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01. März 2009

Absturz ins Armenhaus

Kalifornien steht vor dem Bankrott - doch seine Politiker bekriegen sich weiter

Hoffnungslos verschuldet, rettungslos veraltet, unregierbar: Vom einstigen Modellstaat Amerikas ist Kalifornien zum finanziellen Bittgänger in Washington abgestiegen. Marode Straßen und überfüllte Gefängnisse karikieren das Bild vom „Golden State“ – und stehen auch für das politische Scheitern von Gouverneur Arnold Schwarzenegger.

Als wäre Kalifornien in die Zeit der Goldgräber, Desperados und Revolverhelden zurückgefallen, ergriff Sacramentos Sheriff John McGinnes Mitte Februar das Wort: „Dave Fox, beenden Sie die Blockade!“ Dabei war Fox nur einer der 15 republikanischen Senatoren, die Gouverneur Arnold Schwarzenegger die Stimme für den Haushalt verweigerten. „Arnie“, nur noch ein trauriger Widergänger des einstigen Hollywood-Helden, brachte seit Monaten nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für den Haushalt zustande und wurde von den eigenen Parteifreunden ausgebremst. Wieder einmal stand Kalifornien am Rande der Zahlungsunfähigkeit, wieder einmal musste Schwarzenegger damit drohen, Tausende Staatsangestellte zu entlassen, alle öffentlichen Bauvorhaben zu stoppen und den Gesundheitsetat zu kappen. Am Ende wirkte der Druck: Nach einer 45-stündigen Marathonsitzung verabschiedeten die Abgeordneten in Sacramento einen Nothaushalt, der ihren Staat vor der Pleite bewahrte – zumindest für die weiteren Wochen.

Dabei drohte nichts weniger als ein 42 Milliarden Dollar-Bankrott – ein Schuldenberg, größer als alle US-Bundesstaaten (außer New York) als Gesamthaushalt besitzen. Im einst reichen Sunshine-State brennt es lichterloh: Seine Bewohner leiden unter der an der megateuren Westküste mitentfachten Rezession, unter einer Rekord-Arbeitslosigkeit von (offiziell) knapp zehn Prozent, insolventen Gemeinden und dem traurigen Rekord bei unbezahlten, aufgegebenen und zwangsversteigerten Eigenheimen. Der Traum vom schönen Leben ist geplatzt. „Fun, Fun, Fun“, wie die Beach Boys einst trällerten, war gestern.

Doch Schwarzenegger mag drohen oder die Fäuste ballen: Politisch stemmt der gelernte Bodybuilder kaum noch ein Gramm. Nicht nur, weil er 2010 ausgespielt hat. Sondern vor allem, weil er in den Jahren der zweiten Amtszeit demonstrierte, dass er die ihm nur in tiefem Misstrauen und Abneigung verbundenen Republikaner nicht mit den Mehrheitsdemokraten an einen Tisch bringen kann. Dabei braucht Schwarzenegger eine „Supermajority“, eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um Haushalts- oder Steuerentscheidungen zu treffen – bei einem Budget, das sich mittlerweile auf 1,8 Billionen Dollar beläuft. Dieses für den politisch wetterwendischen Vielvölkerstaat Kalifornien abwegige Konstrukt, lähmt das Land, das sich stolz als siebt- oder achtstärkste Volkswirtschaft der Welt gebiert, je nachdem, wie sich der Rivale Frankreich gerade schlägt.

Dahin ist selbst Schwarzeneggers größte Gabe, die grenzenlose Autosuggestion: „Das Mächtigste in der Politik ist, was die Leute von mir halten. Das Image ist alles, wichtiger als die Wirklichkeit!“ Doch der Zauber wirkt nicht länger: Mittlerweile erntet er Umfragewerte, die unter 30 Prozent Zustimmung liegen und den Negativrekord George W. Bushs noch unterbieten. Kein Lot Kaliforniens scheint so tief zu sinken wie Schwarzeneggers Ansehen.

