Achtung, die Gringos kommen
Brief aus ... Havanna
Die meisten Kubaner befürworten den Schmusekurs mit dem Erzfeind
„Jetzt oder nie“, sagte Elizabeth zu mir: „Da geht was zu Ende, das ist historisch, das kommt nie wieder.“ Wenn erst die Gringos kämen, dann sei Kuba nicht mehr Kuba, setzte meine Freundin nach. Elizabeth ist Kolumbianerin und hat also nicht wie ich schon mal gesehen, was passiert, wenn plötzlich eine Mauer fällt und ein Museum zum Vorschein kommt. Und so ein bisschen wie in der DDR ist das ja auch mit dieser Karibik-Insel. Sie hat etwas von einem historischen Ort, stehengeblieben in der Zeit. Dieses kleine Eiland, das seit einem halben Jahrhundert im Meer des Kapitalismus umherdümpelt, hat allen Widerständen getrotzt.
Aber nun soll durch Annäherung der Wandel erreicht werden, den die Isolation nie schaffte. Die Castro--Regierung hatte Ende Dezember 2014 Freundschaft mit dem Lieblingsfeind verordnet und die USA zum Neufreund erklärt. Nun sollen Botschaften eröffnet werden, Investoren kommen und vor allem Touristen.
Also fährt man noch schnell in diese wunderbar morbide und charmante Hauptstadt des Museums. Es ist Februar, es ist ungewöhnlich kühl in Havanna und ungewöhnlich voll. Trotz Nebensaison gibt es kein freies Hotelzimmer, alles ausgebucht. Es hat den Anschein, als seien die Amerikaner schon da. An der legendären Uferpromenade Malecón hört man englisch, auf den aufgehübschten Plätzen im Zentrum von „Habana vieja“, dem historischen Zentrum der Stadt, hört man englisch, die Karten in den Restaurants sind in zwei Sprachen ausgelegt. Die „Calle Obispo“ kommt einem mittlerweile vor wie eine Einkaufsstraße in jedweder karibisch-kapitalistischen Metropole. In die vielen Cabriolet-Straßenkreuzer aus den fünfziger Jahren, die man für 50 Dollar pro Stunde mieten kann, quetschen sich rotgesichtige Gringos mit Sonnenbrand. Manche „Paladares“, diese hippen privaten Wohnzimmer-Restaurants, muss man Tage im Voraus reservieren, weil große Reisegruppen aus den USA sie gekapert haben.
Eigentlich ist diese Öffnung die -logische Konsequenz einer Entwicklung, seit Castro II 2008 die Geschäfte von Castro I offiziell übernommen hat. Reformen haben den Stillstand abgelöst. Bürger- und Freiheitsrechte, Internet, Häuser- und Autoverkauf, Ich-AGs – vieles, was jahrzehntelang undenkbar war, ist nun zugelassen. Paladares schießen aus dem Boden, Privatunterkünfte, Souvenirläden, Ga-lerien und Designer-Shops öffnen. Mit großen Dosen Kapitalismus soll der offizielle Kommunismus gerettet werden. Havanna wandelt sich schneller als Berlin nach dem Mauerfall.
Was Menschen wie Elizabeth mit einem Stirnrunzeln quittieren, finden fast alle Kubaner zwischen Havanna und Santiago nur großartig. Sie befürworten den Schmusekurs mit dem Erzfeind: Je mehr kämen, desto besser, heißt es. „Wir brauchen das Geld, den Input“, sagen die Älteren. „Wir wollen mehr Internet, mehr Smartphones, mehr coole Klamotten und mehr Musik“, fordern die Jüngeren.
Vergangenes Jahr kamen von den drei Millionen Kuba-Besuchern schon 600 000 aus den USA. Es waren Exilkubaner und interessierte Urlauber, die mit Sondergenehmigung reisten oder sich über das generelle Reiseverbot hinwegsetzten. Nun hat Präsident Barack Obama die Ausnahmeregelungen für Besuche auf der Insel auf zwölf erweitert. Wie viele werden jetzt erst kommen?
Marielena antwortet auf diese Frage mit einem Lächeln. Sie ist in diesen Tagen des Kuba-Booms eine ausgesprochen zufriedene Frau. Marie-lena wohnt im Vedado, dem alten Bourgeois-Viertel von Havanna, einen Steinwurf entfernt vom Hotel Nacional, wo in den vierziger Jahren Hollywood-Größen und Mafiabosse aus den USA gemeinsam Mojitos tranken. Sie bewohnt schon seit der Revolution ein Penthouse im sechsten Stock eines Apartmenthauses. Es ist eher ein Palast: 300 Quadratmeter, zwei Stockwerke, vier Bäder, zwei Balkone, eine Dachterrasse. Der Aufzug endet direkt in der Wohnung. Man hat sogar einen Blick auf die Bucht von Havanna – so lässt man sich die Revolution gefallen. Die gelernte Übersetzerin vermietet Zimmer für 35 Dollar die Nacht. Und sie ist inzwischen das ganze Jahr über ausgebucht. Wenn keine Gringos da sind, kommen die Touristen, die noch schnell Kuba sehen wollen, bevor die Amerikaner kommen.
Ihre Wohnung gehörte einmal dem Finanzminister der Regierung des Diktators Batista. Als die Revolution siegte, floh der Minister in die USA. Marielenas Vater war Arzt und entschied sich, nicht zu gehen, sondern der jungen Revolution zu dienen. Ging ja um die gute Sache. Der Vater war Gynäkologe am nahen Hospital Calixto García. Zum Dank für seine Treue bekam er das Penthouse des Finanzministers überschrieben.
Marielena ist noch immer von den Errungenschaften der Revolution über--zeugt. Und werden die USA Kuba wieder übernehmen, wie damals vor der Revolution? Kapern jetzt Fast-Food-Ketten und Zuckerbrausen die Insel? „Ach was. Das lässt das Volk nicht zu“, sagt sie entschieden – und das klingt ein bisschen wie bei Fidel Castro.
Klaus Ehringfeld ist freier Lateinamerika- Korrespondent und arbeitet für deutschsprachige Print- und Onlinemedien. Kuba gehört zu den Ländern, über die er am liebsten berichtet.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2015, S. 128-129