Bedingt erneuerbar
Es scheint, als habe es erst einer massiven Versorgungskrise bedurft, damit man sich in Argentinien ernsthaft Gedanken über eine Neuausrichtung seiner Ressourcenpolitik machte. Die fußte bisher weitgehend auf teuer subventionierten fossilen Energieträgern. Gelingt jetzt der große Wurf einer nachhaltigen Strategie?
Zu den vielen Problemen, mit denen die Regierung Macri derzeit zu kämpfen hat, gesellt sich seit einiger Zeit eine massive Energiekrise. Der Energiekonsum wächst, die Produktionskapazitäten sind zu gering und die Stromnetze des Landes überdies völlig veraltet. Da der Energiesektor ein wichtiger Faktor für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes ist, wirkt sich dieses Problem enorm nachteilig auf das Wirtschaftswachstum Argentiniens aus. Bislang haben die meisten Regierungen nur zu wenig dauerhaften Mitteln gegriffen, um das Problem zu lösen. Dazu gehören Öl- und Gasimporte aus der direkten Nachbarschaft und aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens wie Katar, aber auch die Erhöhung der Energiesubventionen für die ärmeren Bevölkerungsschichten.
Um mittel- und längerfristige Lösungen auf den Weg zu bringen, hat die Macri-Regierung im April ein neues Energieabkommen mit den Provinzregierungen unterzeichnet, das die heimische Energieproduktion anregen und dem Defizit in der Handelsbilanz des Energiesektors entgegenwirken soll. Ziel ist es, einen strategischen Energieplan auszuarbeiten, der Aufgaben, Ziele und die wichtigsten Investitionsprojekte des Landes festlegt, der also Probleme lösen soll, für die man bislang keine klaren Konzepte entwickelt hatte. Um kurzfristige Engpässe in der Energieproduktion zu überbrücken, werden in diesem Abkommen die Erschließung und der Abbau von Kohlenwasserstoffen (konventioneller und nichtkonventioneller Art, On- und Offshore) und Gasen angeregt.
Die Grenzen des Förderns ausloten
Erdöl und Erdgas sind die wichtigsten Rohstoffe im Energiemix Argentiniens. Sie werden stark subventioniert und machen zusammen 86 Prozent der Gesamtversorgung aus (48,7 Prozent Gas und 36 Prozent Öl). Bis 2010 war Argentinien Selbstversorger bei Brennstoffen; seit 2011 ist das Land dagegen nach Angaben von Germany Trade & Invest wieder Nettoimporteur von Öl und Gas. Nigeria und Bolivien sind mit jeweils 93 Prozent und 7 Prozent die wichtigsten Öllieferanten; Gas bezieht Argentinien hauptsächlich aus Bolivien (41 Prozent), Trinidad und Tobago (25 Prozent), Nigeria (15 Prozent), Europa (14,7 Prozent) und Katar (4,3 Prozent).
Laut Daten der US-Energie-Informationsbehörde (EIA) verfügt Argentinien über die zweitgrößten Schiefergasreserven der Welt. Das hat die Regierung veranlasst, die Grenzen der Fördermöglichkeiten auszuloten – mit allen potenziellen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgen. So könnten Erdgas und Erdöl bald auch in Naturschutzgebieten, fragilen Ökosystemen oder Territorien abgebaut werden, in denen indigene Völker leben. Nirgendwo in Lateinamerika existieren ähnlich viele Erkundungs- und Abbauprojekte für unkonventionelle Energievorkommen wie in Argentinien: 2014 gab es bereits 500 Bohrungen in nur drei Provinzen, die wiederum 4 Prozent der Öl- und 15 Prozent der Gasproduktion des Landes ausmachten.
Um die Produktion dieser Brennstoffe zu fördern, stützt sich die Regierung auf zwei Gesetze: das Kohlenwasserstoff-Unabhängigkeitsgesetz (2012) und das Kohlenwasserstoffgesetz (2014). Zudem werden seit 2013 gezielt Unternehmen beim Ausbau ihrer Produktionskapazitäten gefördert. Daneben hat die Regierung neue Tarifverträge verabschiedet, um die Arbeitsproduktivität und letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken. Die Kosten für neue Gas- und Ölbohrungen sollen so um 3 bis 8 Prozent gesenkt werden.
Eines der Ziele des Energieabkommens betrifft die dringend notwendige Diversifizierung des argentinischen Energiesektors. So wurde bereits Ende 2015 ein Gesetz verabschiedet, das die Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen fördern soll. Erneuerbare Energien sollen bis 2018 8 Prozent und bis 2025 20 Prozent der argentinischen Gesamtproduktion ausmachen. Auf diese Weise will man innerhalb der kommenden zehn Jahre eine Produktionskapazität von 10 000 Megawattstunden aus regenerativen Energien erreichen.
