In 80 Phrasen um die Welt

28. Okt. 2024

In 80 Phrasen um die Welt: „Westbindung“

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Bild: Illustration eines Spruckbandes das die Erde umkreist
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Linke und rechte Nationalisten haben ein gemeinsames Ziel: Sie attackieren die Westbindung Deutschlands. Erstaunlich, dass man gegen dieses Konzept aus den frühen Nachkriegsjahren noch einmal Wahlkämpfe ausfechten kann. Doch das ist die zentrale außenpolitische Stoßrichtung von AfD und BSW: Sie behaupten, Deutschland müsse sich aus den westlichen Bündnissystemen lösen, um endlich souverän zu werden. 

Der Rechtsextremist Björn Höcke nennt die CDU eine „transatlantische Vasallenpartei“. Sahra Wagenknecht tituliert Olaf Scholz als „Vasallenkanzler“ der Amerikaner. Beide wollen den außenpolitischen Grundkonsens zerstören: dass Deutschland als Mitglied von EU und NATO Sicherheits-, Wirtschafts- und Wertepartner in einem amerikanisch geführten Westen ist. 

Konrad Adenauer trieb zwischen 1949 und 1957 die Westintegration voran. Er führte die damals noch von drei Siegermächten besetzte Bundesrepublik in die NATO und in immer engere Bündnisse mit den europäischen Nachbarn (Europarat, Montanunion, EWG). Adenauer war überzeugt, nur so schrittweise Deutschlands Souveränität wiedergewinnen zu können. Deutschland würde eines Tages auch als freies Land wiedervereinigt.

Westbindung ging vor nationaler Einheit – so der kühne Gedanke des rheinisch-katholischen Christdemokraten Adenauer, der schon damals sowohl Nationalkonservative als auch Linksnationalisten gegen ihn aufbrachte. 

Seine Politik war erfolgreich – gegen den Widerstand einer Mehrheit im Lande. 1950/51 waren 81,5 Prozent der Westdeutschen gegen den Beitritt zur NATO, 68,4 Prozent gegen die Wiederbewaffnung. Der Kanzler zog den Beitritt durch, 1955 wurde die Bundesrepublik Teil des westlichen Bündnisses. Adenauer gewann 1957 mit 50,2 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. 

Adenauer misstraute den eigenen Landsleuten seit der Nazizeit. Das war ein Grund für seine Entschiedenheit, Westdeutschland institutionell an jene Nationen zu binden, die bereits eine freiheitlich-demokratische Tradition hatten.

Die Westbindung wurde von der SPD zunächst vehement bekämpft, weil sie fürchtete, dass die deutsche Teilung zementiert würde. Die Westintegration erwies sich aber als Grundlage für die Ostpolitik der sechziger und siebziger ­Jahre. Die feste Verankerung im Westen während des Kalten Krieges machte es Willy Brandt und Egon Bahr überhaupt erst möglich, selbstbewusst mit der Sowjetunion, dem kommunistischen Polen und der DDR zu verhandeln. 

Mit dem Nationalismus rechter und linker Spielart kehrt eine alte Idee wieder: Die Westbindung sei ein Irrweg gewesen, der Deutschland von seinen natürlichen Partnern, den eurasischen Mächten Russland und China, entfernt und an US-Interessen verraten habe. Was die Lage verkompliziert: Heute gefährden autoritäre, antidemokratische Tendenzen den Westen nicht nur von außen, sondern von innen her. 

Der Begriff Westbindung passt darum nicht auf die heutige Herausforderung Deutschlands. Früher ging es darum, sich an einen bereits vorhandenen Westen zu binden. Heute geht es darum, ihn gegen äußere Feinde zu bewahren – und angesichts innerer Feinde zu reformieren.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2024, S. 15

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Jörg Lau ist außenpolitischer Korrespondent der ZEIT 
in Berlin und Kolumnist der „80 Phrasen“.

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