Berlin ist am Zug
Europa muss mit dem Süden eine Weltklimapolitik formulieren - auch ohne die USA
Bei der Eindämmug der Erderwärmung wächst der EU eine Führungsrolle zu. Will sie an den Zielen Kyotos festhalten und ein universelles Klimaregime aufbauen, darf sie sich nicht auf Amerikas Verlangen nach unverbindlichen Absprachen einlassen. Ob sie damit Erfolg hat, entscheidet auch das Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat: Deutschland.
Vielleicht sind die Europäer von der Venus und die Amerikaner vom Mars, wie Robert Kagan vor einigen Jahren schrieb. Doch beiden gemeinsam ist die Verantwortung, ihren eigenen Planeten Erde vor langfristigen und unumkehrbaren Veränderungen zu schützen. Insbesondere am Klimawandel besteht seitens der Wissenschaft kein Zweifel mehr; auch nicht an der Täterrolle des Menschen hierbei. Wird nicht schnell und effektiv politisch gehandelt, sind ein Meeresspiegelanstieg von bis zu einem Meter und weitere Klimafolgeschäden wie Dürren oder Wirbelstürme zu erwarten. Manche Experten schließen einen noch höheren Meeresspiegelanstieg nicht aus, insbesondere wenn sich verändernde Faktoren im Klimasystem gegenseitig verstärken und Schwellenwerte überschreiten.
Angesichts dieser weitreichenden Veränderungen sprechen Wissenschaftler inzwischen von einer „earth system transformation“ – einem grundlegenden Wandel biologischer und geophysikalischer Kreisläufe und Prozesse, der vor allem vom Menschen verursacht wird. Die Beherrschung dieser Trans-formation durch politische Regulierung ist eine Kernaufgabe internationaler Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert. Es geht nicht mehr um Umweltpolitik im traditionellen Sinne. Angesichts der Komplexitäten in Ursachen und Wirkungen geht es um mehr: die integrierte Governance des gesamten dynamischen Verhältnisses von Mensch und natürlichem Erdsystem („earth system governance“).1
Diese Jahrhundertaufgabe erfordert politische Führung.2 Traditionell waren es die Vereinigten Staaten, die globale Gemeinschaftsaufgaben initiierten und unterstützten. Doch sind die Amerikaner, zumindest in ihrer derzeitigen politischen Verfasstheit, kaum bereit, eine Führungsrolle beim Aufbau welt-weiter Regelwerke zum Schutz des planetarischen Klimasystems einzunehmen. Während die USA das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen von 1992 noch ratifiziert haben, tragen sie das entscheidende Zusatzprotokoll von Kyoto von 1997 nicht mit. Am 16. Februar 2005 ist dieses Protokoll ohne Beteiligung der USA in Kraft getreten und seither die bindende Rechtsgrundlage für die überwiegende Mehrheit der Staatengemeinschaft. Nicht jedoch für die USA.
Vielfach wird erwartet, dass Europa nun auf Seiten der Industrieländer die Führung übernimmt. In der Tat könnte es eine ideale Mittlerrolle spielen zwischen den klimapolitischen Positionen der USA, der großen Entwicklungsländer, Russlands, Japans, Australiens und der OPEC – und sich dabei selbst als globale Friedensmacht positionieren. Doch scheint diese Rolle noch fern. Zwar ist Europa die einzige Weltregion, in der Klimapolitik in nationalen politischen Debatten ernsthaft vertreten ist. Doch andererseits zählen Europäer weiterhin zu den weltweit größten Pro-Kopf-Emittenten an klimaschädlichen Gasen und – schlimmer noch – müssen fürchten, ihre Pflichten aus dem Kyoto-Protokoll selbst zu verletzen (Stichjahr ist 2012). Europa will gern mit einer Stimme auf der globalen Bühne sprechen und die moralische und zunehmend auch politische Führung übernehmen. Und doch verfällt der Kontinent regelmäßig in die Kakophonie nationaler Interessen, die langwierige interne Unterhandlungen erfordert. Europäer sehen sich gern als der kooperative Teil der OECD mit Blick auf Multilateralismus, die Unterstützung internationaler Institutionen und die Zusammenarbeit mit Ent-wicklungsländern. Doch gleichzeitig sind die europäischen Zahlungen an inter-nationale Orga-nisationen und den Süden von Streichungen betroffen oder bedroht.
