IP

01. Nov. 2004

Aid gegen AIDS

Die Auswirkungen von HIV/AIDS müssen in die Entwicklungspolitik einbezogen werden

Die weltweite AIDS-Epidemie erschwert gegenwärtig nicht nur die internationale Entwicklungspolitik;
in vielen Entwicklungsländern droht sie sogar die hart erkämpften Verbesserungen der
letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen. Für den an der University of Sussex lehrenden Politikwissenschaftler
Stefan Elbe ist in den kommenden Jahren Entwicklungspolitik ohne die Einbeziehung
der wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Auswirkungen von
HIV/AIDS undenkbar.

Die weltweite AIDS-Epidemie erschwert zurzeit nicht nur die internationale Entwicklungspolitik – in vielen Entwicklungsländern droht sie sogar die hart erkämpften Verbesserungen letzter Jahrzehnte wieder rückgängig zu machen.

Entwicklungspolitik ohne direkte Einbeziehung der immensen wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Auswirkungen von HIV/AIDS ist daher in den kommendenJahren völlig undenkbar. Je schneller dies eingesehen wird, desto besser sind die Chancen, den entwicklungspolitischen Folgen von HIV/AIDS effektiv entgegen zu wirken und die internationale Entwicklungspolitik erfolgreich voranzutreiben.

UNAIDS – eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, deren Zielsetzung die Bekämpfung dieser Krankheit ist – rechnet weltweit mit 40 Millionen HIV-infizierten Personen. Dass heute mehr Menschen mit dem Virus infiziert sind als die gesamte Bevölkerung von Spanien, hätte vor 20 Jahren, als die Epidemie noch in ihrer Anfangsphase war, keiner vorauszusagen gewagt. Heute scheint unausweichlich, dass ohne Versorgung mit Medikamenten die meisten dieser Menschen in den nächsten Jahren sterben werden.

Diese Einsicht ist weder neu noch kontrovers. In den vergangenen zwei Jahrzehnten erlitten bereits 20 bis 25 Millionen Menschen den meist qualvollen Tod aufgrund AIDS-bedingter Erkrankungen – der Großteil davon in Entwicklungsländern. Allein im vergangenem Jahr (2003) starben drei Millionen Menschen an AIDS, während sich weitere fünf Millionen neu mit HIV infizierten. Ein schnelles Ende dieser Epidemie ist höchst unwahrscheinlich. Daher müssen die Auswirkungen dieser humanitären Katastrophe unbedingt in die nationale, europäische und internationale Entwicklungspolitik einbezogen werden.

Dies ist in Afrika besonders zwingend. Dort sind viele Entwicklungsländer von HIV/AIDS bereits außerordentlich stark betroffen. Während im nördlichen Afrika diesbezüglich nur wenige Statistiken vorliegen, verzeichnen im westlichen Afrika bereits acht Länder Infektionsraten um die fünf Prozent der Erwachsenenbevölkerung. In diesen Ländern wird es sehr schwierig werden, einen Ausbruch der AIDS-Epidemie in der Gesamtbevölkerung zu verhindern. Im östlichen Afrika ist es dafür teilweise schon zu spät . In Kenia, Tansania und Äthiopien sind bereits mehr als fünf Prozent der Erwachsenenbevölkerung infiziert. Am schlimmsten betroffen ist jedoch zurzeit der Süden Afrikas. In vier Ländern dieser Region sind inzwischen mehr als ein Drittel der Erwachsenenbevölkerung infiziert. In Simbabwe und Botsuana sind es derzeit sogar knapp 40 Prozent. In solch einem sozialen Umfeld ist Entwicklungspolitik ohne direkten Bezug auf HIV/AIDS nicht mehr möglich.

