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01. Mai 2021

Alle Außen- ist auch Klimapolitik

Die Bundesregierung muss den Mut haben, die Themen Klima und Umwelt konsequent in ihr politisches und wirtschaftliches Außenhandeln einzuflechten.

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Bild: versiegende Wasserstelle in Simbabwe
Es ist höchste Zeit zum politischen Handeln, längst schon beeinflusst der Klimawandel das Leben auf der Erde massiv. In Simbabwe versuchen Menschen, Wasser aus einer versiegenden Quelle zu schöpfen.
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Es sind die grenzenlosesten Herausforderungen unserer Zeit: die globale Erderwärmung und die Frage, welche Maßnahmen den Klimawandel bremsen und seine unumkehrbaren Folgen eindämmen können. Dass Klimapolitik auch Außenpolitik ist, liegt somit auf der Hand. Doch obwohl wir die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels in den vergangenen Jahrzehnten immer besser verstanden haben, hat sich dieses Bewusstsein zu selten in wirksamer internationaler Politik ausgedrückt. Staaten mit internationalem Gestaltungsanspruch tun also gut daran, eine kohärente Klima-Außenpolitik zu formulieren, die gemeinsam mit Dritten zielgerichtet auf das Erreichen des Zwei-Grad-Ziels hinarbeitet.



Von diesem Anspruch ist die Bundesrepublik ein gutes Stück entfernt. Bisherige Initiativen waren zu eng ausgerichtet oder scheiterten an den politischen Realitäten. So waren die klimapolitischen Pläne für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 ambitioniert, wurden jedoch von den Brexit-Verhandlungen und der Corona-Pandemie durchkreuzt. Auch im UN-Sicherheitsrat initiierte Deutschland im Rahmen seiner Mitgliedschaft 2019/2020 eine wichtige Diskussion zum Klimawandel als Sicherheitsrisiko. Eine Resolution zur strategischen Befassung des Gremiums mit diesem Thema wurde jedoch von anderen Ratsmitgliedern blockiert.



Einen der sichtbarsten Impulse zur Verknüpfung von Klimawandel und Außenpolitik setzte Außenminister Heiko Maas im Juni 2019, als er in einem Namensartikel mit den Leitern des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Klimaschutz als „Imperativ“ deutschen Handelns in der Welt deklarierte. Ein Bericht des Auswärtigen Amtes zur Klima-Außenpolitik, der Handlungsfelder definiert und fordert, dass der Klimawandel „in Zukunft bei allen Aspekten unserer auswärtigen Beziehungen mitgedacht werden“ muss, folgte im selben Jahr.



Beim genaueren Hinsehen wird jedoch klar, dass das Denken über Klima und Umwelt im Auswärtigen Amt stark vom Zusammenhang zwischen Klimawandel und internationaler Sicherheit getrieben ist – aus gutem Grund. Trockenheit, Temperaturanstieg und Wetterextreme verschärfen Nahrungsmittelengpässe, fördern Flucht- und Migrationsbewegungen, befeuern bestehende sozio-politische Spannungen und wirken somit als Bedrohungsmultiplikatoren. Schätzungen zufolge lässt der Klimawandel in den kommenden Jahren allein auf dem afrikanischen Kontinent die Anzahl der Konflikte um rund 50 Prozent ansteigen. Dass präventive Außenpolitik sich mit Klimafragen befassen muss, steht somit außer Frage.



Doch der Klimawandel fordert die deutsche Außenpolitik auch jenseits des Komplexes „Frieden und Sicherheit“. Erstens wird die Bundesrepublik ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nur aufrechterhalten können, wenn sie selbst in die Produktion nachhaltiger Güter investiert, gleichzeitig entsprechende Lieferketten ausbaut und die Nutzung klimafreundlicher Technologien weltweit fördert. Klima-Außenpolitik ist also auch Außenwirtschaftspolitik. Zweitens ist zu erwarten, dass eine ambitionierte Klimapolitik in absehbarer Zeit zur „harten Währung“ in der internationalen Politik wird. Als Land, das seine Soft Power bislang unter anderem aus dem Bau schneller Autos zieht, muss Deutschland zukünftig grüne Bestseller produzieren und Klimavorreiter werden, um seine internationale Strahlkraft zu behalten. Klima-Innen- und -Außenpolitik sind hier untrennbar miteinander verwoben.