Mit anderen Worten: Bis zu einer eindeutigen Führungsrolle der Europäischen Union in der Weltklimapolitik ist noch ein weiter Weg. Erst müssen die Europäer ihre Hausaufgaben machen und sicherstellen, dass nicht nur Europas bescheidene Minderungsziele des Kyoto-Protokolls für das Jahr 2012 eingehalten werden, sondern auch weitergehende Anstrengungen danach glaubwürdig zugesichert werden können. Nur dies kann globale Verlässlichkeit als klima-politische Führungsmacht schaffen. Vor allem aber muss Europa sich außen-politisch in der Weltklimapolitik eindeutig definieren. Und Farbe bekennen: erstens konsequent gegenüber den USA. Zweitens bereit zu Kompromissen mit den Groß-mächten im Süden.
Konsequent gegenüber den USA
Die Regierung Bush lehnt das Kyoto-Protokoll im Grundsatz ab. Es sei, so der amerikanische Präsident George W. Bush, „fatally flawed“.3 Es ist unwahrscheinlich, dass der US-Präsident den Vertrag noch dem Senat zur Ratifikation vorlegen wird. Ebensowenig wahrscheinlich ist die hierfür erforderliche Zwei-drittelmehrheit im Senat, da auch die Senatoren der Demokratischen Partei, die nun den Senat dominieren, sich in der Vergangenheit mehrheitlich gegen das Kyoto-Protokoll ausgesprochen haben. Von jenseits des Atlantiks kommen deshalb Vorschläge für eine alter-native institutionelle Architektur der Weltklimapolitik, die ein Engagement auch der USA ermöglichen könnten.4 Im Kern zielen diese auf die Aushandlung alternativer Abkommen oder Absprachen, die eher den amerikanischen Inter-essen entsprechen. Diese Abkommen könnten regional, nur mit den USA gleichgesinnten Staaten, etwa in Lateinamerika,5 oder nur mit China im Sinne einer klimapolitischen Elefantenallianz6 abgeschlossen werden. Der führende amerikanische Experte Bodansky plädiert zum Beispiel für eine „institutional hedging strategy“, in der die USA ein „more diversified, robust portfolio of international climate change policies in the long term“ anstreben sollten.7 Gemäß US-Experten sollten solche Separatabkommen nicht unbedingt unter dem Schirm der Vereinten Nationen verhandelt werden, wegen der bekannten Vorbehalte in den USA gegen die politischen Prozesse in der Weltorganisation. Dieses politische Projekt einer Fragmentierung der Klimapolitik zugunsten der USA kennt verschiedene Varianten. Etwa sektorspezische Abkommen, die nur bestimmte Industriesektoren erfassen (etwa nur Staaten mit Auto-mobilindustrie)8 oder bestimmte Politiken propagieren (wie das Fördern von Forschung und Entwicklung).9 Ein Grundzug US-amerikanischer Politik – und ihrer Denkfabriken – ist auch das Vorziehen rechtsunverbindlicher Absprachen und öffentlich-privater Partnerschaften, die dem rechtlich bindenden Kyoto-Protokoll gegenübergestellt werden.