Dass die AIDS-Epidemie in Afrika besonders drastische Auswirkungen hat, ist kein Geheimnis mehr. Nur wenige wissen jedoch, dass sich in Zukunft Ähnliches auch in anderen Regionen dieser Welt abspielen könnte. So wird es von Jahr zu Jahr deutlicher, dass AIDS kein afrikanisches Phänomen ist, sondern vielmehr eine globale Pandemie. Die Statistiken, die von UNAIDS im Dezember 2003 zum Welt-AIDS-Tag vorgelegt wurden, belegen dies sehr deutlich:

Sie zeigen auch, dass die größten Zuwachsraten der AIDS-Epidemie heutzutage nicht mehr in Afrika zu finden sind, sondern in Asien und Osteuropa. In Asien sind bereits fünf bis zehn Millionen Menschen mit HIV infiziert. Kambodscha, Myanmar und Thailand verzeichnen jeweils Infektionsraten von über einem Prozent der Erwachsenenbevölkerung. Ein Prozent – dies erscheint zunächst nicht besonders bedrohlich. Es ist dabei jedoch zu beachten, das in Südafrika im Jahr 1990 auch „nur“ ein Prozent der Erwachsenenbevölkerung mit HIV infiziert war. Im Laufe eines Jahrzehnts hat sich die Epidemie jedoch auf 20 Prozent der Bevölkerung ausgeweitet. Sollten sich solche Entwicklungen in den bevölkerungsreichen Ländern Asiens, wie z.B. Indien und China, wiederholen, stehen die Leben von vielen Millionen Menschen auf dem Spiel. Das chinesische Gesundheitsministerium rechnet für das Jahr 2010 bereits mit rund zehn Millionen infizierten Menschen, und diese Zahl ist eher konservativ. Indien zählt heute zwischen vier und fünf Millionen infizierte Menschen, und die Tendenz ist steigend. Selbst in den Grenzgebieten der Europäischen Union und in Osteuropa breitet sich die Epidemie zurzeit durch Drogenmissbrauch drastisch aus. Ähnlich wie in allen asiatischen Ländern verzeichnet die Ukraine zum Beispiel Infektionsraten von einem Prozent der Erwachsenenbevölkerung, während in reichen Ländern, wo Todeszahlen durch Zugriff auf Medikamente zwar sinken, Infektionsraten trotzdem weiterhin steigen. Aufgrund dieser Zahlen macht es wenig Sinn, die AIDS-Epidemie als ein Phänomen zu betrachten, von dem Europa nicht betroffen ist.

Ein wichtiges Ziel der Entwicklungspolitik ist die Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Dies wird in vielen Entwicklungsländern künftig nur dann erreichbar sein, wenn Regierungen und internationale Organisationen die AIDS-Epidemie besser in den Griff bekommen. Hier lassen die letzten zwei Jahrzehnte nicht viel Optimismus aufkommen. Die traurige Bilanz lautet, dass selbst 20 Jahre nach der Entdeckung dieser Krankheit die internationale Völkergemeinschaft noch immer nicht in der Lage ist, Millionen von Menschen am Leben zu erhalten – obwohl lebenverlängernde Medikamente in reichen Ländern zunehmend verfügbar sind. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation ist AIDS weltweit die Haupttodesursache von Menschen in der Altersgruppe zwischen 15 und 59 Jahren, und macht somit die in den letzten Jahrzehnten hart erkämpfte Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung in sämtlichen Entwicklungsländern wieder rückgängig:

In manchen afrikanischen Entwicklungsländern ist die durchschnittliche Lebenserwartung durch die AIDS-Epidemie schon um zehn bis zwanzig Jahre gesunken. In Botsuana ist die durchschnittliche Lebenserwartung wegen HIV/AIDS heute sogar niedriger als 1950, und dies obwohl das Land in den letzten Jahrzehnten immense entwicklungspolitische Fortschritte erzielt hat. So raubt die AIDS-Epidemie Menschen nicht nur wertvolle Lebensjahre, sondern auch ganzen Gemeinschaften ihr Humankapital. Dies hat nicht nur tragische menschliche Konsequenzen, sondern auch wichtige wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Auswirkungen, die jede seriöse Entwicklungspolitik künftig mit einbeziehen muss.