Nicht zuletzt werden Klima- und Umweltfragen die geopolitischen Realitäten der Zukunft beeinflussen oder gar bestimmen. Es ist anzunehmen, dass die traditionell einflussreichen Petrostaaten an globalem Gewicht einbüßen, während Zulieferer und Produzenten nachhaltiger Produkte – Stichwort „green tech“ – an relativer Macht gewinnen werden. Entsprechend wird sich das internationale Mächtespiel verändern. Es liegt im deutschen Interesse, diese Entwicklung nicht bloß über sich ergehen zu lassen, sondern sie aktiv mitzugestalten.



Klima-Außenpolitik umfassend denken

Klima-Außenpolitik betrifft also nahezu alle Bereiche des deutschen Außenhandelns. Ihr muss ein breiter Ansatz zugrunde liegen, der die relevanten Akteure in Deutschland vernetzt und koordiniert. Um Klima-Außenpolitik umfassend zu denken und umzusetzen, müssen Entscheiderinnen und Entscheider auf mindestens vier Ebenen tätig werden: im globalen multilateralen Rahmen basierend auf den Zielen des Pariser Klimaabkommens, in plurilateralen Formaten unter Beteiligung einzelner Staaten, in bilateralen Beziehungen und bei der innenpolitischen Konfiguration deutscher Klima-Außenpolitik.



Das Pariser Klimaabkommen bildet das Fundament für die deutsche Klimapolitik nach innen und außen. Außenpolitisches Handeln, Entwicklungszusammenarbeit oder globale Handelsbeziehungen dürfen die Pariser Ziele nicht verletzen oder deren Umsetzung behindern. Wo immer möglich, sollte auf eine gestärkte Verbindlichkeit der Ziele hingewirkt werden, damit Verstöße geahndet und mit konkreten Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft sanktioniert werden können. Ein Durchbruch wäre es hierbei, Macht und Einfluss im multilateralen System, beispielsweise in Form von Stimmrechten in internationalen Organisationen, auch an der Güte der jeweiligen nationalen Klimapolitik auszurichten. Dies wäre ein Anreiz für Staaten, ambitionierte Selbstverpflichtungen zu formulieren und einzuhalten.



Im Gegensatz zu solch weitreichenden Reformen sind andere klimapolitische Neujustierungen für multilaterale Organisationen womöglich leichter umzusetzen. So wie die Europäische Entwicklungsbank ihre Tätigkeit vollkommen am Pariser Klimaabkommen orientiert, sollten auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank ihre Kreditvergabe an die Einhaltung von Klimazielen koppeln. Eventuell birgt die Krise der WTO auch die Chance, die Organisation auf ein klimafreundlicheres Fundament zu stellen. Die EU-Idee eines CO2-Grenzausgleichssystems, das für die Einfuhr von Waren aus Drittstaaten eine CO2-Steuer erhebt, zeigt, dass das Paradigma vom „Freihandel um jeden Preis“ einem Ansatz weichen kann, der Umwelt und Klima mitdenkt.



Doch die Zeit drängt. Maßnahmen für die in den kommenden Jahren notwendige Einsparung von CO2-Emissionen werden wohl kaum im multilateralen Miteinander von knapp 200 Staaten verhandelt und umgesetzt werden. Zu diesem Zweck braucht es zusätzliche Anstrengungen in kleineren, agileren Formaten plurilateraler Zusammenarbeit – nicht zuletzt, weil lediglich eine Handvoll Emittenten den Großteil des Kohlenstoffausstoßes verursacht. Hier sollte die deutsche Klima-Außenpolitik vorangehen und genau diese Staaten, allen voran China, die USA, Indien und Russland, einbinden – auch wenn dies mit einigen leichter gelingen wird als mit anderen. Deutschland sollte seinen G7-Vorsitz 2022 nutzen, um mit den anderen sechs Mitgliedern Maßnahmen zu ergreifen, die über die Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen hinausgehen oder diese schneller umsetzen.



