Arabische Liga
Gegen den Strich
Die Arabische Liga ist ein bisschen der Buhmann der internationalen Beziehungen. Sie wird dafür verlacht, zerstritten und ineffizient zu sein; schließlich bekriegen sich ihre Mitglieder nicht nur ständig, sie treiben noch nicht einmal Handel miteinander: nur 2,5 Prozent arabischer Ausfuhren gehen in arabische Länder. Dabei ist die Liga besser als ihr Ruf.
Arabische Liga ist gleich Panarabismus
Falsch. Vielmehr hat die Arabische Liga ein Marketingproblem: Aufgrund ihres Namens entsteht der Eindruck, ihr Hauptziel sei die Schaffung eines panarabischen Staates, so wie er 1919 von Faisal, dem späteren König des Irak (1921–1933), erträumt wurde, und damit tut sie sich ganz offensichtlich schwer. Nach 69 Jahren und sieben Einigungsversuchen gibt es den panarabischen Superstaat nämlich immer noch nicht.
Und dennoch: Ganz stimmt das so nicht. Die Liga entstand zwar zu einer Zeit, als der Panarabismus sehr populär war, aber ihr Auftrag geht eher in die gegenteilige Richtung. Der vollständige Name – „Liga der Arabischen Staaten“ – macht das deutlich: Die Liga erkennt die unabhängigen arabischen Staaten so an, wie sie sind, und hat sich der Bewahrung ihrer Souveränität verschrieben, nicht ihrer Auflösung. In den ersten Vorgesprächen zur Schaffung einer arabischen Organisation 1944 stimmten nur die irakische und die syrische Delegation für einen panarabischen Superstaat, doch die Vertreter der anderen fünf Länder (Nordjemen, Saudi-Arabien, Libanon, Transjordanien, Ägypten) wollten lieber unabhängig bleiben.
Die Liga wurde also als Strohmann des Arabismus geboren, während sie die Interessen unabhängiger Staaten vertritt, die wiederum solche Einigungsbewegungen als Bedrohung empfinden. Nirgends in der Charta steht etwas von einer einzigen arabischen Nation; dafür sind gleich drei Artikel der Unabhängigkeit der Mitgliedstaaten und dem Nichteinmischungsgebot gewidmet. Mit anderen Worten: Die Liga gleicht dem Scheinriesen aus Jim Knopf – aus der Ferne wirkt sie wie eine Organisation, die ein Gegenstück zur Europäischen Union schaffen soll, doch wenn man ihr näher kommt, erkennt man, dass ihr Mandat doch sehr bescheiden ist, nämlich die „Beziehungen der Mitgliedstaaten zu verbessern, Zusammenarbeit zu fördern und ihre Unabhängigkeit zu schützen“ – also genau das Gegenteil der Schaffung eines panarabischen Superstaats.
Der Panarabismus ist tot
Au contraire: Es lebe der Panarabismus! Nicht nur gilt die Liga als mehr schlechte denn rechte Vertreterin des Panarabismus – die Bewegung an sich wird schon seit Jahrzehnten totgesagt. Seit den Niederlagen der arabischen Staaten gegen Israel 1967 und 1973, dem Tod Nassers 1970 und dem Auftauchen des Panislamismus heißt es, der Panarabismus habe als politisches Projekt ausgedient. Die ständigen Streitereien arabischer Staaten gelten als Beweis dafür: wiederholte Drohungen des Irak gegen Kuwait, Algeriens Nichtanerkennung marokkanischer Besitzansprüche in der Westsahara, Syriens Auffassung, der Libanon sei ohnehin syrisch – sie sind nur ein paar Beispiele für innerarabisches Gerangel.
Dabei wird aber übersehen, dass der Panarabismus seit jeher eine populäre Bewegung war, nie eine der staatlichen Eliten – und als solche existiert er nach wie vor. Der katarische Fersehsender Al-Dschasira hat das als Erster erkannt und einen Nachrichtenkanal aufgebaut, der mit seinem Programm alle 350 Millionen Arabisch sprechenden Zuschauer anspricht. Studien zufolge geben 79 Prozent der Araber an, dass die Araber ein Volk sind. 75 Prozent befürworten mehr arabische Integration und Zusammenarbeit, 79 Prozent wollen eine arabische Freihandelszone, 80 Prozent freien Personenverkehr (bis auf ein paar Ausnahmen benötigen fast alle arabischen Bürger ein Visum, wenn sie in ein anderes arabisches Land reisen wollen), 72 Prozent sind für die Einführung einer arabischen Währung und 71 Prozent für die Einführung eines gemeinsamen arabischen Militärs.