Wirtschaftliche Folgen

In besonders stark betroffenen Ländern deuten Untersuchungen auf eine negative Auswirkung der AIDS-Epidemie auf die Wirtschaft hin. Laut einer Umfrage der Südafrikanischen Koalition gegen HIV/AIDS verzeichnen bereits 40 Prozent der südafrikanischen Produzenten Profitverluste wegen der weit verbreiteten Krankheit. Dies liegt darin begründet, dass in vielen Betrieben hohe Infektionsraten zu einem Verlust an Personal und so auch zu höheren Ausbildungs- bzw. Krankenversicherungskosten führen. Einige dieser Betriebe haben deshalb schon damit begonnen, zwei oder drei Arbeiter für jeden Arbeitsplatz auszubilden; sie müssen schließlich davon ausgehen, dass früher oder später AIDS zu einem Dienstausfall einiger dieser Arbeiter führen wird. Gleichzeitig senkt die Epidemie in vielen Betrieben die Produktivität und damit auch die Produktion. Letztlich reduziert sie auch die Kapitalersparnisse solcher Betriebe und schreckt ausländische Investoren ab, die ihr Kapital lieber anderswo investieren.

Volkswirtschaftlich betrachtet unterscheidet sich HIV/AIDS daher auch von den vielen anderen Krankheiten, die in Entwicklungsländern weit verbreitet sind. Während viele dieser herkömmlichen Krankheiten hauptsächlich schwache Menschen sehr jungen oder sehr alten Alters befallen, greift HIV/AIDS zusätzlich auch die mittlere und wirtschaftlich produktivste Altersgruppe der 15 bis 49-jährigen an. So finden sich unter den Opfern der Epidemie nicht nur Säuglinge und alte Menschen, sondern zunehmend Personen, deren Beitrag für das Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer unentbehrlich ist, wie z.B. Manager, technisch qualifizierte Arbeiter, Bauern, Beamte, Lehrer, Wissenschaftler, Handwerker oder Ingenieure. Der Verlust solcher Arbeitskräfte und des Humankapitals wirkt sich negativ auf die Volkswirtschaft aus. Laut volkswirtschaftlichen Berechnungen müssen Entwicklungsländer mit Infektionsraten von über 20 Prozent der Erwachsenenbevölkerung mit einer Minderung des Bruttoinlandsprodukts von jährlich mindestens zwei bis vier Prozent rechnen. Die Weltbank sieht daher in der AIDS-Epidemie die derzeit größte Bedrohung für afrikanische Entwicklungsländer.

Unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten ist zu beachten, dass diese wirtschaftlichen Auswirkungen nicht nur auf der volkswirtschaftlichen Ebene zu spüren sind. Ebenso wichtig sind die wirtschaftlichen Auswirkungen von HIV/AIDS auf einzelne Haushalte. Laut UNAIDS senkt HIV/AIDS das Haushaltseinkommen im südlichen Afrika bereits um durchschnittlich 13 Prozent. Andere Haushaltsstudien deuten auf einen Einkommensverlust von bis zu 50 Prozent im Vergleich zu Haushalten, die nicht direkt von der Epidemie betroffen sind. Der Grund dafür liegt in den vielen zusätzlichen Kosten, die HIV/AIDS mit sich bringt – ob für Arzneimittel, für Arztbesuche oder letztlich für Beerdigungskosten.