Entschiedenes Handeln der großen Industriestaaten wäre ein wichtiges Signal für aufstrebende Emittenten und Schwellenländer. Mit diesen gilt es in Koalitionen der Willigen zusammenzuarbeiten. Sogenannte Klima- Klubs böten hier einen Ausweg aus dem Trittbrettfahrer-Problem, wonach einzelne Staaten sich scheuen, in den Klimaschutz als Allgemeingut zu investieren, weil auch andere davon profitieren und sie so unverhältnismäßig belastet würden. Mitglieder eines Klima-Klubs würden sich gemeinsam auf Klimaziele einigen und untereinander exklusive Güter wie Technologie oder finanzielle Unterstützung gewähren und austauschen – alles Anreize, Klubmitglied zu werden und sich an die entsprechenden Regeln zu halten.



Die von Deutschland und Frankreich initiierte Allianz für den Multilateralismus wäre ein möglicher Ausgangspunkt für einen Klima-Klub. Besonders attraktiv ist hierbei, dass sie auch zivilgesellschaftliche Organisationen oder Unternehmen einbinden könnte. Denn es steht außer Frage, dass Klimaschutz und der Umgang mit den Folgen der Erderwärmung nur gemeinsam gelingen können.



Die Ausgestaltung bilateraler Beziehungen bildet einen dritten Baustein umfassender Klima-Außenpolitik. Als relativ technisches Thema könnten Umweltfragen als „Türöffner“ bei schwierigen Partnern dienen und Kooperation dort fördern, wo andere Kanäle blockiert sind. Allerdings sollte man sich keine Illusionen machen, dass altbekannte Spoiler kurzfristig zu Verbündeten in Klimaanstrengungen werden. So blockieren Russland und China seit Jahren im UN-Sicherheitsrat, dass die Thematik auf höchster internationaler Ebene behandelt wird.



Die Bundesrepublik sollte Umweltfragen in die Beziehungen zu Drittstaaten einweben und auf die CO2-Reduktion im jeweiligen Land hinwirken. Zu bedenken gilt es hierbei, dass Energiekonzerne oft tragende Säulen staatskapitalistischer Systeme bilden. So sind weltweit zwölf der 20 Unternehmen mit dem größten CO2-Ausstoß in Staatsbesitz. In der Ausgestaltung der Beziehungen zu betroffenen Ländern wie Russland, Iran oder Saudi-Arabien muss sich eine Bundesregierung, die Klimapolitik ernst nimmt, an ihren Taten messen lassen.



Noch vielversprechender ist es jedoch, mit interessierten Partnerstaaten zusammenzuarbeiten. Designierte Klimapartnerschaften könnten hier zu einem Baustein einer ehrgeizigen Klima- Außenpolitik werden. Dabei würde die Bundesregierung verbindliche Abkommen mit Drittstaaten schließen und gemeinsam eine Transformationsagenda vorantreiben, die an den Pariser Klimazielen ausgerichtet ist. Deutschland würde ausgewählte Partnerstaaten durch Technologietransfers unterstützen, um ihre Energie-, Mobilitäts- und weitere Wirtschaftssektoren zu dekarbonisieren, und so zu ökonomischer Entwicklung und politischer Stabilisierung von Schwellen- und Entwicklungsländern beitragen. Gleichzeitig würden Absatzmärkte für deutsche Green-Tech-Unternehmen geschaffen und ausgebaut.



