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01. März 2017

Auswärtsschwach

Zu klein, zu arbeitsintensiv, zu wenig produktiv: Italiens Unternehmen sind gut darin, den heimischen Markt zu bedienen, doch global stoßen sie oft an ihre Grenzen. Und das ist nur eines der Probleme, die der Wirtschaft des Landes zu schaffen machen. Immerhin: Zuletzt ging es vorsichtig aufwärts – auch in der Handelsbilanz.

Dass Italien in mancherlei Hinsicht ein gespaltenes Land ist, ist nichts Neues. Das gilt auch und besonders für die Volkswirtschaft. Auf der einen Seite ein prosperierender und industriell geprägter Norden, auf der anderen Seite ein schwacher und stagnierender Süden. Nicht wenige Beobachter vertreten die Ansicht, dass das Land nur durch Geldtransfers aus Brüssel über die Jahrzehnte einigermaßen zusammengehalten werden konnte.

Mit der Währungsintegration und der Osterweiterung der EU verschoben sich in den neunziger Jahren die Handlungsoptionen: An die Stelle der direkten Transfers trat im Vorfeld der Währungsunion die so genannte Zinskonvergenz: Die traditionell hohen Zinsen gingen angesichts der Erwartung, dass Italien bald zur Währungsunion gehören würde, stark zurück und entlasteten so den Staatshaushalt. Allerdings versäumte es Italien, das auszunutzen, um im Rahmen seiner Möglichkeiten die Staatsschulden abzubauen. Nichtsdestotrotz wurde das Land mit einer Staatsschuldenquote von über 100 Prozent bereits 1999 in die Währungsunion aufgenommen; heute liegt die Quote bei 135 Prozent.

Die politische Unfähigkeit oder der mangelnde Wille, die Staatsfinanzen zu sanieren und Reformen auf der Angebotsseite auf den Weg zu bringen, rächte sich vollends, als nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 eine besondere Anpassungsfähigkeit der Volkswirtschaft gefragt war. Plötzlich erkannte man, was es in einer Währungsunion für Folgen hat, wenn der schnelle und scheinbar bequeme Ausweg einer Abwertung nicht zur Verfügung steht. Denn das war für Italien lange ein probates Mittel: bei gesunkener Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung der eigenen Währung kurzfristig die Exportchancen zu erhöhen – ohne binnenwirtschaftliche Anpassungen.

Schon die europäische Währungskrise im Jahr 1992 war im Grunde ein massives Misstrauensvotum der Kapitalmärkte gegenüber der italienischen Haushaltspolitik. Von 1992 bis 1995 wertete die Lira gegenüber der D-Mark um über 40 Prozent, gegenüber dem Dollar um 30 Prozent und gegenüber dem ebenfalls schwächelnden britischen Pfund um immerhin 20 Prozent ab. Das hatte zwei bedeutsame Folgen: Die industriellen Arbeitskosten sanken auf das niedrigste Niveau unter den westlichen Industriestaaten. Und die Politik reagierte endlich, indem sie eine Haushaltsstabilisierung einleitete und neuen Lohnschüben vorbeugte, sodass die Effekte der Abwertung nicht durch Inflation aufgezehrt wurden.

1992 vereinbarten Regierung und Sozialpartner einen Ausstieg aus der automatischen Inflationsanpassung der Löhne. Mit der „konzertierten Aktion“ entstand nach deutschem Vorbild ein neuer Rahmen für die Tarifbeziehungen. Schon ein Jahr später wies die Handelsbilanz, die seit den siebziger Jahren chronisch defizitär war, einen beachtlichen Überschuss auf; hinter Japan und Deutschland verzeichnete Italien das drittgrößte Handelsplus. Über die Stabilisierung der Staatsquote und eine Reduzierung der Defizitquote in den einstelligen Bereich wurde der Weg in die Währungsunion wieder glaubwürdig.