Gleichzeitig hat eine von AIDS betroffene Familie auch weniger Möglichkeiten, ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Ist zum Beispiel das erkrankte Familienmitglied ans Bett gebunden und nicht arbeitsfähig, müssen sich die anderen Familienmitglieder um den erkrankten Menschen kümmern, bis der Tod eintritt. Auch diesbezüglich unterscheidet sich AIDS von anderen Krankheiten. Der meist langsame AIDS-Tod, der sich über mehrere Monate hinziehen kann, und die damit verbundene Pflege, die ein erkrankter Mensch für diese Zeit benötigt, verschlingt – wirtschaftlich betrachtet – wichtige Ressourcen. Besonders gravierend können die Auswirkungen auf den Broterwerb vieler Haushalte sein. Erkrankt beispielsweise der Familienvater an AIDS, kann er weder ein Einkommen für die Familie sichern noch landwirtschaftliche Produkte ernten. So endet in vielen Haushalten HIV/AIDS letztlich nicht nur mit dem tragischen Verlust eines Familienmitglieds (oftmals sind es sogar mehrere Mitglieder), sondern auch in Versorgungsengpässen, finanzieller Verschuldung, dem Zwangsverkauf von Eigentum (ob Werkzeug, Möbel oder Land), und zunehmend sogar in der Auflösung der Familie. All dies steuert wichtigen entwicklungspolitischen Zielen dramatisch entgegen.

Soziale Auswirkungen

Auch die sozialen Auswirkungen von HIV/AIDS müssen in Zukunft entwicklungspolitisch enger eingebunden werden. Besonders Besorgnis erregend ist die hohe Zahl an Waisenkindern, welche die Epidemie täglich hinterlässt. Bereits 14 Millionen Kinder sind aufgrund von AIDS verwaist. Entwicklungsländer wie Äthiopien und Nigeria verzeichnen jeweils knapp eine Million Waisenkinder. Dieses Phänomen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen; UNAIDS rechnet mit 25 Millionen AIDS-Waisenkindern vor Ende dieses Jahrzehnts. In vielen Dörfern Afrikas fehlt wegen AIDS meist die Erwachsenenschicht der Bevölkerung, womit Großeltern und Enkelkinder zum Überleben aufeinander angewiesen sind.

Viele Waisenkinder haben jedoch nicht die Chance, bei Großeltern unterzukommen. Sind ihre Großeltern ebenfalls an AIDS erkrankt, und sind weitere Familienmitglieder schon mit anderen Waisenkindern überlastet, enden diese Waisen meist auf der Straße, wo sie mit Kriminalität oder Prostitution ihre Existenz sichern. Langfristig wird dies wahrscheinlich zu gravierenden sozialen Problemen führen. Auch die finanziellen Ressourcen dieser Entwicklungsländer werden künftig durch die Explosion der Zahl von Waisenkindern zusätzlich belastet, was wiederum in die derzeitige Entwicklungspolitik mit einbezogen werden muss.

Die AIDS-Epidemie betrifft in Entwicklungsländern nicht nur Familien und Kinder, sondern auch andere soziale Bereiche, wie zum Beispiel das Gesundheitssystem. Hier geht es nicht nur um die erhöhten Gesundheitskosten, welche die Epidemie mit sich bringt, sondern auch um die derzeit chronische Überlastung der Krankenhäuser in sämtlichen Entwicklungsländern. In manchen Krankenhäusern Afrikas sind derzeit schon 50 bis 80 Prozent der Betten mit AIDS-Patienten belegt. AIDS-Patienten bekommen durch die chronische Überbelegung der Krankenhäuser erst sehr spät in ihrer Krankheitsentwicklung ein Bett, falls sie überhaupt eins zugeteilt bekommen.

Eine weitere Folge ist, dass selbst Menschen mit anderen – heilbaren – Krankheiten keinen Zugang zu Ärzten und Krankenhäusern bekommen. All dies erhöht den Stress für Ärzte und Krankenschwestern, und dies zu einem Zeitpunkt, an dem viele Ärzte und Krankenschwestern selbst an AIDS-bedingten Krankheiten erkrankt sind. So ist es kein Wunder, dass im Zeitalter der Globalisierung viele Ärzte und Krankenschwestern lieber ins westliche Ausland abwandern, wo die Arbeitsbedingungen und Gehälter wesentlich besser sind. Es muss zukünftig daher ein wichtiges Ziel der Entwicklungspolitik werden, Wege zu finden um diese Gesundheitssysteme zu verbessern. Viele Sparmaßnahmen, die während der neunziger Jahre von der Weltbank und dem IMF vorgeschrieben wurden, haben da leider eher das Gegenteil bewirkt.