Um international wirken zu können, muss Deutschland auch zu Hause mit gutem Beispiel vorangehen. Die Restrukturierung der deutschen Wirtschaft spielt hierbei eine zentrale Rolle. Den zu erwartenden Zielkonflikten darf man dabei nicht aus dem Weg gehen, wenn Klimaschutz zum Imperativ deutscher Außenpolitik werden soll. Um seinen Status als Exportweltmeister aufrechtzuerhalten, braucht Deutschland Abnehmer in der Welt. Gleichzeitig muss es aber zukünftig auch in der Lage sein, seine Exportgüter in einem CO2-neutralen Wirtschaftsmodell produzieren zu können. Wenn es der Welt zeigt, dass dieses Modell zu Hause ein Erfolg ist, entsteht grüne Soft Power.



Damit diese Verknüpfung von Klima-, Außen- und Wirtschaftspolitik gelingt, muss die Bundesregierung auch institutionell nachjustieren. Zentrale Institutionen, die mit Klimafragen befasst sind, haben zumeist eine rein innenpolitische Ausrichtung. So ist der Außenminister bislang kein Mitglied im Klimakabinett – eine Lücke, die dringend gefüllt werden sollte. Auch das Mandat des 2020 einberufenen Expertenrats für Klimafragen sollte um eine außenpolitische Dimension erweitert werden.



Institutionelle Kakophonie

Selbst diese Innovationen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, woran es in der deutschen Klima-Außenpolitik institutionell vor allem hapert: an der Kakophonie der zahllosen Akteure, die auf die eine oder andere Weise an der Thematik beteiligt sind. Auswärtiges Amt, Entwicklungs- und Umweltministerium sowie die Ressorts Wirtschaft, Finanzen, Bildung und Forschung sind mit globalen Umweltfragen befasst. In allen Ministerien und nachgeordneten Behörden braucht es die Akzeptanz, Engagement und Identifikation mit einer umfassenden Klima-Außenpolitik, die von höchster Ebene vorgelebt werden muss. Doch auch das wird nicht ausreichen, um das Nebeneinander der vielen Akteure zu beheben.



Abhilfe könnte die Ernennung eines oder einer Klimabeauftragten vom Rang eines Staatsministers im Bundeskanzleramt schaffen. Ähnlich wie John Kerry in den USA wäre die Person mit Richtlinienkompetenz in Sachen Klima-Außenpolitik und einem entsprechenden Budget ausgestattet. Die Signalwirkung einer solchen Neuerung ist nicht von der Hand zu weisen. Zuvorderst würde so aber eine Instanz geschaffen, die die Koordination der relevanten Akteure übernimmt und die Ausgestaltung der Klima-Außenpolitik verantwortet. Damit wären die innenpolitischen Grundlagen für eine umfassendere und kohärentere Klima-Außenpolitik gelegt.



Bei der Vorstellung des europäischen Green Deal im November 2019 verlieh ihm EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die historische Bedeutung einer Mondlandung. Wenige Monate später brachte die Corona-Krise und deren Überwindung die Solidarität der Mitgliedstaaten an die Grenze der Belastbarkeit; Klima und Umwelt rückten in den Hintergrund. Doch eine aus den Fugen geratene Welt kann für eine umfassende Klima-Außenpolitik nur Chance sein: „Build back greener“ war vielleicht nie einfacher als heute.



Als größtem EU-Staat kommt Deutschland dabei eine zentrale Rolle zu. Um ihr gerecht zu werden, muss die Bundesregierung den Mut haben, die Themen Klima und Umwelt konsequent in ihr Außenhandeln einzuflechten. Die bislang veröffentlichten Programme für die Bundestagswahl im September versprechen die Klimapolitik zu einem der prominentesten Themen der neuen Legislaturperiode werden zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass den Worten Taten folgen.

 

Christin Knüpfer ist Programmleiterin Internationale Politik bei der Körber-Stiftung.

Dr. Ronja Scheler ist Programmleiterin Internationale Politik bei der Körber-Stiftung.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai-Juni 2021, S. 32-35

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