Als politisches Superprojekt hat der Panarabismus vielleicht ausgedient, doch als Referenz für politische Entscheidungen spielt er nach wie vor eine Rolle. Nicht umsonst hat Sheich Hamad bin Chalifa al-Thani von Katar in seiner Abdankungsrede 2013 vier Mal das Wort „arabisch“ verwendet, doch nur drei Mal „Katar“. Wer als arabischer Führer überleben will, das haben die Beispiele von Anwar as-Sadat, dem irakischen Premierminister Nuri as-Said und König Abdallah I. von Jordanien gezeigt, muss zum Panarabismus zumindest ein Lippenbekenntnis abgeben. Hauptproblem der Arabischen Liga sind also nicht ihre innerstaatlichen Streitereien, sondern dass sie einen Status quo verkörpert, den viele arabische Bürger so nicht wollen. Jede politische Bewegung, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Region populär war, stellt das aktuelle Staatensystem infrage und nährt Träume von einem größeren, Faisal’schen Konstrukt, sei es Panarabismus, Panislamismus, Kommunismus oder Baathismus. Staatlicher arabischer Nationalismus, so wie die Liga ihn versinnbildlicht, hat längst nicht die gleiche Zugkraft.
Die Liga ist reich, aber ineffizient
Nicht so ganz. Eher schon stimmt die Devise „billig, aber auch nicht effizient“. Viel wird geschrieben über europäische Sparmaßnahmen, dabei ist die Arabische Liga schon seit Langem die internationale Organisation mit dem kleinsten Budget und den größten Ambitionen überhaupt. Wo die Europäische Union 23 000 Mitarbeiter hat, hat die Liga gerade mal 1000; die EU hat ein Budget von 142 Milliarden Euro pro Jahr, die Liga gerade mal 48 Millionen Euro – das sind 10 Prozent dessen, was dem jüngst gegründeten Europäischen Auswärtigen Dienst zur Verfügung stehen. Die Liga unterhält damit ihr Generalsekretariat in Kairo und 24 Auslandsmissionen (zum Vergleich: Die EU hat 126). Zusätzlich gibt es 26 Sonderorganisationen, die zur Liga gehören, zum Beispiel die Arabische Arbeitsorganisation oder die Arabische Satelliten-Kommunikations-Organisation.
Die Liga führt seit 1995 Wahlbeobachtermissionen durch, obwohl sie weder die Mittel noch die Expertise oder das Mandat hat; sie hat ein Krisenzentrum aufgebaut, um Krisen besser vorhersagen und managen zu können, und will in Zukunft humanitäre Hilfe besser koordinieren. Als in Libyen der Krieg ausbrach, war es die Arabische Liga, die nach einer Flugverbotszone rief und ihren Mitgliedstaaten das Mandat erteilte, militärisch gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi vorzugehen. In Syrien hat die Liga erst einen Waffenstillstand ausgehandelt und dann eine Beobachtermission ins Land geschickt, um dessen Einhaltung zu überprüfen. Als die Beobachter beschossen wurden, zogen sie aus Protest ab – mehr hat auch die EU im Bosnien-Krieg nicht zustande gebracht. Libyen und Syrien wurden als Mitglieder suspendiert – das erste Mal in der Geschichte der Liga aufgrund von Menschenrechtsvergehen.
Zwei Drittel ihres Budgets wird von einem Drittel ihrer Mitglieder geschultert: 14 Prozent von jeweils Saudi-Arabien und Kuwait, 12 Prozent von Libyen, 10 Prozent vom Irak, 8,5 Prozent von Ägypten, 6,5 Prozent von den Vereinigten Arabischen Emiraten und 5 Prozent von Marokko. Leider ist es um die Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten nicht immer gut bestellt; angeblich sollen sich Rückstände in Höhe von 100 Millionen Euro angesammelt haben. Mit dem wenigen Geld, das der Arabischen Liga zur Verfügung steht, versucht sie, ihrem Auftrag doch gerecht zu werden – und macht es besser, als viele sagen.
Von gemeinsamen Positionen der Liga kann nicht die Rede sein
Das stimmt nicht. Die Liga ist nicht so uneins, wie man heute oft denkt. Es gab einmal eine Zeit, da kam man um die Arabische Liga nicht herum. 1961 tönte der irakische Premierminister Abdel al-Karim Kassem mal wieder, Kuwait sei ja kein unabhängiger Staat – flugs schickte Großbritannien 5000 Mann zum Schutz des Golf-Staates, doch der Liga gefiel das nicht. Sie schickte 4000 Soldaten – Saudis, Ägypter, Jordanier und Sudanesen – hinterher und machte klar: Das hier ist eine arabische Sache. Die Briten gingen, Kassem wurde später gestürzt. Die Truppe blieb bis 1963, und eine irakische Invasion war erst einmal vertagt.