Nicht alle diese Vorschläge sind ausschließlich mit US-Autoren verbunden. Nicht alle leugnen die Notwendigkeit eines globalen multilateralen Rahmens: Theoretisch ließen sich sektorspezifische oder regionale Abkommen auch innerhalb des UN-Klimarahmenübereinkommens oder eines verlängerten Kyoto-Protokolls vereinbaren.10 Auch repräsentiert die US-Regierung nicht das ganze Meinungsspektrum in den Vereinigten Staaten: Vielversprechende Initiativen erblühen in den USA lokal und regional, und manche US-Bundesstaaten an Ost- und Westküste sind auf dem besten Wege, innerhalb ihrer Juris-diktion die Vorgaben des Kyoto-Protokolls einzuhalten. Gleichwohl ist insgesamt die Erwartung der US-Regierung wie auch vieler Experten und Denkfabriken in den USA, dass Europa offen zu sein hat für Separatabkommen und implizit oder explizit den universellen Ansatz des Kyoto-Protokolls aufgibt oder zumindest hierfür ein Nachfolgeübereinkommen unterstützt, das für die Vereinigten Staaten annehmbar ist.
Politisch steht Europa in seinem Verhältnis mit den USA damit am Scheideweg zwischen zwei strategischen Alternativen: Konfrontation oder Konzilianz, Streit oder Schlichtung. Eine Konzilianzstrategie wäre, gemeinsam mit den USA solche separaten Abkommen außerhalb des Kyoto-Rahmens zu initiieren und dabei den Kyoto-Pro-zess zu verlassen oder diesen zumindest zu margi-nalisieren. Gemeinsam mit den USA würde Europa den Druck auf Entwicklungsländer erhöhen, sich schneller zu weitreichenden Zugeständnissen, insbesondere der frühzeitigen Übernahme quantitativer Minderungsziele beim Treibhausgasausstoß, bereit zu finden. Das strategische Ziel einer solchen Kon-zilianzstrategie wäre, die USA wieder in eine globale Klimapolitik einzubinden. Diese entspräche weitgehend den Interessen der USA. Eine solche Konzilianzstrategie brächte den Europäern Vorteile: Sie wür-de die transatlantische Zusammenarbeit verbessern und den weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen zugleich in ein Regelwerk einbinden. Sektorale, regional selektive und rechtsunverbindliche Abkommen versprechen schnellere Lösungen, da deren Aushandlung weniger Parteien umfasst, die Rechtsbindung fehlt und die Interessen, die zu verhandeln sind, thematisch begrenzter sind. Doch sehen selektive Abkommen von wenigen Staaten Lösungen nur für diese Staaten vor und entsprechen nur deren Interessen. Es gibt keine Garantie, dass die übrigen, anfangs nicht be-teiligten Staaten sich später anschließen werden. Auch kann ein schneller Erfolg in der Aushandlung sektoraler Abkommen dem langfristigen Erfolg der Klimapolitik zuwiderlaufen, wenn wichtige Strukturelemente des Gesamtregimes – etwa die Vertragsnichterfüllungsmechanismen – nicht gelöst sind. Zudem begrenzen kleinere Abkommen die Möglichkeit von Paket-lösungen.11 Regionale Abkom-men nur weniger gleichgesinnter Staaten, abgeschlossen in der Hoffnung, dass andere Staaten später folgen werden, versprechen nicht, das Vertrauen und die Stabilität zu schaffen, die für den Aufbau einer global umfassenden Klimapolitik erforderlich sind. Eine „institutional hedging stra-tegy“12 mit unterschiedlichen Regimes erscheint kurzfristig vielleicht umsetzbar. Langfristig jedoch gefährdet sie das größere Ziel einer stabilen institutionellen Architektur in der Klimapolitik. Auch würde der Versuch, die USA wie-der in einen multilateralen Rahmen einzubinden, eine Verwässerung dieses normativen Rahmens bedeuten – was diese Strategie umweltpolitisch wenig ertragreich machen wird. Zudem wird verstärkter Druck der Europäer – im Konzert mit den USA – auf die Entwicklungsländer, sich an Minderungszielen zu beteiligen, die Nord-Süd-Spannungen in der Klimapolitik erhöhen. Denn Europa würde von seiner traditionellen, eher vermittelnden Rolle abgehen und sich einseitig auf die Seite der USA schlagen.
