrichtung des Obersten Gerichtshofs: Die hastige Nachfolgeberufung nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg unterstreicht die politische Brisanz und den Wunsch der Republikaner, strukturell im Vorteil zu bleiben. Nach der Transformation Kaliforniens könnten zwar bald auch Texas und Florida dauerhaft den Demokraten in die Hände fallen; doch plutokratische Koalitionen können neu geschmiedet werden: Diese Entwicklung würde vermutlich in den republikanischen Sunbelt-Staaten im Süden ihren Anfang nehmen.
Globaler Trumpismus
Den makroökonomischen Konsequenzen des Trumpismus widmet sich Paul Welfens. Ins Zentrum rückt er dabei die trilaterale Perspektive USA, Europa (EU) und China mit Großbritannien als „freiem Radikal“ und kritisiert das mangelnde europäische Risikomanagement im Vorfeld des Brexit-Referendums. Überzeugend legt der Autor dar, dass Europa in Sachen Gesundheitswesen, sozialer Mobilität, Lebensqualität und staatlicher Absicherung mehr als konkurrenzfähig gegenüber den Vereinigten Staaten dastehe. Das Modell der Sozialen Marktwirtschaft könne in einem Wettbewerb der Marktwirtschaftssysteme bestehen und solle von der EU institutionell in den Rest der Welt exportiert werden; umgekehrt solle sich Europa aber auch vom Risikokapitalismus amerikanischer Prägung inspirieren lassen.
Die Ursache für den strukturellen US-Populismus sieht Welfens in der hohen Einkommensungleichheit und bemerkt, dass dies paradoxerweise nicht als Herausforderung für die Politische Ökonomie erachtet wird: Staatliche Umverteilung findet öffentlich keine Mehrheit in den USA. Die digitale Welt hat zudem alte politökonomische Weisheiten verdrängt. Zielgruppengerechtes digitales Ansprechen kaschiert politische Widersprüche, und Daueremotionalisierung lässt Mehrheiten fernab traditioneller Allianzen entstehen. Obwohl die Umfragen Joe Biden in Führung sehen, stünden Trumps Wiederwahlchancen besser als viele Beobachter glauben, so Welfens’ mittlerweile einige Wochen zurückliegende Prognose.
In Welfens’ Fokus liegt das Desiderat einer makroökonomischen Lehrbuchanalyse für USA-EU-China. So erzeuge die US-Unternehmenssteuerreform von 2017 einen Anpassungsdruck auf den Rest der Welt. Die USA haben auf die Corona-Krise mit einem Rettungspaket in Höhe von 2,2 Trillionen Dollar geantwortet; den Europäern schlägt Welfens die Ausgabe gedeckter EU-Gemeinschaftsanleihen vor.
Welfens sieht die EU in einer schwierigen Lage: Es fehlten (deutsche) Reformimpulse wie solche für ein eigenes Parlament der Eurozonen-Staaten. Die anhaltende wirtschaftliche Stagnation Italiens bedrohe derweil die Stabilität des gesamten Währungsraums. Der Autor schlägt eine Sondersteuer auf italienische und spanische Vermögen vor: das exakte Gegenteil dessen, was die Europäische Kommission mit „Next Generation EU“ auf den Weg gebracht hat.
Obwohl sich die soziale Ungleichheit im Unterschied zu den USA in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht weiter verschärft habe, entstand laut Welfens eine Wahrnehmungslücke, eine „Angst im Aufschwung“, die die Alternative für Deutschland (AfD) gedeihen ließ. Wie die Great-Gatsby-Kurve zeigt, korreliert hohe Einkommensungleichheit mit geringer sozialer Mobilität. In einem Land wie Deutschland, in dem sich der soziale Aufstieg traditionell eher schwierig gestaltet, ist die grundsätzliche Sorge, wirtschaftlich den Anschluss zu verlieren, nicht unberechtigt.
Den militärisch-politischen Wettbewerb des Kalten Krieges mit der Sowjetunion sieht Welfens heute abgelöst von einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit China. Während das chinesische Modell für Europa wirtschaftspolitisch keine unmittelbare Bedrohung sei, liege der Schutz der Seewege, über den 90 Prozent des Welthandels abgewickelt werden, im ureigenen Interesse des Kontinents. Doch sei die EU etwa im Südchinesischen Meer de facto nicht präsent.
Der chinesischen Herausforderung und dem Druck des strukturellen US-Populismus könne die EU nur mit grundlegenden Reformen begegnen: Falls nicht, drohe der Zerfall in die alte Großmachtkonkurrenz des 19. Jahrhunderts.
Stephan Bierling: America First. Donald Trump im Weißen Haus. München: C.H. Beck 2020. 271 Seiten, 16,95 Euro
Jacob S. Hacker u. Paul Pierson: Let Them Eat Tweets. How the Right Rules in an Age of Extreme Inequality. New York: W.W. Norton 2020. 288 Seiten, 26,95 Dollar
Paul J.J. Welfens: Trump global. Struktureller US-Populismus und Wirtschaftskonflikte mit Europa und Asien. Heidelberg: Springer Dez. 2020. 464 Seiten, 19,99 Euro
Daniel Gottal studiert History & Economics (M.A.) sowie Economics (M.Sc.) an der Universität Bayreuth und verfasste seine Masterarbeit zum Thema „Politische Ökonomie des Populismus“.
Internationale Politik 6, November/Dezember 2020, S. 124-126
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