Die aus Sonne, Wind, Ethanol und Biogas gewonnene Energie machte im Jahr 2015 nur 3 Prozent der gesamten Energieproduktion aus. Argentinien verabschiedete daraufhin den so genannten Renovar-Plan, der öffentliche Ausschreibungen für Projekte im Bereich regenerative Energien beinhaltete und die Produktionskapazität um 2400 Megawattstunden ausbaute. Davon entfallen 60,8 Prozent auf Windenergie, 37,7 Prozent auf Solarenergie, 0,6 Prozent auf Biomasse, 0,5 Prozent auf Wasserkraft und 0,4 Prozent auf Biogas.
Ermöglicht wurden diese Vorstöße durch einen Haushaltsüberschuss von 1,7 Milliarden Dollar im Jahr 2016 und die dreistufige finanzielle Absicherung von Projekten, die unter dem Renovar-Plan durchgeführt wurden: durch den Fonds für die Entwicklung erneuerbarer Energien, durch die Regierung und durch die Weltbank.
Ausgesprochen unausgeglichen
Dennoch entpuppt sich der Energiehaushalt Argentiniens bei genauerer Betrachtung als ausgesprochen unausgeglichen: Für jeden Dollar, der für den Ausbau regenerativer Energien und für Energieeffizienz bereitgestellt wird, fließen 160 Dollar in die Energiegewinnung durch fossile Brennstoffe und ihre Subventionierung. Und das, obwohl 43 Prozent der argentinischen Treibhausgasemissionen vom Energiesektor verursacht werden. Ebenfalls rund die Hälfte der Emissionen entfallen auf die Landwirtschaft, die für mehr als 60 Prozent der argentinischen Exporte steht. Intensive landwirtschaftliche Nutzung ist seit Langem einer der Haupttreiber für Entwaldung. Dass die Regierung nur eine Woche nach ihrem Amtsantritt die Abschaffung von Ausfuhrgebühren für einige Produkte und den schrittweisen Abbau von Exportsteuern auf Soja ankündigte, war für die Landwirte eine gute Nachricht – für die Umwelt taugt diese Maßnahme nur bedingt.
Im Rahmen des internationalen Klimaschutzübereinkommens, das im Dezember 2015 in Paris unterzeichnet wurde, hat sich Argentinien dazu verpflichtet, seine Emissionen um 15 Prozent zu senken. Dieses Ziel will es vor allem mithilfe von Atomenergie und durch den Bau von Staudämmen erreichen, also durch zwei Methoden der Energiegewinnung, die nach Artikel 2 des argentinischen Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht in die Kategorie der regenerativen Energien fallen. Die Errichtung zweier Staudämme, des Néstor-Kirchner-Damms und des Portezuelo del Viento, sowie der Bau eines neuen Atomkraftwerks sind von besonderer Bedeutung.
Wasserkraft trug bisher knapp 10 Prozent zum argentinischen Energiemix bei, Atomkraft machte rund 2 Prozent aus. Doch Atomenergie ist teuer, gerade im Vergleich zu erneuerbaren Energien und Kohlenwasserstoff. Dazu kommen Sicherheitsprobleme und die ungelöste Frage der Entsorgung des nuklearen Abfalls. Bei der Wasserkraft dagegen verfügt Argentinien über ein nicht zu unterschätzendes Potenzial, das bisher nur zu einem Drittel ausgeschöpft ist. Doch auch die Wasserkraft hat ihre Schattenseiten. Immer wieder wurden durch den Bau von Staudämmen bleibende ökologische, wirtschaftliche und soziale Schäden verursacht.
Die meisten der geplanten Bauprojekte, nämlich mindestens drei Staudämme (Chihuido, Tambolar, Néstor-Kirchner-Damm) und ein Atomkraftwerk (Atucha IV), werden von chinesischen Finanzinstitutionen mitgetragen. Dabei bildet die Fertigstellung des Néstor-Kirchner-Staudamms und des Jorge-Cepernic-Damms – ungeachtet der massiven ökonomischen und umwelttechnischen Bedenken – die Voraussetzung für die Finanzierung anderer Projekte, die zum großen Teil ihrerseits von internationalen Investoren abhängig sind.
Wenn es darum geht, bei der Ausrichtung des Energiesektors ökologische Faktoren mit einzubeziehen, dem Klimawandel zu begegnen und generationenübergreifend nachhaltig zu handeln, dann wirkt die Politik der argentinischen Regierung alles andere als konsistent. Dringliche Probleme geht sie mit kurzfristigen Lösungen an, zufriedenstellende langfristige Planungshorizonte hat sie bislang nicht vorlegen können. Auch wenn die mangelnde Fähigkeit, heute schon an übermorgen zu denken, den vergleichsweise kurzzeitigen Legislaturperioden der Demokratie generell geschuldet sind, lässt sich doch eines feststellen: Dieser Mangel ist in Argentinien traditionell besonders ausgeprägt.
María Marta di Paola ist Wirtschaftsexpertin bei der Umweltorganisation FARN in Buenos Aires.