Summa summarum: Das Governance-System der Klimapolitik nach Auslaufen des Kyoto--Protokolls 2012 braucht Institutionen, die stabil, flexibel und betraubar sind, die Paketlösungen über politische und thematische Grenzen hinweg erlauben und die alle Staaten einschließen. Dies kann nur erreicht werden über ein multilaterales Abkommen, das die Grundsätze, Regeln und Verfahren festlegt und damit einen stabilen Rahmen für die Klimapolitik im 21. Jahr-hundert schafft.13 Europa sollte und könnte die Führungsrolle in diesem institutionellen Jahrhundertprojekt übernehmen.
Dieses würde allerdings eine eher konfrontative Positionierung der Europäischen Union erfordern – einschließlich der unilateralen Entwicklung robuster Anreize für die USA, sich anzuschließen oder zumindest die multilaterale Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls nicht zu obstruieren.
Ein wichtiges Problemfeld sind die unterschiedlichen Energiekosten in den USA und Europa, welche durch umweltpolitisch motivierte Energiesteuern und -abgaben in Europa (mit)bedingt sind. Europäische Firmen haben hiermit strukturelle Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren Wettbewerbern in den USA. Die umweltpolitischen Extrakosten der europäischen Industrie sollten deshalb durch Ausgleichsabgaben an den Außengrenzen der Europäischen Union aufgefangen werden, so genannte „border tax adjustments“.14 Einfuhren aus den USA in den europäischen Wirtschaftsraum würden damit an den EU-Außengrenzen mit einer Abgabe belegt, die den innereuropäischen Energie- und Umweltsteuern und -belastungen entspräche. Umgekehrt würden europäische Exporteure, die ihre Güter in die USA ausführen, von der EU eine Vergütung erhalten, die sie für die klimapolitisch bedingten höheren Energiekosten in Europa entschädigen würde. Solche Grenzausgleichsabgaben stehen nicht unbedingt im Konflikt mit dem Welthandelsrecht.15 Selbst die USA haben früher vergleichbare Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Besteuerung ozonabbauender Stoffe erlassen. Grenzausgleichsausgaben könnten sich auf bestimmte Durchschnittswerte des Energiegehalts von Gütergruppen beziehen. Sie könnten auch aus praktischen Erwägungen auf energieintensive europäische Industrien begrenzt werden.
Zweifellos werden klimapolitisch motivierte Grenzausgleichsabgaben im Handel zwischen den USA und der EU politische und juristische Konflikte mit den USA nach sich ziehen. Um im Bilde von Robert Kagan zu bleiben: Die Europäer würden sich wirtschafts- und klimapolitisch von der Venus ab- und dem Mars zuwenden – um den Planeten Erde zu retten.
Kompromisse mit den Entwicklungsländern
Eine Weltklimapolitik ohne die USA kann deshalb nur gelingen, wenn Europa die Unterstützung der Entwicklungsländer hat, insbesondere der neuen Großmächte Asiens und Lateinamerikas. In einem anderen Essay haben Hans-Dieter Sohn und ich ausführlicher argumentiert,16 dass Europa diese strategische Positionierung ernster nehmen und sich bewusster dem Aufbau robuster, stabiler Beziehungen gerade mit den neuen asiatischen Großmächten widmen muss. In der Klimapolitik war der Süden historisch kaum an der Verursachung des Problems beteiligt und spielt pro Kopf weiterhin eine marginale Rolle. Darum ist das Interesse in Indien, China und anderen Führungsmächten des Südens an eigenen Minderungsanstrengungen gering.17 Diese politische Situation wird Kompromisse zwischen Nord und Süd erfordern, vor allem auf vier Gebieten:
Erstens wird Europa mittelfristig nicht umhin kommen, als normatives Prinzip der Weltklimapolitik das gleiche Recht aller Menschen auf Emissionen formell anzuerkennen - also die langfristige Festlegung quantitativer Minderungsziele für Staaten auf Basis von Pro-Kopf-Emissionen im Sinne einer graduellen Kontraktion der Pro Kopf Emisionen und deren langfristiger Konvergenz. Dies kann durchaus als langfristiges Ziel vereinbart werden; niemand erwartet eine kurzfristige Konvergenz der Pro--Kopf--Emissionen zwischen Nord und Süd, die wirtschaftspolitisch eingreifende Maßnahmen erforderte, die auch nicht im Interesse des Südens sein können. Mit Blick auf das Vertrauen des Südens in die Makler-rolle der Europäischen Union ist es jedoch entscheidend, dass die EU sich hier formell zu einem Prinzip bekennt, zu dem es ethisch und menschenrechtlich eigentlich keine Alternativen gibt. Nicht zuletzt wird dieses Prinzip manche wohlhabenderen Entwicklungsländer schon jetzt - und viele andere angesichts des Wirtschaftswachstums im Süden schon innerhalb weniger Jahre oder Jahrzehnte - automatisch in ein Minderungsregime einschließen.