Ähnliches spielt sich auch im Bildungssektor ab. HIV/AIDS wirkt sich hier doppelt negativ aus. Die Epidemie verringert sowohl die Anzahl der Lehrkräfte als auch die Zahl derer, die von der Bildung menschlich und wirtschaftlich profitieren könnten. Hunderttausende von Lehrern sind bereits an AIDS-Erkrankungen gestorben. In einigen afrikanischen Entwicklungsländern sterben heute sogar mehr Lehrer an AIDS als neue Lehrkräfte ausgebildet werden können. Die Gelder, um wenigstens einige neue Lehrer anzuwerben und auszubilden, müssen dann aus anderen Bereichen, z.B. Lehrmittel, genommen werden.

Dabei schaffen es viele Kinder erst gar nicht mehr in die Schule, weil sie im Haushalt mithelfen oder sich um ein erkranktes Familienmitglied kümmern müssen. So gehen heute in manchen afrikanischen Ländern zwischen 20 und 36 Prozent weniger Kinder zur Schule als bisher – obwohl Bildung eine wichtige Voraussetzung ist, um später gut bezahlte Arbeit zu bekommen und um sich bezüglich HIV/AIDS zu informieren. Das langfristige Resultat ist eine ganz andere Form des „brain drain“ in Entwicklungsländern.

Sicherheitspolitische Auswirkungen

Entwicklungspolitisch betrachtet hat die AIDS-Epidemie letztlich auch sicherheitspolitische Auswirkungen, die künftig die Umsetzung der internationalen Entwicklungspolitik weiter erschweren könnten. Um effektiv ausgeführt zu werden, benötigt die weltweite Entwicklungspolitik ein Minimum an Stabilität und Sicherheit. In einigen Ländern beginnt HIV/AIDS dieses Minimum zusätzlich zu gefährden, weil die staatlichen Institutionen, die bislang für Frieden und Stabilität sorgen, ebenfalls von der AIDS-Epidemie betroffen sind. Viele Militärs in Entwicklungsländern sind im Vergleich zur Zivilbevölkerung sogar überdurchschnittlich von der Epidemie betroffen. Laut Schätzungen des amerikanischen National Intelligence Council waren 1999 in sämtlichen Armeen Afrikas bereits mehr als 20 Prozent der Soldaten mit HIV infiziert, in einigen Fällen sogar mehr als die Hälfte.

Es gibt mehrere Gründe für diese hohen Infektionsraten. Oftmals sind Soldaten für längere Zeit weit von ihren Familien entfernt stationiert. Im Gegensatz zur Zivilbevölkerung sind Soldaten durchaus gut bezahlt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass in Entwicklungsländern, wo Armut weit verbreitet ist, Soldaten viele Möglichkeiten für bezahlten Geschlechtsverkehr haben. Zusätzlich wird in Armeen riskantes Benehmen auch belohnt. Der regelmäßige Alkoholkonsum in vielen Armeen kann sich ebenfalls negativ auf den Gebrauch von Präservativen auswirken. Diese hohen Infektionsraten tragen letztendlich zu höheren Krankheits- und Todesraten in den Armeen bei, nicht nur bei einfachen Soldaten, sondern auch beim erfahrenen und technisch qualifizierten Personal. Dieser zunehmende Druck auf Armeen – und auf die Polizei, wo sich Ähnliches abspielt – ist entwicklungspolitisch gesehen doppelt relevant. Erstens werden die Militärs wahrscheinlich versuchen, in Zukunft mehr öffentliche Gelder zu sichern, um die höheren Ausbildungs- und Krankheitskosten tragen zu können, was sich wiederum negativ auf andere Entwicklungsprojekte auswirken könnte. Zweitens führt die Epidemie in den am schlimmsten betroffenen Entwicklungsländern zu der Frage, ob die Stabilität und Sicherheit dieser Länder bei solch hohen Infektionsraten überhaupt noch gewährleistet werden kann. Dies wird sich nur langfristig zeigen.