Die Achillesfersen der italienischen Ökonomie

Die italienische Handelsbilanz blieb bis 2004 im Plus. Träger des Exportbooms waren die traditionellen Industriebranchen wie Holzverarbeitung, Möbel, Schmuck, Textil, Leder und Bekleidung sowie Spezialausrüster, deren Unternehmensgrößen in der Regel überschaubar sind. Branchen mit hohem Anteil an Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen dagegen wiesen erhebliche Außenhandelsdefizite auf. Ebenso schwer taten sich Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe so genannte Skaleneffekte, also Kostenvorteile durch höhere Produktionsmengen, erzielen. Bedenklich war aber vor allem, dass innovative Branchen auf den Weltmärkten keinen Überschuss erwirtschaften konnten.

All das rührt daher, dass die positive Wende in der Handelsbilanz ab 1993 durch eine abwertungsbedingte Korrektur der Arbeitskosten begründet war – ein Faktor, der für Hochtechnologiebranchen mit hoher Produktivität weniger bedeutsam ist. In Italien spielen Branchen mit hoher Arbeitsintensität und geringerer Produktivität traditionell eine größere Rolle als in anderen Industrieländern. Noch in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre arbeiteten in Italien zwei Drittel aller Industriebeschäftigten in Unternehmen mit geringem Technologiegrad; in den übrigen G7-Staaten lag dieser Anteil bei rund der Hälfte.

Die positive Entwicklung der italienischen Handelsbilanz war Ausdruck einer angebotsseitigen Anpassung. Sie konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirtschaft des Landes weiterhin unter einer Reihe von grundlegenden Problemen zu leiden hatte. Besonders zwei Achillesfersen sind es, die Italiens Ökonomie bis heute zu schaffen machen: zum einen die nicht nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen, zum anderen das Erbe des Strukturwandels. Dieses Erbe sollte sich deshalb als so wirkungsmächtig erweisen, weil es nicht nur in Geschäftsmodellen oder Unternehmensstrategien, sondern auch in der Größenstruktur der Unternehmen verankert ist.

So gibt es in Italien heute knapp 1,5 Mal so viele Unternehmen in der gewerblichen Wirtschaft wie in Deutschland; der Anteil von Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten ist dagegen in Deutschland fast 3,5 Mal so hoch. Auch im verarbeitenden Gewerbe liegt die durchschnittliche italienische Unternehmensgröße bei nur 25 Prozent des deutschen Niveaus. Interessanterweise hat sich seit den fünfziger Jahren die Bedeutung der kleineren Unternehmen mit unter 100 Beschäftigten erhöht. Anfang der neunziger Jahre lag ihr Anteil bei rund 68 Prozent. Ein wesentlicher Grund für die Größenstruktur war das restriktive Arbeitsrecht (Kündigungsschutz, Arbeitszeitgestaltung, Gewerkschaftseinfluss), das kleineren Unternehmen entsprechende Freiräume eröffnete, die aufzugeben wenig ratsam war. Der Arbeitskostenvorteil der kleineren Unternehmen gegenüber den großen lag immerhin bei rund 25 Prozent.

Der Erfolg kleinerer Industrieunternehmen gründete auf ihrer flexiblen Anpassung der Produkte und Dienstleistungen an technische Neuerungen sowie an die Präferenzen der Kunden. Das war für den heimischen Markt mit großer Kundennähe bedeutsam und sicherte entsprechende Geschäftserfolge. Für europäische oder gar globale Märkte war dies hingegen nicht ausreichend, weil das notwendige Kapital nicht mobilisierbar und die Skalierbarkeit, also die dynamische mengenmäßige Ausweitung des Geschäftsmodells, begrenzt war.

Gut getarnte Strukturprobleme

Der Mangel an innovativen und expansionsfähigen Unternehmen war durch die Abwertung der Jahre 1992 bis 1995 nicht auszugleichen; gewonnen haben dadurch nur jene Sektoren, die ohnehin schon stark waren. Ein Schub im Strukturwandel kommt allerdings nicht durch eine allgemeine Absenkung der Exportpreise und eine Erhöhung der Importpreise zustande. Diese Anfälligkeit der italienischen Wirtschaft blieb aber lange gut getarnt.