Zweitens muss Europa das Interesse des Südens an die Anpassung an den beginnenden Klimawandel ernster nehmen. Ein globales Programm ist erforderlich zur Entwicklung und zum Transfer von Techniken und Politiken, die die Adaptation im Landbau, in der Infrastruktur, im Küstenzonenmana-gement oder im Katastrophenschutz im Süden erleichtern und die Widerstandsfähigkeit der Entwicklungsländer gegen Klimafolgeschäden erhöhen. Mittelfristig muss darüber hinaus das gesamte internationale Governance System gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähig gemacht werden. Hierbei besteht noch kein unmittelbarer Handlungsbedarf, wohl aber erheblicher Bedarf an Forschung und Strategieentwicklung, den Universitäten ohne gezielte Förderprogramme nicht erfüllen werden. Dies betrifft vor allem zwei Probleme:
Zum einen die Flüchtlinge. Genaue Zahlen sind der Natur der Sache nach nicht verfügbar, doch ist ein globaler Flüchtlingsstrom durch Meeresspiegelanstieg und Dürre in der Größenordnung von mehreren hundert Millionen im Laufe des Jahrhunderts nicht auszuschließen. Hierbei ist zu bedenken, dass der Klimawandel nicht linear verläuft, sondern sich durch häufigere und höhere Sturmfluten und Stürme Bahn brechen wird, die gleichsam über Nacht ganze Regionen verwüsten und zur spontanen Aufgabe von Küstengebieten und Inseln zwingen können. Klimaflüchtlinge fallen nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention, weil keine staatliche Verfolgung zugrunde liegt. Unabhängig vom begrenzten Mandat ist das UN-Flüchtlingsregime auch strukturell nicht auf Umweltflucht ausgelegt, weder mit Blick auf die große Zahl von Menschen, die zur gleichen Stunde flüchten könnten, noch auf das Problem, dass eine Rückkehr ausgeschlossen und stattdessen die dauerhafte Umsiedlung und Eingliederung in andere Länder oder Regionen erforderlich sind. Hier sind gänzlich neue Ansätze, Regelungen, Rechtsnormen und auch Finanzierungsmechanismen erforderlich. Völkerrechtlich ist auch die Frage der Staatenverantwortlichkeit und Kompensation von Belang, die zwischen Experten in Süd und Nord umstritten bleibt, aber in jedem Fall noch ungenügend erforscht wurde. Nicht zuletzt stehen mittelfristig Anpassungen im Recht der Staatenlosigkeit an, für den tragischen Fall, dass kleinere Inselstaaten im Pazifik gänzlich aufgegeben werden müssen. Ein weiterer Teil eines globalen Anpassungsregimes ist die Weltwirtschaftsordnung, die in ihrer derzeitigen Komplexität und Interdependenz gegenüber plötzlichen Folgeschäden des Klimawandels gefährdet ist, etwa wiederholten Sturmfluten in dicht besiedelten und ökonomisch relevanten Küstenzonen. Sollte zum Beispiel mittelfristig der Internationale Währungsfonds Sonderfazilitäten zur Stabilisierung des Weltwirtschaftssystems bei plötzlichen, regional katastrophischen Klimafolgeschäen einrichten?