Auch internationale Friedenstruppen, die den Boden für effektive Entwicklungspolitik in Konfliktgebieten ebnen sollen, sind diesbezüglich betroffen. Einige dieser stark infizierten Armeen steuern nämlich regelmäßig zu regionalen und internationalen Friedenstruppen bei. Gelegentlich führt die Entsendung von Friedenstruppen deshalb auch zu einer zusätzlichen Verbreitung der globalen AIDS-Epidemie. Dies ist längst kein Geheimnis mehr. Die Regierung in Kambodscha argumentiert bereits seit Jahren, dass die AIDS-Epidemie dort eng an die hohe Zahl von ausländischen Friedenstruppen, die dort Mitte der neunziger Jahre stationiert waren, gebunden ist. 2001 versuchte sich die Regierung Eritreas ebenfalls zu weigern, Friedenstruppen zu empfangen, sollten die Vereinten Nationen nicht garantieren können, dass keine HIV-positiven Soldaten geschickt werden – eine Garantie, die die UN angeblich aus menschenrechtlichen Gründen nicht geben wollten und konnten.

Dennoch empfehlen die Vereinten Nationen diesen Ländern sehr deutlich, künftig nur HIV-negative Soldaten bereitzustellen. Auch dies hat wiederum ungeahnte Konsequenzen für die Entwicklungspolitik – denn diese Truppen werden gut bezahlt. In den vergangenen Jahren waren solche Friedenseinsätze eine wichtige Möglichkeit für Entwicklungsländer, viel Geld in harten Devisen zu verdienen. Sollten Entwicklungsländer wegen ihrer hohen HIV-Raten in den Armeen zukünftig nicht mehr zu solchen Einsätzen beitragen können, bedeutet das wiederum den Verlust von wichtigen Einnahmen. So werden letztlich die sicherheitspolitischen Auswirkungen der weltweiten AIDS-Epidemie entwicklungspolitisch zunehmend relevant.

Entwicklungspolitisch betrachtet ist die AIDS-Epidemie also eine doppelte Katastrophe. Täglich sterben wegen dieser Krankheit bereits drei Mal so viele Menschen wie bei den Terroranschlägen am 11. September 2001. Dies macht die AIDS-Epidemie zu einer der gravierendsten humanitären Katastrophen, die die Welt je erfahren hat. Gleichzeitig mindert diese Krankheit wegen ihrer sozialen Auswirkungen auch die Kapazität vieler Entwicklungsländer, andere schwerwiegende sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu überwinden.

So entsteht ein tragischer Zyklus – je mehr HIV/AIDS diese Länder schwächt, desto anfälliger wird das wirtschaftliche und soziale Umfeld in diesen Ländern für eine weitere Intensivierung der Epidemie. Leider breitet sich HIV/AIDS nämlich gerade dort besonders intensiv aus, wo Armut weit verbreitet ist und Bildung sowie Gesundheit zu kurz kommen. Selbst ein Land wie Botsuana, das immense Entwicklungsfortschritte verzeichnet hat, ist diesen Auswirkungen gegenüber nicht immun. Daher muss es heute ein Hauptziel der globalen Entwicklungspolitik sein, diesen Zyklus zu durchbrechen. Entwicklungspolitik ohne direkte Einbeziehung der massiven Auswirkungen von AIDS ist in den kommenden Jahren überhaupt nicht mehr denkbar. Und Entwicklungspolitik – gerade wegen der weltweiten AIDS-Epidemie – ist heute wichtiger denn je.

Für Vollzugriff bitte einloggen.
0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.