1964 einigten sich die arabischen Staaten darauf, eine gemeinsame Israel-Politik zu entwickeln, was in den sogenannten „Drei Nein“ der Khartum-Resolution gipfelte: kein Frieden mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Verhandlungen mit Israel. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) wurde auf dem Gipfel der Liga 1964 ins Leben gerufen – bis dahin hatten Jordanien und Ägypten behauptet, im Namen der Palästinenser zu sprechen; 2002 legte die Liga die Arabische Friedensinitiative vor, die Israel im Gegenzug für einen palästinensischen Staat volle Anerkennung durch alle ihre Mitglieder zusichert. Obwohl Israel nie geantwortet hat, hält die Liga nach wie vor an dem Angebot fest. Als erste Organisation schickte die Liga 1976 eine Friedenstruppe von 30 000 Mann in den vom Bürgerkrieg zerrissenen Libanon (Syrien blieb, nachdem das Mandat 1982 abgelaufen war). Wie erfolgreich diese Politik war, ist eine andere Frage, aber Einigkeit war nicht das Problem – zumindest nicht, bis Anwar as-Sadat einen separaten Frieden mit Israel schloss und damit das arabische Gerüst ins Wanken brachte.
Arabische Streitereien erreichten 1990 ihren Höhepunkt, als sich die Liga nicht einig war, wie mit der irakischen Invasion Kuwaits umzugehen sei. 2001 war der Friede jedoch wieder hergestellt: Alle arabischen Staaten unterstützten die saudische Friedensinitiative in Sachen Israel, 2003 verurteilten außer Kuwait alle arabischen Staaten die amerikanische Invasion des Irak und 2006 den israelischen Angriff auf den Libanon. Vor kurzem stimmten alle arabischen Staaten für eine Resolution, die die Mitglieder auffordert, gegen islamistischen Terrorismus zu kämpfen, und das „mit allen Mitteln“.
Die Liga kann nur handeln, wenn sie einig ist
Falsch. Es geht um die Mehrheit, nicht um eine Einigkeit. Die Charta der Arabischen Liga sieht vor, dass Entscheidungen einstimmig getroffen werden sollen – wie auch die der EU und der NATO. Doch enthält sie eine Klausel, die die der beiden anderen Organisationen nicht haben. Diese sieht vor, dass Mehrheitsbeschlüsse dennoch möglich sind, aber nur für die Staaten Gültigkeit haben, die dafür gestimmt haben. 2011 gab es diesen Fall gleich mehrfach: Eine Militäraktion gegen Libyen zu unternehmen, Libyens und später Syriens Mitgliedschaft zu suspendieren, Sanktionen gegen das Assad-Regime zu verhängen – all diese Entscheidungen waren Mehrheits- und nicht Einheitsbeschlüsse.
Von 22 Staaten haben im Schnitt 18 zugestimmt, doch das hat die Arabische Liga nicht daran gehindert, voranzuschreiten. Die Liga schlug Assad einen Friedensplan vor und schickte eine Beobachtergruppe – allerdings ohne Erfolg. Auch militärisch ist die Liga wieder da: 2011 flogen Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate gemeinsam mit der NATO Luftangriffe auf Libyen, 2014 attackierten die Ägypter und die Emirate islamistische Stellungen im Osten des Landes, und gemeinsam mit Saudi-Arabien, Katar und den Emiraten wird momentan der Islamische Staat in Syrien und im Irak bombardiert.
Überhaupt sind arabische Staaten flexibler in der Bildung subregionaler Allianzen, als man gemeinhin denkt. Der Golf-Kooperationsrat zum Beispiel, in dem Oman, Saudi-Arabien, Katar, Bahrain, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate seit 1981 verbandelt sind, macht langsame, aber sichere Fortschritte. Im Dezember 2014 lancierten die Ratsmitglieder eine Verteidigungsstruktur, die ähnlich wie die NATO funktionieren wird. Die Arabische Maghreb-Union liegt dank des Streites zwischen Marokko und Algerien brach – doch dafür steht Rabat den anderen arabischen Monarchien der Region nahe, Jordaniens und denen im Golf. Wirtschaftliche und politische Integration wird vielleicht nicht mehr mit allen gleichzeitig stattfinden, aber die Marschrichtung ist aufgezeigt. Der panarabische Superstaat, von dem Faisal sprach, ist weiter Zukunftsmusik – aber die Arabische Liga hat ihr letztes Wort noch nicht gesprochen.
Dr. Florence Gaub arbeitet am EUISS (Europäische Union Institut für Sicherheitsstudien) in Paris vor allem zur arabischen Welt.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2015, S. 76-80