Drittens ist auch mit Blick auf Entwicklungsländer wichtig, dass Europa weiterhin den Multilateralismus in der Klimapolitik unterstützt, insbesondere die UN-Klimarahmenkonvention und das Kyoto Protokoll. Für viele der kleineren und mittleren Entwicklungsländer liegt die Stärke in Geschlossenheit, und multi-laterale Vereinbarungen und Regime sind deren einzige Garantie. Für den Süden ist die Klimapolitik zudem mehr als ein Umweltproblem – betrifft sie den gesamten Bereich wirtschaftlicher Entwicklung und ist im Kern ein globales Verteilungsproblem zwischen Nord und Süd. Seit den ersten Ansätzen einer Weltklimapolitik bemühte sich der Süden deshalb, die Ver-handlungen innerhalb der Vereinten Nationen zu verankern und die Erderwärmung als ein größeres politisches Problem zu konzeptualisieren, das Implikationen über die Umweltpolitik hinaus hat. Klimawandel wurde deshalb institutionell nicht unter dem Schirm des UN-Umweltprogramms oder der Weltmeteorologieorganisation verhandelt, sondern unmittelbar unter der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die dieses Problem schon 1988 zur „gemeinsamen Sorge der Menschheit“ erklärt hatte18 und die ersten inter-nationalen Verhandlungen initiierte.
Angesichts der Bedeutung des Klimasystems muss Europa letztlich auch Möglichkeiten eines „grand deals“ mit den Entwicklungsländern erwägen. Führung in der internationalen Politik funktioniert seit alters her auch durch die einseitige Übernahme von Kosten durch den, der das größte Interesse am zu lösenden Problem hat und deshalb einseitig Kosten übernehmen kann und will. Europa muss auf die Entwicklungsländer zugehen mit Angeboten, die der Süden nicht ablehnen kann - zum Beispiel könnten die flexiblen Mechanismen des Kyoto Protokolls (verschiedene Formen eines Emissionsrechtehandels) mittelfristig so gestaltet werden, dass merkbare finanzielle Gewinne der ärmeren Entwicklungsländer vom Norden in Kauf genommen werden. Im Gegenzug könnten die Entwicklungsländer ein universelles Minderungsregime akzeptieren und sich hierbei mittelfristig beteiligen. Daneben wäre ein „grand deal“ möglich durch das Koppeln von Klima- und Handelsvereinbarungen, also Zugeständnissen der Euro-päer etwa bei Agrar- oder Textileinfuhren im Gegenzug zu einer aktiveren Klimapolitik der Entwicklungs-länder.
Jahrhundertprojekt
In der Weltklimapolitik ist Europa gefordert, seine eigenen klimapolitischen Interessen zu vereinbaren mit einer umfassenderen Vision der europäischen Rolle in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts. Gerade in der Klimapolitik gilt es, eine von Grund auf neue, stabile, verlässliche, doch auch flexible und vor allem universelle institutionelle Architektur aufzubauen, die einen verbindlichen Rahmen für Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte schafft. Künftige Generationen werden diese Schöpfung einer universellen institutionellen Architektur zur Eindämmung der Erderwärmung möglicherweise auf eine Ebene setzen mit dem Gründungsprozess der Vereinten Nationen selbst, und künftige Historiker die Konferenz von Kyoto 1997 vergleichen mit der UN-Gründungskonferenz in San Franzisko 1945, die damals noch von einer Initiative der USA ausging. Viele erwarten, dass die Europäische Union die internationale Führung in diesem Jahrhundertprojekt übernimmt. Ob Europa dieser Erwartung genügen kann, bleibt indes abzuwarten. Eine wichtige Rolle spielt traditionell das EU-Mitgliedsland, das die Rats-präsidentschaft innehat. Zurzeit, im Februar 2007, ist dies Deutschland. Berlin ist am Zug.