Doch bereits seit 2007 und durch die Weltwirtschaftskrise 2008/09 noch befeuert verlangsamte sich das Wachstum spürbar. Diese schwere Krise ist in Italien noch lange nicht überwunden, das nominale Pro-Kopf-Einkommen sank von 40 640 Dollar im Jahr 2008 auf 29 958 Dollar im Jahr 2015. Nach drei Jahren der Schrumpfung stieg das Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen beiden Jahren zwar an, blieb aber mit jeweils 0,75 Prozent weiter schwach. Seit der Krise verharrt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Gesamtwirtschaft bei 15,5 Prozent, während es 1995 noch bei fast 21 Prozent lag. Der Verlierer des volkswirtschaftlichen Strukturwandels in Italien war die Industrie, der Gewinner das Dienstleistungsgewerbe, das über 6 Prozentpunkte hinzugewann.

Unter den Industriebranchen gehört insbesondere der Maschinen- und Anlagenbau zu den Leidtragenden des Strukturwandels, die chemische Industrie dagegen konnte ihre Bedeutung steigern; die Automobilbranche hat sich nach einigen schwierigen Jahren zuletzt wieder stabilisiert. Besonders im Vergleich von Maschinenbau und Chemie zeigen sich die Folgen der für Italiens Wirtschaft charakteristischen Größenstruktur. Denn die Außenhandelsverluste des Maschinenbaus dürften darauf zurückzuführen sein, dass wir es hier zu einem guten Teil mit mittleren und kleinen Firmen zu tun haben, während in der chemischen Industrie aufgrund der Prozessketten auch in Italien eher größere Unternehmen dominieren.

Immerhin gelang es, die lange Zeit defizitäre Handelsbilanz in den vergangenen Jahren ins Positive zu wenden und die Überschussposition auszubauen. Dabei liegen die Exporte noch immer unter dem Niveau von 2008, während die Importe nahezu auf das Niveau von 2005 zurückgegangen sind. Das spiegelt zum einen die schwache Entwicklung der Pro-Kopf-Einkommen wider. Zum anderen ist es Ausdruck der Bemühungen, aus der Staatsschuldenkrise heraus Arbeitsmarktreformen auf den Weg zu bringen und sich wieder in Lohnzurückhaltung zu üben. Nach dem Ausscheiden Silvio Berlusconis aus der Regierungsverantwortung im November 2011 ist eine neue Phase dringend gebotener Reformen eingeleitet worden. So ist die Arbeitslosenquote 2014 erstmals seit 2007 wieder zurückgegangen, liegt aber immer noch über 10 Prozent; die Zahl der Erwerbstätigen ist seit 2013 leicht gestiegen. Die Lohnstückkosten orientieren sich seit 2013 wieder stärker an der Produktivität und haben sich nach einem fast 12-prozentigen Anstieg nach 2007 wieder stabilisiert.

Haupthandelspartner Italiens bleibt Deutschland: Fast 16 Prozent der Importe kommen von dort; fast 13 Prozent der Exporte gehen dorthin. Die bilateralen Handelsbeziehungen sind in beiderlei Richtung durch Maschinen- und Anlagebauer sowie den Automobilsektor geprägt. Zweitwichtigster Handels­partner ist Frankreich, wenn auch mit deutlichem Abstand. Während aus China fast 8 Prozent der Importe kommen und das Land damit auf Rang drei steht, spiegelt sich das nicht auf der Ausfuhrseite. Vom Boom Chinas konnte die italienische Wirtschaft nicht in nennenswertem Maße profitieren. Zwar ist der Bedarf nach Automobilen, nach Industriegüter- und Infrastrukturinvestitionen im Reich der Mitte groß – die Neigung, diese Güter aus Italien zu beziehen, aber offenkundig gering.

Prof. Dr. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt 1, März - Juni 2017, S. 24-27

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