Nicht besser als Alabama

Der Popularitätssturz kommt nicht von ungefähr. Vom Modellstaat, verschwenderisch ausgestattet mit dem milliardenträchtigen Hightech-Eldorado Silicon Valley, der Weltmacht Hollywood, der himmelstürmenden Raumfahrtindustrie und den höchsten Agrarexportzahlen der USA, ist Kalifornien zum Bittgänger in Washington herabgesunken. Und hofft nun auf Obamas Konjunkturalmosen: letzte Ausfahrt Potomac.

Längst haben die renommiertesten Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit Kaliforniens hinter die des von notorischer Armut geplagten Louisiana gesetzt. Das viel besungene Paradies ist unter Schwarzenegger in eine finanzielle und auch soziale Apathie gesunken, die dem Slogan vom „Golden State“ Hohn spricht: Die Kluft zwischen einer maßlosen Ausgabenpolitik und einem absurd ineffizienten, krisenanfälligen Steuersystem – Kalifornien nährt sich fast nur von Einkommensteuern – hat das Land in eine Schuldenklemme geführt, die das Desaster des demokratischen Amtsvorgängers Gray Davis noch übersteigt.

Derweil verrottet die Infrastruktur des in den fünfziger Jahren so fortschrittliche Bundesstaates: Autobahnen brechen auseinander, Brücken müssen gesperrt und notgeflickt werden, Staudämme spotten allen Sicherheitsvorschriften. Das Schulsystem liegt danieder, die Lehrer kehren teuren Städten wie San Francisco und Los Angeles in Scharen den Rücken, das Lehrniveau ist jämmerlich. Nirgendwo in den USA ist der Gegensatz zwischen Arm und Reich so extrem wie hier. Im Central Valley oder im San Joaquin Valley, den fruchtbarsten Tälern der USA, leben 30 Prozent der Kinder unter der Armutsgrenze, weisen minderjährige Mädchen die höchste Schwangerschaftsrate der USA auf. Die Gefängnisrate ist höher als in China (in Kings County hocken 15 Prozent der Bevölkerung im Knast), die überalterten Gefängnisse, darunter die so berüchtigten wie maroden St. Quentin und Folsom, verschlingen über zehn Prozent des Haushalts. Die Anstalten dämmern einer hygienischen Apokalypse entgegen, die Bundesrichter nun zum Anlass nahmen, Massenentlassungen von 57 000 der über 171 000 Sträflingen anzuordnen. Inzwischen gibt Kalifornien mehr Geld für seine Gefängnisse als für seine Universitäten aus. Selbst die Hauptstadt Sacramento ist ein tristes Loch: Das Zentrum verödet, Läden geben reihenweise auf, Restaurants sind verbarrikadiert, ganze Straßenzüge platzen auf, atmen den fauligen Atem einer sterbenden Region. Kein Wunder, dass der Gouverneur „seiner“ Hauptstadt nur die Gunst beharrlicher Abwesenheit erweist. Der umweltbewusste Politiker wohnt weiter bei den Reichen und Schönen in Los Angeles und ist wohl noch nie über die Autobahn um Sacramento gefahren, auf der man wüster rumpelt als dereinst um die Hauptstadt der DDR.

Alle diese Probleme drücken seit Jahren. Wieder und wieder hatte Schwarzenegger Lösungen versprochen, vor allem in seiner ersten Amtszeit ab 2003. Doch der Mann aus der Steiermark trug wesentlich zur Unmündigkeit der Politik gegenüber den von ihm so verhassten Gewerkschaften bei. Von einem unabhängigen Forschungsinstitut wurde Kaliforniens katastrophales Management öffentlicher Angelegenheiten unlängst auf eine Stufe mit dem hinterwäldlerischen Alabama gestellt. Für das kalifornische Selbstbewusstsein als auserwählter Staat der USA, als „Universal America“ und „Fenster in die Zukunft“ ist diese Schmach fast schlimmer als die derzeitige Wirtschaftskrise. Dabei hatte Arnie seinen 37 Millionen Landsleuten, zuletzt vor zwei Jahren, noch das genaue Gegenteil versprochen: „Wir alle können Kalifornien in die Zukunft führen. Wir können der ganzen Nation, ja der ganzen Welt zeigen, wo es lang geht.“

RÜDIGER SCHEIDGES ist Korrespondent des Handelsblatt in San Francisco.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2009, S. 16 - 19.

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