Prof. Dr. FRANK BIERMANN, geb. 1967, ist Leiter der Abteilung für Umweltpolitikanalyse am Institut für Umweltstudien (IVM) der Vrije Universiteit Amsterdam und Direktor des „Global Governance Project“. Von 2006 bis 2009 leitet er die
Arbeitsgruppe „Post 2012 Options in Climate Governance“ des von der EU geförderten Forschungsprogramms ADAM „Adaptation and Mitigation Strategies: Supporting European Climate Policy“.
- 1Konzeptionell hierzu Frank Biermann: Earth system governance as a crosscutting theme of global change research, Global Environmental Change, 2007, im Druck.
- 2Siehe ausführlicher hierzu Frank Biermann: Between the United States and the South. Strategic choices for European climate policy, Climate Policy, 3/2005, S. 273–290, mit weiteren Literaturhinweisen.
- 3Vgl. zur US-amerikanischen Kritik am Kyoto-Protokoll z.B. die Ausführungen in Richard Cooper: The Kyoto Protocol. A flawed concept, Environmental Law Reporter, 11/2001, S. 484–492.
- 4Ausführlich hierzu Biermann (Anm. 2)
- 5Vgl. Daniel Bodansky: US Climate Policy After Kyoto: Elements for Success, Carnegie Endowment for International Peace Policy Brief 15 (April), Washington DC 2002, S. 6.
- 6Vgl. Richard B. Stewart und Jonathan B. Wiener: Reconstructing Climate Policy, Washington DC 2003.
- 7Bodansky (Anm. 5), S. 1.
- 8Vgl. etwa Scott Barrett: Towards a Better Climate Treaty, AEI-Brookings Joint Center Opinion Pieces, Washington DC 2002, S. 6
- 9Vgl. etwa Vorschläge in Richard Benedick: Striking a new deal on climate change, Issues in -Science and Technology, Herbst 2001; Joseph Aldy, Scott Barrett und Robert Stavins: Thirteen plus One: A Comparison of Global Climate Policy Architectures, Regulatory Policy Program Working Paper 4/2003; Barrett (Anm. 8).
- 10Taishi Sugiyama: „Orchestra of Treaties“ Scenario for after 2012, Vortrag für den Workshop „Developing Post-Kyoto Architecture“, 5.9.2003, Hamburg. Abrufbar auf -www.-hwwa.-de/-Projekte/-Forsch_Schwer-punkte/-FS/Klima-politik/PDFDokumente/Taishi.pdf; Stewart und Wiener (Anm. 6), Bodansky (Anm. 5), und ders.: Linking U.S. and International Climate Change Strategies, Washington DC 2002.
- 11Sugiyama (Anm. 10).
- 12Vgl. Bodansky (Anm. 5)
- 13Vgl. auch Benito Müller unter Mitarbeit von John Drexhage, Michael Grubb, Axel Michaelowa und Anju Sharma: Framing Future Commitments: A Pilot Study on the Evolution of the UNFCCC Greenhouse Gas Mitigation Regime, Oxford 2003.
- 14Vgl. ausführlich hierzu Frank Biermann und Rainer Brohm: Implementing the Kyoto Protocol without the United States. The strategic role of energy tax adjustments at the border, Climate Policy, 3/2004, S. 289–302.
- 15 Ebd.
- 16Frank Biermann und Hans-Dieter Sohn: Europe and Multipolar Global Governance: India and East Asia as New Partners? Global Governance Working Paper Nr. 10, Amsterdam usw. 2004. Abrufbar auf www.glogov.org.
- 17Vgl. den Überblick in Adil Najam, Samuel Huq und Youba Sokona: Climate negotiations be-yond Kyoto. Developing country concerns and interests, Climate Policy, 3/2003, S. 221–231.
- 18Entschließung 43/53 der UN-Generalversammlung, 6.12.1988. Diskutiert in Frank Biermann: Common concern of humankind: The emergence of a new con-cept of international environmental law, Archiv des Völkerrechts, 4/1996, S. 426–481.
Internationale Politik 2, Februar 2007, S. 66 - 74.